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01. Sep 2013

Alle Macht dem Präsidenten!

Wie das System Lukaschenko funktioniert

Wie konnte sich Aleksandr Lukaschenko 20 Jahre an der Macht halten? Mit Hilfe einer treuen Truppe alter Sowjetbürokraten, des KGB und eines Deals: Wer Prada liebt, muss auch ihn akzeptieren. Notwendige Wirtschaftsreformen oder gar Ideen für die Zukunft von Belarus hat er nicht. Auf Veränderungen wird er weiter mit Repressionen reagieren.

Belarus mag wie ein Abklatsch der alten kommunistischen Supermacht Sowjetunion wirken. Es weist einige totalitäre Elemente auf wie die Komsomol-ähnliche Jugendorganisation BRSM mit ihren rund 450 000 Mitgliedern. Aber es ist kein totalitärer Staat, der die Gesellschaft völlig durchdringt. Die Bürger sind heute sogar freier, als sie es in der Sowjetunion je waren. 

Umso erstaunlicher ist es, dass sich der ehemalige Kolchosendirektor Aleksandr Lukaschenko (59) seit fast 20 Jahren an der Spitze des Landes halten kann, ohne dass ihm eine Opposition oder regimeinterne Gruppen gefährlich werden konnten. Er hat sich als findiger Machtpolitiker erwiesen, der einige politische und wirtschaftliche Krisen überstanden hat. Außenpolitisch blieb er unberechenbar, pflegte mal engere Beziehungen zu Russland, das mit billigen Gas- und Ölpreisen und Krediten wesentlich zum Überleben des Lukaschenko-­Regimes beiträgt, und suchte dann wieder die Annäherung an den Westen bzw. die EU. Nachdem Belarus wegen seiner Repressionen gegen politische Gegner Ende 2010 mit Sanktionen belegt worden war, scheint sich wieder ein engerer Kontakt zwischen Minsk und der EU anzubahnen. Im Juni wurde das Einreiseverbot für den belarussischen Außenminister Wladimir Makej aufgehoben; im Juli reiste er erstmals nach Brüssel. 

Makej, bis 2012 Chef der Präsidialverwaltung und von Oppositionskreisen „grauer Kardinal“ genannt, ist eine der Marionetten des Regimes, die Lukaschenko zur Umsetzung seiner Politik braucht. Denn die Macht Lukaschenkos fußt nicht auf der Unterstützung einer herrschenden Partei oder einer bestimmenden Ideologie. Es gibt zwar die Organisation Belaja Rus, die mehrmals versucht hat, sich als Staatspartei registrieren zu lassen. Nur hat Lukaschenko das immer wieder verhindert. Ohne Parteiapparat kann Lukaschenko wesentlich flexibler agieren. Und er verhindert das Entstehen einer Organisation, die Widersacher hervorbringen könnte. Eine Partei würde Lukaschenko vermutlich erst stärken wollen, wenn er weiter an Popularität verliert und eine zusätzliche Machtbasis braucht. Dann könnte er eine Herrschaftspartei im Rahmen eines „Mehrparteiensystems“ installieren; auch das heute nahezu unbedeutende Parlament – der Oberste Sowjet – könnte dann an Bedeutung gewinnen.

Ideologisch ist Lukaschenko schwer einzuordnen. Seine Wirtschaftspolitik wurde vor allem durch den Altkommunisten Sergej Tkatschew geprägt, der bis 2012 einer der engsten Vertrauten des Präsidenten war. Ihn für einen Sozialisten halten zu wollen, wäre gleichwohl nicht angebracht. Im Bordmagazin der staatlichen Fluggesellschaft Belavia finden sich Hochglanzanzeigen für Casinos, Luxusautos und teure Immobilienprojekte. In manchen Minsker Bezirken stehen stattliche Wohnhäuser mit großen Grundstücken, umgrenzt von hohen Zäunen und bewacht von Sicherheitsleuten. Vor den Garagen parken Bent­leys, Porsches oder BMWs. 

