Zum Erfolg verdammt
Klimawandel und Rohstoffkrise können nur gemeinsam gemeistert werden
Der Schlüssel zur Bewältigung der beiden Großrisiken des 21. Jahrhunderts liegt in einer veränderten Energiepolitik, die auf Einsparung, Effizienz und Erneuerbarkeit setzt. Die EU hält diesen Schlüssel in der Hand – es liegt an ihr, die globale Energiewende einzuleiten, welche die Bürger längst wollen und die Energiewirtschaft noch immer blockiert.
Pünktlich zum Jahreswechsel 2007 meldete die New York Times den 3000. toten GI im Irak. Dustin R. Donica war 22 Jahre alt, als ihn die tödlichen Kugeln trafen. Insgesamt starben im Irak seit Kriegsbeginn etwa 10 000 Soldaten und vermutlich weit über 50 000 Zivilisten. Kostenschätzungen für den Krieg, dessen Ende nicht absehbar ist, belaufen sich derzeit auf etwa 360 Milliarden Dollar. Das Umweltbundesamt in Dessau, eine dem Umweltminister unterstellte Behörde, berechnete die Zahl der Hitzetoten im europäischen Sommer 2003 auf 22 000 bis 35 000. Gemessen an der Opferzahl, erklären die Wissenschaftler, sei das Extremwetter-Ereignis damit die größte europäische Naturkatastrophe der vergangenen 500 Jahre.
Zwei Meldungen, zwei monströse Statistiken. Nach Überzeugung nicht nur notorisch US-kritischer Beobachter hätte es den Irak-Krieg ohne den Ölreichtum am Persischen Golf nicht gegeben. Paul O’Neill zum Beispiel, bis Ende 2002 Finanzminister und Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats im Kabinett Bush, bestätigt dezidiert diesen verdeckten Hintergrund des Feldzugs. Den Hitzesommer 2003 in Europa interpretieren auch Klimaforscher als regionalen Vorboten der globalen Erderwärmung. Man muss die beiden tragisch verlustreichen Ereignisse nicht zwingend auf die heraufziehende globale Rohstoffkrise einerseits und die steigende Fieberkurve unseres Heimatplaneten andererseits zurückführen – aber man kann es und zwar mit durchaus plausiblen Argumenten.
Sicher ist zweierlei: Erstens, dass das „Ende des Zeitalters der fossilen Ergiebigkeit“, wie es der Soziologe Wolfgang Sachs ausdrückt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts in greifbare Nähe rückt und zweitens, dass sich der Klimawandel in der realen Welt dynamischer und bedrohlicher entwickelt, als noch vor wenigen Jahren von den Experten auf Basis ihrer Computersimulationen vorausgesagt. Deshalb kann, ganz unabhängig von der Interpretation der beiden Ereignisse, aus ihnen nur ein Schluss gezogen werden: Im Vergleich zu dem, was kommt, wenn die Menschen fortfahren wie bisher, handelt es sich bei Irak-Krieg und europäischem Hitzesommer um das Wetterleuchten, nicht um das Gewitter.
Zweifler können sich anhand ganzer Regale voller Untersuchungen und Szenarien zur Klimagasentwicklung und ihrer bereits eingetretenen Folgen oder zum Rohstoffverbrauch einer nach wie vor wachsenden Menschheit eines Besseren belehren lassen. Sie können es sich aber auch bequemer machen und einfach zwei überschaubare, jedoch für die Zukunft der Menschheit fundamentale Graphiken übereinander legen. Die eine stammt von der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris, also einer der traditionellen Energiewirtschaft nahe stehenden Organisation der OECD-Staaten. Sie zeigt, wie sich im Falle eines ungebrochenen „Weiter so!“ der Einsatz der fossilen Brennstoffe Kohle, Öl und Erdgas entwickeln wird und mit ihm der Ausstoß des Treibhausgases CO2. In ihrem bislang letzten „World Energy Outlook“ aus dem Herbst 2006 rechnet die IEA bis 2030 mit einer Zunahme des globalen Energiebedarfs um 50 Prozent und der energiebedingten Treibhausgasemissionen um 60 Prozent. Bis 2050 würde sich der jährliche CO2-Ausstoß etwa verdoppeln.
