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01. Sep 2005

Wegschauen und verharmlosen

In Europa wird der islamistische Terror immer noch unterschätzt

Selbst nach den verheerenden Selbstmordanschlägen von London weigert sich die europäische Öffentlichkeit, das Offensichtliche zu sehen: Seit Jahrzehnten haben Islamisten die muslimischen Gemeinschaften Europas systematisch indoktriniert. Ihre gut organisierten Netzwerke haben keine Probleme, laufend neuen Terrornachwuchs zu rekrutieren.

Seit den Londoner Bombenanschlägen im Juli 2005 ist ausreichend Zeit vergangen, um Bilanz zu ziehen: Welche Einsichten haben wir gewonnen? Und, vor allem, was haben wir noch nicht verstanden? Ähnlich wie bei anderen Terroranschlägen haben wir uns zunächst bemüht, das Ausmaß des Schadens zu begrenzen und Folgeanschläge zu verhindern. Diese Strategie zielte darauf, Motivation, Netzwerk und operative Fähigkeiten der Täter zu erfassen und langfristig wirkende Schutzmaßnahmen zu etablieren. Ohne Zweifel handelten die britischen Sicherheitskräfte nach dem 7. Juli und den gescheiterten Anschlägen vom 21. Juli in diesem Sinne ganz ausgezeichnet.

Leider lässt sich jedoch nicht behaupten, dass die britischen Behörden oder Medien das eigentliche Problem begriffen hätten. Anstatt eine echte Debatte über die ideologischen Grundlagen, Netzwerke und Organisationen zu führen, die junge Muslime zu Massenmördern machen, überboten sich die Medien und Behörden darin, uns weiszumachen, es habe sich um „irregeleitete Einzeltäter“ gehandelt. Wie sonst, fragte man sich fassungslos, könnten junge Männer, die „Cricket spielten und mit Mädchen ausgingen“, diese abscheulichen Taten verüben? Ähnliches Desinteresse an einer echten Debatte zeigten die britisch-muslimischen Organisationen. Sie fragten sich nicht, was junge Männer aus ihren Reihen zu Selbstmordattentätern macht. Der eher oberflächlichen Verurteilung des Terrors folgten sogleich dunkle Warnungen vor den Diskriminierungen, denen britische Muslime nun ausgesetzt seien.

Den beunruhigendsten Beweis  strategischer Kurzsichtigkeit erbrachten die britischen Behörden, als sie ein Grundsatzpapier des Joint Terrorist Analysis Centre (JTAC) veröffentlichten, das einen Monat vor den Anschlägen geschrieben worden war. Dort wurde argumentiert, dass es einerseits „keine Gruppe mit aktuellen Terrorabsichten und ausreichendem Potenzial“ für Anschläge in Großbritannien gebe. Andererseits hielt man in dieser Analyse jegliche Art von terroristischen Aktivitäten für eine direkte Reaktion auf die britische Beteiligung am Irak-Krieg. Dass Premierminister Tony Blair von einer „bösen Ideologie“ als Wurzel des Terrorismus sprach, blieb die Ausnahme. Anstatt seine Landsleute jedoch über die mörderischen Konsequenzen und die Hintermänner dieser Ideologie aufzuklären, gab er reichlich blauäugig der Hoffnung Ausdruck, die Führungspersönlichkeiten der britisch-muslimischen Gemeinschaft würden „den Kampf mit dieser Ideologie des Bösen aufnehmen und sie mit der Kraft der Vernunft besiegen“.

Die Reaktionen auf die blutigsten Anschläge auf britischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg zeigen, dass sich die britische Gesellschaft einer offenen Konfrontation mit den Ursachen der Attacken entzieht. Für die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus in Großbritannien und Europa verheißt das nichts Gutes.

