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01. Jan. 2005

50 Milliarden Dollar dringend gesucht!

Ökonomie

Die Millenniumziele müssen verwirklicht werden

Auf dem Millenniumgipfel der Vereinten Nationen im September 2000 haben sich die Staaten in Nord und Süd verpflichtet, den Anteil der in absoluter Armut lebenden Menschen bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Vier Jahre später bleiben die 2015-Ziele unterfinanziert, trotz einer Steigerung der traditionellen Entwicklungshilfe in bescheidenem Umfang. Jährlich fehlen 50 Milliarden Dollar, so der Konsens der Fachleute. Sollen die Proklamationen des Millenniumgipfels keine leere Versprechung bleiben, müssen die Geberländer ihre klassische Entwicklungshilfe verdoppeln – oder neue Finanzierungsinstrumente finden.

Vorschläge zur innovativen Entwicklungsfinanzierung vermehren sich rasch; sie gliedern sich in drei Bereiche: globale Steuern, freiwillige private Beiträge sowie Finanzmarktlösungen. Alle bergen politischen Sprengstoff. Folgende Auswahlkriterien sollten im Vordergrund stehen: Ergiebigkeit, Additionalität, Stabilität. Und Konsensfähigkeit: Denn bis 2015 bleibt nicht viel Zeit.

Globale Steuern finden oft Zuspruch, weil man glaubt, sie finanzierten ein globales öffentliches „Gut“ durch Belastung eines globalen „Übels“, also Finanzspekulation, Umweltzerstörung oder Waffenhandel. Wenn solche Steuern nicht nur fiskalisch ergiebig sind, sondern auch noch zum Beispiel für eine bessere Umwelt sorgen, wären sie sogar der traditionellen Hilfe vorzuziehen. Die Vereinigten Staaten allerdings lehnen alle globalen Steuern strikt ab, und seit 1999 verbietet es auch öffentliches US-Recht, dass sie sich daran beteiligen. Globale Steuern sind also nicht konsensfähig; auch die übrigen Auswahlkriterien sprechen gegen globale Steuern.

Die viel beschriebene Tobin-Steuer stützt sich auf eine zu mobile Bemessungsgrundlage – den internationalen Devisenhandel –, um verlässliche Einnahmen zu sichern. Um Ausweichreaktionen abzufangen, müsste die Steuer nicht nur den Kassamarkt, sondern auch die Termin- und Swapmärkte sowie die Anleihenmärkte abdecken. Ein „schonender“ Steuersatz von 0,01% würde zwischen 17 und 19 Milliarden Dollar pro Jahr aufbringen. Da eine Devisentransaktion mehrere andere Handelsaktionen zwecks Risikostreuung auslöst (hot-potato trading), würde die Steuer einen hohen effektiven Steuersatz implizieren. Die Folge: Der Handel würde illiquide, die Währungsschwankungen würden größer, nicht kleiner.

Gegen die vorgeschlagene Besteuerung des internationalen Waffenhandels spricht die geringe Ergiebigkeit. Der Handel mit konventionellen Waffen beläuft sich nach Angaben des gleichnamigen UN-Registers auf durchschnittlich rund 50 Milliarden Dollar pro Jahr. Selbst wenn dieser Handel steuerunelastisch wäre, brächte eine fünfprozentige Steuer nicht mehr als 2,5 Milliarden Dollar. Doch selbst das verhindert der allgegenwärtige Schwarzhandel, insbesondere bei kleinen und leichten Waffen. Eine Steuer würde diesen Handel nur noch weiter in die Kriminalität treiben. Die lange Geschichte zahnloser Waf-fenembargos, wie etwa in Liberia im Jahr 2002, illustriert drastisch, wie einfach eine Steuer auf Waffenhandel umgangen werden kann.