Die andere Kurve verläuft praktisch spiegelverkehrt zur ersten: Sie zeigt über die Zeitachse die Einschränkungen der Treibhausgasemissionen, die die im Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) organisierten Klimaforscher rund um den Globus für mindestens notwendig halten, um eine sich katastrophal hochschaukelnde Klimaerwärmung gerade noch zu vermeiden. Soll das Fieber nicht um mehr als zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Ära steigen (0,8 Grad und damit fast die Hälfte sind schon erreicht), müssen die globalen Treibhausgaslasten bis 2050 halbiert werden. Weil Schwellen- und Entwicklungsländer pro Kopf der Bevölkerung um ein Vielfaches weniger CO2 verursachen und entsprechenden Nachholbedarf anmelden, müssen die Industrieländer ihre Emissionen sogar um 60 bis 80 Prozent eindämmen.
Zwischen der Erwartung der IEA und der von den Klimaforschern ermittelten Notwendigkeit tut sich somit eine gewaltige Kluft auf, die ganz sicher un-überbrückbar bleibt, wenn wir unseren Energiebedarf weiter zu vier Fünfteln aus fossilen Energieträgern befriedigen.
Kurz nach der Jahreswende legte die EU-Kommission unter der Parole -„Energy for a Changing World“ ihr Konzept für eine Energiestrategie bis 2020 vor. Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach von einem „Meilenstein in der Energiepolitik der Europäischen Union“, sein Energie-Kommissar, der Lette Andris Piebalgs, erklärte: „Wir können morgen die Welt in eine neue industrielle Revolution führen: mit der Entwicklung kohlenstoffarmer Technologien“. Wer das ganze Papier liest, gewinnt den Eindruck, dass in Brüssel verstanden worden ist, was die Stunde geschlagen hat. Dafür, dass nicht nur die Rhetorik stimmt, spricht vor allem die Intensität, mit der die Kommission die strikte, möglichst eigentumsrechtliche Trennung von Kraftwerken und Stromnetzen einfordert. Sie wäre nicht nur geeignet, die Macht der großen Energiekonzerne – namentlich in Deutschland und Frankreich – einzudämmen und den Wettbewerb in diesem Sektor endlich zu entfachen, sondern auch den erneuerbaren Energien aus Wind, Wasserkraft, Sonne und Biomasse bessere Zugangschancen in ein von eingesessenen Platzhirschen abgeriegeltes System zu verschaffen.
20 Prozent erneuerbare Energien in 2020
Ob die Kommission und die Staats- und Regierungschefs der EU nur Getriebene der realen Entwicklung sind oder selbst treiben wollen, wie sie behaupten, wird sich spätestens beim März-Gipfel in Brüssel erweisen, wenn unter dem Vorsitz des – immer noch – Kohlelandes Deutschland über das Konzept der Kommission entschieden wird. Fakt ist: Ohne die treibende Rolle der EU wäre das Kyoto-Protokoll vor zwei Jahren nicht in Kraft getreten, das der Gemeinschaft bis 2012 eine Treibhausgasminderung von acht Prozent verbindlich auferlegt. Seit 1990 geschafft sind trostlose 0,9 Prozent. Aus diesem Blickwinkel bedeutet die neue Zielmarke – 20 Prozent weniger Treibhausgase bis 2020 (und ebenfalls ein Anteil von 20 Prozent erneuerbarer -Energien am Energieverbrauch in der EU sowie eine um 20 Prozent verbesserte Energieeffizienz) – zweifellos eine reale Tempoverschärfung im Kampf gegen das globale Fieber. Ob sie allerdings ausreicht, die proklamierte Begrenzung der Klimaerwärmung auf durchschnittlich zwei Grad weltweit maßgeblich zu befördern, bezweifeln nicht nur Umweltverbände und Grüne, die die Brüsseler Pläne umgehend als „lauwarm“ und „enttäuschend“ geißelten und der Kommission, die im Vorfeld ein deutlich radikaleres Umsteuern diskutiert hatte, „Angst vor der eigenen Courage“ attestierten.