Sympathie für Terrorismus

Der Islamismus ist nicht auf einige irregeleitete Individuen oder Hassprediger beschränkt, sondern verfügt über ein großes und stetig wachsendes Gefolge weit über die Grenzen Großbritanniens und Europas hinaus. Tatsächlich bestimmt die faschistoide Ideologie des Islamismus zunehmend die Rhetorik in den muslimischen Gemeinschaften ganz Westeuropas. Eine Umfrage des britischen Innenministeriums aus dem Jahr 2004 zeigt ernüchternde Ergebnisse: 26 Prozent der englischen Muslime empfinden keine Loyalität ihrem Heimatland gegenüber. 13 Prozent „verteidigen Terrorismus“ und ein Prozent gehört zu den aktiven Unterstützern des Terrorismus im In- und Ausland. Diese Zahl wird vom Innenministerium für „extrem klein“ gehalten. Doch faktisch handelt es sich dabei um etwa  16 000 potenzielle Terroristen.1 Diese Minderheit radikaler Muslime wurde nicht durch den Irak-Krieg aufgestachelt, sondern systematisch von Angehörigen gut organisierter Netzwerke indoktriniert, die seit Jahrzehnten in der muslimischen Gemeinschaft Großbritanniens aktiv sind.

Der Muslimische Rat Großbritanniens (MCB), die größte und bekannteste muslimische Dachorganisation des Landes, stellt sich selbst gern als Vertreter eines gemäßigten Islams dar. Eine Auffassung, der auch die britischen Behörden folgen. Der Ratsvorsitzende Sir Ikbal Sacranie ist ein gern gesehener Gast hochrangiger Politiker. Doch schon ein oberflächlicher Blick auf die Liste der Mitgliedsorganisationen des MCB offenbart ein anderes Bild. Die Mehrheit der MCB-Mitglieder sind ohne jeden Zweifel Extremisten. Beschäftigen sollte man sich dabei mit den von den Deobandis und Ahle Hadith kontrollierten Verbänden. Dazu gehören Dutzende Ableger der Jamiat-e-Islami sowie zahlreiche von Saudi-Arabien finanzierte „Wohlfahrtsverbände“ und Stiftungen. Die meisten Briten dürften diese Vereinigungen gar nicht kennen. Für radikale Islamisten in Südasien, der Heimat vieler britischer Muslime, sind sie aber von zentraler Bedeutung.

Die nach einer indischen Seminarschule benannten Deobandis predigen mit dem Eifer überzeugter Dschihadisten pathologischen Hass gegen Ungläubige, Schiiten und Frauen. In Pakistan sind sie zwar eine kleine Minderheit, werden aber von den Saudis finanziell großzügig ausgestattet und von pakistanischen Behörden unterstützt. Sie nehmen eine Schlüsselrolle bei der Islamisierung Pakistans ein, bauten die Talibanbewegung auf und unterhalten etwa 1800 Islamschulen. Sie verfügen über großen Einfluss auf die islamische Regierung der strategisch wichtigen Provinz im Nordwesten Pakistans. Die militärischen Zellen der Deobandis, deren Zahl man auf ein halbes Dutzend schätzt, verübten lange vor dem 11. September Terroranschläge gegen Christen, Hindus, Schiiten und die Sekte der Barelvis.2 In Großbritannien haben die Deobandis die Kontrolle über die Einrichtungen südasiatischer Muslime erlangt, deren Mehrzahl eigentlich zu den gemäßigten Barelvis gehören. Unter ihrem Einfluss werden die Gemeinden immer extremistischer.

Die Ahle Hadith ist eine kleinere, nicht weniger radikale Bewegung. Ebenfalls großzügig von Saudi-Arabien unterstützt, unterhält sie in Pakistan und Kaschmir 700 Dschihad-Islamschulen sowie Trainingscamps und bewaffnete Verbände.3 Die bekannteste dieser Gruppierungen, Lashkar-e-Taiba, gehört zu Osama bin Ladens „Islamic Front for Jihad Against Jews and Crusaders“ und übernahm die Verantwortung für mindestens 98 Selbstmordattentate bis Ende 2000.4 Als die Gruppe 2002 verboten wurde, änderte sie ihren Namen und setzte unter den Augen der Muscharraf-Regierung ihre Tätigkeit fort.

