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01. Juni 2002

Welthandel und Entwicklungsländer

Chancen der Doha-Runde für die Dritte Welt?

Die WTO-Ministerkonferenz von Doha war zwar erfolgreich, aber nur der Beginn eines langen und schwierigen Verhandlungsprozesses. Ob man dem Ziel der Runde, Wachstum und Entwicklung weltweit zu fördern, näher kommen wird, hängt in erster Linie von der Bereitschaft der Industrieländer ab, ihre Märkte für Produkte und Dienstleistungen aus den Entwicklungsländern zu öffnen. Letztere wiederum müssen in ihren Reihen für „good governance“ sorgen.

Der Handel von Waren und Dienstleistungen ist, wenn auch nicht ein hinreichender, so doch ein notwendiger Faktor für Wachstum und Entwicklung. Wie eine Vielzahl von Studien, darunter die Weltbankstudie „Trade, Growth and Poverty“ von David Dollar and Aart Kraay,1 zeigt, gibt es eine eindeutige Korrelation zwischen der Offenheit der Volkswirtschaft und der Integration eines Landes in die Weltwirtschaft einerseits und seinem Wirtschaftswachstum andererseits: Die Länder, die ihre Märkte geöffnet haben, konnten im Durchschnitt eine Wachstumsrate von 3,5% in den achtziger Jahren und 5% in den neunziger Jahren verzeichnen, während die Wachstumsraten in den so genannten „nichtglobalisierenden“ Ländern mit durchschnittlich 0,8% und 1,4% in den gleichen Zeiträumen relativ niedrig lagen.

Die Studie von Dollar und Kraay stellt ebenfalls fest, dass in den meisten der „globalisierenden“ Länder die Armutsrate gesunken und die Lebenserwartung im Durchschnitt gestiegen ist, wenn man hier auch nicht von der gleichen deutlich positiven Korrelation wie zwischen Handel und Wachstum sprechen kann. Auch Horst Köhler, der Geschäftsführende Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), argumentiert, dass diejenigen Länder am meisten profitierten, die die Möglichkeiten der Weltwirtschaft in den letzten zwei Jahrzehnten genutzt hätten: „Diesen Ländern, unter ihnen Brasilien, Chile, China, Indien, Korea und Mexiko, war es möglich, ihren Anteil am Handel zu verdoppeln und ihr Pro-Kopf-Einkommen zu steigern. Ihre Erfahrung zeigt, dass Integration in die Weltwirtschaft erhebliche Vorteile für Entwicklungsländer bringen kann“.2

Folglich wurde die Vierte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO), die im November 2001 in Doha (Katar) stattfand und den Beginn der auf drei Jahre vorgesehenen Doha-Entwicklungsrunde einläutete, auch aus Sicht vieler Entwicklungsländer als Erfolg gewertet. Entwicklungspolitische Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Ministererklärung: Aufbau von Kapazitäten (Capacity Building) in den Entwicklungsländern, insbesondere in den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs), wird in der Ministererklärung 18 Mal genannt; technische Hilfe wird 21 Mal und Entwicklung wird 39 Mal genannt.3

Ob die Doha-Runde jedoch tatsächlich ein Erfolg für Wachstum und Entwicklung in den Entwicklungsländern wird, hängt von einer Vielzahl von nationalen und internationalen Faktoren ab. Schließlich war die Ministerkonferenz nur der Beginn eines schwierigen Verhandlungsprozesses, und Kompromisse wurden auch durch das abflauende Weltwirtschaftswachstum, die Ereignisse des 11. September 2001 und die Notwendigkeit weltweiter, vertrauenschaffender Maßnahmen begünstigt. Sollten die Forderungen und Interessen der Entwicklungsländer allerdings nicht genügend berücksichtigt werden, so ist wahrscheinlich, dass sie weitere Verhandlungen oder den Abschluss der Runde blockieren werden.

