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01. Apr. 2006

Vorkolonialer Freihandel

In Afrika gibt es eine lange Tradition wirtschaftlicher Freiheit

Nach der Unabhängigkeit von der Kolonialherrschaft wurden in den meisten afrikanischen Staaten dirigistische Wirtschaftssysteme eingeführt. Das war allerdings keine Rückkehr zu vorkolonialen Zuständen, sondern das genaue Gegenteil: Unternehmertum, freier Handel und Märkte waren die Regel in Afrika. Das Modell Botswanas zeigt, dass ein Anknüpfen an diese marktwirtschaftliche Tradition ein Entwicklungsweg für Afrika sein kann.

Bis heute hält sich der Mythos, Afrika sei vor dem Kontakt mit den Europäern eine reine „Jäger- und Sammlergesellschaft“ gewesen, die weder über Kultur, noch über ökonomische Institutionen verfügt habe. An die Scholle gebunden, hätten sich die Afrikaner mehr schlecht als recht mit primitiven Formen der Landwirtschaft über Wasser gehalten. Handel und Tausch seien unbekannt gewesen, Selbstversorgung und Subsistenzwirtschaft die Existenzgrundlage.

Das ist falsch. „Die Völker des (vorkolonialen) Westafrikas besaßen ein Wirtschaftssystem, das es ihnen erlaubte, landwirtschaftliche Produkte in so großem Umfang herzustellen, dass sie auf ländlichen oder städtischen Märkten verkauft werden konnten; Handwerker organisierten sich häufig in Gilden, deren Mitglieder ebenfalls für Märkte produzierten. Es gab verschiedene Währungen, die meistens untereinander und später dann auch mit europäischen Währungen konvertibel waren. Auch existierten ausgefeilte Handelssysteme. Die Erzeugnisse selbst der kleinsten westafrikanischen Gemeinschaften zirkulierten auf lokalen Märkten und wurden mit Gepäckträgern, Karawanen und Booten zu den großen sudanesischen Handelszentren transportiert, von wo sie im Austausch gegen andere Produkte in die Mittelmeergegenden verschifft wurden.“1

Die ökonomischen Aktivitäten der Afrikaner waren breit gefächert. Zwar erstreckten sie sich meist auf den primären Sektor (Landwirtschaft, Viehzucht, Jagd, Fischerei, Holzwirtschaft); daneben existierten aber auch Handwerk und andere produzierende Gewerbe wie Weberei, Töpferei sowie Bergbau und die Verhüttung und Weiterverarbeitung von Eisen, Gold, Silber, Kupfer und Zinn.

Landwirtschaft war die Haupterwerbstätigkeit der Afrikaner, und die kleinste Produktionseinheit war die Großfamilie. Sie fungierte gleichsam als Wirtschaftsbetrieb, der Güter produzierte und die Früchte der Arbeit so verteilte, wie ihre Mitglieder es beschlossen. Es gab individuelle Entscheidungsspielräume und individuelle Entlohnung. Innerhalb der Familie spezialisierten sich die Familienmitglieder auf den Anbau unterschiedlicher Feldfrüchte; bestimmte Aufgaben blieben (in vielen Regionen bis heute) Frauen vorbehalten.

Was jemand auf seinem Land anbaute, war dessen eigene freie Entscheidung und der Ernteertrag Privateigentum. Wie viel davon er mit seinen Angehörigen teilte und wie viel er für sich selbst behielt, lag ganz bei ihm. Selten gab es einen genau festgelegten Verteilungsschlüssel unter den Familienmitgliedern.

Die Produktionsmittel gehörten den Bauern, nicht ihren Häuptlingen oder Stammesfürsten. Wasser und Weideland durften von jedermann benutzt werden. Doch sobald jemand einen Brunnen oder einen Stausee angelegt hatte, stand ihm die Verfügung über das Wasser exklusiv zu.2

Vererbtes Land durfte nur bebaut, nicht aber verkauft werden. Das Eigentum musste innerhalb der Abstammungslinie verbleiben. Die Aufsicht über den Grundbesitz übten die Familienältesten aus, in sehr kleinen Stämmen gelegentlich auch der Häuptling. Doch als „Gemeineigentum“ ließe sich das nicht beschreiben, denn darunter müsste man sich den ungehinderten Zugriff sämtlicher Dorfbewohner auf jedes Stückchen Land vorstellen. Die angemessene Bezeichnung wäre Familienbesitz oder Erbbesitz.

