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30. Apr. 2011

Wiederbelebung des American Dream

Obama muss Reformen in Gang setzen, um Wachstum nachhaltig zu fördern

Die US-Regierung steht vor großen wirtschaftspolitischen Problemen: sinkende Wettbewerbsfähigkeit, hohe Arbeitslosigkeit und vor allem die gigantische öffentliche Verschuldung, die den Staat an den Rand der Handlungsunfähigkeit bringt. Wird es Barack Obama gelingen, zentrale Strukturreformen auf den Weg zu bringen?

„We need to out-innovate, out-educate and out-build the rest of the world“ – mit diesem Satz mahnte US-Präsident Barack Obama in seiner diesjährigen Rede zur Lage der Nation die Verbesserung der amerikanischen Wettbewerbsfähigkeit an. Die USA sind mit einem Anteil von rund 24 Prozent am globalen Einkommen zwar nach wie vor die größte Volkswirtschaft der Welt; auf sie entfallen etwa elf Prozent der weltweiten Exporte und knapp 23 Prozent der weltweiten Bestände ausländischer Direktinvestitionen (2009).1 Angesichts der hohen Innovations- und Leistungskraft Chinas, Indiens oder auch Südkoreas warnte Obama jedoch davor, dass die USA den Anschluss verlieren könnten. Bislang war die Supermacht immer in der Lage, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Doch die aktuelle Krise geht besonders tief. Die USA werden ihre Position in der Weltwirtschaft nur dann halten können, wenn sie ihre Hausaufgaben machen.

A New Normal?

Die Federal Reserve (Fed) rechnet zwar für das laufende Jahr mit einem Wachstum zwischen 3,4 und 3,9 Prozent. Das Schreckgespenst einer Double-Dip- Rezession konnte mit dem kurz vor der Jahreswende verabschiedeten Konjunkturstimulus und der expansiven Geldpolitik der Fed unter dem zweiten Programm der quantitativen Lockerung zumindest temporär gebannt werden (bis Ende des zweiten Quartals 2011 will die Fed US-Staatsanleihen im Umfang von 600 Milliarden Dollar kaufen). Die wirtschaftspolitischen Herausforderungen, vor denen die Obama-Regierung steht, sind jedoch immens.
Im Global Competitiveness Index (GCI) des Davoser Weltwirtschaftsforums sind die USA von Platz zwei für den Zeitraum 2009/2010 mittlerweile auf Platz vier gerutscht.2 Grundlage des GCI ist ein umfassender Vergleich der internationalen Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften, in den zahlreiche Faktoren einfließen: der Zustand der öffentlichen Institutionen, die Infrastruktur, die makroökonomische Stabilität, das Bildungsniveau der Bevölkerung, der Zustand der Finanzmärkte, die technologische Ausstattung, die Größe des Binnen- und Auslandsmarkts, das Geschäftsumfeld, Forschung und Entwicklung und der Unternehmergeist. In den Bereichen Innovation (Platz 1), Hochschulwesen (9) und Marktgröße (1) zeichnen sich die USA dem GCI (2010/2011) zufolge nach wie vor durch besondere Wettbewerbsfähigkeit aus. Dass ihre große Stärke in der Innovationsfähigkeit liegt, attestierte den USA jüngst auch eine Umfrage der Beratungsfirma Strategy One. Demnach ist kaum ein Land nach Einschätzung von Managern aus aller Welt so innovativ wie die USA.3 Besonders schlecht schneiden die USA hingegen laut GCI in den Kategorien makroökonomisches Umfeld (87), Institutionen (40), Grundschulausbildung und Gesundheit der Bevölkerung (42) sowie Finanzmarktentwicklungen (31) ab.

Die Arbeitslosigkeit ist laut Angaben des zuständigen Ministeriums mit 8,8 Prozent (März 2011) nach wie vor auf einem für die USA ungewöhnlich hohen Niveau. Zählt man diejenigen hinzu, die ihre Suche bereits aufgegeben haben, könnte die Arbeitslosenquote fast doppelt so hoch sein. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist deutlich gestiegen, die strukturelle Arbeitslosigkeit hat zugenommen. Das Konsumentenvertrauen hat sich zwar etwas verbessert, der Großteil der Bevölkerung ist angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und wachsenden Einkommensungleichheit jedoch zutiefst verunsichert. Viele Beobachter beklagen bereits das Ende des American Dream; der soziale Aufstieg – vom Tellerwäscher zum Millionär – ist heute kaum noch möglich.

