Schlusspunkt

01. Juli 2019

Zauberwort „Hybrid“

Die Fördermittel fließen, unzählige Studien werden verfasst: Da stört es kaum jemanden, dass der heute viel benutzte Begriff falsch verwendet wird

In der westlichen „strategic community“ knallen die Sektkorken. Da irrlichterte man jahrelang durch die „vernetzte Sicherheit“, schrieb die nuklearwaffenfreie Welt herbei und klagte die strategische Autonomie Europas ein. Alles vergeblich. Doch nun hat man ein Thema gefunden, das Diplomaten, Militärs und Thinktanker auf Jahrzehnte hinaus in Lohn und Brot halten wird: der hybride Krieg. Seit der russischen Annexion der Krim, bei der militärische und nichtmilitärische Mittel gemeinsam zum Einsatz kamen, übt diese Form des Konflikts eine geradezu magische Anziehungskraft aus – auf Experten ebenso wie auf Scharlatane. Hunderte Studien sind bereits verfasst worden, und viele hundert mehr werden folgen. Wenn das Wort „hybrid“ fällt, fließen die Fördermittel.

Und so überschlagen sich die Verfasser von Analysen, die uns das Gruseln lehren sollen. Russland als Urheber vieler hybrider Kampagnen? Sprechen wir doch lieber von „malign actors“. Das klingt irgendwie unheimlicher: Es suggeriert einen glatzköpfigen „Dr. Evil“, der mit Sonnenbrille in einem halbdunklen Raum sitzt und seine Hybrid-Schergen instruiert, während er eine weiße Katze streichelt. Wissenschaftliche Präzision ist eher hinderlich. So stören sich nur wenige Autoren an der Tatsache, dass der Begriff „hybrid“ ja die Kombination mindestens zweier Elemente voraussetzt – wie beim Benzin-Elektroauto. Ein Großteil der Zunft schreibt deshalb unbekümmert über Cyberkonflikte, die man großzügig als ­hybride Konflikte deklariert. Hybrid macht eben sexy.

Auch Logik ist nicht zwingend. So befasste sich jüngst eine Konferenz mit dem Thema „Hybrider Krieg als Herausforderung für den Frieden“. Krieg als Herausforderung für den Frieden – wer hätte das gedacht? Ein Beitrag endete mit der Empfehlung, man müsse alles sorgfältig durchdiskutieren „und vielleicht sogar Schlussfolgerungen ziehen“. Und diese klingen meist verblüffend ähnlich: Wir müssen schneller („more agile“) reagieren, und zwar „at the speed of relevance“. Gut zu wissen, dass die „speed of irrelevance“ einfach nicht ausreicht.

Es geht aber auch anders. Staaten und Institutionen können sich ganz unaufgeregt mit der Frage beschäftigen, wie man hybride Kampagnen frühzeitig erkennen und ihnen begegnen kann. Praktiker in Sachen strategischer Kommunikation können „fake news“ schnell als solche ausmachen und entsprechend kontern. Die Geheimdienste befreundeter Nationen können enger zusammenarbeiten. Und man kann Expertenteams bilden, die vor allem kleinen und verwundbaren Staaten dabei helfen, ihre internen Strukturen weniger anfällig für Cyberangriffe oder Propagandakampagnen zu machen. Und wenn diese – fürchterlich unspektakuläre – Arbeit getan ist, darf man sich entspannt zurücklehnen und eine hybride Erfrischung genießen. Wie wäre es mit einem Gin Tonic?

Michael Rühle leitet das Referat „Hybride Herausforderungen und Energiesicherheit“ im Inter­nationalen Stab der NATO. Er gibt ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/ August 2019, S. 143

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