Wundersame Ölvermehrung
Über die Reserven Saudi-Arabiens liegen nur dubiose Daten vor
Von den Ölreserven des größten Produzenten Saudi-Arabien hängt die globale Wirtschaft ab. Seit Jahren aber verweigert das Land eine Überprüfung. Die Reserven dürften weit geringer sein als offiziell angegeben – was fatale Auswirkungen auf Ölpreis und Weltwirtschaft hätte.
Die globale Energieversorgung, vorrangig mit Rohöl, ist heute eines der drängendsten Probleme. Der weltweite Ölverbrauch wird in den kommenden Jahrzehnten weiter steigen. Noch sind die Ölquellen nicht versiegt, aber die Vorräte werden nicht ewig reichen. Als der amerikanische Erdölgeologe M. King Hubbart in den fünfziger Jahren prophezeite, dass die USA im Laufe des 20. Jahrhunderts aufgrund der Verknappung von Reserven den Höhepunkt ihrer Förderung erreichen würden, belächelte ihn die Fachwelt als Wichtigtuer. Mittlerweile ist klar, dass der Abschwung der Rohölförderung in den USA bereits in den siebziger Jahren stattgefunden hat.
Saudi-Arabien ist seit mehreren Jahrzehnten das Land mit den weltweit höchsten Förderquoten. Ohne seine Lieferungen würde der globale Rohölmarkt innerhalb kürzester Zeit in Engpässe geraten; die Preise für Rohöl dürften in ungeahnte Höhen klettern. Das Königreich selbst beziffert seine verbliebenen Reserven auf mindestens 260 Milliarden Barrel – was für eine Förderdauer bis zur Mitte dieses Jahrhunderts oder länger reichen würde. Diese Zahlen mögen beruhigend klingen, überprüfen kann man sie indes nicht. Manche Analysten und selbst Vertreter internationaler Ölkonzerne behaupten, technologischer Fortschritt auf dem Gebiet der Erdölexploration sei gleichbedeutend mit der weiteren Entdeckung immer neuer Lagerstätten und Reserven. Andere sind sicher, der internationale Rohölmarkt werde schon dafür sorgen, dass Öl zumindest noch in diesem Jahrhundert zu erschwinglichen Preisen verfügbar bleibt. Die Saudis und die OPEC selbst veröffentlichen seit 1979 keine seriösen Zahlen mehr über die Höhe ihrer Rohölreserven, sondern belassen es bei der Publikation von „Tatsachen“, die zwar phantastisch klingen, aber gerade deshalb immer öfter bezweifelt werden.1
Gelingt es, die Saudis zu Offenheit und Kooperation zu bewegen, dürften der internationale Rohölmarkt und schließlich die Ölkonsumenten profitieren. Dem Kartellgebaren der OPEC ist nur durch genaue Angaben über den Stand der Reserven Einhalt zu gebieten. Öl sollte weniger als Ware denn als Nutzen für die Welt begriffen und verwendet werden, zumindest so lange, bis dem Eintritt in das „Solarzeitalter“ wirklich nichts mehr entgegensteht. Schätzungen zufolge verfügt Saudi-Arabien über rund 23 bis 25 Prozent der globalen Ölreserven. Dies entspricht bis zu 262 Milliarden Barrel.2 Zum Vergleich: Russland, ein ebenso bedeutender Ölproduzent und wichtiger Lieferant für die Europäische Union, verfügt über nur rund sechs Prozent Anteil an den globalen Ölreserven (ca. 71 Milliarden Barrel) und die USA, früher einer der wichtigsten Ölproduzenten der Welt, beherbergen geringe 2,5 Prozent (ca. 30 Milliarden Barrel).3 In Saudi-Arabien befinden sich einige der gigantischsten Ölfelder; das weltweit größte, „Ghawar“, erstreckt sich über eine Fläche von fast 14 000 Quadratkilometern. Bereits im Jahr 1948 entdeckt und seit 1951 in Nutzung, konnten hier bis heute wahrscheinlich rund 55 Milliarden Barrel Öl gefördert werden. Laut einer offiziellen Verlautbarung des staatlichen Ölunternehmens Saudi ARAMCO werden allein in „Ghawar“ noch bis zu 125 Milliarden Barrel Rohöl vermutet.4 Allein auf diesem Feld werden täglich rund fünf Millionen Barrel gefördert. Auch die übrigen Giganten unter den Ölfeldern Saudi-Arabiens weisen beeindruckende Kapazitäten auf: „Abqaiq“, 1940 entdeckt, produziert pro Tag rund 700 000 Barrel, „Safaniya“, 1951 entdeckt, rund eine Million Barrel, und die Felder „Berri“, „Zuluf“, „Marjan“ und „Shaybah“, alle in den sechziger Jahren entdeckt, produzieren täglich jeweils bis zu 500 000 Barrel Rohöl.
