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01. März 2009

Wer wagt, gewinnt

Zukunft ist machbar: Wie Kaliforniens Hochschule das Silicon Valley antreibt

Qualität kommt von Qual: Nach diesem Motto lehren und
lernen die Besten der Besten an den Hochschulen von Stanford, Berkeley oder San Francisco. Knallharte Konkurrenz, gepaart mit größtmöglicher Freiheit, stehen für den Erfolg des kalifornischen Modells. Nun wollen Deutschlands Eliteunis nachziehen – und von Amerika mehr Risiko lernen.

Es gibt auf der ganzen Welt wohl kein besseres Symbol für den Unternehmergeist Kaliforniens als das Silicon Valley. Auch wenn etliche Gegenden dieser Welt einen Anlauf genommen haben, seinen Erfolg zu imitieren, sind doch die allermeisten daran gescheitert. Aus einem einfachen Grund: Sie besitzen nicht die entscheidenden Wachstumsmotoren, die zur Blüte des Tals geführt haben. Jene drei herausragenden Universitäten nämlich, aufgrund deren Stärke Kalifornien wächst und gedeiht: Stanford und die Universities of California in Berkeley und San Francisco. Sie sind nicht nur ein fortwährender Quell der Innovation, sondern bildeten auch jene schlagkräftige Schar von Arbeitskräften aus, welche die Westküste an die technologische Weltspitze geführt haben. Nicht zu vergessen, tragen traumhaftes Wetter und die wunderbare Landschaft ebenfalls zur Faszination Kaliforniens bei.

Über die Jahre hinweg ist es seinen Universitäten gelungen, sowohl bedeutende Wissenschaftler von außerhalb zu gewinnen als auch eigene hervorzubringen. Dieser Mix aus heimischen und angeworbenen Talenten, Hand in Hand mit einer knallharten Leistungskultur, macht den Großteil ihres Erfolgs aus. So befinden sich gleich sechs kalifornische Universitäten in akademischen Rankings unter den 20 besten der Welt, und allein die staatliche University of California kann mit ihren inzwischen zehn Standorten bis heute auf 55 Nobelpreisträger zurückblicken. Doch Talent allein macht noch keinen Erfolg: Weitaus wichtiger noch sind die Freiheit, die Lehrpersonal, Postdoktoranden wie Studenten genießen, um ihre eigenen Ideen zu verfolgen, und die Ermutigung seitens der Universität, davon so viele wie möglich nach draußen zu tragen, um neue Unternehmen und möglicherweise ganz neue Industriezweige zu gründen.

Laut US-Bundesrecht sind die Universitäten dazu verpflichtet, Erfindungen, die mithilfe öffentlicher Fördergelder gemacht wurden, der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Da Kaliforniens Hochschulen einen überproportional hohen Anteil an staatlichen Forschungs- und Entwicklungsgeldern erhalten, nämlich über 15 Prozent, liegt ihr „Transfer“ an Erfindungen auch deutlich höher als bei der Konkurrenz – abgesehen von einigen nennenswerten Ausnahmen wie etwa dem Massachusetts Institute of Technology an der Ostküste. Richtig an Fahrt gewinnt das System allerdings erst dadurch, dass sich im Laufe der Jahre rund um die kalifornischen Universitäten ein unternehmerisches Biotop gebildet hat, das einen reibungslosen Innovationsfluß erst ermöglicht: Wagniskapital-Manager und „Business Angels“ gehen in den Hochschulen ein und aus, suchen nach neuen Geschäftsideen oder werden von den jeweiligen Wissenschaftlern angesprochen. Doch das Lehrpersonal spielt keineswegs die Hauptrolle: Was ihre Erfindungen betrifft, werden Studenten und Postdoktoranden absolut gleichberechtigt behandelt. Tragen sie zu einer Idee bei, die schließlich sogar patentiert und lizenziert wird, bekommen sie den gleichen Anteil an Lizenzgebühren wie ihre Mentoren (in der Regel gehen 35 Prozent an die Erfinder).

Auch wenn nahezu alle Unternehmen Silicon Valleys wie auch anderer Gründerregionen Kaliforniens in ihrem Ursprung auf eine der Hochschulen des Landes zurückgehen, gingen nur die wenigsten von ihnen mit Hilfe universitärer Technologietransferstellen an den Start. Gleichwohl wurden Firmen wie Intel, Cisco, Google und Broadcom von ehemaligen Universitätsabsolventen gegründet, die ihre Ideen außerhalb des Campus weiter entwickelten. Doch auch in diesen Fällen bleibt die Anbindung eng – so profitieren die Universitäten von den großzügigen und wohltätigen „Rückinvestitionen“ ihrer ebenso dankbaren wie erfolgreichen Alumni. Kein Teufels-, sondern ein echter Tugendkreislauf, wie es im Silicon-Valley-Jargon heißt.