Am ehesten könnte man Lukaschenkos Ideologie als „populistischen Konsumerismus“ bezeichnen, der auf einer stillschweigenden Übereinkunft basiert. Der Präsident garantiert den Bürgern einen gewissen Wohlstand und die Erfüllung grundlegender materieller Bedürfnisse und Stabilität. Dafür dulden die Belarussen Lukaschenko als „Vater der Nation“. 

Die Wirtschaftskrise, in die Belarus 2011 geriet, zeigte allerdings, wie unrentabel und veraltet die Staatswirtschaft ist. Der belarussische Rubel wurde massiv abgewertet. Lukaschenko hat die Krise ohne marktwirtschaftliche und liberale Reformen überstanden, die seine Macht hätten gefährden können. Aber das Modell des „Sozialvertrags“ funktioniert seither nicht mehr recht. Vor allem die riesigen Staatsbetriebe benötigten eine umfassende Modernisierung, um rentabler zu werden. Bis dato haben sich rund eine Milliarde Dollar Auslandsschulden angehäuft. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs, sofern man den offiziellen Zahlen trauen kann, zwischen Januar und Mai 2013 um 1,1 Prozent. Die Bürger befürchten eine abermalige Abwertung des belarussischen Rubels, der 2011 bereits 60 Prozent seines Wertes ver­loren hatte. 

Dem Regime fehlt nicht nur ein wirtschaftliches Erfolgsmodell, sondern auch eine tragfähige Idee für die Zukunft des Landes. Die Jüngeren sind dem Sowjetkult ihrer Großeltern und Eltern entwachsen. Einflüsse, die über Internet, Fernsehen, Reisende und Verwandte aus dem Ausland ins Land dringen, steigern nur die Sehnsucht nach einem breiteren Angebot materieller und immaterieller Güter. Nicht von ungefähr haben Regimevertreter ihre Bewunderung für das autoritäre Regierungsmodell Singapurs geäußert, das diesen Hunger aber stillen, Privatunternehmern eine größere Freiheit, bessere Verdienstmöglichkeiten und dem Staat höhere Steuereinnahmen sichern kann. In Belarus bleiben die Kontrolle entscheidender politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Prozesse, weiche und harte Repressionen gegen Gegner oder Medien und die Verhinderung von Einflussmechanismen durch neue Gruppen in Wirtschaft und Politik außerhalb der Kamarilla Lukaschenkos wesentliche Bestandteile des „Lukaschismus“. Der Präsident dominiert den politischen Raum nahezu völlig. 

Sicherheit durch Lukaschenko

Wie sehen die Strukturen aus, die die Macht Lukaschenkos garantieren? Wer gehört zur herrschenden Elite und nach welchen Regeln funktioniert sie? Leicht sind diese Fragen nicht zu beantworten, denn aus dem Inneren des politischen Maschinenraums dringen kaum Nachrichten. Die wenigen unabhängigen Medien erlegen sich eine gewisse Selbstzensur auf. Selbst Recherchen über das Einkommen des Präsidenten können Journalisten ins Gefängnis bringen. Lukaschenko selbst gibt ein Einkommen von monatlich 2590 Dollar an. Worauf mehrere Blogger sich fragten, wie er sich wohl teure Kleidung oder die Armbanduhr Patek Philippe ­Calatrava 5120J für rund 17 000 Dollar leisten könne, die er gerne zeigt. 

Unter den von Wikileaks veröffentlichten Dokumenten befand sich auch eines aus dem Jahr 2006, in dem die 50 reichsten Oligarchen aus Belarus aufgelistet wurden. Lukaschenko nahm den ersten Platz mit einem Vermögen von rund neun Milliarden Dollar ein. Auch Viktor Shejman fand sich mit 397 Millionen Dollar auf der Liste. Der 55-Jährige steht seit den ersten Tagen der Präsidentschaft loyal an der Seite Lukaschenkos, was nur wenigen in der Führungsebene gelungen ist. Er war Chef des Sicherheitsrats, der Präsidialverwaltung und Generalstaatsanwalt. In den neunziger Jahren soll er den lukrativen Verkauf von Waffen aus alten sowjetischen Beständen für Lukaschenko organisiert haben. Shejman, der wegen seiner bedingungslosen Treue „letzter Soldat Lukaschenkos“ genannt wird, soll auch für das Verschwinden von vier Oppositionellen und einem russischen Journalisten Ende der neunziger Jahre verantwortlich sein. Seit Anfang 2013 ist er Chef der Verwaltung, die sich um die präsidialen Grundstücke und Vermögenswerte kümmert. Er hat für Lukaschenko das System der Strafverfolgungsbehörden geschaffen, das die Macht des Präsidenten sichert.

