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01. Juni 2007

Wie die Welt zu retten wäre

Klimawandel, Armut und Krankheit ließen sich mit geringen Mitteln bewältigen

Ganz Afrika mit Hilfe von Moskitonetzen von Malaria zu befreien, würde 1,5 Milliarden Dollar für fünf Jahre kosten; das Pentagon allein gibt für Rüstung am Tag 1,8 Milliarden Dollar aus. Mit solchen Zahlen versucht Jeffrey D. Sachs, bis 2006 Direktor des UN-Millennium-Projektes, die reichen Geberländer aufzurütteln. Hier seine G-8-Gipfelagenda.

Weltweite Gipfeltreffen haben ein großes Legitimitätsproblem, weil sie bis vor kurzem ausschließlich von wohlhabenden Ländern abgehalten wurden, die vorgaben, globale Probleme zu lösen, obwohl der reiche Teil der Welt nur ein Sechstel der Bevölkerung auf diesem Planeten ausmacht. Aus diesem Grund sind Bedeutung und Zielsetzung solcher Gipfel in den letzten Jahren stark in Frage gestellt worden.

Auf der rhetorischen und politischen Ebene haben die wohlhabenden Länder inzwischen begonnen, ihre Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft anzuerkennen. Die Diskussionen haben sich vom „Was ist für uns drin? “-Ansatz in Richtung der Fragestellung „Was können wir für den Rest der Welt tun?“ verlagert. Zudem wurde die Teilnehmerliste solcher Gipfel erweitert. Selbstverständlich werden heute auch Staats- und Regierungschefs von Entwicklungsländern – Brasilien, China, Indien, Mexiko, Südafrika etc. – eingeladen. Das ist absolut unerlässlich, denn in der heutigen Welt kann kein Land legitim für ein anderes sprechen, und keines der Probleme, mit denen wir kämpfen, kann von nur einem Teil der Welt im Alleingang gelöst werden.

Meiner Ansicht nach gibt es derzeit drei beherrschende Risiken. Das erste ist das Problem der Umwelt, die durch menschliche Aktivitäten zunehmend belastet wird. Der Nobelpreisträger Paul Crutzen hat kürzlich den Begriff vom „Anthropozän“ geprägt, einem neuen geologischen Zeitalter, in dem wir heute leben; es ist dadurch gekennzeichnet, dass die gegenwärtige Menschheit auf beispiellose und gefährliche Weise in die natürlichen physikalischen Kreisläufe – beispielsweise den Kohlenstoff- und Stickstoffkreislauf – eingreift und zudem den Verlust natürlicher Lebensräume, das Artensterben und andere problematische Entwicklungen verursacht.

Die zweite große Herausforderung ist eine eng vernetzte Welt, in der Menschen verschiedener Erdteile erhebliche Unterschiede ihres Wohlstandsniveaus erleben. Da wir alle miteinander verbunden sind, sind auch unsere Schicksale auf einzigartige Weise miteinander verwoben. Es gibt keine weit entfernten Orte mehr, und jeder Teil der Erde kann sowohl zum gemeinsamen Wohlstand beitragen als auch einem anderen Teil schweren Schaden zufügen, wenn er sich benachteiligt fühlt. Unsere Welt ist mehr denn je zuvor entlang der Wohlstandsgrenzen geteilt, und die Armut ist in vielen Teilen der Erde so hoffnungslos, dass das Leben dort nichts als ein täglicher Überlebenskampf ist.