Bei diesen Zahlen ist es nicht verwunderlich, wenn die saudische Regierung selbstsicher verkündet, den internationalen Rohölmarkt auch in den kommenden Jahrzehnten problemlos beliefern zu können.5 Aber sind diese Ölreserven tatsächlich (noch) in dieser Höhe vorhanden? Verbleiben dem Königreich wirklich noch bis zu 260 Milliarden Barrel sowie wenigstens weitere 103 Milliarden Barrel, die die Saudis sicher auf ihrem Territorium vermuten, wie erst kürzlich noch einmal verlautbart wurde?6 Saudi-Arabien bezieht zu dieser Frage nur vage Stellung, mehr als ein „Trust us!“ haben die Regierung und das staatliche Ölunternehmen Saudi ARAMCO bisher nicht verlauten lassen. Die Möglichkeiten zur Bestimmung der Höhe von Ölreserven sind durchaus vorhanden, wenn auch nicht hundertprozentig sichere Aussagen erzielt werden können. Doch auf saudischer Seite mangelt es am politischen Willen, die Höhe der Reserven zuverlässig überprüfen zu lassen.
Eine Frage des technischen Fortschritts?
In den vergangenen Jahren hat sich eine Reihe internationaler Erdöl-Geologen und -Analysten den saudischen Erdölreserven gewidmet. In der Erdöl-Geologie spielen die Strukturen der Felder und deren Alter sowie die Art und Weise der Ölförderung die entscheidende Rolle. Gerade der letzte Gesichtspunkt lässt die Experten mittlerweile an der Richtigkeit der saudischen Angaben zweifeln. Ihr Fazit lautet: Die saudi-arabische Regierung operiert mit bewusst nach oben korrigierten Zahlen, um die Marktposition des Landes nicht einzubüßen und um langfristig Einfluss auf die internationalen Preise nehmen zu können.
Ölfelder haben eine eigentümliche geologische Struktur. Die saudischen Felder beherbergen das so genannte „Light“-Öl – Rohöl von herausragender Qualität. Die Gesteinsformationen in Saudi-Arabien werden in Zonen A, B, C und D unterteilt. Zone D ist die dickste Gesteinsschicht; hier lagert das begehrte Light-Öl. Diese Schicht D hat im Zentrum eines Feldes den höchsten Durchmesser und beherbergt daher die höchsten Mengen an Öl. Zum Rand wird diese Schicht immer dünner, somit befindet sich der Großteil des Öls im Zentrum. Da Öl also nicht gleichmäßig über ein Reservoir verteilt ist, wird das Aufspüren der Lagerstätten zur eigentlichen Herausforderung. Zu Beginn der Ölexploration in Saudi-Arabien wurde das Öl der dickeren Gesteinsschichten zuerst gefördert, was kein größeres Problem verursacht. Das Öl aus den dünneren Schichten zu fördern, ist jedoch weitaus komplizierter.7 Um den sinkenden natürlichen Druck der Reservoirs auszugleichen, wandte Saudi-Arabien in den vergangenen Jahrzehnten unterschiedliche Techniken an, Öl aus den Gesteinsschichten an die Oberfläche zu transportieren. Bereits in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts verursachte das gravierende Probleme. Den Feldern wurde zunächst Gas, später Wasser injiziert, um den Druck in den Reservoirs zu erhöhen. Beides funktionierte zwar wie beabsichtigt, doch die natürliche Depletions-Rate – Verknappung der Vorkommen durch Ausbeutung – konnte dadurch nicht ausgeglichen werden. Öl, das zur Neige geht, geht zur Neige, gleich, mit welcher Technik man es fördert.8
Anstatt das Problem zu lösen, wurde ein neues geschaffen: Den saudischen Feldern wurde so intensiv Wasser injiziert, dass im Jahr 1998 die Menge für alle Felder Saudi-Arabiens zwölf Milliarden Barrel Wasser pro Tag (!) betrug. Heute weiß man, dass diese gewaltigen Mengen Wasser ebenso große Mengen an Öl weggeschwemmt und damit auch Kapital vernichtet haben. Die so genannte „rate sensitivity“, die Empfindlichkeit der Produktionsrate, wurde den saudischen Vorkommen durch die Injektion von Gas und Wasser zum Verhängnis: Je schneller und intensiver Öl gefördert wird, desto mehr Öl kann dabei aufgrund von Erosionen verloren gehen.
