IP

01. März 2008

Wandel zum Wohlfühlen

Fünf Lehren aus den amerikanischen Vorwahlen

Warum, so fragt man sich, wird dem amerikanischen Vorwahlkampf nicht nur in den USA, sondern in aller Welt ein solch überbordendes Interesse zuteil? Das Kommentariat hat wie immer alle Gründe parat: die Globalisierung, der abscheuliche George, die explosive internationale Gemengelage. Und doch wird die wichtigste Ursache selten genannt: Die amerikanischen Vorwahlen sind ein Zirkus, und jeder liebt den Zirkus. Es ist eine Show der großen Gefühle und der großen Gesten, ein Wettrennen starker, kontrastreicher Charaktere um große Macht, das quer durch das hochdiversifizierte Sozialbiotop Vereinigte Staaten führt. Die Unterhaltsamkeit wird dieses Mal durch die Tatsache erhöht, dass fast alle Vorhersagen falsch waren und viele der unumstößlichen Gesetze des Vorwahlkampfs gebrochen wurden. Umso eiliger schmiedet die amerikanische Medienlandschaft an neuen eisernen Wahrheiten, die sich aus dem bisherigen Wahlkampfgeschehen ableiten lassen – dabei stechen fünf Beobachtungen besonders hervor.

1. Geld allein bringt keinen Erfolg

Noch am 6. Januar schrieb das New York Times Magazine, Mitt Romney sei trotz seines mormonischen Glaubens die Nominierung der republikanischen Partei nicht zu nehmen – zu prall gefüllt sei die Wahlkampfkasse des erfolgreichen Unternehmers, der zudem an die 40 Millionen Dollar seines eigenen Vermögens in den Stimmenfang investierte. Doch obwohl Romneys Ausgaben die seiner Mitbewerber im Verhältnis von 8:1 übertrafen, blieb er hinter John McCain und Mike Huckabee zurück. McCain war bis zum Vorwahlerfolg in South Carolina faktisch pleite, und Huckabee kann selbst seinen engsten Mitarbeitern bis heute noch keine angemessene Bezahlung bieten.

Auf demokratischer Seite spielte sich Ähnliches ab: „Das Hillary Apparat“ (wie Bill Kristol in verballhorntem Deutsch im Weekly Standard am 24. Dezember schrieb) brach alle Rekorde im Spendensammeln und musste sich dennoch in den wichtigsten frühen Vorwahlen in Iowa und South Carolina Barack Obama geschlagen geben. Selbst Clintons „Sieg“ in New Hampshire brachte ihr nicht mehr Delegiertenstimmen ein als Obama. Der schwarze Senator aus Illinois hat auch im Kampf um die Gelder kräftig aufgeholt und insgesamt 102 Millionen Dollar eingetrieben – gegenüber Clintons 116 und McCains 41.

Zur Erleichterung der Wahlkampfexperten bestätigt diese Entwicklung immerhin eine eherne Regel: Die ersten zwei, drei Vorwahlen sind nicht allein entscheidend über den Ausgang der Wahl, bestimmen aber den Kreis der konkurrenzfähigen Kandidaten. Besonders schmerzlich hat Rudy Giuliani diese Erfahrung gemacht, der dachte, den ersten Monat aussetzen zu können, um dann das Feld von Florida aus aufrollen zu können. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Rennen aber schon eine eigene Dynamik entfaltet, die „Amerikas Bürgermeister“ keinen Platz mehr ließ. Schöne Grüße von Scoop Jackson, anno 1976.

2. Der Charakter zählt mehr als das politische Programm

John McCain triumphiert in den Vorwahlen nicht aufgrund seiner politischen Ideen, die vielen Republikanern suspekt sind, sondern aufgrund seiner Persönlichkeit. Die Geschichte vom gefolterten Kriegshelden, der als querköpfiger Senator die Washingtoner Zirkel in Atem hält und mit dem „Straight Talk Express“ zu den Wählern reist, fasziniert auch in der tausendsten Wiederholung, wie Evan Thomas mit einem Porträt in Newsweek (11. Februar) beweist. Romney mag mehr Kompetenz in Wirtschaftsfragen haben, Fred Thompson klassischere republikanische Positionen vertreten, aber McCain steht für Führungsstärke, Prinzipientreue, Durchhaltevermögen und Geradlinigkeit. Es ehrt Thomas, dass er auch die dunklen Seiten McCains – Halsstarrigkeit, Rachsucht und ein cholerisches Temperament – auslotet.