Liberalisierungsforderungen

Schon während der Uruguay-Runde (1986 bis 1994) und insbesondere im Verlauf der Dritten Ministerkonferenz der WTO 1999 in Seattle hat sich gezeigt, dass die Entwicklungsländer nicht mehr die stille Mehrheit der WTO waren, sondern klare Forderungen vorbrachten. Die Zeit, in der sie sich hauptsächlich für Ausnahmen einsetzten und die zentralen Liberalisierungsverhandlungen zwischen den großen Industrieländern stattfanden, ist vorbei. Die geringe Beteiligung der Entwicklungsländer vor der Uruguay-Runde war hauptsächlich durch die Wahl ihrer Entwicklungsstrategie, der „Import-Substitution-Industrialization Policy“, bedingt, also der Abschottung von der Weltwirtschaft und dem Aufbau eigener Industrien. Das damit einhergehende fehlende Interesse der Entwicklungsländer an den Hauptverhandlungen ermöglichte es den Industrieländern, die für sie sensiblen Bereiche wie Landwirtschaft und Textilien de facto aus den Liberalisierungsverhandlungen auszuschließen.

Erst durch die Misserfolge ihrer Entwicklungsstrategie, die Schuldenkrise der achtziger Jahre und die positiven Erfahrungen einiger asiatischer Länder mit exportorientierten Wirtschaftsstrategien (darunter Malaysia, Südkorea und Thailand) kam es während der Uruguay-Runde zu einer stärkeren Beteiligung vieler Entwicklungsländer. Trotz dieses stärkeren Engagements sahen sich die Entwicklungsländer jedoch durch die Abkommen der Uruguay-Runde übervorteilt: Im Gegenzug zur Behandlung von Landwirtschaft und Textilien hatten sie der Aufnahme neuer Bereiche wie Dienstleistungen und Schutz geistigen Eigentums zugestimmt, ohne die mit der Umsetzung verbundenen Kosten abschätzen zu können. Gleichzeitig wurden sie in den folgenden Jahren durch fehlende Liberalisierungsfortschritte im Bereich Landwirtschaft und Textilien äußerst frustriert. So haben viele Industrieländer Quoten für landwirtschaftliche Produkte zwar wie vorgeschrieben in Zölle umgewandelt, doch sind diese oftmals so hoch, dass der Marktzugang nicht erleichtert wurde. Auch nichttarifäre Handelshemmnisse erschwerten weiterhin den Marktzugang, und die Exportsubventionen blieben ebenfalls sehr hoch. Im Jahr 2000 beliefen sich die landwirtschaftlichen Stützungszahlungen in den Industrieländern auf 360 Milliarden Dollar, womit sie fast sieben Mal so hoch waren wie die öffentliche Entwicklungshilfe (Official Development Assistance, ODA). Im Bereich Textilien liberalisierten viele der Industrieländer zuerst Produktkategorien, die nicht aus Entwicklungsländern stammten, während sie die besonders sensiblen Reformen bis zum Ende der Übergangszeit 2005 aufschoben.

Deshalb wurde eine WTO-Runde mit den Schwerpunkten Wachstum und Entwicklung von vielen der Entwicklungsländer als dringend notwendig angesehen. Sie forderten unter anderem: 1. Beseitigung der inhärenten Ungleichgewichte; 2. Umsetzung und stärkere Liberalisierung im Bereich Landwirtschaft und Textilien; 3. verlängerte Übergangszeiten bei der Umsetzung der für sie schwierigen Abkommen, insbesondere GATS und TRIPS;4 4. technische und finanzielle Hilfe; 5. größere Transparenz in der WTO und 6. umfassendere Teilnahme an den Verhandlungen. Wären diese Forderungen in der Doha-Ministererklärung nicht berücksichtigt worden, hätten die Entwicklungsländer dem Beginn einer neuen Verhandlungsrunde wahrscheinlich nicht zugestimmt.

Schlüssel zum Erfolg?

Um die Teilnahme der Entwicklungsländer in der Welthandelsorganisation und im Welthandel zu verbessern, ist technische Hilfe und Aufbau von Kapazitäten ein Kernstück der Doha-Ministererklärung. Dies kann sicherlich als Erfolg gewertet werden. Institutionelle und personelle Kapazitäten sollen in drei Bereichen aufgebaut werden:

1. Aufbau von Verhandlungskapazitäten: Durch technische Hilfe und Ausbildungsprogramme, sowohl am Sitz der WTO in Genf als auch auf regionaler und nationaler Ebene, soll es den Entwicklungsländern, und dabei besonders den LDCs, die nur wenige Vertreter in der WTO haben, ermöglicht werden, an der Vielzahl von Verhandlungen teilzunehmen. Auch soll ihnen das notwendige Wissen und die Expertise vermittelt werden, um einerseits ihre Interessen und Prioritäten zu erkennen, andererseits diese in den Verhandlungen durchzusetzen.