Da es in Belarus keine Rechtssicherheit gibt, sind profitable und sichere Geschäfte nur jenen möglich, die an den Hebeln der Macht sitzen. Eine gewisse Sicherheit garantiert im Grunde nur Lukaschenko. Wer aufsteigen will, sucht seine Nähe oder die zu seiner Familie, denn auch Lukaschenkos ältere Söhne Viktor (38) und Dmitrij (33) spielen eine wesentliche Rolle in den Macht- und Geschäftsstrukturen des Landes. Viktor Lukaschenko war Teil des Sicherheitsrats und hat 2010 dafür gesorgt, das Innenministerium von hohen Beamten zu säubern, die nach dem Geschmack des Präsidenten zu viel persönliche Macht aufgebaut hatten. Dmitrij tritt weit weniger öffentlich in Erscheinung. Er leitet den präsidialen Sportclub und ist in mehreren Unternehmen unter anderem der Bauindustrie aktiv. So ist er am Multimillionen-Bauprojekt Green City in Minsk beteiligt. 

„Die Besserverdienenden stehen im Allgemeinen auch dem Regime sehr nahe und sind damit am wenigsten frei“, beschreibt der Schriftsteller Viktor Martinowytsch das System Lukaschenko. „Wer Prada liebt, muss auch Lukaschenko lieben.“ Dass es nicht wenige sind, die den Luxus lieben, zeigt sich an den gewaltigen Veränderungen in der Hauptstadt Minsk. Gehörten früher alte Westautos und sowjetische Automarken zum Stadtbild, sind es heute nicht wenige Luxusmarken, schicke und gut gefüllte Restaurants, Clubs und Cafés. 

Wohl gibt es auch in Belarus Geschäftsleute, die man als Oligarchen bezeichnen könnte – die aber wesentlich weniger wohlhabend sind als ihre ukrainischen oder russischen Kollegen. Auch verfügen sie nicht über eigene Macht wie in der Ukraine oder im Russland der neunziger Jahre. Sie sind Oligarchen von Gnaden des Regimes, das sie fördern oder fallen lassen kann. Einige Experten vermuten, dass sie nicht unbedingt die Chefs ihrer Unternehmen sind, sondern eher Manager im Dienst der Regierung, die sie dafür entlohnt. 

Einer dieser Oligarchen ist der 49-jährige Jurij Tschyzch, gegen den die EU vor zwei Jahren ein Einreiseverbot verhängte, weil sie ihn für einen zentralen Finanzier des Regimes hält. Tschyzch verdient sein Geld mit Softdrinks und Supermärkten. Zudem baut sein Unternehmen gerade ein Kempinski-Hotel im Zentrum der Stadt. Der reichste Mann des Landes neben Lukaschenko soll der in der Ukraine geborene Wladimir Pewtijew sein, der sein Geld mit Alkohol, aber auch mit Waffen verdient hat. In oppositionellen Kreisen nennt man ihn die „Geldbörse Lukaschenkos“ .

„Diese Oligarchen sind wie Shareholder des Lukaschenko’schen Unternehmens“, so Aljaksej Pikulik, Direktor des Belarussischen Instituts für Strategische Studien. Aber diese Shareholder kontrollieren das Regime nicht. Einen Schutz des Eigentums durch das Recht gibt es nicht – denn das Regime kann sich das Recht jederzeit zu Nutze machen. 

