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01. Jan. 2015

Warten auf den nächsten Knall

Ohne institutionelle Reformen der Euro-Zone droht ein verlorenes Jahrzehnt

Die schlimmsten Krisenszenarien sind verblasst, seit EZBPräsident Mario Draghi im Sommer 2012 versprach, nötigenfalls unbegrenzt Staatsanleihen an den Sekundärmärkten aufzukaufen. Dank Maßnahmen wie Europäischem Stabilitätsmechanismus oder Bankenunion haben sich einige Länder erholt. Doch neue Spannungen belasten die Euro-Zone.

Die kurzfristigen Probleme der Währungsunion scheinen behoben, die mittel- und langfristigen bleiben bestehen. Auch in den kommenden Jahren wird die Wirtschaft der Euro-Zone nur schleppend wachsen und mit anderen entwickelten Volkswirtschaften kaum Schritt halten. Der EU droht ein ver­lorenes Jahrzehnt, in dem einige Mitgliedstaaten weiterhin mit Rekordarbeitslosigkeit und erdrückend hohen öffentlichen Schulden kämpfen werden. Damit wachsen die politischen Risiken und die sozialen Spannungen erheblich. Sichtbares Anzeichen ist das Erstarken populistischer Parteien, die die Errungenschaften der Integration infrage stellen. Längst schränken sie den Handlungsspielraum der Regierungen ein – etwa bei notwendigen Reformvorhaben in Griechenland oder Frankreich. Sie könnten eine erneute Eskalation der Krise provozieren.

In dieser politischen Gemengelage ist es schwierig, der Wachstums- und Beschäftigungskrise ein Ende zu bereiten und gleichzeitig die Euro-Zone krisenfester zu machen. Dabei müssten mehrere Dinge parallel erreicht werden: Wachstum und Investitionen müssen angekurbelt, die öffentlichen Schulden reduziert, Strukturreformen und Marktintegration beschleunigt werden – und gleichzeitig braucht die Euro-Zone institutionelle Reformen, über die derzeit kaum ein Entscheidungsträger reden mag.

Dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank Mario Draghi zufolge braucht die Euro-Zone eine Trias aus geldpolitischem Stimulus, fiskalpolitischer Flexibilität und weiteren Strukturreformen. Geldpolitisch hat die EZB bereits einiges versucht, um etwa die Kreditklemme zu beheben, die Unternehmen von Investitionen abhält. Eine weitere geldpolitische Lockerung dürfte nötig sein. Das würde allerdings in Deutschland Kontroversen provozieren und Euroskeptiker stärken.

Derweil ist der haushaltspolitische Handlungsspielraum vieler Mitgliedstaaten eingeschränkt, sei es durch hohe öffentliche Schulden oder das dichte Regelwerk zur haushaltspolitischen Koordinierung in der Euro-­Zone. Die Euro-Zone könnte wegen einer insgesamt zu restriktiven Fiskalpolitik in die Rezession rutschen, auch wenn Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit seinem 300 Milliarden Euro starken Investitionspaket versucht, die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Berlin wird für die schlechte Wirtschaftsentwicklung von Kritikern mitverantwortlich gemacht, weil es einige Staaten zu politisch kaum durchhaltbarer Austerität zwinge.

Bereits jetzt sind einige Regierungen in der Euro-Zone unter der Last hoher Arbeitslosenraten, jahrelanger Einschnitte bei den Staatsausgaben, wachsender Ungleichheit und politischer Polarisierung reformmüde. Das erschwert eine weitere Flexibilisierung der Volkswirtschaften und eine Vollendung des Binnenmarkts. Beides aber braucht die Euro-Zone, damit Divergenzen schwinden, die gemeinsame Geldpolitik besser funktioniert und die Wettbewerbsfähigkeit wächst.

Darüber hinaus muss weiter an der Architektur der Währungsunion gearbeitet werden. Hierzu hatte der „Bericht der vier Präsidenten“ (des Europäischen Rates, der EZB, der Europäischen Kommission und der Eurogruppe) im Jahr 2012 einen wertvollen Beitrag geleistet, der jedoch in den Schubladen verschwand, als sich die Märkte beruhigten. Zu den Maßnahmen, die wieder auf die politische Agenda gehören, zählt die Vollendung der Bankenunion, ein Mechanismus zum Ausgleich zyklischer Divergenzen, eine Weiterentwicklung des ESM zu einem Europäischen Währungsfonds und eine Stärkung der demokratischen Legitimation von Euro-Zonen-relevanten Entscheidungen.

Fast fünf Jahre nach Ausbruch der Schuldenkrise mangelt es keineswegs an Ideen für eine Weiterentwicklung der Euro-Zone. Was fehlt, ist politischer Führungswille und die Vorstellungskraft, wie ein Kompromiss zwischen nach wie vor sehr unterschiedlichen nationalen Narrativen zu Krisenursachen und „richtiger“ Politik aussehen kann.

Deutschland hat mit der neuen Schwäche Frankreichs relativ weiter an Gewicht gewonnen. Was ihm fehlt, ist ein starker Partner, der alternative Sichtweisen einbringt, Kompromisse mit gestaltet und hilft, Unterstützung zu mobilisieren. Es scheint, als warte Europa auf den nächsten Knall, um zu Reform-Sinnen zu kommen und den nächsten, wichtigen Integrationsschritt zu gehen. Die schleichende Erosion der politischen, ökonomischen und sozialen Stabilität ist beunruhigend, weil sie die Erneuerungs­fähigkeit der EU weiter untergräbt. Mehr denn je sind daher von allen, die Europa stärken wollen, rascher Handlungswille, Weitsicht und Kompromissfähigkeit gefragt.

Dr. Daniela Schwarzer ist Forschungsdirektorin des German Marshall Fund und leitet zudem das Europaprogramm des GMF.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2015, S. 54-55

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