2. Aufbau von Produktionskapazitäten: Da eine Marktliberalisierung der Industrieländer in bestimmten Sektoren den Entwicklungsländern nur wenig nutzt, solange sie die Produkte nicht selbst herstellen oder vermarkten können, sollen sie beim Aufbau der notwendigen Produktionskapazitäten unterstützt werden. Durch die Bereitstellung von Expertise soll ihnen geholfen werden, ihre Produktionsstärken und -schwächen zu identifizieren und Marktanalysen durchzuführen, welche Produkte weltweit nachgefragt werden und welche Standards einzuhalten sind. Auch bei der Vermarktung ihrer Produkte sollen sie Unterstützung erhalten. Letztlich soll eine Diversifizierung ihrer Exporte gefördert werden, um die Abhängigkeit von Preisschwankungen zu verringern.

3. Umsetzungskapazitäten: Hier soll finanzielle und technische Hilfe gewährt werden, um die Entwicklungsländer bei der Umsetzung bestehender WTO-Abkommen zu unterstützen.

Bei der Verwirklichung dieser entwicklungspolitischen Ziele muss bedacht werden, dass die WTO keine Entwicklungshilfeorganisation ist und ihr oftmals die notwendige Expertise und finanziellen Mittel fehlen. Ihre eigentliche Aufgabe ist und bleibt die Handelsliberalisierung. Sie muss daher mit anderen relevanten internationalen Organisationen, wie der Weltbank, UNCTAD, UNDP und den regionalen Entwicklungsbanken, kooperieren und ein kohärentes Programm erarbeiten – gerade auch im Hinblick auf den Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung (Rio+10) in Johannesburg im August/September 2002. In Bezug auf die Finanzierung der Programme ist die WTO auf ihre Mitglieder angewiesen. Der „Doha Development Agenda Trust Fund“, der Ende 2001 eingerichtet wurde, und die „Pledging Conference“ im März 2002, bei der sich die WTO-Mitglieder bereit erklärten, 30 Millionen Schweizer Franken für den Trust Fund zur Verfügung zu stellen, sind sicherlich Schritte in die richtige Richtung.

Die Programme können nur erfolgreich sein, wenn sie die nationalen Gegebenheiten und Bedürfnisse ausreichend berücksichtigen und die Prioritäten und Ziele der Entwicklungsländer enthalten. Wünschenswert wäre die Schaffung regionaler Fortbildungs- und Beratungszentren vor Ort, die sich an Länder mit ähnlichen Interessen und Problemen wenden. Die „Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung“ (NEPAD), ein Zusammenschluss afrikanischer Staaten zur Überwindung von Marginalisierung und Armut, der u.a. eine gemeinsame Handelsposition, Prioritäten und Ziele ausarbeiten will, könnte als Modell dienen.5 Eine enge Zusammenarbeit mit den Entscheidungsträgern der Entwicklungsländer ist also einerseits wichtig, um sicherzustellen, dass die Programme den Bedürfnissen der Empfänger entsprechen. Andererseits können nur so nationale Akzeptanz und Teilhabe gefördert werden, die grundlegende Voraussetzungen für den Erfolg der Programme sind. Um die nationale Akzeptanz weiterhin zu fördern, sollte ebenfalls die Teilhabe der Entwicklungsländer durch Reformen der Entscheidungsfindungsprozesse in der WTO verbessert werden. Die exklusiven „Green-Room-Verhandlungen“, von denen die meisten Entwicklungsländer ausgeschlossen sind, sollten überdacht werden. Möglich wäre die Schaffung eines beratenden Ausschusses, in dem zuvor gebildete Ländergruppen mit ähnlichen Interessen jeweils einen Sitz haben.

Schwierige Themen

Während in manchen Bereichen, wie dem Aufbau von Kapazitäten oder dem TRIPS, bereits in Doha Erfolge erzielt werden konnten, werden sich die Verhandlungen in der Doha-Runde in anderen Bereichen weiterhin schwierig gestalten. Erfolge für die Entwicklungsländer sind bei weitem nicht sicher. Zu diesen Bereichen gehören vor allem Textilien und Landwirtschaft, Dienstleistungen, Subventions-, Dumping- und Antidumpingregeln, Investitionen und Wettbewerb.

