Von Europas Fehlern lernen
Beim Klimaschutz gerieten die USA ins Hintertreffen. Jetzt holen sie auf
Nach der Ölkrise haben die Europäer ihre Lektion gelernt und auf größere Energieeffizienz gesetzt. In den Vereinigten Staaten findet ein Umdenken nur langsam statt. Da ihre Innovationsfähigkeit größer ist, könnten sie mit den Europäern doch noch zum Vorbild werden. Ein wichtiges gemeinsames Projekt wäre die Zusammenarbeit in der Arktis.
Die Finanzkrise hat es an den Tag gebracht: Der „American Way of Life“, die derzeitigen Produktions- und Konsummuster, die Siedlungsstrukturen und Verkehrssysteme in den USA sind nicht nachhaltig. Der Befund trifft auch auf andere zu, wie die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten, und das ist auch eine Ursache für den Zusammenbruch von Banken, Versicherungen und Teilen der „realen“ Wirtschaft.
Aktueller Anlass der jetzigen schweren Krise aber war – nach Jahren einer lockeren Geldpolitik – vor allem der Nadelstich durch die kurzfristig spekulativ überhöhten Ölpreise, die ihren Höhepunkt Mitte 2008 erreichten. Die hohen Energie- und Benzinpreise führten zu einer verringerten Kaufkraft privater Haushalte und erzwangen Einschränkungen im Konsum. Zu viele Familien konnten ihre Hypothekendarlehen und Konsumkredite nicht mehr bedienen; viele Kredite wurden gleichzeitig Not leidend und die darauf aufbauenden Finanzderivate letztlich „toxisch“, als der Schein der Solidität nicht mehr gewahrt werden konnte. Damit ist die Finanz- und Wirtschaftskrise auch Folge einer über Jahre fehlgeleiteten Energie- und Klimapolitik. Für die USA und deren Siedlungs- und Verkehrsstrukturen ist dies offensichtlich. Trotz einer bereits erzielten größeren Energieeffizienz trifft dieser Befund aber auch auf die Europäische Union zu.
Wo es, wie in den USA, praktisch keine Alternative zum eigenen Auto gibt, kann man Arbeitsplätze nur mit gleichsam erzwungener Mobilität erreichen, um das eigene Einkommen oder die Ausbildung der Kinder zu gewährleisten. Ein Wechsel von Wohnort, Arbeitsplatz und Schulen braucht Zeit; kurzfristig können viele Familien diese Umstände nicht verändern und auf diese Weise die Benzinkosten reduzieren. Sie müssen auf ihre Ersparnisse zurückgreifen, Kredite aufnehmen, Ausgaben verringern und auf Konsum verzichten. Das Gleiche gilt für die Energiekosten für Heizung, Klimatisierung, Warmwasserbereitung, Kühlung, den Betrieb von Haushaltsgeräten und die Beleuchtung. Hier sind kurzfristige Anpassungen zwar möglich, in ihrer Wirksamkeit aber begrenzt. Ein effizienterer Verbrauch von Energie und die Umstellung auf heimische, erneuerbare Energien benötigt selbst bei stetiger und großer Anstrengung Zeit.
Die Preisspitze legte den finanz- und wirtschaftspolitischen Preis der Energieverschwendung offen, überdeckt dabei allerdings den über längere Zeit stetig ansteigenden, aber nicht am Markt erkennbaren sicherheitspolitischen Preis der Abhängigkeit von endlichen fossilen Energieträgern aus politisch instabilen Weltregionen mit mehrheitlich autokratischen Regierungen.1
Die Notwendigkeit eines Strukturwandels wurde auf beiden Seiten des Atlantiks erkannt, doch hat dieses Umdenken unterschiedliche Gründe. In Europa genießt der Klimaschutz einen hohen Stellenwert. In den USA beschäftigt man sich nun intensiver mit den Fehlern in der Energie- und Verkehrspolitik, weil man den hohen sicherheitspolitischen und militärischen Preis des amerikanischen Energieverbrauchs zu erkennen beginnt.2 Auf dem europäisch-amerikanischen Gipfeltreffen im April 2007 läuteten der damalige amerikanische Präsident George W. Bush, der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, und als EU-Ratspräsidentin die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel das „Age of Energy Transformation“ ein, ohne aber konkrete und wirksame Schritte zur Minderung der Energieverschwendung oder zum Ausbau erneuerbarer Energien zu vereinbaren.3
Zugleich führt uns die Finanzkrise vor Augen, wie stark die gegenseitigen Abhängigkeiten infolge der wirtschaftlichen Globalisierung geworden sind; sie erfordern, sich wechselseitig in innere Angelegenheiten einzumischen, Politik abzustimmen und Zukunft gemeinsam zu gestalten.
