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01. Aug. 2005

Wandelnde Bar-Codes

Wandelnde Bar-CodesBiometrie soll uns vor Terror schützen. Bisher hilft sie nur bei der Tätererkennung – danach

»Und es macht, dass sie allesamt, die Kleinen und Großen, die Reichen und Armen, die Freien und Sklaven, sich ein Zeichen machen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn, und dass niemand kaufen oder verkaufen kann, wenn er nicht das Zeichen hat, nämlich den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens.« Johannes-Offenbarung, 13:16–18

Kaum hatte ich den Raum betreten, suchten Kameraaugen mein Gesicht zu erfassen. Auf den Monitoren sah ich rote Rechtecke, die sich hastig um meinen sich bewegenden Kopf klammerten. Bald war ich identifiziert.

So geschah es mir im vergangenen Jahr bei einem Besuch in den Laboren von NEC in Tokio, in einem Zimmerchen, wo Forscher moderne Gesichtserkennungstechnik erprobten. Die Kameras waren darauf trainiert, die Visage jeder eintretenden Person zügig abzutasten und mit einer Datenbank gespeicherter Personen abzugleichen. Die Anwendungen sind klar: Man kann so Freund und Feind voneinander trennen, gesuchte Personen erspähen oder auch ein Bewegungsprofil der lieben Mitarbeiter erstellen.

Es ist immer komisch, manchmal beklemmend, von Maschinen beobachtet zu werden. Man ahnt: Hier werden Informationen abgesaugt, die sodann in anonymen Datenbanken gehortet werden. Wir hinterlassen, wie wandelnde Bar-Codes, überall immer mehr solches Wissen über uns, mit unseren vielen Plastikkärtchen, Telefonen und Internettransaktionen. Biometrie, die Lehre von der Vermessung biologischer Merkmale, erweitert die Erfassungsmöglichkeiten enorm. Klassisch der Fingerabdruck, seit Ende des 19. Jahrhunderts in Gebrauch. Dazu kommen heute: das Scannen der Form des Gesichts, der Hand und des Ohres; die Vermessung der Iris, der Retina; potenziell auch von Geruch, Stimme, Gangart.

Biometrie ist „in“. Terrorangst lässt die Branche boomen. Zuvörderst in den USA, wo der Glaube besonders verbreitet ist, dass der Weg zu mehr Sicherheit mit Technologie gepflastert ist. Der Traum hier: ein digitaler Schutzwall, der Zehntausende Kilometer Grenze armiert, der die 500 Millionen Menschen, die diese alljährlich kreuzen, verlässlich in Gut und Böse scheidet. Rund eine Milliarde Dollar hat man für neue biometrische Systeme hier schon ausgegeben.

Im „National Intelligence Reform Act“ blitzt das Zauberwort Biometrie 35 mal auf. „Der biometrische Goldrausch hat begonnen“, verkündete 2004 der „Boston Globe“. „Border Management“ ist ein lukratives Business. Firmen, die passende Sicherheitstechnik verkaufen, sind derzeit beliebt an den Börsen. Die Amerikaner haben schon einen Sammelbegriff dafür: „homeland security stocks“.

Doch bleibt es ein seltsames Gefühl, als Visuminhaber an der US-Grenze die Zeigefinger auf den Scanner zu drücken und der winzigen Kamera neben dem Grenzbeamten ein Lächeln zu schenken. Mit den Fremden kann man’s ja machen. Während sich die Einheimischen noch immer, wenn überhaupt, per Führerschein ausweisen, der in jedem Bundesstaat anders aussieht und leicht zu fälschen ist.

Gewiss: Eine eindeutige Identifizierung kann durchaus Sinn machen. Simples Beispiel: Die mühsam komponierten „Watchlists“ der US-Behörden lassen sich für einen Araber leicht umgehen, wenn er nur eine etwas andere Umschrift für seinen Namen wählt. Ein Fingerabdruck ist da sehr viel eindeutiger. Der wird in den USA nun überall genommen: selbst Sozialhilfeempfänger weisen sich per Daumen aus. Auch im Irak registrieren US-Truppen Männer bestimmter Altersgruppen biometrisch, per Fingerabdruck und Iris-Scan.