Im Bereich Wettbewerb und Handel, in dem Verhandlungen auf Grundlage eines Konsenses nach der Fünften Ministerkonferenz stattfinden sollen, ist besonders problematisch, dass viele der Entwicklungsländer noch keine eigene Wettbewerbsordnung haben. Ob eine solche bei dem gegenwärtigen Entwicklungsstand eingeführt werden sollte, ist umstritten. Viele Entwicklungsländer erfüllen nicht die notwendigen Voraussetzungen dafür, wie z.B. einen gegenüber mächtigen Unternehmen starken Rechtsstaat. Sollte es zu einem weit reichenden WTO-Abkommen über Wettbewerb kommen, muss dieses den nationalen Bedürfnissen entsprechen und Raum für nationale entwicklungspolitische Investitions- und Aufbaustrategien lassen. Auch müssen die Entwicklungsländer bei der Umsetzung massiv unterstützt werden. Abkommen wie TRIPS, die hauptsächlich zu Lasten der Entwicklungsländer gehen, müssen unbedingt vermieden werden.

Auch bei den Dienstleistungen müssen die besonderen Bedürfnisse der Entwicklungsländer bei einer weiteren Liberalisierung berücksichtigt werden. Wesentlich ist hier, dass die Liberalisierung innerhalb des Modus IV des GATS, also der Erbringung der Dienstleistungen durch die Präsenz natürlicher Personen, intensiviert wird. Dies ist für die Entwicklungsländer von besonderer Bedeutung, da sie in diesem Bereich einen komparativen Vorteil haben. Auf Grund der Einwanderungsbestimmungen der Industrieländer wird sich dieser Verhandlungspunkt allerdings als schwierig erweisen.

Im Bereich Landwirtschaft wurde das Ziel einer grundlegenden Verbesserung des Marktzugangs bekräftigt. Zudem einigte man sich auf die Reduzierung und letztlich das Auslaufen aller Arten von Exportsubventionen. Trotz dieser positiven Zielsetzung werden sich die Verhandlungen nicht einfach gestalten auf Grund von Konzepten wie Multifunktionalität der Landwirtschaft, Konsumentenschutz, Biotechnologie und Biodiversität. Auch hängen die Verhandlungen in entscheidendem Maße von der Reform der EU-Agrarpolitik ab. Zwar setzen sich mittlerweile unter anderem Deutschland, die Niederlande, Großbritannien und Schweden für rasche Reformen ein, und auch die Osterweiterung stellt einen zwingenden Grund für Reformen dar. Dennoch ist nicht sicher, wie tief greifend und schnell die Reformen durchgeführt werden. Ebenso verhandlungserschwerend wird sich das am 13. Mai 2002 vom amerikanischen Präsidenten, George W. Bush, unterzeichnete Gesetz „Farm Security and Rural Investment Act“ erweisen, das im Zusammenhang mit den Kongresswahlen im November 2002 gesehen werden muss. Dieses sieht immerhin eine Steigerung der staatlichen Unterstützung für die Landwirtschaft um fast 70 Prozent vor.

Nach Studien der Weltbank könnte durch einen uneingeschränkten Zugang zu den Landwirtschaftsmärkten der Industrieländer und eine Abschaffung der Exportsubventionen das Einkommen der Entwicklungsländer um 11,6 Milliarden Dollar jährlich steigen. Wenn sie darüber hinaus uneingeschränkt Zugang zu den Textilmärkten der Industrieländer bekämen, könnte ihr Einkommen um weitere 9 Milliarden Dollar pro Jahr steigen.6 In dem Maße, in dem diese kritischen Bereiche liberalisiert werden, wird sich zeigen, ob die Doha-Runde tatsächlich zu einer Entwicklungsrunde wird.