Eine Milliarde von uns lebt im reichen Teil der Welt, mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von circa 30 000 Dollar pro Jahr. Viele von uns haben sogar ein jährliches Einkommen von Millionen von Dollars, und etwa tausend von uns verfügen über ein Vermögen von mehr als einer Milliarde Dollar – mehr Geld, als irgendwer in mehreren Leben ausgeben kann. Gleichzeitig gibt es eine weitere Milliarde Menschen, die tagaus, tagein keine gesicherte Mahlzeit haben und denen nur Wasser zur Verfügung steht, das wir niemals, schon gar nicht täglich, trinken würden. Diese Menschen leben an Orten, an denen ein einziger Mückenstich töten kann, weil es dort weder Insektizidbehandelte Moskitonetze noch verfügbare Ein-Dollar-Medikamente gibt, um die Malariainfektion zu bekämpfen. Diese Armut ist die Hauptursache für Unruhen, Konflikte und chaotische Zustände in Gegenden wie Afghanistan, Darfur oder Somalia. Wir müssen die Art der Herausforderung, vor der wir an solchen Orten stehen, begreifen: Sie ist im Grunde nicht politisch, sondern ökonomisch und ökologisch.

Die dritte Herausforderung ist das Zusammenleben auf einem überfüllten Planeten. In den Vereinigten Staaten haben wir vergessen, dass Koexistenz bedeutet, miteinander zu reden. Aus diesem Grund können solche Gipfeltreffen so wichtig sein. Derzeit stellen amerikanische Politiker Bedingungen, bevor sie reden. Es ist aber eine Absurdität, nicht mit dem Iran zu sprechen oder mit einer in freien Wahlen gewählten palästinensischen Autonomieregierung, nur weil sie diese Vorbedingungen nicht erfüllen. Es ist auch gefährlich für die ganze Welt, weil am Anfang jedes Verstehens ein Austausch von Ideen stehen muss. Wir haben die Geschichte dahingehend missverstanden, dass Gespräche mit Beschwichtigungspolitik gleichzusetzen seien und dass es die Aufgabe unserer Freiheit bedeute, wenn wir uns hinsetzen und diskutieren. Wir büßen mächtig für dieses grundlegende Missverständnis.

Auf einem erfolgreichen Gipfeltreffen muss es um drei Dinge gehen: Erstens um die Frage, wie die sich dramatisch verschlimmernde ökologische Krise gelöst werden kann. Zweitens muss die Krise der globalen Ungleichheit thematisiert werden, denn eine Milliarde Menschen kämpft um ihr tägliches Überleben. Zehn Millionen sterben jedes Jahr, weil sie zu arm sind, um am Leben zu bleiben. Drittens muss es eine ehrliche Diskussion ohne Vorbedingungen geben, um friedliche Lösungen für die Konflikte dieser Welt zu finden. Was den Klimawandel angeht, haben wir bereits Versprechen gegeben, sie aber nicht erfüllt. Auch beim Armutsproblem brauchen wir keine neuen Versprechungen. Wir müssen nur die einhalten, die wir bereits gegeben haben. Bezüglich des Klimas gibt es bereits ein weltweites Abkommen, die UN-Rahmenkonvention zum Klimawandel, 1994 ratifiziert. Das Kyoto-Protokoll war aber nur ein kleiner Schritt vorwärts, weil die von ihm festgelegten Emissionsgrenzen zu niedrig waren, um einen nennenswerten Unterschied in Richtung Stabilisierung auszumachen, und weil sie nur für wenige Länder galten.