Das Ziel, höchstmögliche Fördermengen zu erreichen, war offensichtlich die falsche Entscheidung. Bereits 1980 produzierte das Land 9,5 Millionen Barrel Rohöl pro Tag; nur ein Jahr später erreichte die Förderung die Höhe von fast zehn Millionen Barrel. Es galt zu dieser Zeit offiziell als möglich, die saudische Produktion auf bis zu 10,5 Millionen Barrel pro Tag zu erhöhen. Doch bereits Mitte der siebziger Jahre hatten die saudischen Reservoirs Alterserscheinungen gezeigt, was aus mehreren Studien der Society of Petroleum Engineers sowie einer Studie des US-Senats hervorgeht. Dieser Bericht mit dem Titel „The Future of Saudi Arabian Oil Production“, der dem Senat im April 1979 vorgelegt wurde, beschäftigt sich ausführlich mit der Gefahr der Überproduk-tion auf Saudi-Arabiens Ölfeldern;9 er spiegelt die Befürchtungen der damaligen US-Administration wider, die stetige Produktionssteigerung des Königreichs werde den langfristigen energiepolitischen Interessen der USA zuwiderlaufen. Der Bericht zeigt ebenfalls, dass ARAMCO Reserven in einer Höhe von insgesamt rund 200 Milliarden Barrel zunächst als „nachgewiesen“, später als „vermutlich“ und schließlich als „möglich“ bezeichnete, so dass die „nachgewiesenen“ Reserven sich schnell auf rund die Hälfte reduzierten.
Dieser Bericht, der noch heute in der Library of Congress einzusehen ist, aber lange Zeit in Vergessenheit geraten war, kommt zu dem unmissverständlichen Schluss, dass bei Produktionsmengen von bis zu fünf Millionen Barrel pro Tag allein für das größte saudische Feld „Ghawar“ zwischen 1989 und 1992 ein nicht mehr aufzuhaltender Abfall der Reserven – der „Peak Oil“ – einsetzen würde. Damit zerschlugen sich jegliche Erwartungen, die saudische Produktion könne noch weiter erhöht werden. Diese Erkenntnis wurde von der Weltöffentlichkeit nicht wahrgenommen; die stetigen Produktionserhöhungen ließen Saudi-Arabien stattdessen als das „Öl-Dorado“ der Welt erscheinen. In bemerkenswerter Offenheit widersprach die US-Studie schließlich den offiziellen saudischen Verlautbarungen über die Höhe der Reserven und bezifferte sie stattdessen auf nur 110 Milliarden Barrel – weit entfernt von der heute offiziellen aktuellen Zahl von rund 260 Milliarden Barrel. Die Möglichkeit, in Saudi-Ara-bien weitere, zu diesem Zeitpunkt noch nicht entdeckte Vorkommen zu finden, nennt die Studie „unsicher“. Statt jedoch nach einer Lösung zu suchen, die in geringeren Produktionsraten und Transparenz in Bezug auf die Höhe der Reserven gelegen hätte, wurden die Probleme beschwiegen und falsche Zahlen angegeben.