Good Governance

Trotz der herausragenden Bedeutung der Liberalisierung der Märkte der Industrieländer sollte nicht vergessen werden, dass Entwicklungsländer auch von einer eigenen Liberalisierung profitieren. So hat die Weltbank ermittelt, dass die Entwicklungsländer ihr Einkommen jährlich um 27,6 Milliarden Dollar durch die Öffnung ihres eigenen Marktes für Industriegüter und um 31,4 Milliarden Dollar durch die Öffnung ihrer Landwirtschaftsmärkte steigern könnten.7

Dennoch sind Handel und Handelsliberalisierung allein bei weitem nicht ausreichend, um Wachstum und Entwicklung in den Entwicklungsländern zu sichern. Politische und wirtschaftliche Stabilität sind unabdingbare Voraussetzungen. Die wichtigste Quelle der Entwicklungsfinanzierung sind heute private Kapitalflüsse, vor allem ausländische Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment, FDI). Um Investitionen des eigenen Privatsektors zu fördern und FDI anzuziehen, müssen bestimmte Rahmenbedingungen geschaffen werden, darunter gute Regierungsführung (Good Governance), sowie Glaubwürdigkeit und Stabilität der Regierung. Da Kriege und Konflikte die Entwicklung eines Landes in hohem Maße beeinträchtigen können, können Wachstums- und Entwicklungsstrategien nicht losgelöst von sicherheitspolitischen Fragen betrachtet werden. Ebenso wichtig ist die Bekämpfung der Korruption, Gewährleistung von Rechtssicherheit, Transparenz und Einführung sowohl von rechtsstaatlichen Institutionen als auch eines effektiven und transparenten Steuersystems. Letzteres ist insbesondere wichtig, um Zölle als Haupteinnahmequelle vieler Regierungen zu ersetzen. Zusätzlich müssen Infrastruktur, personelle Kapazitäten und technologisches Know-how aufgebaut werden. Bildungsprogramme sind daher von wesentlicher Bedeutung.

Des Weiteren sind makroökonomische Stabilität, fiskalische Disziplin, Schaffung eines stabilen, wettbewerbsfähigen Wechselkurses, Privatisierung und Deregulierung wie auch Liberalisierung des Finanzmarkts wichtige Rahmenbedingungen. Dabei muss allerdings auf das so genannte „Sequencing“ der Reformen geachtet werden. Das bedeutet, dass z.B. die Liberalisierung des Finanzsektors erst nach einer Stabilisierung des Banken- und Finanzsektors stattfinden sollte. Nur so können die Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte der Entwicklungs- und Schwellenländer reduziert und Phänomene wie die Asien-Krise Ende der neunziger Jahre verhindert werden. Hier ist insbesondere die Unterstützung des Internationaeln Währungsfonds gefragt.

Diese Voraussetzungen zu schaffen, ist weitaus Erfolg versprechender als die von vielen Entwicklungsländern heute geübte Praxis, Investitionen durch besondere Vergünstigungen, wie Steuererlässe oder gar Subventionen, anzulocken. Das hat bisher lediglich zu einem die eigene Wirtschaft schädigenden Wettlauf unter den Entwicklungsländern geführt.

Nicht vergessen werden darf allerdings, dass diese Reformen politisch äußerst schwierig durchzusetzen sind und einen starken politischen Willen der Regierungen erfordern. Ebenso berücksichtigt werden muss, dass die Öffnung der Märkte und der damit verbundene Strukturwandel mit hohen Anpassungskosten einhergehen und immer Gewinner und Verlierer schaffen. Es müssen daher Programme eingeführt werden, die die sozialen Auswirkungen abfedern; diese sozialen Programme sind durchaus kostspielig und können mit der Bedingung fiskalischer Disziplin kollidieren.

Internationale Maßnahmen

Um soziale Härten zu verhindern, tragen die internationalen Institutionen wie die Weltbank und die regionalen Entwicklungsbanken sowie die Geberländer die Verantwortung, zusammen mit den Entwicklungsländern kohärente Reformprogramme zu erarbeiten und bei deren Umsetzung zu helfen. Wichtig hierbei sind vor allem die Entwicklungsfinanzierung und die effektivere Gestaltung der Entwicklungshilfe. Auf der Finanzierungs- und Entwicklungskonferenz in Monterrey im März 2002 hat sich die EU verpflichtet, bis 2006 ihre ODA-Quote (der Anteil der Entwicklungshilfegelder am BIP der Industrieländer) von durchschnittlich 0,33% auf 0,39% zu erhöhen. Alle Mitgliedstaaten, die den EU-Durchschnitt von 0,33% noch nicht erreicht haben (wie Deutschland), wollen dieses Ziel in jedem Fall erreichen. Die USA haben sich verpflichtet, ihre ODA um jährlich fünf Milliarden Dollar zu erhöhen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist eine schnellere Entschuldung durch die HIPC-Entschuldungsinitiative, um neue finanzielle Freiräume für die Staaten zu schaffen. Um zukünftig eine unproduktive und unvorsichtige Verschuldung zu verhindern, sollte ein strukturiertes und völkerrechtlich verankertes Insolvenzverfahren – gegen das sich die USA zurzeit noch sträuben – eingeführt werden.