Das Gipfeltreffen von Heiligendamm könnte die Grundlagen für eine Welt nach Kyoto schaffen, in der wir Verpflichtungen eingehen, die im Einklang mit den Zielen stehen, die wir uns selbst auf dem Erdgipfel 1992 in Rio gesetzt haben. Das 13. Treffen der Unterzeichner der UN-Rahmenkonvention auf Bali im Dezember 2007 muss ein Post-Kyoto-Abkommen ins Auge fassen, das geeignet ist, die Herausforderung des Klimawandels ernsthaft anzugehen. Im Gegensatz zum Kyoto-Protokoll sollte dieses Abkommen allgemeingültige Auflagen ohne Unterscheidung von Annex I- und Annex II-Ländern (Industriestaaten und Entwicklungsländern) beinhalten. Denn China schickt sich derzeit an, der weltgrößte Produzent von Kohlendioxidemissionen aus der Energiegewinnung zu werden. Bald wird China die mit Abstand größte Emissionsquelle sein. Eine Lösung des Klimaproblems wird es nicht geben, ohne dass sich China auf eine Reihe von verbindlichen Zusagen einlässt. Auch Indien wird in Kürze zu einer Hauptemissionsquelle werden. Länder wie die USA oder Australien, die das Kyoto-Protokoll nicht unterzeichnet haben, oder wie Kanada, die zwar Kyoto unterzeichnet, aber ihre Verpflichtungen nicht umgesetzt haben, werden sich zu den gleichen Zielvorgaben bekennen müssen. Es ist ein wichtiger Schritt, ein wirklich weltweites Abkommen sicherzustellen.

Als zweiten Schritt müssen wir uns für die erste Hälfte dieses Jahrhunderts mutige, langfristige ebenso wie kurzfristige Ziele setzen. Wir müssen uns einigen, was die „Vermeidung gefährlicher anthropogener Eingriffe“ mengenmäßig bedeutet, d.h. ob es um die Vermeidung von Kohlendioxidkonzentrationen von über 500 ppm (Teile pro Million) in der Atmosphäre geht oder ob ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um zwei Grad Celsius verhindert werden soll. Eine quantitative Höchstgrenze kann in ein politisches Regelwerk überführt werden, das die Zielvorgaben umsetzt. Ein Erfolg versprechender Ansatz wäre, eine angestrebte Höchstgrenze für die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre und ähnliche Höchstwerte für die fünf weiteren Haupttreibhausgase festzulegen und diese Emissions- und Konzentrationsobergrenzen im Laufe des 21. Jahrhunderts in regelmäßigen Abständen anzupassen. Ein solcher Ansatz könnte bei der Konferenz der Vertragsparteien beschlossen und im Laufe der Zeit korrigiert werden, je nachdem ob neue wissenschaftliche Erkenntnisse mehr oder weniger stringente Standards erforderlich machen.

In einem dritten Schritt sollte darüber Einigkeit erzielt werden, dass es einen Weltmarktpreis für Kohlendioxidemissionen geben muss. Dieser Marktanreiz – sei es eine Ausweitung des Emissionshandelssystems in Europa, die Besteuerung von Emissionen oder andere Arten von Besteuerung – wird weitere Maßnahmen untermauern.

Viertens müssen bedeutende Anstrengungen zur Entwicklung von Technologien mit höherer Energieeffizienz unternommen werden, bei der Erschließung neuer Energieressourcen und bei der umweltverträglichen Nutzung fossiler Brennstoffe durch CCS-Verfahren (Carbon Capture and Sequestration, CO2-Abscheidung und Sequestrierung).

Der fünfte Punkt betrifft eine angemessene Finanzierung der Anpassungsbemühungen der armen Länder durch die reichen Länder. Denn Klimawandel ist keine statische Realität; er wird sich, egal was wir tun, in den nächsten 50 Jahren deutlich verschlimmern. Die thermische Trägheit im Klimasystem wird, selbst wenn wir ab jetzt keine einzige Tonne Kohlendioxid mehr in die Atmosphäre ausstießen, eine Erwärmung um mindestens ein weiteres halbes Grad Celsius bewirken. Weil wir aber weiterhin Treibhausgase emittieren werden und weil sich das Klima in den kommenden Jahrzehnten weiterhin verändern wird, ist Anpassung notwendig. Ich sehe zwei praktische Schritte: Wir können Mittel für Pilotprojekte wichtiger Technologien bereitstellen und einen Mechanismus zur Kompensation von armen äquatorialen Ländern einführen, damit dort die weitere Abholzung der Regenwälder eingestellt wird.