Als offizielles Mitglied des britischen Muslimrats leitet Ahle Hadith in Großbritannien Dutzende von Islamzentren und mindestens genauso viele Schulen. Auf ihrer Website verkündet sie offen, dass „diese Ungläubigen vom rechten Weg abgekommen sind. Ihr Leben beruht auf verkommenen Vorstellungen ihrer eigenen Gesellschaft, ihrer Existenz, des gesamten Universums.“5

Die United Kingdom Islamic Mission (UKIM), ein anderes Mitglied der MCB, steht der pakistanischen Jamiat-e-Islami-Partei (JEL) sehr nahe und widmet sich der Verbreitung der radikalen Ideologie des JEL-Gründers Abul Ala Maududi. Neben den Ägyptern Hassan al-Banna und Sayed al-Kuttub ist Maududi der prominenteste Ideologe des Islamismus. Die UKIM verfügt über 50 Gruppen in England und Schottland. Unter diesen Umständen sollte es nicht verwundern, dass Großbritannien nicht nur Angriffsziel muslimischer Extremisten ist. Die muslimische Gemeinschaft hat sich so sehr radikalisiert, dass sie Terrorismus und Islamismus inzwischen exportiert.

Wir wissen, dass britische Dschihadisten in Ländern wie Afghanistan, dem Irak, Tschetschenien und Israel aktiv sind. Doch längst schon verbreiten britische Extremisten ihre hasserfüllte Botschaft über diese Länder hinaus. Die Hizb-ut-Tahrir (HuT), eine der weltweit radikalsten islamischen Organisationen mit Hauptsitz in Großbritannien, wurde in den vergangenen Jahren nicht nur zur Gefahr für Zentralasien, sondern sogar für Länder wie Dänemark. Eine ebenso radikale Gruppierung namens Al- Muhadschirun verschafft sich zügig außerhalb der britischen Insel Einfluss. Die in London ansässige Al-Muntada-al-Islami Stiftung, die von Saudi-Arabien finanziert wird und ebenfalls zum MCB gehört, hat sich auf die Verbreitung des saudischen Wahabismus in Afrika spezialisiert. Im letzten Jahr wurde sie von nigerianischen Behörden bezichtigt, Millionensummen ins Land verschoben zu haben, um Attacken gegen Christen zu finanzieren.6 Darüber hinaus sitzt in Großbritannien das europäische Hauptquartier der radikalen Bekehrerbewegung Tablighi Jamaat. Diese Bewegung steht unter dem Einfluss der Deobandis, hat Millionen Anhänger und ist trotz des von ihr gepflegten unpolitischen Images zu einer Zentrale der weltweiten Rekrutierung von Dschihad-Kämpfern geworden.7 Die Realität und das eher zuversichtliche Bild, das die Medien zeichnen, widersprechen sich so eklatant, dass wir uns fragen müssen, welche Lektionen wir dringend lernen müssen, wenn wir Tony Blairs Auffassung einer „Ideologie des Bösen“ folgen möchten.

Al-Qaida ist nicht das Problem

Auch wenn wir verbissen Al-Qaida für die Wurzel allen Übels halten, sind weder diese mörderische Organisation noch der Terrorismus als solcher die eigentlichen Probleme, denen wir uns stellen müssen. Al-Qaida ist nur Symptom eines islamistischen Faschismus, der sich wie ein Krebsgeschwür in allen westlichen Ländern ausbreitet. Solange islamistische Organisationen Fanatiker schneller produzieren, als wir sie fassen können, dürfte unsere Arbeit vergeblich sein.

Unsere Gesellschaft kann zwar einigen Terrorattacken Stand halten. Aber sie empfindet eine Minderheit, die alle grundlegenden Werte unserer Gesellschaft ablehnt, als hoch problematisch. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass sich die jüngere Generation britischer und europäischer Muslime weiter radikalisieren wird. Unter diesen Umständen dürfte es immer schwerer werden, unser heutiges liberales und weltoffenes Europa auf Dauer zu erhalten.