Eine Masse grauer Bürokraten

Institutionell wird die politische Macht Lukaschenkos durch die Präsidialverwaltung organisiert. Sie setzt die Zielvorgaben für Staatswirtschaft und -unternehmen, bei ideologischen Fragen oder wichtigen politischen Themen. Derzeit wird sie von Andrej Kobjakow geleitet. Der Ökonom war unter anderem Botschafter in Russland, wo er auch geboren wurde; er entspricht – wie die meisten in der politischen Elite von Belarus – dem Typus Sowjetbürokrat, der sich nicht gerade durch kreatives Denken, sondern durch Gehorsam auszeichnet. Aufgewachsen und ausgebildet in der autokratischen Sowjetunion, haben die Diener des Systems nur zu gut gelernt, dass eigene politische Ambitionen nur hinderlich für die Karriere sind. Man verhält sich lieber still und unauffällig – wie die ganze Gesellschaft. Wer aus der grauen Masse belarussischer Organisations- und Vollstreckungsbürokraten herausstechen würde, wäre eine potenzielle Gefahr für den Präsidenten und hätte kaum eine Chance, sich langfristig eine eigene Machtbasis aufzubauen.

Einer der wenigen Politiker, der eine gewisse Eigenständigkeit verkörperte, war Sergej Sidorski, der von 2003 bis 2010 das Amt des Premiers bekleidete. Er wurde von Michail Mjasnikowitsch, einem weiteren ehemaligen Sowjetbürokraten, abgelöst. Dem Ökonomen, langjährigen Chef des Büros des Präsidenten und ehemaligen Vorsitzenden der Akademie der Wissenschaften würde es die Bevölkerung kaum abnehmen, dass er die Wirtschaft stabilisieren, geschweige denn zu einem Neuanfang führen kann. Gleiches gilt für den Wirtschaftsberater des Präsidenten, Piotr Prakapowitsch. Mit seinen 71 Jahren erinnert der Ökonom, der als Chef der Nationalbank eher unglücklich agierte, an die Gerontokratie der Sowjetunion Anfang der Achtziger. Über Charisma hingegen verfügte der einstige Innenminister Jurij Sacharenko. Nachdem er einen „Bund der Offiziere“ gegen Lukaschenko gründete, verschwand er 1999 spurlos. 

Die meisten Bürokraten innerhalb des Machtapparats, so vermutet der Analyst Sergej Bogdan in der Studie „Who rules Belarus“, sind keine ­ideologisch linientreuen Verehrer des Präsidenten, sondern auf eine ungestörte Karriere bedachte Opportunisten. Diese Bürokratenpolitiker werden unter Lukaschenko mit lukrativen Jobs, sicheren Gehältern und sonstigen Vergünstigungen wie Krediten oder Wohnungen bei Laune gehalten. Zu ihnen gehören auch die Direktoren der zahlreichen Staatsbetriebe, deren Einfluss aber immer wieder sorgsam zurückgestutzt wird – zum Beispiel durch „Anti-Korruptions“-Kampagnen. So wurde im Juli dieses Jahres der Direktor der Belcoopsoyuz, einer Vereinigung von staatlichen Lebensmittelproduzenten, mit dem Vorwurf der Bestechung festgenommen. 

Mit diesen in regelmäßigen Abständen durchgeführten Kampagnen versucht das Regime, an Popularität zu gewinnen, Staatsdiener zu kontrollieren und die Entstehung konkurrierender Interessengruppen zu verhindern. Allerdings muss Lukaschenko auf eine gewisse Balance achten, schließlich braucht er die Karrieristen für seinen Machtapparat. So wurden verhaftete Bürokraten oder Fabrikdirektoren nicht selten nach kurzer Zeit im Gefängnis wieder entlassen und mit einer neuen Aufgabe betraut. Zudem muss Lukaschenko die wachsenden (auch materiellen) Ansprüche seiner politischen Lakaien, vor allem der jüngeren, berücksichtigen, um seine wichtigsten Mitarbeiter nicht zu sehr zu verärgern. Als der Präsident im April dieses Jahres einen der Wirtschaftskrise geschuldeten Abbau von Personal beschloss, wurden Beamte der Präsidialverwaltung und der Sicherheitsstrukturen von diesen Veränderungen dezidiert ausgeschlossen.

