Wo bleibt der Sturm aufs Weiße Haus?
Die Republikaner stramm auf Rechtskurs, die Demokraten in der Sinnkrise: Gibt es noch eine Opposition in den USA gegen den Wahnsinn der Regierung Trump? Amerikas Medien suchen und finden: Gegenwind. Doch er weht anders als erwartet.
Geht es nach meinen WhatsApp-Chats, dann interessiert sich Deutschland gerade für zwei Fragen ganz besonders. Erstens: „Was ist da los in den USA?“ Und zweitens: „Was gedenken die Menschen in den USA dagegen zu tun?“
Ich verstehe beide Fragen. Ich habe sie meinen amerikanischen Bekannten selbst gestellt, 2016, kurz nachdem Donald J. Trump zum ersten Mal ins Amt gewählt wurde. Von meinem Küchentisch in Berlin-Schöneberg aus schien mir damals klar, dass da nun die Luft brennen und die Hölle los sein würde in den Vereinigten Staaten. Widerstand, Boykott, vielleicht sogar Revolution, das war das Mindeste, was man erwarten konnte.
Neun Jahre später sitze ich unter Trump II an einem Küchentisch in Richmond, Virginia, und kann aus erster Hand berichten: Die Revolution bleibt auch diesmal aus, die Luft brennt (wieder) nicht – und die Hölle ist auch nicht los.
Das Leben geht weiter
Im Gegenteil. Während Trumps Gruselkabinett in Washington drauf und dran ist, eine der ältesten modernen Demokratien der Welt zu entkernen, muss man mit Blick auf den Rest des Landes nüchtern feststellen: Das Leben geht weiter – und das auf den ersten Blick vielleicht sogar noch nahtloser als 2016, als man zumindest auf den Women’s March und Millionen Menschen auf den Straßen verweisen konnte.
„Warum gibt es so wenig Widerstand?“, fragt deshalb nicht nur die Süddeutsche Zeitung, sondern auch das ein oder andere US-Medium. Politico vergleicht die heimische Reaktion auf Trumps Rückkehr mit einem „weary shrug“, einem müden Achselzucken, der New Yorker attestiert dem Volk einen „Mangel an Dissens“ und The New Republic traut sich überhaupt nur mit einem vorgeschobenen „so-called“ von einer „resistance“ zu sprechen.
Wo ist er also, der Widerstand? Schaut dieses Land tatsächlich einfach tatenlos dabei zu, wie es von seiner Regierung innen- und außenpolitisch abgewickelt wird? Dreizehn Monate nach meinem Umzug in die USA und etwas mehr als zwei Monate nach Trumps Comeback kann ich dazu sagen: Die Antwort ist – anders als die politischen Rezepte der MAGA-Bewegung – kompliziert.
Zunächst mal war er überhaupt nie realistisch, der große antiautoritäre Pushback, von dem ich 2016 an meinem Berliner Küchentisch geträumt habe und von dem auf beiden Seiten des Atlantiks auch gegenwärtig wieder viele Menschen träumen. Immerhin hat sich Trump weder damals noch heute an die Macht geputscht. Im November 2024 haben ihm mehr als 77 Millionen Amerikaner und Amerikanerinnen ihre Stimme gegeben.
Egal ob Überzeugungstat oder Protestwahl: Es ist kaum davon auszugehen, dass sie ihm in absehbarer Zeit den Rücken kehren. Laut einer aktuellen Meinungsumfrage von NBC News sind 90 Prozent der Republikaner mit der Politik des Präsidenten einverstanden. So wie es aussieht, können daran weder Trumps Kuschelkurs mit Putin noch Abschiebungen noch geleakte Gruppenchats (man erinnere sich nur zum Vergleich an den republikanischen Aufschrei 2016 zu Hillary Clintons E-Mail-Affäre) noch fallende Börsenkurse etwas ändern.
Landesweit ist Trumps Beliebtheitswert mit 47 Prozent zwar immer noch katastrophal niedrig. Er ist gleichzeitig aber auch, und das klingt skurril, höher als jemals zuvor.
Kraftlos, zahnlos, nutzlos
Wer bleibt also noch von denen, die Widerstand leisten könnten? Die Demokratische Partei? Die ist derzeit – wie Current Affairs es treffend beschreibt – vor allem eine „feckless opposition“. Kraftlos, zahnlos, nutzlos: Wie auch immer man das übersetzen mag, alle Adjektive treffen zu. Das demokratische Establishment hat sich erst mit Joe Biden sehenden Auges in eine Sackgasse manövriert und dann mit Kamala Harris die Wahl verloren.
Fast noch bitterer ist allerdings, was seitdem passiert ist. Statt die eigenen Fehler aufzuarbeiten, sprechen Nancy Pelosi, Chuck Schumer und Co. seit Monaten vor allem von kosmetischen Verbesserungen: davon, dass die Partei ihre Kommunikation überdenken und die eigenen Erfolge besser verkaufen müsse. Geht es nach ihnen, dann ist das größte Problem der Partei, dass sie ganze Arbeit leistet, aber niemand es mitbekommt.