Dem radikalen Islam geht es nicht um Religion, sondern um Volksverhetzung, Anstiftung zu Gewalt und Terror. Erfahren im selektiven Einsatz von Koranzitaten zum Zwecke der Rechtfertigung der eigenen Doktrin, ist der Islamismus in Wirklichkeit eine totalitäre politische Gesinnung. Wie beim Nationalsozialismus und Kommunismus geht es um den Ausbau der eigenen politischen Macht. Der Islamismus strebt die Wiedererrichtung eines Kalifats und eine Weltherrschaft des Islams an, womit er der Utopie eines Tausendjähriges Nazireichs oder des Kommunismus als höchster Stufe des gesellschaftlichen Fortschritts ähnelt. Auch der Islamismus versteht Gewalt gegen seine Feinde, die durch Propaganda systematisch entmenschlicht werden, als erstes und nicht als letztes Mittel. „Ungläubige“ gelten als ebenso „lebensunwert“ wie Juden und Slawen unter den Nazis und Klassenfeinde unter den Kommunisten.

Der Islamismus sieht sich und die Religion, die er zu repräsentieren glaubt, als Opfer des Westens und betrachtet fundamentale westliche Werte wie Demokratie, Säkularismus und die Einhaltung der Menschenrechte als Bedrohung seiner Ziele. Es kann in dieser Weltanschauung keine Verständigung und kein friedliches Miteinander geben. Der Kampf der Islamisten muss weiter gehen, bis alle Ungläubigen gemäß der Lehre Hassan al-Bannas, eines der Vordenker des Islamismus, entweder konvertiert sind oder umgebracht wurden. Al-Banna machte den westlichen Säkularismus dafür verantwortlich, „den Fortschritt in der muslimischen Welt Jahrhunderte lang verhindert zu haben“ und rief seine Anhänger dazu auf, „diese böse Kraft in ihre eigenen Länder hinein zu verfolgen, in ihre westlichen Zentren einzudringen und sie solange zu bekämpfen, bis alle Welt auf den Propheten hört.”8 Es mag sich hier um Fantasien handeln. Aber sie sind tödlich und heute realistischer als vor einem halben Jahrhundert, als diese Worte geschrieben wurden. Juden, Christen, Hindus und andere „Ungläubige“ gelten als ewige Feinde der Islamisten. Sie richten ihren Hass aber auch gegen Glaubensgenossen, die sich ihrer Ideologie verweigern. Das betrifft vor allem Schiiten, Sufis, Ismailiten und viele andere Minderheiten im Islam. Zusammen machen diese Gruppierungen zwar die Mehrheit der Muslime aus. In den Schriften der Islamisten aber werden sie als Häretiker gebrandmarkt, und in den so genannten „moderaten Organisationen“ wie dem MCB sind sie gewiss nicht vertreten.

Mit Hilfe von Gewalt, Einschüchterung und Diskriminierung versuchen Islamisten, diese moderaten Muslime in ihre Gefolgschaft zu zwingen. Zu wehren wagt sich kaum jemand mehr. Schlimmer noch: Islamische Fanatiker, von den Wahabis bis zu den Muslimbrüdern, von Bin Laden bis Musab Al-Zarqawi, nutzen ihre eigenen verdrehten Koranauslegungen, um moderate Muslime als Abtrünnige bezeichnen zu können. So können sie mit schärfster Bestrafung drohen.

Kein Wunder, dass der Massenmord an Muslimen während der letzten 25 Jahre zum Markenzeichen des Islamismus wurde: 90 Prozent der etwa 150 000 Terrorismusopfer der vergangenen zwei Jahrzehnte waren Muslime. Für Islamisten gelten die Gemäßigten als Haupthindernis im Streben nach totaler Kontrolle der muslimischen Gemeinschaft – diese wiederum brauchen sie als Basis für ihren Dschihad gegen die wahren Ungläubigen.

