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31. Aug. 2008

Wie wir in der Krise wachsen

Buchkritik

Kann in einer globalisierten Wirtschaft Wohlstand für viele gegeneinander oder nur miteinander gewonnen werden? Wie ist angesichts der ökologischen Probleme des 21. Jahrhunderts überhaupt Wachstum möglich? Prominente Ökonomen und ein Publizist geben in drei Neuerscheinungen und einem aktualisierten Werk unterschiedliche Antworten.

Wer internationale Star-köche um einen Herd versammelt, der muss nicht unbedingt auf neue, revolutionäre Rezepte stoßen. Es kann sogar passieren, dass jeder nur sein Süppchen kocht und zuletzt nicht mal ein stimmiges Menü auf den Tisch kommt. So ist es Beatrice Weder di Mauro ergangen, einer der fünf Wirtschaftsweisen und Ökonomie-Professorin an der Universität Mainz. Sie hat namhafte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zusammengetrommelt, um wegweisende Ideen für Wachstum und Wohlstand zu präsentieren. Autoren wie Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank, Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der Dalai Lama oder die Präsidentin Liberias, Ellen Johnson Sirleaf, verkünden ihre Thesen und Auffassungen zu den „Chancen des Wachstums“.

Im zentralen Teil des Bandes, der auch den Titel gibt, stellt Eberhard von Koerber, Kopräsident des Club of Rome, dessen provozierende These der „Grenzen des Wachstums“ aus den siebziger Jahren rigoros infrage. Mehr als 30 Jahre später erkennt von Koerber einen Paradigmenwechsel zu „Chancen des Wachstums“. Doch ob die Sorgen von damals, etwa „die Angst vor Bevölkerungswachstum und Nahrungsmittelknappheit und selbst jene um erschöpfbare Ressourcen“, im 21. Jahrhundert wirklich an politischer Brisanz verloren haben, wie der Autor behauptet, lässt angesichts der aktuellen Probleme grundsätzliche Zweifel an seiner Analyse aufkommen.

Projektträger des Bandes ist die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. Diese steht und wirbt für mehr Eigeninitiative, Wettbewerb und eine promarktwirtschaftliche Reform-agenda. Dadurch erscheinen die hier angebotenen Rezepte wie Strukturreformen und mehr unternehmerische Freiheit wenig überraschend.

Der nächste Sammelband bietet nachhaltigere Kost. Unter der Federführung von Narcis Serra, Präsident der Stiftung des Centre for International Relations and Development Studies in Barcelona, und dem US-Ökonomen und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz kommt ein Klassiker auf den Prüfstand und wird für das 21. Jahrhundert modernisiert: der Washington-Konsens. Dabei handelt es sich um ein Bündel von wirtschafts- und entwicklungspolitischen Maßnahmen, die in den neunziger Jahren von amerikanischen und internationalen Institutionen wie dem IWF in Washington propagiert und gefördert wurden.

Aufgrund seiner liberalen Grundsätze wie Marktwirtschaft und makroökonomische Disziplin wurde der Washington-Konsens vielfach mit Marktfundamentalismus gleichgesetzt. Hat er damals die richtigen Antworten geliefert und was taugt er heute? Darüber wird hier auf hohem Niveau diskutiert. Auch konkurrierende wissenschaftliche Ansichten von Experten werden vorgestellt, etwa die von Jeffrey Frankel und Martin Khor über den Nutzen von Handelsliberalisierungen. Obwohl sich die Autoren in ihren Analysen und Lösungsansätzen unterscheiden, sind sie sich in einem einig: Der Washington-Konsens hat nicht die Antwort auf alle entwicklungspolitischen Probleme geliefert und weist sowohl empirische als auch theoretische Unzulänglichkeiten auf.

Im letzten Teil des Bandes von Serra und Stiglitz werden konsequenterweise Ansätze für einen neuen Entwicklungsrahmen – einen „Post-Washington-Konsens-Konsens“ – entwickelt. Die Autoren legen einen stärkeren Fokus auf gutes Regieren und Institutionenbildung als Voraussetzungen für Wachstum und Wohlstand. Dem Staat räumen sie eine größere Rolle ein, wenn es um Verteilungsgerechtigkeit, Umweltschutz, Nachhaltigkeit oder um Marktversagen etwa im Bereich Forschung und Technologie geht. Darüber hinaus fordern die Autoren, individuelle Gegebenheiten der Entwicklungsländer jenseits des One-size-fits-all-Prinzips besser zu berücksichtigen. Alle Beiträge zeichnen sich durch Detailfülle und ein solides theoretisches Fundament aus – mit dem bitteren Beigeschmack, dass sie für Fachfremde manchmal schwer verdaulich sind.

Ein Weiter-so bringt uns jedenfalls nicht voran. Das führt uns Jeffrey Sachs, Entwicklungsökonom und Berater des UN-Generalsekretärs, anschaulich und mit klaren Worten vor Augen. Wir leben in einer globalen Schicksalsgemeinschaft und können die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wie Umweltzerstörung, Bevölkerungswachstum und extreme Armut nur gemeinsam lösen oder gar nicht. Der englische Titel des Buches, „Common Wealth“ – gemeinsamer Wohlstand –, fasst die These allerdings prägnanter zusammen als die deutsche Übersetzung „Wohlstand für viele“.