Über andere potenzielle Erklärungen – wie etwa die von Bernie Sanders („Es ist keine große Überraschung, dass eine Demokratische Partei, die die Arbeiterklasse im Stich gelassen hat, von der Arbeiterklasse im Stich gelassen wurde“) – hüllt sich die Parteispitze in den Mantel des Schweigens. Kein Wort zur katastrophalen Entscheidung, im Wahlkampf den Schulterschluss mit vermeintlich gemäßigten und weniger gemäßigten Republikanern zu suchen, bis hin zum ehemaligen Erzfeind Dick Cheney, statt eine mutige und mitreißende Politik zu formulieren. Merke: Was den deutschen Volksparteien im Kampf gegen die AfD nichts nützt – ein langsames Abdriften nach rechts –, nützt auch den US-Demokraten nichts.
Kein Wort zu der unterirdischen Idee, aus Angst vor einem konservativen Backlash die eigenen migrations- und sozialpolitischen Positionen zu verwässern, und erst recht kein Wort darüber, wie der progressive Teil der Partei durch die „Nominierung“ von Kamala Harris einmal mehr übergangen wurde.
Während die Republikanische Partei gegen ihren Willen von Trump auf rechts gedreht wurde, wehrt sich die demokratische Führung ihrerseits erfolgreich gegen einen Linksruck. Stattdessen lautet die Strategie schon seit Jahren: Business as usual.
Doch angesichts der wirtschaftlichen Nöte der Working class (oder besser gesagt der Working poor) und der außen- und innenpolitischen Krisen, die den USA ins Haus stehen, ist Business as usual eine viel krassere Form des Extremismus, als es eine Kurskorrektur nach links je sein könnte.
In der Sinnkrise
Es ist der dogmatische Zentrismus der Partei, der nicht mehr nur dem progressiven Flügel der Partei zum Hals raushängt, sondern neuerdings auch vielen ihrer moderaten Stammwähler. Die Konsequenz: Laut CNN liegt die Zustimmungsrate für die Demokratische Partei mittlerweile bei nur noch 29 Prozent; das ist ein Rekordtief seit 1992 und ein Rückgang um 20 Prozentpunkte seit Januar 2021.
Kann man mitten in einer solchen Sinnkrise effektiven politischen Widerstand leisten? Wohl kaum. Das analysieren auch die Politikwissenschaftler Sam Rosenfeld und Daniel Schlozman in N+1. Erst recht nicht, wenn die Partei weiterhin an der naiven Überzeugung festhalte, dass die politischen Institutionen und die Gerichte des Landes dem Angriff auf die Demokratie schon irgendwie einen Riegel vorschieben werden: „Diese Haltung ist weder geeignet für kreative Oppositionsarbeit in Krisenzeiten noch für harte politische Machtkämpfe.“
Ohnehin scheint der demokratische Glaube an eine institutionelle oder gar wertebasierte Brandmauer nicht erst seit gestern deplatziert.
Demokratische Normen und Wertevorstellungen haben die erste Trump-Regierung nicht davon abgehalten, im Eilverfahren den Supreme Court umzubesetzen, der dem alten und neuen Präsidenten später weitgehende Immunität zugesprochen hat – und genauso wenig können althergebrachte Institutionen die zweite Trump-Regierung dieser Tage stoppen, wenn sie Migranten ohne rechtsstaatliches Verfahren in Flugzeuge verfrachtet und abschiebt.
Ein ganz neuer Kampf
So sind wir dann auch schon bei der letzten, eher heterogenen Gruppe, von der echter Widerstand zu erwarten ist: bei den von ihrer Partei enttäuschten Demokraten, bei den Progressiven, bei den Unabhängigen und bei allen anderen, die sich seit jeher mit Händen und Füßen gegen Trump und seinen MAGA-Kult wehren.
Beim Blick auf die Berichterstattung im In- und Ausland („Where is the US opposition to Donald Trump?“, titelt die Deutsche Welle) oder in mein E-Mail-Postfach („Warum protestiert da niemand?“, schreibt mir eine Kollegin) scheint es fast so, dass auch diesem Segment der amerikanischen Gesellschaft die Luft ausgegangen ist. Dieser Schluss wäre allerdings voreilig.
Was stimmt: Für einen Moment musste die linke und die Mitte-links-Opposition nach Trumps Vereidigung am 20. Januar die Luft anhalten.
Um in den ersten Wochen nicht in der Lawine aus Executive Orders unterzugehen – vom Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen über die Begnadigung von Kapitolstürmern bis hin zur Abschaffung von Diversitätsprogrammen – oder angesichts sich überschlagender Nachrichten aus Washington den Kopf zu verlieren (vom Trump-Selenskyj-Chaos bis hin zu Musks DOGE-Wahnsinn), hieß die Devise für viele: Augen zu und durch.