Dass Muslime aus ihren von Unterdrückung und Armut gezeichneten Ländern in den wohlhabenden und toleranten Westen flüchten, um dort einer hasserfüllten und obskuren Lehre wie dem Islamismus zu verfallen, mag uns paradox vorkommen – und ist sicherlich einer der Gründe, warum wir das Phänomen des radikalen Islamismus nicht recht begreifen können. So behilft man sich mit den üblichen Erklärungsmustern von Armut, Frustration und Diskriminierung als Gründen des Terrorismus. Einer auch nur oberflächlichen Überprüfung halten diese Erklärungen nicht stand.

Nahezu alle Muslime in Europa genießen einen höheren Lebensstandard als in ihren Herkunftsländern, die große Anzahl der Sozialhilfeempfänger eingeschlossen. Wenn Rassendiskriminierung ein Problem in Großbritannien wäre, wie lässt es sich dann erklären, dass die Migrantengruppe der von Pakistanis äußerlich nicht zu unterscheidenden Hindus wirtschaftlich erfolgreicher und gesellschaftlich besser integriert ist als ihre Nachbarn aus Pakistan und Bangladesch? Wer ist verantwortlich für die vielen jungen Muslime, die die Schule ohne Abschluss verlassen, und für die Tatsache, dass sich mehr als die Hälfte, nämlich 52 Prozent, nicht am Wirtschaftsleben in einem Land beteiligen, das eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten vorzuweisen hat? Und das alles in einer der offensten, tolerantesten und einwanderungsfreundlichsten Gesellschaften der Welt?

Die glaubhafteste und bestürzendste Erklärung scheint zu sein, dass die Radikalisierung der muslimischen Gemeinschaft in Westeuropa das Resultat eines massiven, gut organisierten und finanziell üppig ausgestatteten Feldzugs ist, der unter den Augen der Regierungen Europas schon drei Jahrzehnte in vollem Gang ist. Noch erschreckender ist die Tatsache, dass diese Kampagne meistens staatlich gefördert wurde – und fast immer noch gefördert wird.

Staatliche Förderung

Langfristige Fortschritte im Kampf gegen den Terror sind nicht zu erzielen, solange der Westen die falschen Konsequenzen zieht. Wir können uns  die Ausbreitung des Islamismus im Westen nicht erklären, solange wir uns nicht der dramatischen und staatlich protegierten Radikalisierung des Islams in Pakistan – und der damit verbundenen Auswirkungen auf die pakistanischen und bengalischen Gemeinden in Großbritannien – bewusst sind. Pakistans Militärdiktator Zia ul-Haq begann damit, aus eigenem Interesse und auf Kosten der Zivilgesellschaft islamische Extremisten zu unterstützen.

Eine ganze Reihe korrupter Politiker und Diktatoren führte diese Politik fort. Anders als der Westen glaubte, hat sich die Lage unter Präsident Pervez Muscharraf nicht entspannt, sondern noch verschlimmert. Muscharraf selbst gestand vor kurzem ein, dass es ihm bislang nicht gelungen ist, den Einfluss der dschihadistischen Koranschulen im Land zu verringern oder Trainingslager für die Ausbildung potenzieller Terroristen zu schließen.

Selbst in den staatlichen Schulen werden Dschihad und Märtyrertum gepredigt. Was auch nicht weiter verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass Muscharrafs Minister für Religiöse Angelegenheiten, Idschaz ul-Haq, ein Sohn des religiösen Eiferers Zia ul-Haq und ein treuer Unterstützer der Madrassas ist. Dass es der pakistanischen Regierung nicht gelungen ist, die Hasspropaganda dieser Koranschulen einzudämmen, macht sie zu einem der größten Förderer von Terrorismus und Extremismus. Denn in diesen Schulen werden Tausende junger ausländischer – auch westeuropäischer – Dschihadisten indoktriniert.