Ökonomen weltweit, freilich nicht die Gesetzgeber im US-Kongress, ließen sich am ehesten für eine globale Umweltsteuer gewinnen. Dies hat sich beispielsweise die vom französischen Präsidenten Jacques Chirac eingesetzte Landau-Kommission zu eigen gemacht. Der renommierte norwegische Volkswirt Agnar Sandmo verspricht in einer gründlichen Studie dreifache Dividenden für eine Globalsteuer auf Kohlendioxid-Emissionen. Erstens reduziert die Steuer Emissionen mit schädlicher Wirkung auf die Ozonschicht; zweitens kann die Steuer Fehlanreize korrigieren, etwa durch Aussetzung der Steuerbefreiung auf Flugtreibstoff; drittens wäre die Steuer sehr ergiebig: Eine uniforme, globale Belastung des Treibstoff-Liters von einem Cent würde zu jährlichen Einnahmen in Höhe von 130 Milliarden Dollar führen.

Private Spenden sind eine konsensfähige Alternative. Vor kurzem hat Microsoft eine Spezial-Dividende in Höhe von 10% der Marktkapitalisierung gezahlt, 3 Milliarden Dollar davon an Bill Gates; diese Summe floss direkt in seine Stiftung. Ein aufschlussreiches Kalkül: Microsofts Rendite auf das Eigenkapital liegt bei gut 11%, doch der reichste Mann der Welt sieht höhere soziale Renditen bei weltweiten Gesundheits- und Ausbildungsspenden, dem Schwerpunkt der Gates-Stiftung.

Damit dieses gute Beispiel Schule macht, müssten die Geberländer im DAC, dem Geberausschuss der OECD, sich auf bessere, womöglich einheitliche Steuervergünstigungen für private Spenden hinsichtlich der 2015-Ziele verständigen. Hilfreich wäre es, wenn die Geberländer die entsprechenden Steuereinbußen als Entwicklungshilfe verbuchen könnten. Das gilt auch für öffentliche Garantien; die reichen Länder können durch deren stärkeren Gebrauch ihr besseres Risikoprofil gleichsam an die armen Länder verleihen und deren Eigeninitiative stärken.

Natürlich ist es wichtig, dass neue Finanzinstrumente die klassische Entwicklungshilfe nicht verdrängen, sondern sie lediglich ergänzen. Wenn die öffentliche Entwicklungshilfe von internationalen Organisationen zu globalen Fonds umgeleitet wird, gleichzeitig aber wenig zusätzliche Privatmittel in diese Fonds fließen, dann wächst die Gefahr einer schleichenden Privatisierung der Entwicklungshilfe statt ihrer eigentlich geplanten Aufstockung.

Auch Finanzmarktlösungen können helfen, die Millenniumziele zu verwirklichen. Der „Charme“ des britischen Vorschlags einer internationalen Finanzfazilität ist das zeitliche Vorziehen der öffentlichen Hilfe durch Inanspruchnahme der Anleihenmärkte. Allerdings ruhen die Millenniumanleihen, die diese Fazilität decken würden, auf recht tönernen Füßen, nämlich den Versprechungen der Geberländer. Darauf ist im Zweifelsfall wenig Verlass, zumal die Alterung unserer Bevölkerung zukünftige Hilfe erschweren wird. Besser wäre es, die Fazilität durch öffentliche Anlagen abzusichern; niedrigere Ausfallrisiken und Zinsen wären die Folge. Gleichzeitig ließe sich auch die Nachfrage nach solchen Anleihen erheblich vergrößern, wenn die Anleihezinsen mit einer Lotteriekomponente verbunden wären. So etwas wird in Großbritannien und Irland bereits seit längerem erfolgreich praktiziert.

Es gibt also eine Auswahl, und das ist gut so! Die 2015-Ziele setzen kollektives Handeln voraus; erreichen können wir sie nur, wenn kein Geberland ausscheren kann. Allerdings sollten die Geber aus einem Menü innovativer Instrumente aussuchen dürfen. Der Brady-Plan Ende der achtziger Jahre löste mit dem Menü-Ansatz nach langer Resignation die lateinamerikanische Schuldenkrise. Im Fall der Millenniumziele ist es zur Resignation zu früh, zum Zynismus zu spät.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2005, S. 82 - 83.

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