Die Folge dieser Unternehmenspolitik war der Sprung des Königreichs an die Spitze der Welt-Ölförderung; Saudi-Arabien erlangte den (zweifelhaften) Ruf eines „swing producers“, eines Landes, das in kürzester Zeit seine Förderkapazitäten drastisch erhöhen kann. Als dem Königreich nach der Verstaatlichung von ARAMCO 1979 das volle Ausmaß dieser Förderungssteigerung bewusst wurde (bis dahin war ARAMCO in der Hand der amerikanischen Ölunternehmen Exxon-Mobil, Chevron und Texaco), drosselte man die Förderung: Ab 1982 erzielte Saudi-Arabien eine Förderkapazität von lediglich circa zwei Millionen Barrel pro Tag. Aber die weltweite Nachfrage nach Öl kam nicht zum Erliegen. 1985 reagierte Saudi-Arabien wieder mit der Steigerung der Kapazität, bis 1990 erreichte sie eine Höhe von circa fünf Millionen Barrel pro Tag. Durch die Förderungsdrosselung waren die internationalen Ölpreise erheblich gestiegen, wodurch die OPEC schließlich ihren Marktanteil einbüßte, da andere Exportstaaten auf den Markt drängten. Aufgrund der irakischen Okkupation Kuwaits und des Golf-Kriegs von 1991 stieg die saudische Förderung wieder auf rund acht Millionen Barrel pro Tag. Gegenwärtig strebt Saudi-Arabien eine Förderkapazität von über neun Millionen Barrel pro Tag an – dies bei Feldern, die schon vor nahezu 30 Jahren bis an die Grenze der Belastbarkeit ausgebeutet wurden. Für die These eines baldigen „Peak Oil“ in Saudi-Arabien spricht auch, dass das Land in den siebziger Jahren begann, keine nachprüfbaren Daten über die Kapazität seiner Ölfelder mehr zur Verfügung zu stellen. Um bei gleichzeitiger Verknappung bereits entdeckter Reserven immer mehr Öl produzieren zu können, müssen auch immer neue Vorkommen entdeckt und erschlossen werden. Saudi-Arabien hat seine Reserven in der Vergangenheit stets mit rund 260 Milliarden Barrel angegeben; bislang haben aber nur Wenige die Frage gestellt, warum diese Angabe für so lange Zeit nahezu unverändert geblieben ist. Im Jahr 2004 hat das Königreich diese Angaben erneut bestätigt. Treffen sie zu, handelt es sich um eine wundersame Barrel-Vermehrung, denn durch die jahrzehntelange Produktion hätten die Vorräte ja abnehmen müssen. Das Argument der Saudis, technologischer Fortschritt bei der Suche nach neuen Ölreservoirs würde beständig neue Barrels addieren, überzeugt nicht: Das letzte bedeutende Ölreservoir, das „Shaybah“-Feld, nahe der Grenze zu den Vereinigten Arabischen Emiraten, wurde schon 1967 entdeckt.10
Der Vorwurf, Saudi-Arabien lasse die Welt bis heute über den wahren Stand seiner Ölreserven im Unklaren, lässt sich aufgrund der ständig schwankenden Angaben für die Reserven belegen. Allein die Daten für das größte Feld „Ghawar“ legen diese Vermutung nahe: Zu Beginn der siebziger Jahre werden die hier lagernden Vorkommen mit rund 70 Milliarden Barrel beziffert; im Jahr 1976 liegen sie dann plötzlich bei nur noch circa 63 Milliarden und fallen bis 1977 sogar auf rund 45 Milliarden ab. Aktuell beziffert die ARAMCO sie wieder mit 125 Milliarden Barrel. Ähnlich lesen sich die Verlautbarungen für die übrigen Ölfelder Saudi-Arabiens. Allein zwischen 1977 und 1987 „vermehren“ sich Saudi-Arabiens Reserven um mehrere Milliarden Barrel: 1977 geht die ARAMCO von verbleibenden „mehreren Milliarden“ Barrel für die vier wichtigsten Felder aus; 1979 addiert sie „50 Milliarden“, um im Jahr 1987 von „weiteren 100 Milliarden“ landesweit auszugehen. Im Jahr 2003 schließlich prognostiziert die Saudi ARAMCO den Stand ihrer Reserven für das Jahr 2025 mit insgesamt 900 Milliarden Barrel (!) – 700 Milliarden bereits entdeckte, d.h. sich in Produktion befindliche, und 200 Milliarden weitere Reserven.11 Die genannte Studie des US-Senats belegt, dass in Saudi-Arabien niemals Öl in dieser Größenordnung gefunden wurde und es ist nahezu auszuschließen, dass man noch so viel finden wird. Zwar trifft es zu, dass der Einsatz neuer Aufspür- und Fördertechnologien, wie seismische Messungen oder das Bohren horizontaler Löcher, den Einblick in ein Ölreservoir möglich gemacht hat. Dennoch ist unsicher, ob dadurch wirklich der annähernd genaue Stand der Reserven eingeschätzt werden kann. Beispiele aus jüngster Zeit belegen die Ungenauigkeit dieser Verfahren.12
