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01. Mai 2006

Zum Beispiel Škoda

Die Automobilindustrie als Motor der Integration in der EU-25

Der EU-Beitritt der neuen mittel- und osteuropäischen Länder am 1. Mai 2004 stellte ein historisches Ereignis dar, mit dem die politische und wirtschaftliche Teilung Europas endgültig überwunden wurde. Zwei Jahre nach dieser Integration zeigt sich, dass sowohl „alte“ als auch „neue“ EU-Länder von dieser Integration profitieren. Mit der Abschaffung von Handels- und Zollschranken wurde der Warentransport beschleunigt, für westliche Firmen eröffneten sich interessante, wachsende Märkte, und die Wirtschaft der „neuen“ Länder bekam den notwendigen Impuls zur Wiederbelebung durch Auslandsinvestitionen. Kein anderer industrieller Sektor ist dort inzwischen so fest verankert wie die Automobilindustrie. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sie sich zu einer der dynamischsten, komplexesten, global agierenden Industriebranchen in den neuen EU-Ländern.

Die gestiegene Präsenz der Automobilindustrie in diesen Ländern einfach als Verlagerungsprozess zu charakterisieren, geht aber an der Realität vorbei. Mittel- und Osteuropa sind eindeutig Schwerpunkte für den Neuaufbau von Kapazitäten in Europa. Die steigende Präsenz europäischer und asiatischer Hersteller, etwa in Polen, Tschechien oder der Slowakei, dokumentiert die Attraktivität der Beitrittsstaaten für weltweit tätige Automobilunternehmen und das Potenzial dieser Staaten nicht nur als Fertigungsstandorte, sondern auch als Zulieferer der Automobilindustrie im weltweiten Verbund.

Die Hauptvorteile, die diese Region anbieten kann, sind vor allem: günstige Rahmenbedingungen, stabile politische Umgebung, Märkte mit überdurchschnittlichem Wachstumspotenzial, gute Infrastruktur, relativ starke Kaufkraft, attraktives Kostenniveau der Ressourcen, langfristige industrielle Tradition, gebildete, erfahrene und motivierte Arbeitskraft.

Die Tschechische Republik gehört zu den Ländern mit einer reichen Industrietradition, ihre Arbeitskräfte können eine außerordentliche Technik- und Bildungskompetenz anbieten. Die im Jahr 1991 getroffene Entscheidung von VW für das Joint-Venture mit Škoda Auto setzte eine massive Umgestaltung der tschechischen Automobilindustrie in Gang und hat erhebliche Investitionen nicht nur bei Škoda Auto, sondern vor allem in der Zulieferindustrie initiiert. Innerhalb von 15 Jahren wurde aus Škoda Auto wieder ein Automobilunternehmen von Weltformat. Im Jubiläumsjahr 2005 – 110 Jahre nach der Unternehmensgründung und 100 Jahre seit der Produktion des ersten Fahrzeugs – konnte ein Rekordergebnis in der gesamten Firmengeschichte erzielt werden. 492 000 Fahrzeuge wurden in nahezu 90 Ländern verkauft. Der Export des Unternehmens betrug nahezu fünf Milliarden Euro, das bedeutet einen Anteil von 8,2 Prozent am Gesamtexport der Tschechischen Republik. Der Umsatz wurde auf sechs Milliarden Euro gesteigert.