Insgesamt sollte Entwicklungshilfe durchaus an Konditionen gebunden werden, um die Umsetzung der Reformen zu fördern, wobei sichergestellt werden muss, dass die Konditionen und Programme von den Empfängerländern unterstützt werden. Auch sollen nur dann Kredite gewährt werden, wenn das finanzierte Vorhaben selbst Rückflüsse erwarten lässt oder sie durch politisches Engagement und Leistungsfähigkeit gewährleisten werden können. Möglich wäre, wie in der NEPAD, die Bildung von Regionalgruppen mit ähnlichen Interessen und Strukturproblemen. Diese Gruppen könnten die einzuhaltenden Konditionen selbst oder zusammen mit der Weltbank erarbeiten und sich gegenseitig bei ihrer Einhaltung überwachen. Auch sollte Entwicklungshilfe einer positiven Anreizstruktur folgen, nach der diejenigen Länder, die besondere Fortschritte bei der Umsetzung der Reformen erzielen, belohnt werden. Letztlich sollte Entwicklungshilfe nicht an den Kauf bestimmter Produkte der Geberländer gebunden sein, da dies oftmals nicht kosteneffizient ist und daher den Entwicklungszielen zuwiderläuft.

Schließlich sollten als Teil der Entwicklungshilfestrategien die Präferenzprogramme wie die „Everything But Arms Initiative“ der Europäischen Union, das „AKP-EU-Partnerschaftsabkommen von Cotonou“ oder der „African Growth and Opportunity Act“ der USA, die wichtige Schritte bei der Öffnung der Märkte der Industrieländer für die LDCs sind, ausgeweitet werden. Hierbei ist wichtig, dass die Programme nicht zu Lasten anderer Entwicklungsländer gehen und tatsächlich alle Sektoren und Produkte einschließen.

Ob die Doha-Runde letztlich ein Erfolg für Wachstum und Entwicklung wird, hängt also grundlegend vom politischen Willen der Industrieländer, insbesondere der USA und der EU ab, ihre Märkte weiter zu liberalisieren und die notwendigen internationalen Rahmenbedingungen zu schaffen. Den derzeitigen Stahlkonflikt vor Augen, werden die Verhandlungen in den sensiblen Bereichen wohl weiterhin schwierig bleiben. Ausschlaggebend für den Erfolg ist auch, ob es den Entwicklungsländern gelingt, ihre Verhandlungsposition zu stärken und den notwendigen Reform- und Liberalisierungsdruck auf die Industrieländer auszuüben. Nicht riskiert werden sollte allerdings ein Scheitern der WTO-Runde, da nur durch sie das multilaterale Regelwerk nachhaltig gestärkt und den sich wandelnden Rahmenbedingungen angepasst wird, die Liberalisierung beschleunigt und das weltweite Wachstum gefördert werden können. Dessen sollten sich alle Beteiligten bewusst sein und die notwendige Kompromissbereitschaft zeigen.

Anmerkungen

1  Vgl. David Dollar undAart Kraay, Trade, Growth and Poverty, März 2001, vgl. <http://www.worldbank.org/research/ growth/Trade5.htm>.

2  Vgl. Horst Köhler, Working for a Better Globalization, Washington, DC, 28.1.2002, <http://www.imf.org/external/np/speeches/2002/012802.htm&gt;.

3  Auszugsweise abgedruckt S. 70 ff.

4  GATS = General Agreement on Trade in Services (Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen); TRIPS = Trade-related Intellectual Property Rights (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum).

5  Vgl. den Text des Abkommens in: Internationale Politik, 11/2001, S.109ff.

6  Vgl. World Bank, Globalization, Growth and Poverty: Building an Inclusive World Economy, Washington, DC, 2002, <http://econ.worldbank.org/prr/structured_doc.php?sp=2477&st=&sd= 2857>, S. 58.

7  Ebenda, S. 59.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2002, S. 29 - 36.

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