In der vorkolonialen Ära gab es in Afrika zahlreiche produzierende Gewerbe wie die Glasherstellung in Benin3 oder das uralte Handwerk der Herstellung von Kleidung in Nigeria,4 dessen feine Tuche im 14. Jahrhundert im Austausch für andere Güter nach Nordafrika geliefert wurden.

Um das Startkapital für kommerzielle Unternehmungen zu sichern, griff man auf zwei traditionelle Finanzierungsquellen zurück: Jede Großfamilie verfügte mit einem „Familientopf“ über einen Fonds, in den die einzelnen Mitglieder je nach ihren Möglichkeiten einzahlten. Niemand wurde zum Einzahlen gezwungen; wer sich nicht beteiligte, hatte eben auch keinen Zugriff auf diesen Topf. Die Fondsmittel verwandte man sowohl für den Konsum als auch für Investitionen. Man deckte damit etwa die Kosten für Hochzeiten, Beerdigungen, Ausbildung oder Bauarbeiten ab. Oder man benutzte sie als Darlehenskasse.

Die zweite Finanzierungsquelle war ein flexibles Kreditsystem, das in ganz Afrika verbreitet war. Eine Gruppe von beispielsweise zehn Leuten zahlte einen bestimmten Betrag in einen Fonds ein. War eine größere Summe angespart, wurde sie den Mitgliedern ausgehändigt, die das Bargeld in ein Unternehmen investierten. Für ein solches System ist ein hohes Maß an Vertrauen nötig. Tatsächlich war solch ein „Kreditverein“ die Hauptkapitalquelle für zahlreiche Geschäfte im informellen Sektor. In Ghana und Nigeria war es sogar möglich, faktisch Hypotheken auf den eigenen Bauernhof aufzunehmen.5 Standen keine weiteren Möglichkeiten der „Kreditaufnahme“ zur Verfügung, konnte man mit anderen, die über Kapital verfügten, eine Personengesellschaft gründen. „Üblicherweise schlossen sich drei Partner zusammen, die die Gewinne aus einem Projekt gleichmäßig aufteilten. Bei einem Handelsgeschäft stellte einer der Partner das Kapital zur Verfügung, einer sorgte für den Vertrieb der Waren und nahm die Gefahren des Transportwegs auf sich und der dritte organisierte die Personengesellschaft, was in vielen Fällen einfach nur bedeutete, den ‚Kapitalisten‘ und den ‚Transporteur‘ zusammenzubringen.“6

Das Konzept von „Profit“ war in Afrika alles andere als unbekannt. Während der gesamten Geschichte des Kontinents gab es zahlreiche Unternehmer, Händler, Zwischenhändler und Makler, die erfolgreich Profite erwirtschafteten, die wiederum Privateigentum waren. Im 17. Jahrhundert brachten es an der Goldküste viele zu Reichtum und Wohlstand.7 Deren Besitz zu konfiszieren und unter den Stammesmitgliedern zu verteilen kam den Häuptlingen nicht in den Sinn.

Jeder konnte selbst entscheiden, wie die Profite zu verwenden wären. Dabei war es durchaus üblich zu teilen. In den Personengesellschaften (abusa) der ghanaischen Kakaobauern wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Nettogewinne zu zwei Dritteln an den Besitzer der Farm und in Form von Löhnen an die Arbeiter ausgezahlt. Das verbleibende Drittel wurde für die Instandhaltung und Erweiterung der Farm zurückgelegt. Solche Systeme der Gewinnbeteiligung blieben nicht auf die Landwirtschaft beschränkt, man verwandte sie auch in den Bereichen Handel und Fischerei. Auch willkürliche Enteignungen gab es nicht, außer in extremen Ausnahmefällen. Selbst dann durften Ländereien und Häuser nur nach einer öffentlichen Anhörung konfisziert werden.8

Die Tradition des Freihandels

Selbstversorgung mochte die vorherrschende Form des Lebensunterhalts gewesen sein; dennoch war die Entwicklung von Märkten unvermeidlich, da unmöglich jeder Einzelne alles Benötigte selbst herstellen konnte. Also musste ein Überschuss produziert werden, der gegen Dinge eingetauscht wurde, die man nicht selber herstellen konnte. Die Institution des Marktplatzes entwickelte sich somit quasinatürlich in ganz Westafrika.