Ähnlich wie Serra und Stiglitz fordert Sachs ein neues ökonomisches Paradigma. Für die Lösung der ökologischen und sozialen Krisen des 21. Jahrhunderts muss „die Dominanz des Marktes überwunden“ werden und der Staat eine aktivere und stärkere Rolle bekommen. Hier schlägt der Autor, der durch seine marktorientierten „Schocktherapien“ in Lateinamerika und Osteuropa in den neunziger Jahren berühmt wurde, nun selbst eine andere Argumentationsrichtung ein, für die er bereits in seinem letztem Werk, „Das Ende der Armut“, die Weichen gestellt hat.

Sachs ist einer der Vordenker des „Big push“. Entgegen vieler Expertenmeinungen rechnet er mit dem Mythos der Selbsthilfe ab: Zur Bekämpfung der globalen Armut ist eine erhebliche Anschubfinanzierung notwendig und sinnvoll. Trotz der immensen globalen Herausforderungen, über die Sachs mit beeindruckend interdisziplinärer Kenntnis referiert (hier profitiert er vom Earth Institute an der Columbia University, dem er als Direktor vorsteht), bleibt sein Grundton optimistisch: Lediglich „bescheidene Investitionen zur Rettung der Welt“ sind nötig. Hier schwankt der Leser dann allerdings zwischen Verwunderung über so viel Naivität und Pathos sowie der Bewunderung für Sachs’ ambitionierte Vision.

Seine Handlungsweisungen sind konkret und strukturiert. Dies führt dazu, dass sie sich zuweilen wie eine Einkaufsliste oder ein Selbsthilfe-Ratgeber lesen:

  • vier Schritte zur Bewältigung des Klimawandels,
  • sechs staatliche Maßnahmen zur Infrastrukturentwicklung,
  • sieben Globale Fonds zur Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung.

Doch dies verzeiht man ihm gern angesichts der Fülle an Informationen und der guten Verständlichkeit, mit der Sachs selbst komplexe Zusammenhänge leicht verständlich serviert.

„Ein gutes Beispiel ist mehr wert als tausend Theorien“ – getreu diesem Motto beschreibt der New York Times-Kolumnist und mehrfache Pulitzer-Preisträger Thomas Friedman die Welt, in der wir leben. Wir befinden uns, so der Autor, im Zeitalter der Globalisierung 3.0. Es ist durch drei wesentliche Faktoren geprägt: „neue Mitspieler, ein neues, flaches Spielfeld und neuartige, horizontale Kooperation befördernde Prozesse und Praktiken“.

Sein Werk, bereits in 25 Sprachen übersetzt, millionenfach verkauft und nun in einer erweiterten, aktualisierten Ausgabe in deutscher Sprache erschienen, unternimmt eine fesselnde Bestandsaufnahme dieser „flachen Welt“. Friedman führt seine Leser unterhaltsam auf die Spur moderner Phänomene – vom Offshoring und Outsourcing über globale Wertschöpfungsketten zur Internetvernetzung zwischen Individuen.

Der Pulitzer-Preisträger ist von einem gewissen Fortschrittsglauben erfüllt. Er geht davon aus, „dass die Globalisierung und die Einebnung der Welt, sofern wir keine geopolitische Explosion erleben, so selbstverständlich weiter voranschreiten wird, wie der Tag auf die Nacht folgt“. Alle Faktoren, die diese lineare Entwicklung gefährden könnten, etwa die „Machtlosen und Erniedrigten“ außerhalb der flachen Welt, knappe Ressourcen oder Umweltprobleme, kommen – obgleich erwähnt – in Friedmans Analyse zu kurz. Er gesteht auch freimütig ein, dass seine Deutung überspitzt ist und der Komplexität der Realität nicht immer gerecht wird. Dies ist jedoch auch nicht sein Anliegen: Wer differenzierte Globalisierungstheorien oder systematische Lösungsansätze sucht, wird hier nicht satt – die Stärke des Buches liegt in seinen besonderen Zutaten: seinem frischen, packenden Stil und vielen einprägsamen Beispielen.

David Farber: What They Think of Us: International Perceptions of the United States since 9/11. Princeton University Press 2007, 200 Seiten, 25,95 $

Beatrice Weder di Mauro (Hrsg.): Chancen des Wachstums. Globale Perspektiven für den Wohlstand von morgen. Frankfurt und New York: Campus Verlag 2007, 371 Seiten, 24,90 €

Thomas L. Friedman: Die Welt ist flach. Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts. Frankfurt: Suhrkamp Taschenbuch 2008, 720 Seiten, 15,00 €

Narcis Serra und Joseph E. Stiglitz (Hrsg.): The Washington Consensus Reconsidered. Towards a New Global Governance. Oxford und New York: Oxford University Press 2008, 384 Seiten, 24,99 €

Jeffrey D. Sachs: Wohlstand für viele. Globale Wirtschafts-politik in Zeiten der ökologischen und sozialen Krise. München: Siedler Verlag 2008, 480 Seiten, 24,95 €

KATHARINA GNATH ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Forschungsinstituts der DGAP und Leiterin des Programms „Globalisierung und Weltwirtschaft“.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2008, S. 107 - 109

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