Von illegal zu ganz normal
Buchkritik
Nur wer sich ändert, bleibt sich treu: Eine neue Biografie zeichnet den Weg Joschka Fischers vom Straßenkämpfer zum Außenminister als typischem Repräsentanten seiner Generation und der jüngeren deutschen Nachkriegsgeschichte nach.
Dieses gut recherchierte und glänzend erzählte Buch segelt ein wenig unter falscher Flagge: Nicht sein Titel, sondern der Untertitel verrät, worum es dem Autor wirklich geht – nämlich um die Entstehungsgeschichte „seines“ Nachkriegs-Deutschlands. Hockenos, der als amerikanischer Staatsbürger in Berlin lebt und dort auch die Global Edition der IP betreut, zeigt am Beispiel eines ihrer wichtigsten politischen Repräsentanten, wie die Generation der 68er die alte Bundesrepublik erst zu dem machte, was Deutschland heute ist: eine gereifte, im besten Sinne „normale“ westliche Demokratie. Dazu mussten sich die 68er freilich selbst tiefgreifend verändern. Den Gärungsprozessen der Bundesrepublik von der Spiegel-Krise 1962 bis zum Amtsantritt der sozialliberalen Koalition 1969 stellt Hockenos die Rebellion des blitzgescheiten Gymnasiasten Fischer und seine Flucht in die Hippie-Szene an die Seite; der Bewährungsprobe der zweiten deutschen Demokratie in den bleiernen Jahren des Terrors die Metamorphose Fischers vom Hausbesetzer und Straßenkämpfer zum Gewaltgegner und Realo; der Verwandlung der Bundesrepublik zum vereinten Deutschland schließlich die steile politische Karriere Fischers bei den Grünen und deren Absturz im Gefolge der Flügelkämpfe zwischen Fundis und Realos. Fischer schafft 1994 mit den Grünen die Rückkehr in den Bundestag und erfüllt sich 1998, mit dem Wahlsieg und der Bildung einer rot-grünen Regierungskoalition mit dem Vizekanzler und Außenminister Joschka Fischer, jenen Traum von einer „neuen Mehrheit links von der CDU“, den ihm einst Willy Brandt in den Kopf gesetzt hatte. Über den Außenminister Joschka Fischer erfährt man in diesem Buch allerdings wenig: Hier zeichnet Hockenos vor allem Fischers Rolle bei der zweifachen Neujustierung der deutschen Außenpolitik seit 1998 nach, dem „Ja“ zu den Kampfeinsätzen der Bundeswehr im Kosovo und in Afghanistan und dem „Nein“ zu den USA im Irak-Krieg. Fischers Verdienste um die Vertiefung der europäischen Integration hält der Autor demgegenüber für gering. Das erscheint ein wenig unfair: Immerhin gab die berühmte Humboldt-Rede des „Privatmanns“ Joschka Fischer 2000 letztlich ja den Anstoß zum EU-Verfassungsvertrag.
Paul Hockenos: Joschka Fischer and the Making of the Berlin Republic. An Alternative History of Postwar Germany. Oxford: Oxford University Press 2008, 400 Seiten, 28,99 €
Prof. Dr. HANNS W. MAULL, geb. 1947, ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Außenpolitik und Internationale Beziehungen an der Universität Trier.
Internationale Politik 4, April 2008, S. 138 - 139