Der wahre Medienliebling dieser Tage ist Barack Obama, dem z.B. Vanity Fair (März) in einer ausführlichen Reportage huldigt, die eigentlich eine Liebeserklärung an den „Schwarzen Kennedy“ ist. Darin findet sich ein Gedicht Obamas aus Schulzeiten, das von einem „alten vergessenen Mann“ aus der Gosse handelt und folgendermaßen endet: „He pulls out forgotten dignity from under his flaking coat / And walks a straight line along the crooked world“. Schöner lässt sich die Wohlfühl-Rhetorik des Wahlkämpfers Obama nicht karikieren. Seine Reden von nationaler Einheit über alle Grenzen hinweg, von Wandel und Gerechtigkeit begeistern nicht nur Demokraten. Seine Positionen in der Außen-, Steuer-, Gesundheits- und Einwanderungspolitik bleiben jedoch im Ungefähren, sind oft sogar widersprüchlich. Gerade deswegen bleibt der jugendlich wirkende Aufsteiger die ideale Projektionsfläche für die Sehnsüchte linker, junger und afroamerikanischer Wähler.

3. Die Wähler wollen „Wandel“, aber nicht unbedingt „Veränderung“

Als Lord Palmerston mit den Wünschen seines Volkes nach Wandel und Reform konfrontiert wurde, rief er aus: „Veränderung? Sind die Dinge nicht schon schlimm genug?!“ Ein Echo des britischen Premiers lässt sich auch aus dem bisherigen Wahlverhalten der Amerikaner ablesen. Alle Kandidaten versuchen, sich als Politiker des Wandels zu verkaufen – das gebietet die Unzufriedenheit mit der Regierung Bush. Andererseits sind die Kandidaten, die eine besonders scharfe Abkehr vom gegenwärtigen Mainstream versprachen, klar gescheitert. Das gilt für den exzentrischen Dennis Kucinich und den sozialdemokratischen Populisten John Edwards ebenso wie für den libertären Ron Paul und den selbsternannten „Aufräumarbeiter in Washington“, Mitt Romney. Abgesehen vom Sonderfall Obama, dessen programmatische Leere ihn schwer einzuordnen macht, sind gerade die Kandidaten erfolgreich, die eine Balance von Wandel und Kontinuität versprechen: Hillary Clinton und John McCain punkten mit ihrer langjährigen Erfahrung, die notwendig ist, um den amerikanischen Regierungsapparat behutsam auf die neuen Herausforderungen einzustellen. Wie drängend diese Aufgabe ist, lässt sich in einem eindrucksvollen Aufsatz Aaron Friedbergs im Washington Quarterly (Winter 2007/08) nachlesen.

Aus Sicht Clintons ist der unerfahrene Obama mit dieser Aufgabe überfordert, auf die sie selbst bestens vorbereitet sei. Allerdings ist dies eine heikle Argumentation, die gar zum „Niedergang des Hauses Clinton“ führen könnte, wie Noemie Emery (Weekly Standard, 14. Januar) frohlockt. Denn Hillarys politische Erfolge und Erfahrungen beziehen sich weniger auf ihre paar Jahre im Senat als auf die Leistungen ihres umstrittenen Mannes. So gesehen ist es nicht ohne Ironie, dass Hillarys Wahlkampfslogan „Ready From Day One“ schon einmal zum Einsatz kam, nämlich 1988 im Wahlkampf von George Bush Senior. Der war zuvor, wie allgemein bekannt, acht Jahre lang Ronald Reagans Vize.

