Was Trumps Sieg für Mittel- und Osteuropa bedeutet
Der designierte US-Präsident hat so seine Schwierigkeiten mit Europa, vor allem aber mit dem Westen des Kontinents. Trumps Unberechenbarkeit könnte für den Osten durchaus von Vorteil sein.
Der 47. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird ein ähnlich distanziertes Verhältnis zu Europa haben wie der 45. Inhaber dieses Amtes: Donald Trump kann mit dem „alten Kontinent“ (Donald Rumsfeld) nach wie vor nur wenig anfangen. Allerdings: Es lohnt ein differenzierter Blick.
Schon früh war das Bündnis mit den USA für Polen und Osteuropa, das an Russland grenzt und nicht wie Frankreich an den Atlantik, von entscheidender Bedeutung. Nach 1989 war es das postkommunistische Europa, also sozusagen der „neuere“ Teil, der sich stark amerikanisierte; im Zuge der wirtschaftlichen und ideologischen Hegemonie der USA übernahm er deren Wirtschaftsmodell und grundlegenden Werte. Auch die Aufteilung in Metropolen und Provinzen erinnert in Osteuropa mehr an die USA als an Westeuropa – mitsamt der Kopplung an die Spaltung in Gewinner und Verlierer der wirtschaftlichen Transformation. Außerdem erlebte Osteuropa eine radikale Deindustrialisierung, ähnlich wie in den USA; unter anderen Bedingungen zwar und mit abweichender Chronologie, jedoch auf Basis derselben neoliberalen Ideologie. Der amerikanische Neoliberalismus, der für mindestens zwei Jahrzehnte die Wirtschaftspolitik Osteuropas bestimmte, war dort sogar noch stärker ausgeprägt als in den USA selbst.
Nach dem 11. September 2001, einem Wendepunkt in der US-Politik, stellte sich das postkommunistische Europa – zunächst einschließlich Russlands – eindeutig auf die Seite der USA. Diese Unterstützung hielt auch nach Beginn des Irak-Krieges an, den Länder wie Frankreich, Deutschland und auch Russland heftig kritisierten. Polen und die Ukraine entsandten Soldaten und erhielten sogar ihre eigene Besatzungszone im Irak. Zu jener Zeit galt Polen noch als finanzschwach und im europäischen Salon als Emporkömmling. Das ist heute ganz anders.
Gerade Polen profitiert von den Führungskrisen in Deutschland, Frank-reich und Spanien
Trumps Distanz gegenüber Europa gilt eher dessen Westen: Deutschland und Frankreich sind die wirtschaftlichen Konkurrenten der USA, nicht Polen oder die baltischen Staaten. Tatsächlich genießt das „neue Europa“ innerhalb der amerikanischen Rechten mitunter mehr Ansehen als das „alte Europa“. Das liegt auch daran, dass diese amerikanische Rechte dort viel mehr politische Gleichgesinnte findet. Trump mag es, wenn osteuropäische Populisten ihm nach dem Mund reden, so wie das etwa die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jarosław Kaczyński und der polnische Präsident Andrzej Duda gerne praktizieren. Duda war es auch, der Trump bei einem seiner Besuche in Warschau vorschlug, in Polen ein „Fort Trump“ zu errichten. Während sich Duda nun für Polen innenpolitisch als Katastrophe erweist, könnte er aus außenpolitischer Sicht sowohl für sein Heimatland als auch für die Ukraine durchaus vorteilhaft werden, verfügen doch er und sein Gefolge über sehr gute Kontakte zu Trump und seinen engsten Vertrauten – und bei Trump bedeuten private Beziehungen oft mehr als Staatsinteressen.
Hinzu kommt, dass die Führungskrisen in Deutschland, Frankreich und Spanien für das immer schneller wachsende und schneller aufrüstende Polen (fast 5 Prozent des BIP werden dort mittlerweile für Verteidigung ausgegeben, weit mehr als in jedem anderen NATO-Staat) eine fast schicksalsträchtige Fügung sind. Denn sie lassen unter anderem den auf europäischer Ebene erfahrensten Politiker des Landes ins Rampenlicht der europäischen Politik rücken: Donald Tusk. Zudem zeigte das jüngste Gipfeltreffen der baltischen und nordischen Staaten, zu dem Tusk eingeladen war, wie weit die Mobilisierung und strategische Integration an der europäischen Ostflanke schon vorangeschritten ist. Tusk sagte dazu offen, dass man nicht mehr auf die USA zählen könne, sondern nur auf sich selbst.