Aus meiner Sicht sind CCS-Verfahren die wichtigsten Technologien. China und Indien allein haben genug Kohle, um das Klima der gesamten Erde zu zerstören, und da Kohle die günstigste Energiequelle für diese Länder ist, werden sie sie auch verwenden, um ihre rasante Entwicklung anzuheizen. Wir müssen die Entwicklung von Technologien mit niedrigem CO2-Ausstoß vorantreiben, denn die Alternativen sind verglichen mit sicherer Kohlenutzung miserabel. Dazu benötigen wir CCS-Pilotprojekte (wie zum Beispiel das Vattenfall-Projekt in Deutschland) und andere Projekte überall in Europa. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren, und deshalb dränge ich darauf, dass wir uns auf ein weltweites Pilotprojekt zum Test von CCS-Verfahren einigen.

Wir wissen, dass die Abholzung der Regenwälder verantwortlich ist für etwa 20 bis 25 Prozent der gesamten CO2-Emissionen weltweit. Die Regierungen von Ländern mit tropischem Regenwald haben sich an mich und andere gewandt und versichert, dass sie die Abholzung stoppen wollen. Allerdings brauchen ihre Bauern, ihre Holzfäller und Holzverarbeiter finanzielle Anreize für einen Abholzungsstopp. Das gilt nicht nur für den Amazonas, sondern auch für das Kongobecken, für Papua-Neuguinea und andere Gegenden. Durch finanzielle Anreize für einen Abholzungsstopp würde das weltweite Gemeinwohl gleich dreifach abgesichert: durch die Verringerung von Armut, die biologische Sequestrierung von Kohlendioxid und die Erhaltung der Biodiversität.

Millennium Goals: Das Armutsproblem lösen

Die andere Hälfte der Herausforderung ist die Aussöhnung des beispiellosen Wohlstands einiger Individuen mit der unvorstellbaren Armut, in der viele Millionen Menschen immer noch leben. Zu diesem Zweck wurden vor sieben Jahren die Millennium-Entwicklungsziele (MDG) beschlossen. Die auf 15 Jahre angelegte Agenda der MDGs sieht vor, in diesem Zeitraum Hunger und Armut weltweit zu halbieren, die Kindersterblichkeit um zwei Drittel und die Müttersterblichkeit bis zum Jahr 2015 um drei Viertel zu reduzieren. Diese Aufgabe sollte in Heiligendamm nicht widerwillig, sondern mit Energie, Einfallsreichtum, Engagement und mit einem Gefühl des Privilegs angegangen werden. Deutschland hat die Chance, den Kampf gegen die extreme Armut anzuführen.