4. Die Republikanische Partei repräsentiert eine breitere Klientel, als in den Bush-Jahren deutlich wurde

John McCain wird voraussichtlich Kandidat der Republikanischen Partei, aber er wird nie Kandidat „der“ Republikaner sein. Seine Konflikte mit dem Establishment der Partei sind wohlbekannt und erschweren die Aktivierung der gefürchteten republikanischen Wahlkampfmaschinerie. Dementsprechend prognostiziert Newsweek: „There will be blood“ (18. Februar) und verweist noch einmal genüsslich auf Tom „The Hammer“ DeLay, den ehemaligen Speaker des korruptionsgebeutelten republikanischen Repräsentantenhauses, der McCain für einen Feind der konservativen Sache hält und – Sakrileg! – eher für Clinton als McCain stimmen würde. McCains Betonung der Klimaproblematik, seine Reform der Wahlkampffinanzierung, seine Ablehnung der Steuerreform Bushs und vor allem seine laxe Haltung in Fragen der Einwanderung, der Abtreibung und der Homosexuellen-ehe irritieren die konservative Basis. Insbesondere die religiöse Rechte verweigert McCain die Gefolgschaft, wie James Antle in der Februar-Ausgabe des American Spectator erklärt. Nutznießer ist Huckabee, der ehemalige Prediger und Gouverneur von Arkansas, der dadurch einige Vorwahlen für sich entscheiden konnte.

Sehr viele gemäßigte Republikaner fühlen sich hingegen von McCain angemessen repräsentiert, wie sein Sieg in der geschlossenen Vorwahl in Florida, wo er sich nicht auf die Unterstützung Unabhängiger verlassen konnte, beweist. Das ist nicht allein auf McCains Image und seine konsequente Linie in der Sicherheitspolitik zurückzuführen. Vielmehr dämmert den Beobachtern, dass Konservatismus in Amerika eben doch mehr ist als Frömmigkeit und volkstümelnde Rhetorik. Denn dass McCain ein Konservativer ist, bestätigt ihm sogar die hartgesottene American Conservative Union, die das Abstimmungsverhalten von Parlamentariern auswertet. Der ACU zufolge hat McCain seit Einzug in den Senat 1987 über 82 Prozent seiner Stimmabgaben im Sinne der konservativen Lobby getätigt – Clinton liegt bei 9 Prozent, Obama bei 8 Prozent.

5. Ein Triumph der Demokraten im November ist keineswegs sicher

Die Vorzeichen für einen demokratischen Erfolg sind vielversprechend: Die Amerikaner sind des republikanischen Präsidenten überdrüssig, die Demokraten haben wesentlich mehr Geld eingeworben als die Republikaner, und die Vorwahlbeteiligung ist auf demokratischer Seite durchweg höher als auf republikanischer. Trotzdem warnt Frank Rich im New York Review of Books (14. Februar): „Die Hoffnungen der Demokraten auf einen Wahlsieg gründen weniger auf ihren eigenen Ideen als auf der Schwäche ihrer Gegner.“

In der Tat ist die politische Agenda der demokratischen Opposition dünn – und der innen- und sozialpolitisch gemäßigte, hoch integere McCain könnte sich als Alptraum-Gegner erweisen. Laut jüngsten Umfragen würde er Clinton im direkten Duell schlagen und sich mit Obama ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Sollte sich die Situation im Irak bis zum Herbst weiter stabilisieren, wie Josef Joffe, Richard Perle und Walter Russel Mead im American Interest (März/April) voraussagen, wäre das ein weiterer Vorteil für McCain, den Architekten der Truppenaufstockung.

Viel wird davon abhängen, ob der Gewinner des demokratischen Vorauswahlprozesses es schafft, den Enthusiasmus der Anhänger der unterlegenen Seite auf sich zu vereinen. Daher träumen viele von einem gemeinsamen Clinton/Obama-Ticket (z.B. Michael Duffy in Time, 18. Februar), das jedoch aus persönlichen wie wahltaktischen Gründen unwahrscheinlich erscheint. Hendrik Hertzberg zeigt im New Yorker (11. Februar), wie tief der Riss zwischen beiden demokratischen Kontrahenten ist und deutet an, dass die endgültige Entscheidung erst auf dem Nominierungsparteitag im August fallen könnte. Trotz aller Ungewissheiten und Überraschungen, eines steht fest: Der Zirkus verlängert seine Spielzeit.

Dr. PATRICK KELLER, geb. 1978, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft und am Nordamerikastudienprogramm der Universität Bonn. Sein jüngstes Buch:„Neokonservatismus und amerikanische Außenpolitik“ (2008).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, März 2008, S. 102 - 105

Teilen