In diesem Sinne könnte es schon bald der verteidigungspolitische Wille Osteuropas oder eine Achse aus Finnland, Schweden, baltischen Staaten, Polen und Italien sein, die den Rest Europas zu schnellerem und entschiedenerem Handeln bewegt.
Europas neue Achsen
Italiens Regierungschefin Georgia Meloni könnte eine ebenso wichtige Trump-Vermittlerin wie Tusk werden. Sie unterhält enge Beziehungen zu Trump, vertritt allerdings einen klar proukrainischen Kurs und war zuletzt aktiv an der Militärhilfe für die Ukraine beteiligt. Wie Tusk hat auch Meloni ein gutes Verhältnis zu Ursula von der Leyen, der Präsidentin der EU-Kommission. Auch eine deutsche Regierung unter Friedrich Merz könnte in diesem Sinne wichtig werden. Mit dem amtierenden Kanzler Olaf Scholz stellt sich das Problem für die Ukraine ähnlich dar wie mit Joe Biden und Kamala Harris: Scholz hilft der Ukraine, dosiert die Unterstützung aber so, dass sie für Kyjiw nicht zu einem Durchbruch führen wird. Merz ist allem Anschein nach bereit, viel mehr zu tun.
Die Regierung Biden hat viel für die Ukraine getan, aber eines ist sicher: Die Fortsetzung ihrer aktuellen Ukraine-Politik würde das Land nicht zum Sieg führen. Auch Harris hätte als Präsidentin kaum im Kongress entschiedenere Maßnahmen durchsetzen können. Tatsächlich sind es gerade Akteure wie Biden, Harris und Scholz, die ein langsames Ausbluten der Ukraine ermöglichen.
Die Unberechenbarkeit des kommenden US-Präsidenten wiederum könnte eine Chance sein: Es ist kein Geheimnis, dass der egozentrische und etwas infantile Trump nicht gerne verliert. Noch dazu hofft er auf einen Friedensnobelpreis, um es Barack Obama gleichzutun oder ihn gar zu übertreffen. Wie auch immer – es stimmt hoffnungsvoll, dass Trump den Einsatz ballistischer Kurzstreckenraketen aus US-Produktion (ATACMS) auf russischem Gebiet anscheinend unterstützt hat. Ab dem 20. Januar kann er den Konflikt dann höchstselbst weiter eskalieren oder herunterfahren.
Die Sache mit Trump ist kompliziert. Einerseits steht im Raum, dass er Putin eine Art Deal anbieten und dabei einmal mehr seine illiberalen Tendenzen unter Beweis stellen wird. Andererseits sei daran erinnert, dass es Trump war, der der Ukraine die ersten ernstzunehmenden Waffenlieferungen schickte, mit denen sie sich von Anfang an gegen Russland verteidigen konnte; dabei handelte es sich um Javelin-Raketen. Und: Als Russland 2014 erstmals in die Ukraine einfiel und das Land Washingtons Unterstützung suchte, verweigerte die Regierung Obama Kyjiw ihre direkte Hilfe durch Waffenexporte. In den drei Haushaltsjahren von 2016 bis 2019 wurden dann mit Zustimmung des Kongresses Waffen im Wert von 850 Millionen Dollar an die Ukraine geliefert, alles größtenteils während Trumps Präsidentschaft. Bidens Regierung wachte erst im März 2021 auf, als Russland erstmals Hunderttausende Soldaten an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren ließ. Damals wurden 125 Millionen Dollar an Hilfsgeldern bewilligt und dann zwei Monate später nochmal weitere 60 Millionen. Das war allerdings mehr politisches Alibi als eine wirkliche Unterstützung für den damals schon ernsthaft bedrohten Staat.
Natürlich muss man bedenken, dass Trump die ganze Krise in gewisser Weise mitverursacht hat. Immerhin war er es, der Wolodymyr Selenskyj im Jahr 2019 dazu zwingen wollte, Konkurrent Biden der Korruption zu beschuldigen, um dessen Kandidatur für die Präsidentschaft zu verhindern. Dafür legte Trump satte 400 Millionen Dollar an Hilfsgeldern auf Eis.
