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01. März 2020

Afrikanisches Comeback

Russland hat seine Beziehungen zu Afrika in den letzten Jahren systematisch ausgeweitet. Im Zentrum des Interesses: Libyen.

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Bild: Cover IP 02-2020

Beim „Familienfoto“ der Berliner Libyen-Konferenz am 19. Januar 2020 stand er selbstbewusst in der ersten Reihe, gleich neben UN-Generalsekretär António Guterres und Gastgeberin Angela Merkel: Russlands Präsident Wladimir Putin. Für den Kreml ist Libyen das derzeit wichtigste afrikanische Land, um Russlands militärischen, energie- und migrationspolitischen Einfluss auszuweiten – in einem Land also, dass für Europas Sicherheit von zentraler Bedeutung ist.

Und Libyen ist kein Einzelfall: In ganz Afrika hat Russland seine Präsenz in den vergangenen Jahren verstärkt, insbesondere als Waffenlieferant. Der bisher größte diplomatische Wurf gelang Moskau mit dem ersten Russland-Afrika-Gipfel, der Ende Oktober 2019 in Sotschi stattfand. Alle 54 afrikanischen Staaten nahmen teil, zahlreiche Abkommen wurden unterzeichnet oder angebahnt. Das Signal war klar: Moskau zielt nicht nur darauf, Beziehungen zu ehemaligen sowjetischen Verbündeten aus der Zeit des Kalten Krieges wieder aufleben zu lassen, sondern es geht um ganz neue Partnerschaften.

Dabei beschränken sich Russlands diplomatische Anstrengungen längst nicht mehr nur auf Staatsbesuche und Gipfeltreffen. Vielmehr nutzt Moskau insbesondere seine Position im UN-Sicherheitsrat dazu, seinen afrikanischen Verbündeten zur Seite zu stehen – beispielsweise mit der öffentlichen Unterstützung der Forderung nach einem ständigen UN-Sicherheitsratssitz für Afrika. Im Gegenzug kann Russland auf die Stimmen seiner afrikanischen Partner in der UN-Generalversammlung zählen. Bei einer Abstimmung am 9. Dezember 2019, bei der es um die Verurteilung der Militarisierung der Krim und der Verletzung der ukrainischen Souveränität ging, stimmten zahlreiche afrikanische Staaten mit Russland oder enthielten sich, obwohl territoriale Integrität für viele ein wichtiges Thema ist.



Magere Wirtschaftsbeziehungen

Moskau versucht stets, seine Außenpolitik mit ökonomischen Mitteln zu untermauern, kann dabei aber längst nicht mehr auf so große wirtschaftliche Kapazitäten zurückgreifen wie einst die Sowjetunion. Zwar kletterte der russische Warenumsatz mit afrikanischen Staaten von 5,7 Milliarden (2009) auf 20 Milliarden Dollar (2018). Verglichen mit dem chinesisch-afrikanischen Handel (etwa 200 Milliarden Dollar) oder dem Afrikas mit den USA (rund 300 Milliarden Dollar) nimmt er sich aber fast unbedeutend aus. Russlands wichtigster Wettbewerbsvorteil ist „Flexibilität“: Auf politische Konditionalitäten, auf die Amerikaner und Europäer oft pochen, verzichtet der Kreml. Und im Vergleich zu Peking stellt Moskau seinen Partnern keine Schuldenfallen.

Ähnlich sieht es bei Entwicklungshilfe und Investitionen aus. Während die EU, Japan, China und die Vereinigten Staaten allesamt über Entwicklungshilfe- und Investitionsprogramme für Afrika im Wert von mehreren zehn Milliarden Dollar verfügen, fehlen Russland dafür die Ressourcen. Auf dem Russland-Afrika-Gipfel kündigte Putin zwar spektakulär an, dass sein Land afrikanischen Staaten Schulden aus der Sowjetzeit in Höhe von 20 Milliarden Dollar erlassen würde. Angesichts der Tatsache, dass diese Schulden ohnehin wohl niemals abbezahlt worden wären, war dies eher eine symbolische Geste.

Trotz des vergleichsweise geringen wirtschaftlichen Stellenwerts Russlands verzeichnen einige seiner Unternehmen dort – oft dank der Unterstützung des Kremls – durchaus bemerkenswerte Erfolge. So schloss Rosatom während des Russland-Afrika-Gipfels mit Äthiopien einen Vertrag über den Bau eines Kernkraftwerks und mit Ruanda einen über den Bau eines Wissenschafts- und Technologiezentrums ab. Die staatliche geologische Gesellschaft Rosgeo brachte Kooperationsvereinbarungen mit dem Südsudan, Äquatorialguinea und Ruanda unter Dach und Fach. Die Diamantenminengesellschaft Alrosa ist bereits in Angola und Simbabwe aktiv, und die staatliche russische Ölgesellschaft Rosneft arbeitet in Nigeria an der Entwicklung von mehr als 20 Erdölförderanlagen.