Das kann man kritisieren. Man kann aber auch den Versuch wagen, es nachzuvollziehen. Denn für all jene, die in den USA noch bis vor Kurzem für progressive Ideen gestritten haben, ist der Kampf unter Trump II plötzlich ein ganz anderer. Gestern haben sie für mehr Solidarität mit Palästina und ein Ende der Waffenlieferungen an Israel protestiert, heute geht es darum zu verhindern, dass Trump und Netanjahu sich den Gazastreifen einverleiben.
Gestern haben sie gesetzliche Offenlegungspflichten und Finanzierungsbeschränkungen im Wahlkampf gefordert, heute darf ein Tech-Billionär den Staat zerschlagen. Gestern wollten sie ein bedingungsloses Grundeinkommen, heute fordert Elon Musk die 80-Stunden-Woche. Gestern lag der Erlass von Studienkrediten auf dem Tisch, heute plant die Regierung, das Bildungsministerium abzuschaffen.
Viele kleine Gewitter
2024 ging es für viele protestwillige Menschen in den USA um eine bessere Demokratie. 2025 geht es darum, ob überhaupt noch eine übrig bleibt. Angesichts dieser mentalen Verrenkung sei es dem Widerstand gestattet, sich kurz zu schütteln.
Die Anti-Trump-Bewegung hat dieses Kunststück tatsächlich erstaunlich schnell vollbracht. Auch wenn es kaum jemand glauben mag: Im April 2025 ist der Vorwurf, dass die US-Regierung keinen oder kaum Gegenwind hat, mittlerweile mehr äußere Zuschreibung als innere Realität.
Der Gegenwind ist da, er weht nur anders als erwartet. Statt in einem großen Proteststurm in Washington D.C. entlädt er sich in vielen kleinen Gewittern im ganzen Land. Das ist erstmal ein Gefühl: Ich kann es erahnen, wenn ich sehe, wie viele Menschen sich in meiner Nachbarschaft seit Januar engagieren, in Mutual Aid Groups, in Nachbarschaftsvereinen, in Bürgerversammlungen.
Es ist aber auch Statistik: Zählte die gemeinnützige Medienorganisation Waging Nonviolence im Februar 2017, kurz nach Trumps erstem Amtsantritt, noch 937 Proteste, so sind es acht Jahre später mehr als doppelt so viele: 2085 an der Zahl. Darunter sind Demonstrationen für LGBTQI*-Rechte, Solidaritätsbekundungen für Staatsbedienstete, Proteste gegen Tesla und Mahnwachen für verhaftete Studenten und Aktivisten wie Mahmoud Khalil.
Der Widerstand ist kein fotogener Sturm aufs Weiße Haus, seine Nadelstiche sind so gezielt und spezifisch angelegt wie Trumps Angriffe auf das Land. Oder um es in den Worten der Washington Post zu sagen: „Die Gegner des Präsidenten richten ihren Widerstand dieses Mal gezielt gegen Trumps schädlichste und unpopulärste Maßnahmen. Das hat auch mit Trump selbst zu tun: Tat er sich in seiner ersten Amtszeit noch schwer damit, konkrete Maßnahmen umzusetzen, so setzt er seine Pläne heute weitaus effizienter um.“
Zu beobachten ist dieser Trend vor allem auf lokaler Ebene. In kleinen und großen Städten im Land verzeichnen progressive Gruppen einen enormen Zuwachs, Protestierende tauchen bei politischen Veranstaltungen auf – und Bürger fallen ihren republikanischen Abgeordneten in Town Halls so oft und vehement ins Wort, dass erstere mittlerweile versuchen, dem Kontakt mit dem Volk komplett aus dem Weg zu gehen.
Ein politisches Eigentor, das Progressive wie Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez für sich zu nutzen wissen: Gerade erst haben sie mit ihrer „Fighting Oligarchy“-Tour, auf der sie nicht nur hart mit der Trump-Regierung ins Gericht gehen, sondern auch mit dem „Weiter so“-Kurs des demokratischen Establishments, Rekordzahlen aufgestellt. Nicht weniger als 34 000 Menschen sollen laut Sanders Büro in Denver, Colorado, aufgetaucht sein. Stimmt diese Zahl, dann war es der größte Auftritt seiner 54-jährigen politischen Karriere.
Momente des Durchatmens
Es sind positive Zeichen wie diese, die mir an meinem Küchentisch in Richmond, Virginia, etwas Hoffnung machen – meist so lange, bis ich noch vor dem ersten Kaffee lesen muss, welches Ministerium als nächstes abgeschafft und welche Organisation (USAID oder Voice of America oder der Wetterdienst) morgen plattgemacht werden soll.
Große Momente der Verzweiflung und kleine Momente des Durchatmens. Das ist nicht gut, aber das ist auch nicht nichts, nachdem lange unklar war, ob die Opposition nur für einen Moment den Atem anhält – oder bereits erstickt wurde.
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2025, S. 116-119
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