Schon spricht man vom New Normal, einer neuen, ärmeren Wirklichkeit für einen großen Teil der Bevölkerung. Nach wie vor sind die privaten Haushalte hoch verschuldet. Seit dem Platzen der Immobilienblase ist zwar die Sparquote von rund ein Prozent auf etwa sechs Prozent gestiegen. Und auch die Verschuldung der privaten Haushalte im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen ist von 137 Prozent (2007) auf 122 Prozent (3. Quartal 2010) gesunken.4 Von einem nachhaltigen Verschuldungsniveau kann allerdings noch nicht die Rede sein. Der anhaltende Entschuldungsprozess der privaten Haushalte, auch wenn er dringend notwendig ist, hat einen unerwünschten Nebeneffekt: Er drückt die Nachfrage nach Immobilien. Auch deshalb dürfte es noch eine Weile dauern, bis der Immobilienmarkt seine Krise überwunden hat.

Verschuldungskrise

Die größte Gefahr liegt zurzeit in einer öffentlichen Verschuldungskrise. Anfang Januar alarmierte Finanzminister Timothy Geithner in einem eindringlichen Brief an den Kongress, dass die gesetzlich festgeschriebene Schuldenobergrenze von 14,29 Billionen Dollar bereits im März, spätestens im Mai 2011 erreicht werden könnte – und bat den Kongress um eine Anhebung dieser Obergrenze. Laut IWF ist die Neuverschuldung der USA mehr als doppelt so hoch wie in Europa. Im Haushaltsjahr 2011 könnte sich das Defizit wieder auf elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) belaufen. Wird nicht kräftig umgelenkt, drohen die Gesamtschulden der USA bis 2016 kaum vorstellbare 110 Prozent des BIP zu erreichen. Denn neben den Kosten der Wirtschafts- und Finanzkrise werden die öffentlichen Kassen bald durch einen weiteren Faktor stark belastet werden, dem Renteneintritt der Babyboomer.

Nur ein rigoroses Sparpaket, zusammen mit höheren Steuern, werden die USA vor der Überschuldung bewahren. Die Schuldenproblematik ist dabei längst nicht allein auf die Bundesebene beschränkt. Für zahlreiche große Einzelstaaten wie Kalifornien oder auch Illinois ist die Haushaltslage kaum besser als die Griechenlands oder Irlands. Der Vorschlag, dass der Bankrott möglicherweise die beste Option für diese Einzelstaaten ist, wird immer salonfähiger. Ein echtes Sparkonzept ist bislang nicht in Sicht. Die Republikaner fordern Steuersenkungen und deutliche Ausgabenkürzungen im Bereich der Sozialversicherungssysteme (Social Security, Medicare, Medicaid), die den Demokraten ganz besonders am Herzen liegen. Obama signalisiert zwar Kooperationsbereitschaft, schränkte aber ein, dass nur „überflüssiges Gewicht“ und eben nicht die grundlegende Substanz weggeschnitten werden dürfe.

Wie festgefahren die Lage war, zeigte das Ringen um den Staatsetat für das laufende Haushaltsjahr 2011. Der Government Shutdown, also das Aussetzen von Regierungstätigkeiten, konnte nur in letzter Minute verhindert werden. Ende Februar 2011 hatte das von den Republikanern kontrollierte Repräsentantenhaus einen Entwurf verabschiedet, durch den hunderte von Regierungsprogrammen sowie die Unterstützung für Energieunternehmen und Landwirte in Höhe von 61 Milliarden Dollar gestrichen werden sollten. Der demokratisch dominierte Senat hingegen wollte weniger sparen. Wäre es zu keiner Einigung gekommen, hätte die Regierung diverse staatliche Dienste einstellen müssen. Denn Artikel 1, Abschnitt 9 der US-Verfassung besagt: „Geld darf der Staatskasse nur auf Grund gesetzlicher Bewilligungen entnommen werden“5 – wenn die Regierung also keinen Haushalt verabschiedet, darf sie auch kein Geld ausgeben. Solange sich der Kongress nicht einigen konnte, operierte die Regierung auf der Basis temporärer Übergangshaushalte, durch die der Kongress notwendige Gelder wochenweise freigab, um die staatlichen Dienste zu finanzieren.