Das Beharren des Königreichs auf den falschen Angaben lässt sich nur mit dem Wunsch erklären, seine Marktposition nicht (schon jetzt) einbüßen zu müssen. Der Nutzen dieser Taktik liegt auf der Hand, schließlich ist allen Einschätzungen zufolge der Nahe Osten die weltweit einzige Region, in der überhaupt noch größere Reserven vermutet werden. Alle übrigen Förderregionen haben ihren Peak Oil entweder längst erlebt oder stehen kurz davor. Mit dieser Geschäftstaktik kann zwar auch Saudi-Arabien den Eintritt in das „Solarzeitalter“ nicht verhindern – wohl aber kann es der Welt die Illusion vermitteln, es sei noch ausreichend Öl vorhanden, um wenigstens für die nächsten Jahrzehnte den Umstieg auf alternative Energieformen zu verzögern. Das würde dem saudischen Königshaus noch für geraume Zeit immense Gewinne garantieren.
Der Einstieg in das Zeitalter nach dem Öl
Öl wird stetig knapper; die Nachfrage dürfte langfristig nicht mehr befriedigt werden können. Die Förderung der Reserven wird aufwendiger und damit teurer, da diese immer unzugänglicher und schwieriger zu erschließen sind. Schon heute hat der Ölpreis noch bis vor kurzem undenkbare Höhen erreicht, und manche Experten halten künftig Ölpreise von 200 bis 300 Dollar pro Barrel für möglich. Der Nahe Osten ist eine chronisch instabile Region. Ein nicht mehr zu verheimlichender Peak Oil der saudischen Ölvorkommen würde, unabhängig von politischen Konflikten in der Region, den Ölpreis automatisch emporschnellen lassen. Auf dieses Szenario ist die Welt bislang höchst unzulänglich vorbereitet. Die Entwicklung und der Ausbau alternativer Energieformen gehen schleppend voran, und derzeit könnte der global steigende Energiebedarf durch neue Energien ohnehin nicht zufrieden gestellt werden. Die industrialisierte Welt und vor allem die sich entwickelnden Länder werden in den kommenden Jahrzehnten nicht weniger, sondern mehr Energie verbrauchen. Ohne Erdöl würde die globale Wirtschaft in kürzester Zeit zum Stillstand kommen.
Um sich überhaupt ein fundiertes Bild der Lage zu machen, benötigt man verbindliche Aussagen über den Stand der Ölreserven und die Möglichkeit weiterer Funde in Saudi-Arabien, dem größten Förderland der Welt. Ein Land wie das Königreich Saudi-Arabien, das jahrzehntelang die Welt getäuscht hat, wird nicht ohne Anreiz seine Geheimnisse offenbaren. Das angestrebte und nur langsam voranschreitende Partnerschaftsverhältnis der Europäischen Union und der Staaten des so genannten Golf-Kooperationsrats mit Saudi-Arabien als größtem Mitgliedsland ist eine große Chance, auf Saudi-Arabien einzuwirken. Dabei muss es um eine Beziehung gehen, die die Interessen der Gewinnmaximierung genauso achtet wie das Interesse der Energiesicherheit zu angemessenen Preisen. Mit der Energiecharta von 1991 wurde ein Prozess in Gang gesetzt, der Produzenten und Konsumenten an einen Tisch bringen soll. (Saudi-Arabien beschränkt sich bislang auf eine Rolle als Beobachter.) Hier bietet sich ein Forum für die Klärung strittiger Fragen. Selbst wenn Saudi-Arabien sich zu mehr Transparenz entschließen sollte, muss die Abhängigkeit von Rohöl aus dem Nahen Osten verringert werden. Und eines Tages wird die Welt ganz ohne Öl auskommen müssen.
