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01. Sep 2017

Von Eseln und Dickhäutern

Zur strategischen Krise der amerikanischen Parteien

Erfolglos, zerstritten, gespalten: Die Grand Old Party Amerikas bietet derzeit ein Bild des Jammers. Eine Chance für die Demokraten? Das sollte man meinen. Doch die sind mit Selbstfindung und -erneuerung beschäftigt. Und auf die Millionen-Dollar-Frage der US-Politik – „Was will die politische Mitte?“ – hat man weder hüben noch drüben eine Antwort.

Seit einem halben Jahr kontrollieren die Republikaner das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses. Doch legislative Erfolge sind bislang ausgeblieben. Zwar haben Präsident Donald Trump und seine Getreuen im Senat einen Richter an den Supreme Court gebracht, und in seinen ersten Voten hat sich dieser Neil Gorsuch zur Freude der Republikaner am rechten Rand positioniert. Aber sonst ist keines der lange versprochenen Projekte gelungen.

Die Rücknahme und Neugestaltung der Obamacare genannten Gesundheitsversicherung sind in den ersten Anläufen an mangelnder republikanischer Einigkeit spektakulär gescheitert. Die Steuerreform und die Förderung der Infrastruktur sind nicht einmal in Angriff genommen worden, und inzwischen mehren sich die Zweifel, ob solche weitreichenden Maßnahmen noch vor den Kongresswahlen im November 2018 gestemmt werden können. Denn selbst Kernbereiche der Trump-Agenda wie die Begrenzung der Einwanderung oder die Einschränkung staatlicher Regulierungsvorschriften wurden bislang nicht per Gesetz, sondern nur per präsidentiellem Dekret angegangen – wie das Einreiseverbot aus bestimmten muslimischen Ländern, das durch die Gerichte in Teilen als nicht verfassungsgemäß aufgehoben wurde.

Was ist also los mit den Republikanern? Warum kommt es nicht zum legislativen Durchmarsch? Ein wesentlicher Grund ist, dass die ­Republikanische Partei keine monolithische Kraft ist, sondern in verschiedene Lager zerfällt.

Im Repräsentantenhaus verfügt der aus der Tea Party hervorgegangene „Freedom Caucus“ über eine Sperrminorität gegenüber der Mehrheit der vergleichsweise gemäßigt Konservativen; im Senat, wo es aufgrund der knappen Mehrheit von 52:48 auf praktisch jede republikanische Stimme ankommt, stehen Libertäre gegen Evangelikale gegen Fiskalkonservative gegen Moderate.

Das allein ist jedoch keine ausreichende Erklärung. Auch wenn die Kompromissbereitschaft im Kongress (und in der amerikanischen politischen Kultur insgesamt) gesunken ist, sind solche Unterschiede innerhalb der Fraktion typisch für ein Zwei-­Parteien-System – erst recht in so einem vielfältigen Land. Trotzdem sind selbst in jüngster Vergangenheit immer wieder weitreichende, parteipolitisch umstrittene Gesetze beschlossen worden, weil sich die verschiedenen Lager zusammenschweißen ließen.

Zerstritten und egoistisch

Dass dies den Republikanern in der laufenden Legislaturperiode nicht gelingt, hat verschiedene Ursachen. Vor allem mangelt es an einer klaren Zielvorstellung. Wie der Streit um die Reform der Reform des Gesundheitswesens gezeigt hat, sind sich zwar praktisch alle Republikaner in ihrer Abneigung gegenüber Obama­care einig. Diese speist sich aber nicht aus den gleichen Quellen: Manche haben ein prinzipielles Problem mit der Ausweitung des Sozialstaats, andere stoßen sich an den zu hohen und schnell steigenden Beiträgen der Versicherten, wieder andere an den sich nach wie vor erhöhenden Kosten des Gesundheitssystems. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Reformanstrengungen in verschiedene Richtungen streben.

Zugleich fehlt es aber an Ideen, wie die einzelnen Perspektiven adressiert und machtpolitisch zusammengeführt werden können. Die Wut auf Obamacare war fast acht Jahre lang ein durchaus erfolgreicher Antrieb der Republikaner; nur haben sie diese Zeit nicht genutzt, um konkrete Gesetzespläne zu entwickeln und Mehrheiten für die unabdingbaren Kompromisse zu organisieren. Nun fehlt es an Zeit für Beratungen und an starken Führungspersönlichkeiten, die einen Entwurf gestalten und durchsetzen könnten. Präsident Trump, qua Amt der Anführer seiner Partei, hat keinen eigenen Gesetzentwurf vor­gelegt und es auch versäumt, in Parlament und Land für einen bestimmten Entwurf zu werben. Präsident Obama hat das zu Beginn seiner Amtszeit ganz anders gehandhabt und so maßgeblich dazu beigetragen, dass der Affordable Care Act umgesetzt wurde.