Bedrohlicher ist die inzwischen gefestigte Überzeugung der großen Mehrheit der globalen „Climate Community“, dass alle Versuche, das enorm gewachsene wissenschaftliche Verständnis über den Klimaeffekt und seine wahrscheinlichen Folgen in eine angemessene Politik umzusetzen, zu scheitern drohen. Der in diesen Tagen veröffentlichte „Vierte IPCC-Assessment Report“ macht diese Kluft präziser kenntlich als je zuvor.1 Es ist mittlerweile eine Binsenweisheit: Beim Kampf gegen den globalen Klimaeffekt mangelt es nicht mehr an Wissen, sondern an Umsetzung.
Unbestritten kann Europa das Problem nicht alleine lösen, zumal die mittlerweile mehr als 500 Millionen Menschen in 27 Mitgliedstaaten nur etwa 15 Prozent der künftigen weltweiten Treibhausgase emittieren. Aber Europa hat im Verlauf des Kyoto-Prozesses eine weithin akzeptierte Führungsrolle eingenommen. Die Legitimation für eine Fortsetzung speist sich auch aus den Wünschen und Überzeugungen der großen Mehrheit der europäischen Bürgerinnen und Bürger. Sie verlangen entschieden den Einsatz wirksamer Instrumente gegen den Klimawandel und für eine entschlossene Energiewende. Die europäischen Institutionen und ihre Mitgliedstaaten werden den Post-Kyoto-Prozess auch anführen müssen, weil sich – aus unterschiedlichen Motiven – niemand sonst von vergleichbarem Gewicht nach dieser Rolle drängt.
Die Vereinigten Staaten sind als letzte verbliebene Weltmacht infolge der anhaltenden klimapolitischen Ignoranz der Bush-Regierung und der sie tragenden Kräfte des alten Energie- und Industriesystems noch auf Jahre hinaus nicht in der Lage, eine konsistente, nicht von eigenen Interessen blockierte Führungsrolle zu übernehmen. In den großen Rohstoff-Förderländern der OPEC, Zentralasiens und auch Russlands dominiert der unbedingte Wille, eigene fossile Reichtümer auf den Weltmärkten zu verkaufen und auf dieser Basis das jeweils eigene Land und Machtpositionen in der Staatengemeinschaft zu sichern und zu entwickeln. Jeder mit Beschränkungen beim CO2-Ausstoß verbundene, mögliche Absatzeinbruch wird folglich als Bedrohung eigener Entwicklungschancen wahrgenommen. Die wichtigsten Schwellenländer China, Indien, Brasilien und die meisten Entwicklungsländer wiederum melden unter Hinweis auf die historischen Emissionen der Industriestaaten ihren Nachholbedarf an und fürchten – was nachvollziehbar ist – solange um ihre eigene Entwicklung, wie die wohlhabenden Länder nicht mit gutem Beispiel vorangehen und den Nachweis einer auch ökonomisch attraktiven Klimawende führen.
Gefeilsche um Verschmutzungsrechte
Unterdessen verschwimmt Deutschlands innerhalb und außerhalb der EU lange Zeit unbestrittene Vorreiterrolle im Klimaschutz – ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, zu dem der Zufall Angela Merkel für ein halbes Jahr zur „mächtigsten Frau der Welt“ macht. Sie selbst hatte die Energie- und Klimapolitik in den vergangenen Monaten zu einem Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und ihres parallelen G-8-Vorsitzes der wichtigsten Industriestaaten ausgerufen. Doch dann war es der deutsche Industriekommissar Günter Verheugen, der in Brüssel an vorderster Front und erkennbar zum Schutz der Wirtschaft daheim durch massive Intervention für eine Entschärfung der Klimastrategie der Kommission sorgte, die im März unter Merkels Ratsvorsitz verabschiedet werden soll. Dazu waren es vor allem deutsche Energiekonzerne wie RWE und E.ON, die vor und nach der Präsentation in Brüssel schweres Geschütz auffuhren, indem sie den ihnen möglicherweise auferlegten Verkauf ihrer Stromnetze unverblümt als Enteignungstatbestand anprangerten. Und schließlich: Buchstäblich zur selben Stunde, als Kommissionspräsident Barroso am zwölften Tag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel die „neue industrielle Revolution“ zur Rettung des Weltklimas ausrief, lief in Deutschland die Meldung über die Agenturen, das Bundeswirtschaftsministerium bereite eine Klage vor gegen die aktuellen Klimaschutzauflagen, mit denen die EU-Kommission die nach ihrer Überzeugung zu üppige Ausstattung der deutschen Wirtschaft mit CO2-Verschmutzungsrechten zurückgewiesen hatte.2 Deutsche Vorreiterrolle? Wohl kaum etwas könnte die missliche Situation der Kanzlerin treffender symbolisieren als dieser punktgenau angekündigte Affront gegen die neue europäische Entschlossenheit.