Das Vorjahr war für Škoda Auto auch ein Jahr der strategischen Weichenstellung. Wichtige Entscheidungen für die langfristigen Expansionsziele wurden getroffen: ein Lizenzvertrag für die Fahrzeugfertigung in China wurde unterzeichnet, die Vorbereitungsphase für die Fahrzeugmontage in Russland neigt sich ihrem Ende zu. Heute ist Škoda Auto nicht mehr Monopolhersteller in Tschechien. 2005 nahm die TPCA-Fabrik, ein Joint Venture von Toyota und PSA, in Kolín die Fabrikation auf, deren Jahreskapazität auf 300 000 Fahrzeuge der Marken Toyota, Peugeot und Citroën ausgelegt ist. Mit einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro stellt die TPCA-Automobilfabrik das zurzeit größte Investitionsprojekt auf der „grünen Wiese“ in der tschechischen Automobilindustrie dar. Ende März 2006 bestätigte zudem der koreanische Automobilhersteller Hyundai seine Absicht, eine Milliarde Euro in eine Fabrik in Nošovice in Nordmähren zu investieren, wo zukünftig pro Jahr 300 000 Autos gebaut und 3000 Mitarbeiter beschäftigt werden.

Die Entwicklung der tschechischen Automobil-Zulieferindustrie ist exemplarisch für den raschen Integrationsprozess in die europäischen Industriemärkte: Die Zulieferindustrie zählt in Tschechien zu den sich am dynamischsten entwickelnden Bereichen der Verarbeitenden Industrie und knüpft an die langjährige Tradition des Landes an. An mehr als zwei Dritteln der fast 300 Zulieferbetriebe im Land sind ausländische Investoren beteiligt. Rund 70 Prozent der Produktion sind für den Export bestimmt. Die ausländischen Kapitalanlagen im Industriezweig nehmen von Jahr zu Jahr kräftig zu.

Künftige Ausrichtung

Wie wir sehen, wird die Automobilindustrie ein „Tiger“ der tschechischen Wirtschaft, und jeder weitere Schritt macht die Tschechische Republik zu einer Automobil-„Supermacht“: Die Automobilindustrie stellt in der tschechischen Wirtschaft 20 Prozent der Industrieproduktion, 20 Prozent des gesamten tschechischen Exports und mehr als zehn Prozent aller Arbeitskräfte.

Für einen großen Teil des tschechischen Exports sorgt immer noch die Industrieproduktion. Der Dienstleistungsexport wächst nur allmählich, und zwar vor allem auf dem Gebiet Logistik, Reparaturwesen, Informationstechnologien und Entwicklungszentren. Die Exportbedeutung von Bergbau, Glas- und Textilindustrie nimmt ab. Analysten warnen inzwischen vor einer zu großen Abhängigkeit der tschechischen Wirtschaft von einer Branche, nämlich der Automobilindustrie, und der Gefahr einer möglichen Abwanderung der Investoren, die in Tschechien nur Montagewerke haben, weiter nach Osten, falls sich die Rahmenbedingungen des Marktes verschlechtern sollten. Als Lösung empfehlen sie, nicht nur in die Arbeit und in die Produktionswerke, sondern vor allem in die Qualifizierung und Bildung zu investieren.

Škoda Auto ist sich dieser langfristigen Herausforderung voll bewusst und arbeitet mit den Regierungsorganisationen bei der Implementierung einer Strategie des langfristigen Wirtschaftswachstums des Landes aktiv zusammen. Dazu zählen die Förderung von Entwicklungs- und Innovationsaktivitäten sowie die Teilnahme am „IQ-Auto-Projekt“ mit der Möglichkeit, Aufbau und Beurteilung der tschechischen Bildungsprogramme nach strategischen Bedürfnissen zu beeinflussen.

Wir sind überzeugt, dass nur mit Hilfe einer weiteren Vertiefung der Qualifikation der Arbeitskraft, durch Innovation, Erfindungsreichtum, Flexibilität, Prozess- und Kostenoptimierung sowie Produktivitätserhöhung eine Wertschöpfung aufgebaut werden kann, die für die mitteleuropäischen Länder einen lebenswichtigen Wettbewerbsvorteil für die Zukunft sowie eine der Antworten auf die Globalisierung darstellt.

DETLEF WITTIG, geb. 1942, ist Mitglied des Markenvorstands der Volkswagen AG und seit 2004 Vorsitzender des Vorstands von Škoda Auto in der Tschechischen Republik.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, Mai 2005, S. 42 - 43

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