Die Präsidialverwaltung war im­mer Dreh- und Angelpunkt in der auf Lukaschenko zugeschnittenen Politik. Seit geraumer Zeit sind auch Anzeichen erkennbar, dass sie ihre Macht gegenüber den Ministerien auszubauen versucht – zum Beispiel durch die Übernahme von Kontrollen für die Bau- und Konstruktionsindustrie, die für die belarussische Wirtschaft von immenser Bedeutung ist. Auch der Geheimdienst KGB wird verstärkt eingesetzt, um Wirtschaftsbereiche zu kontrollieren. Dessen Chef Walerij Wakultchik sitzt seit Anfang Juni 2013 auch in der Belarussisch-russischen Kommission für den Pottasche-Export. Dass ein Geheimdienstmann mit diesem für ihn fremden Metier beauftragt wird, zeigt, dass Lukaschenko eine noch stärkere Kontrolle in Wirtschaftsfragen anstrebt. Auch Lukaschenkos Sohn Viktor gehört der Kommission an, die allerdings im Juli 2013 eine schwere Niederlage hinnehmen musste. Denn das russische Unternehmen Uralkali kündigte die langjährige Zusammenarbeit auf. Damit verschwindet eines der beiden Kartelle, die den Weltmarkt für Kaliumchlorid dominierten. Für das Regime könnte dies zu einem ernsthaften Problem werden, denn das Unternehmen gilt als hochprofitabel. 2012 erwirtschaftete Lukaschenko aus diesem Sektor 3,2 Milliarden Dollar.

Polizeistaat Belarus 

Das Komitee für Staatliche Sicherheit – wie in Sowjetzeiten immer noch KGB genannt – ist neben dem Sicherheitsdienst des Präsidenten, dem Innenministerium mit seinen Milizen und anderen speziellen Sicherheitskräften eine zentrale Säule zur Sicherung der Macht Lukaschenkos. Der KGB wird auch zur Kontrolle der Regime-Elite eingesetzt. Hauptaufgaben aber sind die Überwachung, Unterdrückung und Bekämpfung politischer Gegner. So berichtete der ehemalige Präsidentschaftskandidat Ales Michalewytsch 2011, dass er im KGB-Gefängnis Amerikanka gefoltert worden sei. Noch Ende der Neunziger unterhielt der KGB eine „Todesschwadron“, der von internationalen Menschenrechtsorganisationen das Verschwinden von Oppositionellen, darunter des ehemaligen Bürgermeisters von Molodetschno, Viktor Gontschar, zur Last gelegt wird. Gontschar und ein Freund, der Geschäftsmann Anatoli Krasowski, waren nach einem Treffen am 16. September 1999 auf dem Heimweg „verschwunden“, um nie wieder aufzutauchen. 

Lukaschenko hat den KGB sukzessive als eine wichtige Säule seiner Macht ausgebaut. Seit 2011 darf der KGB laut Gesetz nur aufgrund eines vagen Anfangsverdachts Verhaftungen und Hausdurchsuchungen vornehmen. Posten im Sicherheitsapparat sind begehrt, da die Stellen überdurchschnittlich gut bezahlt werden und eine gewisse Sicherheit garantieren. Nach Angaben von „Belarus Digest“ kommen 14 Sicherheitskräfte auf 1000 Einwohner. Weltweit liegt der Durchschnitt bei drei Polizisten pro 1000 Einwohner. Ende 2012 geriet der KGB allerdings in die Schlagzeilen, nachdem drei Offiziere, darunter ein Oberleutnant, Selbstmord begangen hatten. Gründe für die Selbstmorde wurden bis heute nicht bekannt. Doch derlei Aufmerksamkeit der Medien kann ein Geheimdienst, der Angst und Schrecken verbreiten soll, nicht gebrauchen. 