Man kann auch nicht behaupten, dass sich die pakistanischen Behörden besonders angestrengt hätten, die Aktivitäten der Terroristen zu kontrollieren oder unterbinden. Im Gegenteil, so behaupten Beobachter, unterstütze das pakistanische Militär weiterhin extremistische Gruppierungen und ist seinerseits von Extremisten unterwandert. Es gibt keinen plausiblen Grund mehr zu glauben, dass Muscharraf seine Versprechen, den Terrorismus zu bekämpfen, auch einhalten könnte.

Der Einfluss Saudi-Arabiens

Pakistan spielt zwar eine unrühmliche Rolle als staatlicher Sponsor des islamistischen Extremismus. Doch die weltweite Zunahme des radikalen Islamismus wäre ohne die massive Unterstützung des Terrornetzes durch Saudi-Arabien nicht möglich gewesen. Seit mehr als drei Jahrzehnten investiert Saudi-Arabien jährlich mehr als 2,5 Milliarden Dollar, um eine gigantische Infrastruktur radikaler Moscheen, Koranschulen, islamischer Treffpunkte und Wohlfahrtsverbände – die wahren Brutstätten des weltweiten Extremismus – zu schaffen und zu unterhalten. Diese Infrastruktur des Terrors ist für unsere Zivilisation eine viel größere Bedrohung als Al-Qaida.

In fast allen westlichen Städten existieren von den Saudis kontrollierte muslimische Organisationen, die ihre Hasstiraden gegen den Westen und dessen Werte verbreiten. Und es gibt keinen Beweis dafür, dass diese subversive Kampagne aufhört, nur weil Saudi-Arabien nun selbst zum Ziel der Terroristen geworden ist.

Neben Saudi-Arabien wissen wir von einer ganzen Reihe anderer Staaten, die den Terrorismus unterstützen. Der Iran ist seit der islamischen Revolution vor fast 30 Jahren ein prominenter Sponsor von Extremismus und Terrorismus. Der Sudan spielt diese Rolle fast ebenso lang. In Bangladesch, das einem Prozess der Islamisierung unterworfen ist, den Pakistan seit etwa 20 Jahren durchläuft, werden offensichtlich Trainingslager für thailändische Islamisten unterhalten, die eine Terrorkampagne in Südthailand begonnen haben. Von den nördlichen Bundesstaaten Nigerias, in denen die Scharia gilt, schwappen die Aktivitäten der Terrorgruppen auf angrenzende Bundesstaaten und die Nachbarländer über.

Näher an Europa und gleichwohl unbemerkt, ist die „gemäßigte“ türkische Regierung de facto zu einem Sponsor der radikal-islamischen Bewegung Milli Görüs geworden, die über 100 000 Anhänger in Deutschland und anderen europäischen Ländern zählt. Sie hat sich die Zerstörung des von Staatsgründer Kemal Atatürk geschaffenen säkularen politischen Systems der Türkei auf die Fahnen geschrieben, um „unsere (türkischen) Mitbürger vor der Assimilation in ein barbarisches Europa zu bewahren“. Es war die Regierung von Recep Tayyip Erdogan, die Deutschland mehrfach davon abgeraten hat, Milli Görüs als Terrororganisation zu klassifizieren und sie gesetzlich zu verbieten.9

Obwohl wir auf diese noch nie dagewesene Zerstörungskraft ebenso reagieren müssten wie auf die Realität muslimischer Ghettos in Europa, die sich derzeit in gewalttätige, islamistische Gegengesellschaften transformieren, halten wir uns immer noch mit dem Versuch auf, den Extremismus mit multikulturellen Platitüden und anderen Albernheiten hinweg zu erklären. Noch schlimmer ist, dass der Westen unter der Führung der Vereinigten Staaten weiterhin glaubt, Saudi-Arabien und Muscharrafs doppelzüngiges Regime seien unsere strategischen Verbündeten.

Wie schon Laotse vor Jahrhunderten wusste: Man kann keine Kriege gewinnen, wenn man nicht weiß, wer der Feind ist.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2005, S. 92 - 98

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