Hinsichtlich des Klimas müssen wir pragmatisch denken und uns an unsere Zusagen erinnern. Eine unserer Hauptverpflichtungen ist der Schulterschluss mit den ärmsten Ländern, um ihnen zu helfen, die Millennium-Entwicklungsziele zu erreichen. Bei der Monterrey-Konferenz zur Finanzierung von Entwicklung im Jahr 2002 wurde dieses Ziel in monetären Begriffen formuliert. Der aus dem Treffen hervorgegangene Monterrey-Konsens besagt, dass die Länder, die dies bis dahin noch nicht getan haben, dazu angehalten werden, konkrete Bemühungen in Richtung des internationalen Zieles von 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) als offizielle Entwicklungshilfe zu unternehmen. 2005 wurden diese Ziele von der EU beherzigt, nicht aber von den USA: Die Europäische Union versprach, bis 2010 0,51 Prozent an Entwicklungsgeldern bereitzustellen und bis 2015 0,7 Prozent (bzw. 0,17 und 0,33 Prozent in den neuen Mitgliedsstaaten). Für Deutschland bedeutet das Ziel von 0,51 Prozent einen Anstieg der Entwicklungshilfe in den nächsten drei Jahren um 0,16 Prozent des BSP. Das ist machbar, und es sollte mit Enthusiasmus geschehen. Dieses Geld rettet Leben und hilft, Frieden zu schaffen. Es werden heute keine neuen Versprechen gebraucht, sondern die Einhaltung und Umsetzung existierender Verpflichtungen. Doch es ist unmöglich, 50 Milliarden Dollar ohne ordentliche Planung sinnvoll zu nutzen. Wenn von Ländern gefordert wird, sie müssten Pläne für erhöhte Hilfsgeldströme machen, und das ohne Garantien, ob diese Gelder überhaupt fließen werden, dann werden wir immer weiter einen Teufelskreis erleben: Geberländer halten Hilfsgelder zurück, weil sie argumentieren, es gebe keine Aufnahmekapazität für diese Gelder. Den Empfängern sagt man, es sei trotz der politischen Versprechen unmöglich vorauszusagen, ob, wann und wie die Hilfe tatsächlich kommt. Darum sind diese Länder nicht in der Lage zu planen, sie können nicht mit der Ausbildung von Ärzten und Krankenschwestern oder mit dem Bau von Kliniken beginnen, weil sie nicht wissen, ob Gelder fließen werden. Dies mag eine umsichtige Finanzplanung sein, aber sie wird weder die Armut beenden noch dazu beitragen, die Millennium-Entwicklungsziele zu erreichen. Eine verantwortungsbewusste Handhabung der Versprechen der reichen Länder ist es schon gar nicht.

Ein tiefgreifender Durchbruch wäre es, wenn die reichen Länder Klarheit über ihre spezifischen Zeitpläne für die jährliche Aufstockung der Hilfsgelder bis 2010 schaffen würden, so dass gut regierte Länder in Afrika sofort beginnen könnten zu handeln. Denn wenn diese Länder wissen, dass Hilfsgelder von 40 auf 80 Dollar pro Kopf steigen werden, ermöglicht ihnen das, die Ausbildung und Einstellung von mehr Krankenschwestern und kommunalem Gesundheitspersonal, Malariamedikamente, den Bau von Schulen und die Gehälter von neuen Lehrern zu finanzieren. Deutschland könnte bei diesen Bemühungen die Führung übernehmen, ohne auch nur einen einzigen Cent auf die bisher versprochene Hilfe drauflegen zu müssen. Deutschland würde lediglich die bisher gegebenen, für den Erfolg dringend notwendigen Versprechen einhalten.

Einige andere Hauptprobleme könnten sehr schnell behoben werden. Es gibt nichts Einfacheres als die Bekämpfung von Malaria. Diese Krankheit ist deshalb so absurd und tragisch, weil sie auch in diesem Jahr wieder zwei Millionen Menschenleben kosten wird, obwohl sie zu 100 Prozent mit Ein-Dollar-Medikamenten behandelbar ist. Wir lassen grundlos Millionen von Menschen an Malaria sterben. Ansteckung mit Malaria lässt sich durch den Massengebrauch von Insektizidbehandelten Moskitonetzen eindämmen, und die Krankheit kann im Falle einer Infektion mit so genannten Artemisin-Kombinationstherapien bekämpft werden. Je nach Umweltsituation sind auch das Sprühen von Insektiziden in Gebäuden und andere Methoden der Vektorkontrolle angemessen. Afrika benötigt schätzungsweise drei Millionen Moskitonetze, um Malaria einzudämmen. Diese Netze werden von BASF, Vestergard in Dänemark oder Somitomo Chemical in Japan hergestellt, kosten fünf Dollar und halten fünf Jahre. Weil sich oft zwei Kinder einen Schlafplatz teilen, könnte ein Dollar im Jahr pro Netz 50 Cent pro Kind bedeuten. Moskitonetze sind bemerkenswert effektiv und bezahlbar, und doch ist nur ein Bruchteil derer, die sie benötigen, mit ihnen ausgestattet. Dreihundert Millionen Schlafplätze mal fünf Dollar sind 1,5 Milliarden Dollar. Das für 2008 beantragte Militärbudget der USA beläuft sich auf 660 Milliarden Dollar, also 1,8 Milliarden Dollar pro Tag. Folglich würde die Ausstattung eines jeden afrikanischen Schlafplatzes für fünf Jahre mit einem Insektizidbehandelten Moskitonetz 20 Stunden der Pentagonausgaben kosten. Mit zusätzlichen Medikamenten, Gemeinde-Gesundheitshelfern, Schnelldiagnosetests etc. würde es, das haben meine Kollegen und ich ausgerechnet, schätzungsweise drei Milliarden Dollar jährlich kosten, in Afrika südlich der Sahara die Malaria umfassend einzudämmen. Drei Milliarden Dollar: Die Regierungen der Milliarde Menschen aus dem wohlhabenden Teil der Welt werden in Heiligendamm sein. Drei Dollar – eine Tasse Kaffee – von jedem von uns würden genügen, um ein bis zwei Millionen Kindern im Jahr das Leben zu retten. Und das können wir nicht tun?