Wirtschaftliche Aktivitäten auf afrikanischen Märkten wurden in der Regel nicht von politischen Autoritäten kontrolliert. Es existierten zwar bestimmte Regulationen, doch die bezogen sich auf Einhaltung und Schutz von Recht und Ordnung, das Eintreiben der Standgebühren, die Standardisierung von Gewichten und Maßeinheiten und die Überwachung von Viehschlachtungen.9 Auf dem Igbo-Markt herrschte etwa ein strenges Verbot, Macheten und lange Messer mit sich zu führen, um Kämpfe zu vermeiden. Auf Preiskontrollen und dergleichen aber wurde ausdrücklich verzichtet.

Die dörflichen Märkte erfüllten wichtige ökonomische, soziale und politische Funktionen als unverzichtbares Forum des sozialen Austauschs: Man traf Leute, tratschte, diskutierte und hielt sich auf dem Laufenden. Die Märkte waren auch ein Zentrum des interethnischen Kontakts,10 bei dem Informationen über fremde Kulturen, Medizin, verbesserte Produkte und neue Techniken ausgetauscht wurden. Dort befand sich ganz eindeutig das Herz der vorkolonialen afrikanischen Gesellschaft, das Zentrum nicht nur der Wirtschaft, sondern aller politischen, sozialen, juristischen und öffentlichen Angelegenheiten. Die leichteste Möglichkeit, eine ethnische Gruppe auszulöschen, war die Zerstörung ihrer Märkte. Bis heute sind die afrikanischen Märkte von größter Bedeutung.

Verschiedene Faktoren bestimmten die Preise auf den traditionellen Märkten: Angebot und Nachfrage, Knappheit und Verfügbarkeit von Gütern, Tageszeit, der soziale Status des Käufers, sein Verhältnis zum Verkäufer, die Qualität eines Produkts und der Bedarf dafür, Wettbewerb – und vor allem das Talent zum Feilschen. In der Regel wurden die Preise aber durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage bestimmt.

Häuptlinge mischten sich in die Preisgestaltung auf den Märkten nicht ein. Nicht einmal Löhne wurden von der Dorfautorität festgesetzt.11 Der traditionelle afrikanische Dorfmarkt war in jeder Hinsicht ein offener und freier Markt, wie „primitiv“ auch immer.

Die Rolle der Regierung in der indigenen Ökonomie

Indigene Regierungen schufen die notwendigen Rahmenbedingungen für die wirtschaftlichen Aktivitäten der Bevölkerung. Stammesregierungen schrieben den Bauern nicht vor, was sie anzubauen hatten. Die Rolle der Häuptlinge und Könige bestand darin, sicherzustellen, dass niemandem der Erwerb von Land verwehrt werden konnte, nicht einmal Fremden.

Größtenteils gab es in Afrika überhaupt keine Eingriffe in die Produktion.12 Der Grundsatz des afrikanischen Rechts – jede Schädigung einer Person gilt als Angriff auf die gesamte Gesellschaft – ließ sich auf den wirtschaftlichen Bereich übertragen. Die Beschränkung der wirtschaftlichen Aktivitäten eines Individuums bedeutete gleichzeitig eine schwere Einschränkung der wirtschaftlichen Wohlfahrt der gesamten Gesellschaft. Sofern das Streben nach Wohlstand nicht mit den Interessen der Gemeinschaft in Konflikt geriet, gab es keine Veranlassung – und vor allem kein Recht – zur Einmischung. Das war ein beinahe universales Prinzip in ganz Afrika.

Händler waren freie Unternehmer. Sie allein trugen die Risiken, und sie fuhren die Gewinne ein. Nur in sehr wenigen Fällen wurde der Handel vom Staat monopolisiert und kontrolliert. Zu diesen Ausnahmen zählen die Königreiche Dahomey, Asante und Mossi. Die Einwohner von Dahomey waren im 19. Jahrhundert die am höchsten besteuerten Westafrikaner. Das Königreich kollabierte schließlich unvermeidlich unter dem Gewicht seiner Bürokratie und dem Labyrinth seiner Regulierungen.