Den zur Zeit der Selbstmorde amtierenden KGB-Chef Wadim Saizew, einen Freund seines Sohnes Viktor, ließ Lukaschenko feuern. Zum neuen obersten Geheimdienstler ernannte er Walerij Wakultschik, der in mehreren Sicherheitsbehörden tätig war und Anfang 2012 wesentlich an der Schaffung des „Untersuchungskomitees“ beteiligt war, das dem Präsidenten direkt untergeordnet und damit das mächtigste Sicherheitsorgan des Regimes ist. Das Komitee soll de facto auch die Arbeit des KGB und anderer Strafverfolgungsbehörden überwachen. Dass Lukaschenko sogar dem KGB eine Sicherheitsbehörde vorsetzt, zeugt wohl von der Kontrollwut, aber auch der Furcht des Präsidenten, selbst aus dem Amt gedrängt zu werden. 

Geleitet wird das Komitee seit Ende 2012 von Walentin Schajew, einem Funktionär, der vor allem für die Generalstaatsanwaltschaft tätig war. Der neue KGB-Chef Wakultschik ist zwar ein Vertrauensmann Lukaschenkos. Aber man müsse verstehen, so der Politologe Walerij Karbalewitsch, „dass solche Figuren keine Politik bestimmen. Im KGB ist Wakultschik nur de iure der Chef. De facto ist es Lukaschenko.“ Es gibt immer wieder Konflikte zwischen den Sicherheitsbehörden wie um begehrte Posten in den Staatsunternehmen. Trotz seiner massiven Bedeutung für die Stabilität des Regimes bleibt der Einfluss der „Siloviki“, der Politiker aus den Sicherheitsapparaten, auf die große Politik jedoch eher gering – denn die wird seit 1994 ganz allein von Lukaschenko und seinen wechselnden Vertrauten gemacht. 

Frische Ideen, neue Ansprüche

In den nahezu 20 Jahren seiner Herrschaft ist es Lukaschenko gelungen, seine politische Macht immer wieder zu verteidigen und zu festigen. Die wichtigsten Entscheidungen werden bis heute vom Präsidenten kontrolliert und gesteuert, auf dessen Person das Regime zugeschnitten ist. Die Bildung von Interessengruppen und Konkurrenten innerhalb des eigenen Lagers konnte bislang auch mit Hilfe des Sicherheitsapparats erfolgreich unterbunden werden. Lukaschenko verlässt sich auf einen kleinen Kreis Vertrauter. Seine politische Elite ist eine graue, amorphe Masse aus opportunistischen Sowjetbürokraten, die vor allem daran interessiert ist, den Status quo und damit die eigene ­Stellung zu erhalten. Ein liberaler Wandel oder Reformen sind von ihnen kaum zu erwarten. Das Durchschnittsalter der hohen Staatsdiener beträgt nach Informationen von „Belarus Digest“ 56 Jahre. Ältere Menschen, die in der Sowjetunion aufgewachsen sind und gelebt haben, gehörten immer zu den eifrigsten Unterstützern Lukaschenkos, dessen Popularität aber seit Jahren vor allem unter den Jüngeren fällt. 

Doch die Gesellschaft verändert sich, sie verlangt nach mehr Freiheiten und neuen Verantwortungen. Man wird viele junge Beamte benötigen, um Spitzenpositionen zu besetzen. In diesen Wandlungsprozessen liegt eine Gefahr für das Regime: Jüngere Interessengruppen könnten sich herausbilden, die das starre Regime mit frischen Ideen, Interessen und neuen Machtansprüchen herausfordern. Lukaschenko ahnt diese heraufziehende Gefahr. Dass er seine alte Elite um Shejman berief, um sein Kontrollsystem stabil zu halten, zeugt aber von einer gewissen Hilflosigkeit. Deswegen wird er auch künftig auf Repressionen und die gnadenlose ­Bekämpfung seiner politischen Gegner setzen.

Ingo Petz lebt als Autor und freier Journalist in Berlin

 
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2013, S. 80-87

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