Am 8. April endete die letzte dieser Verlängerungsresolutionen. Kurz vor Ablauf der Frist erzielten Republikaner und Demokraten einen Kompromiss. Für die restlichen sechs Monate des Haushaltjahrs 2011 sollen Einsparungen in Höhe von rund 38 Milliarden Dollar vorgenommen werden – ein Sieg für die Republikaner. Die Demokraten konnten hingegen verhindern, dass die Mittel für die Familienplanungseinrichtung Planned Parenthood beschnitten werden und der Umweltbehörde EPA die Kompetenz entzogen wird, Treibhausgasemissionen zu regulieren – zwei besonders hart umkämpfte Programmposten.

Die letzten Wochen waren allerdings nur eine Generalprobe für einen weit größeren Streit: die Verhandlungen über den Haushalt 2012 und die Anhebung der Schuldengrenze. Die Gesamtverschuldung der USA beträgt derzeit mehr als 14,2 Billionen Dollar; die erlaubte Schuldenobergrenze ist damit fast erreicht. Viel Zeit für Verhandlungen lässt dies nicht. Noch sind die Finanzmärkte gelassen. Doch dies könnte sich ändern, sollten sich die Demokraten und Republikaner nicht rechtzeitig einigen können.

Die besondere Rolle des Dollar

Dass die Finanzmärkte die USA noch nicht abgestraft haben, liegt neben der nach wie vor hohen Attraktivität des amerikanischen Wirtschaftsraums sicherlich auch an der besonderen Rolle des Dollar in der Weltwirtschaft. In den sechziger Jahren nannten die Franzosen dies ein „exorbitantes Privileg“: Der Dollar ist die weltweite Leitwährung, die USA zahlen ihre Importe in Dollar und verschulden sich in ihrer eigenen Währung. Anders als Ländern wie Griechenland droht den USA daher so bald keine Zahlungsbilanzkrise – zumindest solange das Vertrauen in den Dollar nicht nachhaltig erschüttert wird.

Der Dollar hat seit den siebziger Jahren zwar an Einfluss verloren, aber „angesichts der Probleme des Euro […] sieht der Dollar im Vergleich mit einigen anderen Währungen der Welt sogar wieder ein wenig attraktiver aus“, so auch der Federal Reserve Chairman Ben Bernanke vor dem Haushaltsausschuss des Repräsentantenhauses.6 Echte Alternativen zum Dollar gibt es nicht: Die Schuldenkrise Griechenlands 2010 hat die Probleme in der Euro-Zone einmal mehr verdeutlicht; der Renminbi kommt hingegen nicht in Frage, weil dieser bislang nicht vollständig frei konvertibel ist und der Kurs nur teilweise über den Markt bestimmt wird. 2009 wurden dem Internationalen Währungsfonds (COFER Database) zufolge rund zwei Drittel der weltweiten Währungsreserven, über deren Denominierung Informationen vorliegen, in Dollar gehalten.

Allerdings mehren sich in den USA die Stimmen, die im „exorbitanten Privileg“ eine wachsende Belastung für Amerika sehen. Den Großteil der US-Auslandsschulden halten ausländische Regierungen, allen voran China, gefolgt von Japan und, wenn als Gruppe zusammengenommen, mit einigem Abstand die ölexportierenden Länder. Gefürchtet wird nicht nur die damit verbundene wirtschaftliche, sondern auch steigende politische Abhängigkeit.