Die Arbeit am UN-Millennium-Projekt hat uns gelehrt, dass ganzheitliche Ansätze – wie Krankheitsbekämpfung, Unterstützung von Frauen, Einführung von Familienplanung, klinische Gesundheitsdienste und Hilfe für die Bauern – in ländlichen Gegenden etwa 50 bis 60 Dollar pro Kopf von externen Gebern erfordern würden, um die Millennium-Entwicklungsziele zu erreichen. In dieser Rechnung sind die Bekämpfung der Hauptkrankheiten (Malaria, AIDS, Tuberkulose) und die Bereitstellung klinischer Gesundheitsdienste enthalten. Auch eingerechnet ist die Verdoppelung oder Verdreifachung der landwirtschaftlichen Produktivität durch die Versorgung von Kleinbauern mit Dünger und Saatgut, das hohe Erträge abwirft, durch das Bohren und Instandhalten sicherer Brunnen, durch die Einführung zusätzlicher Bewässerung für dürregeplagte und dürreanfällige Gegenden etc. Die Kosten für all diese Maßnahmen belaufen sich gerade mal auf ein halbes Prozent des Bruttosozialprodukts der wohlhabenden Länder.

Auf der Grundlage dieser Empfehlungen haben das UNDP, das Earth Institute, das ich leite, und eine Nichtregierungsorganisation namens Millennium Promise das Projekt der Millennium Villages in Afrika ins Leben gerufen. Wir haben diese Ideen mit bemerkenswerten Ergebnissen getestet. Innerhalb von ein oder zwei Jahren verwandeln Dörfer eine Hungersnot in einen Lebensmittelüberschuss; Malaria lässt sich um 80 oder 90 Prozent reduzieren; innerhalb von wenigen Monaten gehen – dank kostenloser Schulspeisungsprogramme –100 Prozent der Kinder in die Schule. In zehn Ländern auf dem Kontinent zeigt dieses Projekt bereits gewaltige Wirkung. Mehr und mehr Länder wollen einbezogen werden. Darum möchte ich den G-8-Regierungen sagen: Wir brauchen in den kommenden Jahren keine langwierigen Studien oder Teams von bürokratischen Beratern. Wir brauchen pragmatische Ansätze vor Ort, um mehr Nahrung zu produzieren, Malaria einzudämmen, HIV-Infizierte zu behandeln und in Afrika wieder Hoffnung herzustellen. Das sollte das Versprechen von Heiligendamm sein.

Prof. Dr. JEFFREY D. SACHS, geb. 1954, ist Quetelet Professor of Sustainable Development and Professor of Health Policy and Management an der Columbia Universität in New York. Er leitet das Earth Institute und war von 2000 bis
2006 Direktor des UN-Millennium-Projekts.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2007, S. 70 - 77.

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