ANDRÉ SALEM, geb. 1977, studierte Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Derzeit promoviert er am Otto-Suhr-Institut und am Europäischen Hochschulinstitut über „Die Abhängigkeit vom Rohöl – Implikationen für
die Außenpolitik der Europäischen Union“.
- 1Vgl. Porter, Adam: Bank says Saudi’s Top Field in die Decline, Aljazeera.net, 12 April 2005, http://english.aljazeera.net/NR/exeres/08B97BCF-7BE6-4F1D-A846-7ACB9B0F….
- 2Siehe zu diesen Angaben: Putting Energy in the Spotlight: BP Statistical Reviev of World Energy June 2005, http://www.bp.com/liveassets/bp_internet/globalbp/globalbp_uk_english/p…, S. 4.
- 3Ebd.
- 4Matthew Simmons: Twilight In The Desert: The Coming Saudi Oil Shock and the World Economy, Hoboken 2005, S. 18–19, S. 151–152.
- 5So etwa Dr. Nansen Saleri, ARAMCO-Manager, anlässlich einer Konferenz in Washington D.C. am 24. Februar 2004, http://www.saudi-us-relations.org/energy/saud-energy-saleri.html.
- 6Vgl. „Saudi Arabia’s Oil Reserves – Overview“, Konferenz ‘Future of Global Oil Supply: Saudi Arabia‘, Center for Strategic and International Studies, Washington D.C., February 24, 2004, http://www.saudi-us-relations.org/energy/saudi-energy-reserves.html.
- 7Vgl. Matthew Simmons (Anm. 4), S. 21.
- 8Eine Reihe von Forschungspapieren der Society of Petroleum Engineers (SPE) behandelt diese Thematik, so etwa SPE Paper # 71578: Faisal Al-Thawad, Saud Bin-Akresh und Rashid Al-Obaid: Characterization of Fractures/Faults Network from Well Tests; Synergistic Approach, 2001. Siehe auch SPE Paper 53259: A.H. Al-Hosan, F.H. Al-Awami und M. Mohammed Ali: Practical and Efficient Approach to Construct a Detailed Field Model for a Giant Field, 1999.
- 9The Future of Saudi Arabian Oil Production: A Staff Report to the Subcommittee on International Economic Policy of the Committee on Foreign Relations, United States Senate.
- 10Informationen dazu finden sich bei Matthew Simmons: The Saudi Arabian Oil Miracle, Präsentation am Center for Strategic and International Studies, Washington D.C., 24.2.2003, http://www.csis.org/media/csis/events/040224_simmons.pdf.
- 11Siehe die Präsentation der Saudi ARAMCO auf derselben Konferenz; Mahmoud M. Abdul Baqi und Nansen G. Saleri: Fifty-Year Crude Oil Supply Scenarios: Saudi Aramco’s Perspective, 24.2.2004, CSIS, Washington D.C., http://www.csis.org/media/csis/events/040224_baqiandsaleri.pdf.
- 12So musste das Unternehmen Royal Dutch/Shell Reserven, die als zunächst nachgewiesen galten, wieder nach unten korrigieren; nachzulesen bei Oliver Morgan: Shell reserves shortfall even worse than feared, The Observer (Online-Publikation), 23.1.2005, http://observer.guardian.co.uk/business/story/0,6903,1396385,00.html.
Internationale Politik 2, Februar 2006, S. 44 - 49