Auch ist nicht zu verkennen, dass sich einzelne Führungsfiguren der Republikaner schon jetzt in Stellung bringen für den Wahlkampf um Trumps Nachfolge. Senatoren wie Ted Cruz, Ben Sasse, Marco Rubio oder Tom Cotton legen derzeit mindestens genauso viel Wert darauf, wie sich ihr Abstimmungsverhalten bei zukünftigen Präsidentschaftswahlen verkaufen lässt, wie auf die Bilanz der Partei und die Erwägung des Gemeinwohls. Deswegen hat Cruz beispielsweise während der Hochphase der Verhandlungen im Kongress einen eigenen Vorschlag für die Gesundheitsreform unterbreitet – auch wenn klar war, dass dieser keine Mehrheit finden und den bestehenden republikanischen Plan unter­minieren würde.

Zerstrittenheit, in der ­Opposi­tion verschwendete Zeit, ein Mangel an Ideen und Führung aus dem Weißen Haus sowie egoistische Ambitionen verhindern also bislang legislative ­Erfolge der Republikaner. Das Erstaunliche: Bislang scheinen die Wähler sie dafür nicht abzustrafen. Im Gegenteil, seit dem Zweiten Weltkrieg hatten zu diesem Zeitpunkt ihrer Präsidentschaft nur Barack Obama und die beiden Bushs so hohe Zustimmungswerte unter Anhängern der eigenen Partei wie Donald Trump. Das zeigte sich auch bei den vier so genannten Special Elections um frei gewordene Sitze im Repräsentantenhaus in diesem Jahr, die die Republikaner gewonnen haben.

Einige Beobachter meinen daher, dass der Kampf um die Gesundheitsreform die meisten Bürger gar nicht interessiere und dass sich auch viele republikanische Wähler mit den Vorzügen der Krankenversicherung wohlfühlen. Vielmehr sei die Entwicklung des Arbeitsmarkts und der Haushaltseinkommen der wahre Test für die republikanische Basis. Deshalb sei die Steuerreform, die womöglich doch noch bis zu den Kongresswahlen im November 2018 verabschiedet werden könnte, das eigentlich zentrale Gesetz.

Schwierige Erneuerung

Vielleicht können die Republikaner auch deshalb entspannt in die Zukunft schauen, weil es um die Demokraten noch viel schlechter steht? Es ist doch erstaunlich, wie wenig die Demokratische Partei von der chaotischen Amtsführung Trumps und den schlechten allgemeinen Umfragewerten des Präsidenten sowie des Kongresses profitiert.

Die unerwartete Niederlage im November 2016 hat die Demokratische Partei in einen Schockzustand versetzt, der bis heute anhält. Dass sie die Mehrheit im Senat nicht erobern konnten, ist für die Demokraten schlimm genug. Aber dass sie das Weiße Haus an einen politisch völlig unerfahrenen Gegner verloren haben, den Umfragen als den unbeliebtesten Präsidentschaftskandidaten aller Zeiten auswiesen, das können die Demokraten nicht verwinden.

Jene Strategen der Partei, die sich bei ihrer Ursachenforschung nicht ablenken lassen von vordergründigen Faktoren (russische Einflussnahme, FBI-Direktor Comeys zwiespältiges Verhalten in der E-Mail-Affäre, das US-Wahlsystem), gelangen zu der Erkenntnis, dass Hillary Clinton eine zutiefst problematische Kandidatin war. Analysen und Berichte aus dem Inneren der „Clintonworld“, wie Jonathan Allens und Amie Parnes’ Bestseller „Shattered“, zeigen, dass Hillarys Skandale, ihre Defizite in der Mitarbeiterführung und vor allem ihre Unfähigkeit, eigene Schwächen zu erkennen und auszubalancieren, einen Erfolg der Demokraten erheblich behindert haben. An der Frage, ob die Wahlniederlage Clintons Persönlichkeit geschuldet ist oder ob sie in einer grundsätzlich verfehlten Politik wurzelt, entzündet sich der Streit über die künftige Ausrichtung der Demokratischen Partei.

Gegenwärtig haben jene Aufwind, die die Partei weiter nach links rücken wollen: mehr Umverteilung von oben nach unten, strengere Regeln für den Finanzmarkt, Begrenzung der Marktmacht einzelner Unternehmen. Jüngst haben die Demokraten im Kongress ein „Better ­Deal“-Programm angekündigt, das vor allem den Arbeitern mehr Geld verspricht. In Umrissen ist hier eine Allianz der linken Demokraten mit dem ökonomischen Populismus Trumps auszumachen – gegen die traditionellen, wirtschaftsfreundlichen Republikaner und den moderaten Flügel der Demokraten.