Der Zeitpunkt, in Europa und darüber hinaus Zweifel an der Ernsthaftigkeit deutscher Klimaschutzpolitik zusähen, könnte auch aus einem anderen Grund unpassender kaum sein. Denn nur Wochen zuvor war die globale Klima bedrohung mit einem Paukenschlag in jenem System angekommen, das die Mahnungen der Klimawissenschaftler und Umweltschützer bis dahin, wenn überhaupt, nur als lästiges Störfeuer gegen die Dynamisierung der globalisierten Weltwirtschaft wahrgenommen hatte: in der Sphäre der Ökonomie. Für die britische Regierung hatte Sir Nicholas Stern, der frühere Chefökonom der Weltbank, die voraussichtlichen Konsequenzen der Klimaerwärmung aus der ökonomischen Perspektive schonungslos benannt. Auf bis zu 20 Prozent der weltweiten jährlichen Wirtschaftsleistung könnten sich demnach die Folgen des Klimawandels aufsummieren, aber nur ein Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts wäre nötig, um die katastrophale Entwicklung noch abzuwenden. Gleichzeitig beziffert der Stern-Report den Markt für neue, kohlenstoffarme Energietechnologien, Güter und Dienstleistungen auf mehrere 100 Milliarden Dollar – Jahr für Jahr.
Globale Energiewende
Stern bestätigt im Kern, was Umweltschützer und Verfechter eines neuen Solarzeitalters, wie der SPD-Politiker Hermann Scheer, schon seit Jahrzehnten predigen. Die globale Energiewende wird hochinnovativ sein, hochproduktiv und hocharbeitsintensiv und sie wird die Welt zu ökonomisch günstigen Konditionen vor dem Schlimmsten bewahren. Noch eine andere Erkenntnis – man könnte auch sagen: ein Glücksfall – liegt nun offener zutage als zuvor: Beide Großrisiken des 21. Jahrhunderts, die Ressourcenknappheit und der Klimawandel, verweisen auf denselben Lösungspfad: Umbau des Energiesystems hin zu Einsparung, Effizienz und erneuerbaren Energien. Wer die Ressourcen schont, entlastet auch das Klima – und umgekehrt. Jede Maßnahme, die das eine Risiko vermindert, reduziert auch das andere.
Erste Erfolge, namentlich in Deutschland und Europa, deuten die Richtung an, in die die Entwicklung gehen muss, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein einziges Gesetz – das inzwischen in modifizierter Ausgestaltung in rund 40 Staaten der Erde „exportierte“ Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) – hat die Windenergie zur weltweit am schnellsten wachsenden CO2-freien Energieform gemacht. Mit rund 20 000 Megawatt entspricht die installierte Leistung in Deutschland der der Atomenergie, der Strommix verändert sich hierzulande mit einer Geschwindigkeit, die allenfalls vergleichbar ist mit dem Auf- und Ausbau der Kernenergie in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Weltweit wurden allein im Jahr 2006 Windrotoren mit einer Leistung von rund 15 000 Megawatt neu aufgestellt. Die global installierte Leistung verdoppelt sich derzeit alle drei Jahre und beträgt jetzt rund 75 000 Megawatt. In der EU sind derzeit 300 000 Menschen in der erneuerbaren Energienbranche beschäftigt, bei einem Jahresumsatz von 20 Milliarden Euro. Geschähe bis 2020 auf EU-Ebene Vergleichbares in allen Mitgliedstaaten und auch bei anderen marktnahen Technologien wie etwa Biomasse und Biogas, könnte Europa seine soeben ausgerufenen Ziele für 2020 sogar deutlich übertreffen.