Doch da ist noch eine andere, ungleich schwerer zu verstehende Besonderheit, die Kaliforniens unternehmerfreundliches Klima entscheidend befeuerte und ein Schlüssel seines Erfolgs ist: die Inkaufnahme des Scheiterns. Es ist nahezu unmöglich, bahnbrechend neue Ideen zu entwickeln, ohne die Möglichkeit des Misserfolgs von vornherein mit einzukalkulieren. Natürlich will niemand scheitern. Doch die Angst davor ist oftmals eine entscheidende Hürde für den Erfolg. Es ist daher eine kalifornische Binsenweisheit, dass man zwar für seine Erfolge gefeiert, aber nicht für seine Misserfolge geächtet, ja bestraft wird. Im Gegenteil – in manchen Venture-Capital-Kreisen wird man sogar misstrauisch beäugt, wenn man noch keine Investitionen „verheizt“ hat.

Kann Deutschland aus all dem Lehren ziehen? Ich hatte das Vergnügen, in den achtziger Jahren am Max-Planck-Institut für Physik in München als auch beim Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg eine äußerst fruchtbare Etappe meiner Karriere zu verbringen. In beiden Fällen profitierte ich immens von der hohen Qualität der Forschung an den Instituten. Trotzdem habe ich zu jener Zeit an deutschen Universitäten nichts gesehen, was mit dem kalifornischen Unternehmergeist vergleichbar gewesen wäre; für eine entsprechende Rolle der Hochschulen fehlte es in der deutschen Gesellschaft und insbesondere in der Wirtschaft selbst an Akzeptanz.

Und doch liegt Wandel in der Luft. Die Veränderung kommt meines Erachtens vor allem von der Exzellenz-Initiative für deutsche Universitäten, die darauf abzielt, innovative Studiengänge gesondert zu fördern und entsprechende Leistungen zu honorieren. Eine wesentliche Lehre aus Kalifornien lautet, dass Innovationen in einer Leistungsgesellschaft mit flachen Hierarchien gedeihen. Eine andere, dass Bildungsinstitutionen die Freiheit bekommen müssen, ihre eigenen Talente „heranzuzüchten“. Gerade dieser Aspekt steht bisher im diametralen Gegensatz zu einem der Grundgedanken des deutschen akademischen Bildungssystems, mit dem das Land 150 Jahre gut gefahren ist. Es ist pyramidenförmig aufgebaut und streng in den einzelnen Disziplinen verwurzelt; in einem solchen System bedeutet Aufstieg fast zwangsläufig den Wechsel an eine andere Universität. Erschwerend kommt hinzu, dass etliche Fachbereiche interdisziplinär arbeitende Wissenschaftler misstrauisch beargwöhnen, weil sie angeblich keine ordentlichen Mitglieder ihrer Zunft sind. Eine solche Denkweise schreckt im Ergebnis leider genau jene Experimentierfreude ab, die in Kalifornien zur Entstehung Silicon Valleys geführt hat.

Glücklicherweise gibt es Anzeichen dafür, dass sich dieses traditionelle Bildungssystem verändert, richtet sich die Exzellenz-Initiative doch genau gegen jene strukturellen Probleme, die Deutschlands Universitäten in ihrer Entwicklung behindern. Die ersten Erfahrungen klingen vielversprechend: So haben einige Universitäten im Rahmen der Initiative so genannte Tenure-Track-Systeme eingeführt, die es Forschern erlauben, auf Grund guter Leistungen an ihrer Universität zu bleiben und beruflich aufzusteigen.1 Darüber hinaus werden auch Interdisziplinarität und der Technologietransfer zwischen Universität und freier Wirtschaft ausdrücklich gefördert. Das sind gute, lobenswerte Nachrichten. Bleibt zu hoffen, dass sich die Initiative als wirksamer Katalysator für Veränderung bewährt und auf Universitäten jenseits des bisherigen Netzwerks ausgedehnt wird. So muss ihr auch die Wirtschaft die nötige Aufmerksamkeit zollen und sich wesentlich aktiver beteiligen.

Sollte die Exzellenz-Initiative den Erfolg bringen, der ihr gebührt, so bleibt in meinen Augen vor allem eines zu tun, um in Deutschland das nächste Silicon Valley (und München steht kurz vor dem Durchbruch!) zu ermöglichen: eine kulturelle Akzeptanz des Scheiterns zu schaffen, als Zeichen, dass es Deutschland wirklich ernst meint. Bleibt natürlich noch die Sache mit dem Wetter, aber das ist eine andere Geschichte.

ROBERTO PECCEI ist stellvertretender Forschungsdirektor und Professor für Physik und Astronomie an der University of California in Los Angeles (UCLA).

  • 1System zur Qualitätssicherung durch internen Wettbewerb, bei dem Wissenschaftler auf Widerruf eingestellt werden und Probezeit und Qualitätskontrollen durchlaufen.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, März 2009, S. 26 - 30.

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