Es lässt sich also schließen, dass staatliche Eingriffe in die Wirtschaft im vorkolonialen Afrika eher die Ausnahme als die Regel waren. „Im vorkolonialen Afrika unterstützten die Staaten Spezialisierung und Handel. Sie beendeten Stammesfehden. Sie sorgten für Frieden, Stabilität und die Rahmenbedingungen für private Investitionstätigkeit.“13

Ausländische Beobachter haben die afrikanischen Traditionen, Profite zu teilen, voreilig als „primitiven Kommunismus“ verworfen. Viele afrikanische Führer betrachteten sie als Beweis, dass das vorkoloniale Wirtschaftssystem „sozialistisch“ gewesen sei. Beide irrten. Es gab in den meisten Stammesgesellschaften weder Staatseigentum noch staatliche Planung. Die Produktionsmittel befanden sich in Privateigentum. Das Profitmotiv war in den meisten Markttransaktionen präsent. Freies Unternehmertum und Freihandel waren im vorkolonialen Afrika die Regel. Das System der Großfamilie verschaffte die notwendige Sicherheit, um die Risiken des Unternehmertums abzufedern. Viele Elemente dieses Wirtschaftssystems existieren bis heute, sofern afrikanische Regierungen sie nicht durch fehlgeleitete Politik oder durch Bürgerkriege zerstört haben.

Unterjocht, aber ökonomisch frei

Wir wollen den Kolonialismus gewiss nicht beschönigen. Aber einer seiner kaum bekannten und gewürdigten „Wohltaten“ war der Frieden, den er Afrika brachte. Das vorkoloniale Afrika kannte zahlreiche Stammeskriege, in denen es um Sklaven und die Ausbeutung von Ressourcen ging (den heutigen Konflikten in Angola, im Kongo, in Liberia und Sierra Leone um Bodenschätze nicht unähnlich). Die Abschaffung des Sklavenhandels in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts beseitigte einen Kriegsgrund, doch jetzt musste dieses fürchterliche Geschäft durch einen anderen Wirtschaftszweig ersetzt werden. Etwa zu dieser Zeit wurden so genannte Cash Crops eingeführt, landwirtschaftliche Produkte für den Export. In Europa kam die Industrielle Revolution in Schwung. Fabriken benötigten sowohl Rohstoffe als auch Absatzmärkte für ihre Endprodukte. Zudem wurde eine rudimentäre Infrastruktur geschaffen (Straßen, Schienen, Brücken, Schulen, Postämter usw.). Die drei Elemente Frieden, Infrastruktur und wirtschaftliche Freiheit bildeten die Säulen für den afrikanischen Wohlstand.

Es ist aufschlussreich, dass die Afrikaner im Zeitraum von 1880 bis 1950 ihr eigenes Wirtschaftssystem fortführten und damit ihren Wohlstand ankurbelten. Von wenigen Orten wie den portugiesischen Kolonien abgesehen, gab es in Afrika keine Plantagenwirtschaft. Cash Crops wurden von Kleinbauern auf ihrem eigenen Land mit traditionellen Anbaumethoden gezüchtet. Der Kakaoanbau zum Beispiel war nicht mechanisiert, sondern blieb eine sehr arbeitsintensive Angelegenheit. Motorisierung, Insektizide und andere technische Verbesserungen, die die Europäer mitbrachten, erleichterten die Arbeit. Aber der traditionelle Grundbesitz und die Entscheidungsfreiheit des Bauern, was er anbauen wollte, blieben weitgehend unangetastet.

Obwohl diese Freiheit in Zentral- und im südlichen Afrika durch den Kolonialismus eingeschränkt wurde, stieg während der Kolonialära der Wohlstand der Bauern. Warum konnten sie ihren Wohlstand nach der Unabhängigkeit dann nicht halten? Die Antwort liegt auf der Hand: Ihnen wurde die ökonomische Freiheit genommen.

Die Abkehr von der ökonomischen Freiheit während der Kolonialzeit begann in Südafrika, weil die weißen Kolonisatoren sich im wirtschaftlichen Wettbewerb mit den Schwarzen unterlegen fühlten.14 In den übrigen afrikanischen Ländern fanden die Wende zum Dirigismus und die Beschränkung der ökonomischen Freiheit erst mit der Unabhängigkeit statt. Den Afrikanern wurden von Sozialisten mit Schweizer Bankkonto Ideologien aus Europa übergestülpt, ihr Geld wurde von raffgierigen Eliten besteuert und verprasst. Nach der Befreiung von der Kolonialherrschaft verstaatlichten viele afrikanische Regierungen nicht nur europäische Firmen, angeblich um die Ausbeutung durch ausländische Kräfte abzuschaffen, sondern schlossen auch die Einheimischen von vielen wirtschaftlichen Bereichen aus. In Ghana zum Beispiel wurde nach der Unabhängigkeit der Bergbau verstaatlicht und gleichzeitig die private Goldgräberei durch Einheimische für illegal erklärt. In vielen anderen afrikanischen Ländern wurden Privatunternehmer aus Industrie, Handel und Gewerbe hinausgedrängt, und der Staat verblieb als dominanter oder sogar einziger Akteur.