Der weltweite Boom der Windbranche ist ein Anfang. Er ändert aber nichts daran, dass die notwendige Umwälzung so gewaltig ausfallen muss, wie es die Widerstände sind, die es weiter geben wird. Sie werden getragen von den Unternehmen und den Staaten, die die fossile Ära stark und mächtig gemacht hat. Sie sehen sich als potenzielle Verlierer einer Zukunft, in der die Belastung der Atmosphäre mit Kohlendioxid einen wachsenden Preis haben wird. Ebenso wenig wie kohle- oder ölbasierte Unternehmen werden sich Staaten wie die USA oder China durch gutes Zureden von ihrer ökonomischen Weltführerschaft einerseits und ihrem Aufholanspruch gegenüber den Industriestaaten andererseits abbringen lassen. Die Emissionszuwächse dieser Länder kompensieren derzeit noch bei weitem die Erfolge in der EU. Ein überzeugendes Programm zur Nachahmung für die Welt werden Klimaschutz und Energiewende erst, wenn Deutschland und Europa vormachen, dass beides nicht nur das Überleben sichert, sondern ein Leben in Wohlstand.
Dabei ist die Debatte über die Kernenergie energie- und klimapolitisch zweitrangig. Die seit etwa zwei Jahren von ihren Anhängern mit hohem propagandistischem Aufwand beschworene Renaissance ist bislang eine Wiedergeburt der Ankündigungen geblieben. Das belegt schon die Empirie der Zahlen: 1990 waren laut Statistik der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) in Wien weltweit 83 Reaktoren im Bau, 1998 immerhin noch 36, heute sind es 29. Im vergangenen Jahr nahmen weltweit zwei Atomkraftwerke den kommerziellen Betrieb auf, acht wurden stillgelegt. Das ist der Trend. Atomenergie kann auf Basis der heute eingesetzten Reaktortechnik zudem kaum dauerhaft einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten – es sei denn, man lenkt ungeheure Finanzmittel in diese Technik, die dann für den Aufbau risikoarmer Energietechnologien fehlen, vervielfacht die Produktionskapazität der verbliebenen Hersteller und etabliert diese Risikotechnik überall auf der Welt, auch in den Krisenregionen. Geschieht dies, muss sehr bald der Übergang zu der im ersten Anlauf gescheiterten Technik der Brutreaktoren vollzogen werden, um die vorhandenen Uranvorräte zu „strecken“. Schnelle Brüter werfen zusätzliche Sicherheitsrisiken auf und sind wegen der mit ihnen im großen Stil verbundenen Plutoniumproduktion noch anfälliger gegen militärischen Missbrauch als die heute eingesetzten Leichtwasserreaktoren.
Atomkraftwerke stehen zudem der Umwälzung hin zu einem auch dezentralen und damit effizienteren Energiesystem eher im Wege. Neubauten wird es – wie in Finnland, Indien, Pakistan, China oder dem Iran – in der vorhersehbaren Zukunft nur mit massiver staatlicher Unterstützung geben, mit Finanzspritzen, die sich im Einzelfall (Pakistan, Iran, Nordkorea) aus prekären militärischen Motiven speisen. Aber auch andernorts – in Finnland, Frankreich, Japan zum Beispiel – ist staatliche Unterstützung für den Neustart unverzichtbar. Diese „Markteinführungshilfen“, ein halbes Jahrhundert nach dem kommerziellen Start, machen die Kernenergie einzigartig. Sie bleibt es jedoch vor allem bezüglich der Versorgungssicherheit. Denn ein einziger schwerer Unfall, ein „gelungener“ terroristischer Angriff irgendwo auf der Welt,3 würde nicht nur alle Zukunftshoffnungen der Branche in Frage stellen, sondern auch den aktuellen Betrieb von Reaktoren in vielen Industrieländern. Eine solche Perspektive ist das exakte Gegenteil von Versorgungssicherheit.
Nein zu Atom, ja zu Wind
Kernenergie ist wegen ihrer Katastrophenrisiken weltweit umstritten, in EU-Europa unterstützt nach einer im Januar veröffentlichten Umfrage der EU-Kommission nur jeder fünfte Bürger diese Technologie, aber mehr als 70 Prozent befürworten den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie. Wie sehr diese Unterstützung einer überwältigenden Mehrheit den Übergang in Richtung eines nachhaltigen Energiesystems erleichtern kann, wird derzeit politisch kaum registriert. So sind massive publizistische Versuche in mehreren EU-Staaten, den Windenergieboom zu torpedieren, grandios gescheitert – weil die Mehrheiten diese Technologien forciert einführen wollen.