Die moderaten Demokraten sind der Ansicht, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Ihrer Überzeugung nach ist die Schwäche der Demokratischen Partei weniger ihrer Wirtschaftspolitik geschuldet als ihrer kulturellen Agenda. In den Jahren nach Bill Clintons Präsidentschaft sei die Partei vor allem über ihre progressive Minderheitenpolitik in Fragen sexueller Orientierung und ethnischer Zugehörigkeit definiert worden. Darüber habe man die Sorgen des Mainstreams – Kriminalität und Sicherheit, Bürokratie, Bildung, Infrastruktur, Steuern und Abgaben – vernachlässigt. Der moderate Flügel ist zurzeit zwar in der Minderheit; ihm gehören aber einige Hoffnungsträger der Partei an, wie Senator Cory ­Booker (48) aus New Jersey oder der Abgeordnete und ehemalige Elitesoldat Seth Moulton (38) aus Massachusetts.

Diese aufstrebenden Stimmen sind auch deshalb so wichtig, weil die Demokraten im Vergleich zu den Republikanern keinen großen Fundus an politischen Talenten haben. Seit 2009 haben die Demokraten massiv verloren: elf Senatssitze, 63 Sitze im Repräsentantenhaus, mehr als 1000 Mandate in den Parlamenten der Bundesstaaten und 16 Gouverneurs­posten.

In dieser dramatischen ­Situation ist dringend Erneuerung geboten. Aber der politische Richtungsstreit zwischen Progressiven und Pragmatikern ist auch einer der Gründe, warum die Demokratische Partei derzeit keine kraftvolle Alternative zu den Republikanern bietet. Das zeigte sich bei den bereits erwähnten Special Elections. In allen vier Fällen verloren die Demokraten, obwohl sie die Wahlen zu Abstimmungen über Trump und den ineffektiven Kongress machten, mehr Geld investierten als je zuvor bei einer Abgeordnetenwahl und ganz unterschiedliche Kandidatentypen aufstellten. So vertrat der unterlegene Kandidat in ­Georgia eine moderate Position, der in Montana war ein populistischer Banjospieler. Nichts fruchtete, weil die Wähler nicht erkennen konnten, wofür die Demokraten stehen.

Man kann die Ergebnisse der Special Elections aber auch anders lesen. Denn in vier traditionell deutlich republikanischen Distrikten sind die Demokraten nahe an einen Sieg herangerückt. Überall haben sie ihr Ergebnis gegenüber der November-Wahl verbessert, im Schnitt um 10 Prozent. Das ist, landesweit betrachtet, ein positiver Trend für die Demokraten, gerade mit Blick auf die Kongresswahlen 2018. Zudem bleiben andere langfristige Trends bestehen, die für die Demokraten günstig sind – zum Beispiel der weitere Zuwachs des Anteils von Latinos an der Gesamtbevölkerung und die Verstädterung. Trumps Wahlsieg und die schlechte Bilanz der Demokraten in den vergangenen Jahren unterhalb der Ebene der Präsidentschaftswahlen zeigen aber, dass diese Trends allein nicht ausreichen.

So bleibt ein Rätsel, das weder Demokraten noch Republikaner bislang gelöst haben: Was will die politische Mitte Amerikas? Fest steht, dass sie immer noch ganz überwiegend weiß ist und in den Vorstädten lebt. Es geht also weniger um den politischen Kampf zwischen „demokratischen Küsten“ und „republikanischem Herzland“ als um Suburbia, das Zwischenreich zwischen den demokratischen (Groß-)Städten und dem republikanischen Land. Die Menschen, die dort leben, sind mehrheitlich nicht extremistisch, weder links noch rechts, und ein eventueller Hang zum Populismus resultiert aus der Abwehrhaltung gegen eine Politik, die sie nicht anspricht.

Einige Rahmenbedingungen begünstigen Krawall und Polarisierung. So haben erboste und desillusionierte Bürger einen Clown gewählt, der im Begriff ist, das Zirkuszelt einzureißen. Neue Rechtsprechung („Citizens United“) erlaubt mehr Geld von vermögenden Spendern mit Partikularinteressen im Wahlkampf als je zuvor. Und die unselige Praxis des Gerrymandering, also des Zuschnitts von Wahlkreisen zur Optimierung parteipolitischer Erfolge, wird immer extremer betrieben und entmachtet die kompromissbereite Mitte.

So schwierig die Rahmenbedingungen auch sind, die Kernfrage bleibt, wo genau die Mitte politisch zu lokalisieren ist. Wie steht sie zur Globalisierung und der Weltmachtrolle der USA? Wie sozialliberal ist sie wirklich, und wie viel Law and Order ist ihr zu viel? Ist ihr, auch in der Einkommensverteilung, Fairness wichtiger als Gleichheit? Die Partei, die es als erste schafft, in diesen Fragen ein konsistentes Programm auf den Punkt zu bringen und mit einer passenden politischen Persönlichkeit zu verknüpfen, wird auf Jahre hinaus Wahlen gewinnen. Gegenwärtig sind weder Republikaner noch Demokraten so weit.

Dr. Patrick Keller ist Koordinator für ­Außen- und Sicherheitspolitik der Konrad-­Adenauer-Stiftung in Berlin. Er gibt hier seine persönliche Meinung wieder.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September-Oktober 2017, S. 110 - 114

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