Laut der Federal Reserve Bank of New York (2010) orientieren 104 Länder ihre Wechselkurspolitik am Dollar, wobei die Brandbreite der Wechselkursregime vom kontrollierten Floaten mit lockerer Orientierung am Dollar (acht Länder) über die Festlegung bestimmter Zielzonen (89 Länder) bis hin zu Currency- Boards mit fester Wechselkursanbindung und Dollarisierung reicht, was bedeutet, dass eine Regierung den Dollar als hauptsächliches oder ausschließliches gesetzliches Zahlungsmittel einführt (sieben Länder). Eine Abwertung des Dollar, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und das hohe Handelsbilanzdefizit abzubauen, dürften entsprechend wenig Wirkung zeigen. Die Leistungsbilanz verbesserte sich 2009 infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise zwar temporär (2009: –2,7 Prozent des BIP), ist aber immer noch stark defizitär mit steigender Tendenz. Den hohen Güterimporten stehen hohe Kapitalimporte gegenüber. Diese sind zwar zur Finanzierung der Staatsausgaben und des privaten Konsums dringend notwendig, doch so lassen sich die globalen makroökonomischen Ungleichgewichte nicht abbauen. Mittlerweile ist man sich einig, dass die hohen und lang anhaltenden Ungleichgewichte ein Problem für die Weltwirtschaft sind, da sie zu Fehllenkungen von Sparkapital und Vermögenspreisblasen führen, wie die Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich bewiesen hat.

Weg aus der Krise

Obama will die amerikanischen Exporte in den nächsten fünf Jahren verdoppeln, indem kleine und mittlere Unternehmen stärker unterstützt werden, beispielsweise durch Exportkredite und  versicherungen, und die Regierung internationale Handelsregeln auf wichtigen Märkten aggressiver durchsetzt.7 In diesem Zusammenhang revidierte Obama auch seine ablehnende Haltung gegenüber neuen Freihandelsabkommen. Noch während der Präsidentschaftswahlen 2008 hatte er diese kategorisch abgelehnt. Neben dem Engagement in der Doha-Runde der WTO sollen die Handelsbeziehungen mit Asien und zentralen Handelspartnern wie Südkorea gestärkt werden. Zurzeit verhandeln die USA über eine transpazifische Partnerschaft.8

Dies allein dürfte allerdings nicht ausreichen. Obama hat sich zudem das Ziel gesetzt, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen deutlich zu verbessern, um so die Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen zu steigern. In seiner Rede zur Lage der Nation sprach er sich für eine Reduzierung der Unternehmenssteuer aus – dies wäre die erste Senkung seit 25 Jahren. Gleichzeitig will er staatliche Regulierungen überprüfen lassen, die Wachstum und Investitionen behindern. Am 11. März wies das Weiße Haus eine Government Reform for Competitiveness and Innovation Review unter der Leitung von Jeffrey Zients, dem Chef des Bundesamts für Management und Haushalt (OMB), an. Ziel der Initiative ist es, den exekutiven Zweig der Bundesregierung zu straffen. Entsprechend sollen die Zuständigkeiten und Programme der Behörden, die sich mit Handel und Wettbewerbsfähigkeit befassen, auf ihre Effektivität, Effizienz, Überschneidungen und Duplizierungen hin geprüft werden, auch um unnötige Kosten zu sparen. Bis Mitte Juni sollen die Vorschläge präsentiert werden. Zudem sollen Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur eine „Welle von Innovationen“ auslösen und so neue Industriezweige schaffen. Allerdings werden die Investitionen teuer sein; angesichts der prekären Haushaltslage ist der fiskalpolitische Spielraum so gut wie ausgeschöpft.

Barack Obama hat in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit wichtige Reformen durchgesetzt, allen voran die Reform des Gesundheitssystems und der Finanzregulierung. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob er die notwendige Durchsetzungskraft besitzt, um weitere zentrale Strukturreformen auf den Weg zu bringen und den Haushalt zu sanieren. Denn nur dann wird es ihm gelingen, die USA auf einen neuen Wachstumspfad zu lenken und den American Dream wiederzubeleben.9

Dr. STORMY-ANNIKA MILDNER (M.Sc.) ist Mitglied der Institutsleitung der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, April 2011, S. 24-29

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