Dabei ist unbestritten, dass auch das neue Energiesystem nicht als Idylle zu haben sein wird. Die erneuerbaren Energien bedürfen als Voraussetzung für ihren Erfolg einer starken Flankierung durch Einsparung und Effizienz. Zwar liefert die Sonne stündlich mehr Strahlungsenergie, als die Menschheit derzeit im Jahr kommerziell einsetzt. Doch der Überfluss kommt ausgesprochen „verdünnt“ herunter auf die Erde. Deshalb werden die Kraftwerke, die im Jahr 2050 neun oder zehn Milliarden Menschen mit ausreichend Energie versorgen sollen, beides sein: klein, allgegenwärtig und verstreut, aber auch gigantisch, gruppiert um die Megastädte des Südens, in windreichen Regionen oder im Sonnengürtel der Erde. Auch ein Biomasse-basiertes Transportsystem ist nur denkbar mit Verbrennungsmotoren, die mit den übermotorisierten Spritschluckern der gegenwärtigen Kraftfahrzeug-Generation nicht mehr viel gemein haben. Vor allem aber wird es mehr als eine Generation dauern, bis die „neue industrielle Revolution“, die Barroso und seine Kollegen zum Jahresbeginn in Brüssel beschworen, sich weltweit durchsetzt.
Die Politik, nicht nur in Europa, ist zum Erfolg verdammt - sonst wächst das Risiko, dass jene mehr und mehr den Gang der Dinge bestimmen, die die Klimaignoranten am trefflichsten ergänzen: die Krieger. Zunehmend wird internationale Interessenpolitik im Zusammenhang mit der heraufziehenden Rohstoffkrise wieder militärisch formuliert. Der schrille antirussische Ton, der in Westeuropa vielerorts und reichlich gedankenlos angeschlagen wurde, als die Druschba-Pipeline aus Russland für wenige Tage wegen eines russisch-weißrussischen Streites versiegte, verheißt nichts Gutes. Dabei liegt es in der Logik der Sache, dass diejenigen, die bereit sind, die eigene Versorgung mit Öl und Erdgas notfalls auch mit Gewalt und rund um den Globus zu verteidigen, diese Brennstoffe anschließend auch bis zur Neige ausbeuten – und so die Klimakrise verschärfen.
Es war wohl ein zufälliges und eben deshalb erhellendes Zusammentreffen. Ende März 2006 titelte der Spiegel: „Der neue kalte Krieg – Kampf um die Rohstoffe“. Im Blatt ein Stück zu den Risiken einer eskalierenden Rohstoffkrise, in dem der Klimawandel eher eine Nebenrolle einnahm. Das amerikanische Time-Magazin brachte zeitgleich einen Special Report zur globalen Erderwärmung. Titelzeile: „Be worried. Be very worried“. Auf einer viel zu kleinen Eisscholle steht ein Eisbär und starrt ins schwarze Wasser. Verloren.
Dr. GERD ROSENKRANZ, geb. 1950, leitet seit 2004 die Politik und Öffentlichkeitsarbeit bei der Deutschen Umwelthilfe e.V. Zuvor berichtete er als Journalist aus dem Hauptstadtbüro des Spiegel.
- 1Der 4th Assessment Report wurde am 2. Februar 2007 offiziell präsentiert.
- 2Allerdings ist dieses Vorgehen in der Bundesregierung, namentlich mit Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, noch nicht abgestimmt. Die Verhandlungen mit Brüssel über eine Lösung des Konflikts dauern an.
- 3Nordeuropa blieb im Juli 2006 nur deshalb von einem Supergau verschont, weil im Kraftwerk Forsmark 1 zwei von vier Notstromsträngen die durch einen Kurzschluss im Stromnetz induzierte Spannungsspitze aus unbekannten Gründen schadlos überstanden, obwohl sie mit den beiden anderen, ausgefallenen Strängen baugleich waren; die Attentäter des 11. September 2001 hatten laut Abschlussbericht der US-Administration auch ein Atomkraftwerk 40 Meilen südlich von Manhattan als Ziel erwogen, von einem Angriff aber Abstand genommen, weil sie annahmen, das Kraftwerk sei militärisch gesichert – was nicht der Fall war.
Internationale Politik 2, Februar 2007, S. 16 - 27.