Botswanas Schlüssel zum Erfolg

Das einzige schwarzafrikanische Land der postkolonialen Periode, das seine Einwohner nicht drangsalierte, sondern vielmehr auf deren vorkolonialen Traditionen aufbaute, war Botswana. Dabei erfüllte es sämtliche Voraussetzungen für ein weiteres ökonomisches Desaster. Untergangspropheten gaben dem Land nach seiner Unabhängigkeit von Großbritannien im September 1966 weniger als fünf Jahre bis zum Kollaps. Damals gehörte das Land zu den 20 ärmsten der Welt. Die meisten Minen, Großfarmen und Handelsgesellschaften befanden sich in südafrikanischem Besitz. Es gab nur fünf Kilometer gepflasterte Straße. Die Bevölkerung setzte sich aus neun ethnischen Gruppen zusammen; 80 Prozent waren Analphabeten. Zudem bestand das Land zu 75 Prozent aus Wüste; das übrige Viertel war ebenfalls zu großen Teilen unfruchtbares Land. Nicht nur wurde Botswana von Dürreperioden heimgesucht –- es nahm obendrein Flüchtlinge aus den Krisenregionen Südafrika, Rhodesien bzw. Simbabwe auf.

Dennoch belief sich die Wachstumsrate Botswanas nach zwei Jahrzehnten (1966 bis 1986) auf ungefähr acht Prozent pro Jahr. Die erste Diamantenmine wurde 1971 in Orapa eröffnet. 1988 betrug der Anteil der Diamantenproduktion an Botswanas Exportgewinnen 85 Prozent. Der zweitwichtigste Exportfaktor war die Fleischindustrie. Zahlreiche Experten führen den relativen Wohlstand Botswanas vor allem auf seine reichen Diamantenvorkommen zurück. Doch es gibt auch eine Kombination politischer Faktoren, die ein günstiges Umfeld für wirtschaftlichen Wohlstand schufen:

  1. Es gibt keine Konflikte zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, Botswanern, Europäern und Asiaten. Ethnische Diskriminierung oder Chauvinismus stellen kein bedeutendes Problem dar.
  2. Botswana genießt politische Stabilität, die nicht durch einen Militärdiktator oder die Ausrufung einer Ein-Mann-Diktatur hergestellt wird. Botswana ist eine parlamentarische Demokratie mit einem Mehrparteiensystem, die, entgegen den Warnungen diverser afrikanischer Diktatoren, nicht in Stammesfehden aufgerieben wurde.
  3. Die Regierung bedient sich keiner emotionalen Rhetorik, sondern einer klugen und pragmatischen Wirtschaftspolitik. Die botswanische Mischwirtschaft führte nicht zu Verstaatlichungen, sondern zum Ausbau der Infrastruktur. Staatliche Gewinne aus Diamantenexporten und Zöllen sowie Spendengelder kamen der Bevölkerung zugute, weil sie in eine bessere Infrastruktur investiert wurden, vor allem in die Trinkwasser und medizinische Versorgung und den Bau von Grundschulen. Staatliche Unternehmen wurden gegründet, um den Privatsektor zu ergänzen, nicht um diesen zu ersetzen. Glücklicherweise hatte Botswana von 1980 bis 1998 mit Quett Masire einen ehemaligen Finanzminister zum Präsidenten, der eine kluge makroökonomische Politik verfolgte, indem er Rücklagen bildete und die Staatsausgaben während günstiger Konjunkturperioden nicht erhöhte.
  4. Die Abwesenheit von Korruption in Botswana wirkt geradezu erfrischend. Das ist vor allem der Meinungs- und Pressefreiheit geschuldet. Neben den offiziellen Regierungsorganen The Daily News und der Monatszeitschrift Kutlwano erscheinen drei private Tageszeitungen und vier lokale Monatsmagazine, die keiner Zensur unterliegen. Auch ausländische Zeitungen und Zeitschriften sind fast überall erhältlich. Botswana findet immer wieder Lösungen für seine wirtschaftlichen Probleme, gerade weil es eine öffentliche Debatte zulässt. Das übrige Schwarzafrika leidet dagegen unter einem Mangel an neuen Ideen und Lösungsvorschlägen, weil das repressive geistige Klima solche gar nicht erst aufkommen lässt. Von den 54 afrikanischen Staaten lassen neben Botswana nur weitere sieben Meinungsfreiheit und Kritik an der Regierung zu: Benin, Kapverdische Inseln, Ghana, Mali, Mauritius, Sao Tomé und Príncipe sowie Südafrika.
  5. Botswana ignoriert seine vorkolonialen Wurzeln nicht. Vielmehr baute es auf dem kgtola-System auf, bei dem sich Häuptlinge und Ratsmitglieder „unter der Dorfpalme“ versammeln, um in wichtigen Angelegenheiten einen Konsens zu erzielen. Die Kabinettsmitglieder treffen sich sogar einmal wöchentlich zu obligatorischen kgtola-Sitzungen. 1991 standen Regierungsmitglieder vor der Aufgabe, ein 25 Millionen Dollar teures Bewässerungsprojekt am Okawango-Fluss den Einwohnern der Region in einem kgtola schmackhaft zu machen. Wütende Dorfbewohner gaben ihrem Widerspruch lautstarken Ausdruck: „‚Damit werdet ihr das Delta austrocknen, und wir werden keine Fische mehr fangen und kein Schilf mehr haben, um unsere Hütten zu bauen!‘, rief einer der Dorfältesten.“15 Die Regierung musste das Projekt schließlich abblasen. So etwas konnte nur in Botswana stattfinden, wo „participatory development“, „bottom-up development approach“, grassrouts development“ und „popular participation in development“ keine leeren Schlagworte sind. Im übrigen Afrika wurden dagegen die Elemente direkter Demokratie und die Tradition der Konsensbeschlüsse zugunsten von Ein-Mann-Diktaturen abgeschafft. Das kam nur den Eliten zugute und schuf de facto ein System der Apartheid.