Russische Waffenexporte

Die größte Rolle spielt Afrika aus russischer Sicht allerdings als Waffenexportmarkt. Es ist allseits bekannt, dass Waffenverkäufe eine wichtige Einnahmequelle für die russische Wirtschaft sind. Darüber hinaus sind sie jedoch auch ein außen- und wirtschaftspolitisches Instrument: Durch Waffenexporte kann Moskau andere Staaten an sich binden, langfristige Abhängigkeiten schaffen und bestehende russlandfreundliche Regime an der Macht halten.

Die afrikanischen Staaten, die schon zu Zeiten der Sowjetunion zu Moskaus Verbündeten zählten, unterhalten auch heute noch Armeen, die sich alter sowjetischer Waffen bedienen. Und bis heute verkauft Russland weiter Waffen in eben diese Länder. In einigen Fällen schließt Moskau Waffenverkäufe als Ersatz für das Eintreiben von Altschulden ab.

Das Beispiel Algerien verdeutlicht diese Strategie: Als Moskau Algier 2006 alte Schulden in Höhe von 4,7 Milliarden Dollar erließ, wurde gleichzeitig eine ganze Reihe von Rüstungsaufträgen vereinbart; zugleich sicherte sich Russland Schlüsselpositionen im Agrar- und Energiesektor. 2017 vereinbarten beide Staaten sogar die Lieferung von taktischen Langstreckenraketen vom Typ Iskander-E.

Nach dem Sotschi-Gipfel bestätigte Russland, derzeit 20 afrikanische Länder mit Waffen zu beliefern, darunter Uganda, Ruanda, Angola und Mosambik. Der Gesamtwert der Waffenexporte lag demnach 2019 bei vier Milliarden Dollar – er macht also mittlerweile etwa ein Fünftel des gesamten Handelsvolumens aus.



Algerien kauft alles

Laut Berechnungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI war Algerien in den vergangenen zehn Jahren, also zwischen 2009 und 2019, der mit Abstand größte Käufer russischer Waffen auf dem Kontinent. Russland lieferte in dem Zeitraum rund 75 Prozent aller Waffenimporte. Dabei bediente sich die Regierung in Algier praktisch der gesamten Bandbreite des russischen Waffenarsenals und kaufte vom Panzer bis zum U-Boot und vom Hubschrauber bis zum Flugabwehrsystem alles, was die russische Rüstungsindustrie hergab.

Auch Uganda ist ein wichtiger Abnehmer russischer Waffen. Das Land kauft nicht nur alte T-55-Panzer und neuere T-90-Modelle, sondern auch Raketen für ebenfalls in Russland hergestellte Suchoi Su-30-Kampfbomber. Ägypten erwirbt derweil vor allem Luftabwehrsysteme, also Radartechnik, Raketen und andere Ausrüstung. Zuvor war Libyen unter Muammar al-Gaddafi für lange Zeit der wichtigste Absatzmarkt für Waffen „made in Russia“. Mit dem Sturz des Diktators brachen Russland mit einem Schlag vertraglich vereinbarte Waffengeschäfte im Wert von etwa vier Milliarden Dollar weg – und sämtliche Hoffnungen auf zukünftige Deals lösten sich in Luft auf.

Russlands allseits bekannte Abneigung gegenüber von außen unterstützten Regimewechseln fußt also nicht nur auf der Tatsache, dass man eine derartige Intervention im eigenen Land fürchtet. Sie beruht vielmehr auch auf der Angst, dass politische Umwälzungen im Ausland erhebliche wirtschaftliche Verluste mit sich bringen können.



Exportschlager Hubschrauber

Das beliebteste russische Rüstungsprodukt auf dem afrikanischen Kontinent sind Hubschrauber, seien es militärische Transporthubschrauber der Klasse Mi-8/17 oder Angriffshubschrauber vom Typ Mi-24/35 (die jeweils hinter dem Schrägstrich stehende Ziffer bezeichnet den für den Export bestimmten Bautyp).