Nun hat Trump ein enormes Ego; es ist schwer vorstellbar, dass er die Ukraine einfach an Putin ausliefert. Wozu auch? Putin hat im Gegenzug nichts zu bieten. Im Gegenteil: Russland ist ein ernsthafter Konkurrent für die amerikanische Bergbauindustrie und macht gemeinsame Sache mit China, was den Staat zwangsläufig auf Kollisionskurs mit den USA bringt. Warum sollte Washington Russland helfen, wenn Putin beharrlich Xi Jinping umgarnt?
Die Folgen des US-Rückzugs
Der teilweise oder vollständige Rückzug der US-Schutzmacht aus Europa, der früher oder später ohnehin kommen wird, könnte für die EU endlich der entscheidende Anstoß zum Handeln sein. Sie kann nicht ewig über vergleichsweise banale Dinge wie den Wiederaufbau der Rüstungsindustrie und die eigenen Verteidigungsausgaben diskutieren, wenn so viele andere Akteure auf der Welt ihr hier Tag für Tag enteilen. Wenn Südkorea es sich leisten kann, warum nicht auch Deutschland und die EU? Wenn das relativ finanzschwache Polen in der Lage ist, seine Verteidigungsausgaben blitzschnell zu erhöhen und auf fast 5 Prozent des BIP anzuheben, dann ist es für Beobachter völlig unverständlich, warum Deutschland so lange braucht, um die 2-Prozent-Marke zu knacken bzw. 3 Prozent zu erreichen (vgl. hierzu auch den Text von Jan Techau auf S. 52 ff.).
Die Europäische Union hat durchaus bewiesen, dass sie zu Reformen in der Lage ist. Es gibt dafür keine bessere Zeit als jetzt
In der Zeit der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass die EU durchaus zu Reformen in der Lage ist. Damals war es möglich, Lasten zu verteilen, gemeinsam neue Infrastrukturen aufzubauen und die notwendigen Investitionen zu tätigen. Der Krieg in der Ukraine hat bewiesen, dass die Union auch eine eigene Verteidigungspolitik betreiben kann. Jetzt muss sie das endlich ernsthaft tun.
Leider erweist sich Deutschland (zusammen mit den Niederlanden) in dieser Frage erneut als Bremser; insbesondere, weil es sich strikt gegen die Aufnahme neuer Schulden sperrt. Dabei konnte sich Westeuropa doch schon in der Vergangenheit den Unterhalt einer größeren Armee und Rüstungsindustrie leisten. Es gibt keinen Grund dafür, dass jemand anderes dafür bezahlen sollte. Eine bessere Zeit für einen Turnaround als genau jetzt gibt es nicht. Egal wie: Wichtig ist nur, dass der Wandel endlich vonstatten geht.
Natürlich liegt all das in erster Linie im Interesse der Staaten an der europäischen Ostflanke. Länder wie Polen und die baltischen Staaten sollten dafür keine weiteren finanziellen Opfer bringen müssen, weil sie sich bereits stark engagieren. Nur eine gut bewaffnete EU wird in der Lage sein, ihre Ostflanke zu verteidigen. Derzeit ist das Risiko zwar noch ungleich verteilt, und Polen trägt aufgrund seiner Nachbarschaft zu Russland und Weißrussland ein größeres Risiko. Aber bereits heute gehen viele Experten – auch in Deutschland – davon aus, dass Russland in Zukunft den gesamten Westen angreifen könnte.
Kurz gesagt: Lässt Deutschland das „alte Europa“ endlich gewähren, dann ist die EU durchaus dazu in der Lage, sich zu wehren. Immerhin verfügt sie über das Neunfache des Budgets von Russland und über zahlreiche Verbündete in der Welt. Es gibt keinen Grund, auf andere zu schauen: Die EU muss ihre eigenen Probleme lösen, insbesondere wenn es sich um Probleme handelt, die sie schon lange in den Griff hätte bekommen können.
Aus dem Englischen von Kai Schnier
Dieser Artikel ist in der gedruckten Version unter dem Titel „Neue Deals, alte Distanz" erschienen.
Internationale Politik 1, Januar/Februar 2025, S. 58-61