Selbstverständlich leidet auch Botswana unter immensen Problemen: Es gibt enorme soziale Ungleichheit, und 40 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind mit HIV infiziert. Gleichwohl zeigt der ökonomische Erfolg des Landes, dass Afrika seine indigene Kultur ganz und gar nicht aufgeben muss, um wirtschaftlich voranzukommen.

GEORGE AYITTEY, geb. in Ghana, ist Professor für Ökonomie an der American University in Washington D.C. und Präsident der Free Africa Foundation. Zuletzt erschien von ihm „Africa Unchained: The Blueprint for Development“ (2004).

  • 1Elliott P. Skinner: West African Economic Systems, in: Melville J. Herskovitz und Mitchell Harwitz (Hrsg.): Economic Transition in Africa, Evanston, Ill. 1964, S. 205.
  • 2Vgl. Isaac Schapera: The Tswana, London 1953.
  • 3Cheikh Anta Diop: Pre-colonial Black Africa, Westport 1987, S. 136.
  • 4Richard Olaniyan (Hrsg.): Nigerian History and Culture, London 1985, S. 104.
  • 5Polly Hill: Development Economics on Trial, Cambridge 1986, S. 12.
  • 6Marvin P. Miracle: Capitalism, Capital Markets, and Competition in West African Trade, in: Claude Meillassoux (Hrsg.): The Development of Indigenous Trade and Markets in West Africa, Oxford 1971, Anm. 2, S. 401.
  • 7Kwame Y. Daaku: Trade and Trading Patterns of the Akan in 17th and 18th Centuries, in: Meillassoux (Anm. 6).
  • 8Frances Kendall und Leon Louw: After Apartheid: The Solution, San Francisco 1986, S. 17.
  • 9Vgl. Elliott P. Skinner: Trade and Markets among the Mossi People, in: Paul Bohannan und George Dalton (Hrsg.): Markets in Africa, Evnaston 1962, S. 219.
  • 10Vgl. Frances E. White: Sierra Leone’s Settler Women Traders, Ann Arbour 1987, S. 41.
  • 11Vgl. Polly Hill (Anm. 5), S. 110.
  • 12Vgl. Peter Wickings: An Economic History of Africa, Oxford 1981, S. 230.
  • 13Robert H. Bates: Essays on the Political Economy of Rural Africa, Berkeley 1983, S. 40.
  • 14Vgl. Kendall und Louw (Anm. 8), S. 4.
  • 15The Washington Post, 21.3.1991, S. A3.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2006, S. 26 - 32

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