Dabei verkauft Moskau seine Militärhubschrauber offensichtlich an jeden, der sie bezahlen kann, sei es Sambia, der Tschad, Angola oder ein Dutzend anderer Länder. Den jüngsten Kaufvertrag über insgesamt zwölf Mi-35-Angriffshubschrauber unterzeichnete Nigeria am Rande des Sotschi-Gipfels.

Neben neueren Waffensystemen verkauft Russland jedoch auch viel ältere, schon lange ausrangierte Waffen nach Afrika. Denn in den Low-Tech-Konflikten des Kontinents sind selbst Waffen aus der Zeit des Kalten Krieges nützlich. Kleinwaffen, Mörser, Panzerwagen und veraltete Panzer, die sonst nirgendwo mehr benötigt werden, kommen hier noch zum Einsatz. Über das größte Arsenal alter sowjetischer Waffen verfügt der Sudan, der auch regelmäßig Motoren aus russischer Herstellung erwirbt, um alte T-55-Panzer und BTR-80-Transportpanzer in Betrieb zu halten.



Russische Söldner in Afrika

Russland betreibt zwar keine einzige offizielle Militärbasis in Afrika. Private russische Militärunternehmen und Söldnergruppen sind dort jedoch in vielen bewaffneten Konflikten im Einsatz. Die berüchtigte „Gruppe Wagner“, ein privates Sicherheits- und Militärunternehmen mit engen Verbindungen zum russischen Militärgeheimdienst (GU, früher GRU), war bereits in der Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan, in Mosambik und in Libyen aktiv. Tatsächlich funktioniert die Einheit trotz ihres vermeintlich privaten Status eher wie eine russische Stellvertreterarmee.

In der Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan und in Mosambik unterstützen die Wagner-Söldner die Zentralregierungen im Sicherheitsdienst, bei der militärischen Ausbildung und angeblich auch im aktiven Kampfgeschehen. Im Gegenzug erhält der russische Oligarch Jewgeni Prigoschin, der als Kopf der Söldnerarmee gilt, regelmäßig vorteilhafte Bergbau- oder Ölförderverträge sowie andere großzügige Zuwendungen.

Aus Sicht des Kremls bietet der Einsatz privater Militärunternehmen wie der Gruppe Wagner gleich mehrere Vorteile. Zum einen muss sich die russische Regierung – anders als bei offiziellen Militärschlägen – für die Einsätze der angeblich autark agierenden Söldnertruppen in der Heimat nicht öffentlich rechtfertigen. Zum anderen ermöglicht der Einsatz einer Stellvertreterarmee, auf dem internationalen Parkett jegliche russische Beteiligung an den Konflikten in Afrika zu verleugnen. Dabei ist die Gruppe Wagner so eng mit dem GU verbunden, dass sie sogar gemeinsame Ausbildungseinrichtungen nutzen – und Wagner-Rekrutierer Dmitri Utkin ist ein ehemaliger Geheimdienstler.



Geheimoperation in Libyen

Die wahrscheinlich größte Operation der Söldnerarmee findet derzeit in Libyen statt. Zwar schwanken die Schätzungen, es scheint jedoch wahrscheinlich, dass dort derzeit mindestens 1500 Wagner-Söldner im Einsatz sind – und nicht nur ihre üblichen Unterstützungsdienste leisten, sondern auch aktiv an Kampfhandlungen beteiligt sind.

Laut US-Quellen sind darüber hinaus auch reguläre russische Landstreitkräfte in Libyen stationiert. Verlässliche Informationen über eine derartige Präsenz sind jedoch nur schwer zu beschaffen. Was den Einsatz russischer Truppen in Libyen besonders interessant macht, ist, dass Russland in Libyen nicht die von den Vereinten Nationen anerkannte Regierung mit Sitz in Tripolis unterstützt, sondern die Streitkräfte des Generals Khalifa Haftar, der gegen die Zentralregierung kämpft.

Zu den wahrscheinlichsten Beweggründen für Russlands Engagement in Libyen gehören das Kalkül, sich hier – wie vorher schon in Syrien – einen weiteren strategisch wichtigen Militärstützpunkt in der Region Nordafrika und Mittlerer Osten zu sichern, dem Land Konzessionen bei der Erdölförderung abzuringen und einen Knotenpunkt für die Kontrolle der Migrationsströme aus Subsahara-Afrika nach Europa zu besetzen. All diese Faktoren machen Libyen für Moskau zu einem äußerst lohnenden Ziel.

Dr. András Rácz ist Senior Fellow beim Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien der DGAP.

Übersetzung aus dem Englischen: Kai Schnier

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2020, S. 44-47

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