Das Biometrie-Fieber grassiert weltweit, von Australien bis Kanada. Saudi-Arabien möchte die Pilger biometrisch in den Griff bekommen – um jener Muslime habhaft zu werden, die zur Hadsch einreisen, ihr Visum überziehen und Anschläge verüben. In Deutschland sollen ab November 2005 alle neuen Reisepässe einen digitalen Chip enthalten, auf dem biometrische Daten gespeichert sind. Selbst das britische Unterhaus hat jetzt, nach über einem halben Jahrhundert ohne Personalausweis, widerwillig die Einführung eines Identitätsdokuments beschlossen, das auch gleich biometrisch aufgerüstet werden soll.

Die EU hat sich für ein System entschieden, bei dem das Lesegerät eine Codenummer im Pass auslesen muss, um den Chip anzusprechen. Das verhindert Kontrollen im Vorbeigehen, wie sie in den USA ursprünglich geplant waren. Denn eine Identifikation aus der Distanz ist gefährlich. „Al-Qaida kann jetzt intelligente Minen konstruieren“, spottete Computerexperte Ross Anderson von der Uni Cambridge, „die nur explodieren, wenn Amerikaner in der Nähe sind.“

Was bringen diese milliardenteuren Anstrengungen wirklich? Ein Mehr an Sicherheit? Oder nur ein Meer von Daten? Das Grundproblem: Bytes sind nicht gleich Wissen. Die Attentäter vom 11. September waren legal im Lande, sie standen auf keiner Terrorliste, konnten in Ruhe fliegen lernen. Keine Biometrie der Welt hätte dies verhindert. Bei den Londoner Tätern sieht es nicht besser aus: Über sie lagen im Vorfeld offenbar keine Informationen vor. Überdies waren sie britische Staatsbürger. Hinterher konnte man sie auf verwischten Videos ausmachen – wie die Täter von 9/11. Hinterher.

„Das Problem ist nicht, dass wir nicht genug Informationen hätten“, sagt der US-Sicherheitsexperte Bruce Schneier. „We don’t have enough intelligence.“ Sprich: Die Behörten hamstern nun Millionen Fingerabdrücke und Billionen Bilder. Und wissen doch nichts. Natürlich schrecken massive Sicherheitsvorkehrungen ab. Bei der Olympiade 2004 in Athen etwa wurden für Sicherheit hunderte Millionen Euro ausgegeben. Man operierte mit 1000 hochauflösenden Standard- und Infrarotkameras, mit Satelliten und Telefonüberwachung. Die Zugangsausweise waren biometrisch armiert. Am Ende aber kann man nie genau sagen, wie effektiv die Maßnahmen wirklich waren. Ist nichts geschehen, weil man Unsummen für Sicherheit ausgegeben hat? Oder nur zufällig? Verlagert sich der Terror womöglich deshalb auf Ziele, die sich kaum schützen lassen – auf ganz normale Menschen in ganz normalen U-Bahnen zum Beispiel? Auch der Ruf nach Überwachungskameras wird derweil immer lauter. Das Grundproblem aber bleibt: viele Daten, wenig Wissen. Über eine Million Kameras überwachen das Vereinigte Königreich. Allein in der Londoner U-Bahn hängen 6000 Kameras. Haben sie die Anschläge verhindert?

Immerhin: Unsere Luxuskarossen können wir jetzt auch per Fingerabdruck-Scanner schützen. Doch selbst das hat einen Haken. Aus Kuala Lumpur kam Ende März die Nachricht, Autodiebe hätten einem Mann einen Finger abgeschnitten, um sein biometrisch gesichertes Fahrzeug auch fahren zu können.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 8, August 2005, S. 122 - 123

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