Im Zuge des europäischen Integrationsprozesses ist diese Einmischung in innere Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten inzwischen zur Gewohnheit geworden. Eine Vielzahl von Netzwerken und Expertengremien koordiniert Politikansätze und die Umsetzung europäischen Rechts. Mitgliedsstaaten, die ihre vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllen, werden vom Europäischen Gerichtshof zur Zahlung von Strafgeldern verurteilt, wobei die Europäische Kommission hier künftig schärfer vorgehen wird.4 Was in Europa als legitime Praxis angesehen wird – die Einmischung eines suprastaatlichen Gerichts in die heimische Gesetzgebung und Verwaltung – ist in den USA derzeit nicht vorstellbar.
In Europa wird oft nicht verstanden, wie tief in den USA die Abneigung gegen internationale oder multilaterale Autorität sitzt, die weit in die amerikanische Geschichte reicht und mit dem Unabhängigkeitsstreben der jungen Republik von den kolonialen Herrschern Europas in Verbindung steht. In den USA wird in der Regel nicht wahrgenommen, dass EU-Recht bindend ist und durchgesetzt wird, und wie stark sich suprastaatlich vereinbarte Regeln im Innenleben der einzelnen Mitgliedsstaaten auswirken. Aus dem wechselseitigen transatlantischen Unverständnis werden noch viele kleine und große Missverständnisse und Enttäuschungen erwachsen, zumal wenn es um eine engere Zusammenarbeit zur Bewältigung der Energie- und Klimakrise geht.5
Dennoch gibt es viel Gemeinsames, worauf die USA und die EU aufbauen können, wenn sie von nun an mit vereinten Kräften ihre Energieinfrastruktur, Produktions- und Konsummuster umwandeln wollen, um den globalen, auch sicherheitspolitischen Herausforderungen des Klimawandels gemeinsam zu begegnen.
Europa als Spiegel für die USA
Für viele Amerikaner spiegelt Europa immer auch einen Teil ihrer eigenen Vergangenheit, Gegenwart und möglichen Zukunft. Nach den Ölkrisen in den siebziger Jahren haben die Europäer wesentlich konsequenter als die USA eine Politik erhöhter Energieeffizienz und reduzierter Energieverschwendung durchgesetzt. Was den Benzinverbrauch von Automobilen betrifft, so ist Europa heute das, was die USA hätten sein können. Wenn amerikanische Stadtverwaltungen nun den Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs vorantreiben und zum Beispiel neue Straßenbahnen bauen, werden sie auf Techniken zurückgreifen können, die in Europa entwickelt wurden. In Bezug auf Struktur und Dichte werden sich viele amerikanische Städte und Vorstädte, vor allem jene, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs flächenmäßig enorm gewachsen sind, nicht schnell ändern können. In Ballungsbereichen aber können und müssen sie sich angesichts von Energieressourcen, die sich akut verknappen können, auch dem Bild europäischer Städte annähern.
Die vielleicht größte klima- und transformationspolitische Leistung der EU ist das Emissionshandelssystem. Ursprünglich war es keine europäische Idee, sondern ein amerikanisches Anliegen. Auf Betreiben der USA wurden die marktbasierten, flexiblen Mechanismen in das Kyoto-Protokoll aufgenommen; eine marktwirtschaftliche Ausrichtung des globalen Klimaschutzes war Voraussetzung für die Kooperation der USA, die mit Handelssystemen für andere Umweltschadstoffe schon Erfahrungen gesammelt hatten. Am Ende ratifizierten die USA das Kyoto-Protokoll nicht; die EU aber machte den Emissionshandel zur eigenen Sache und baute ihn zum weltweit größten, am weitesten entwickelten und für Teilnehmer aus aller Welt offenen Markt- und Anreizsystem für den Klimaschutz aus.
Europa hat von den früheren Erfahrungen der USA profitiert, aber selbst schwerwiegende Fehler gemacht. Am schwersten wiegen die freie Allokation der Emissionsrechte aufgrund historischer Emissionen, das so genannte Grandfathering, und die Erstellung der Nationalen Allokationspläne. Das „Grandfathering“ belohnte die größten Verschmutzer nachträglich, weckte Erwartungen auf weitere Gratiszuteilungen, die politisch nur schwierig zu beseitigen sind, und errichtete damit für die weitere Ausgestaltung des Emissionshandels unnötige Hindernisse. Die Nationalen Allokationspläne waren schon im Prinzip ein Verstoß gegen den Binnenmarkt. Wenn die Emissionsrechte europaweit gehandelt werden sollen, dann dürfen die Regeln für ihre Entstehung nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat voneinander abweichen. Diese beiden Fehler können die USA beim Aufbau ihres eigenen nationalen Emissionshandelssystems leicht vermeiden und damit wiederum Europa ein Beispiel geben.
Nach der Europawahl im Juni 2009, mit der Einführung einer neuen Europäischen Kommission und zusammen mit einer neuen US-Administration sollte es gelingen, das Emissionshandelssystem der EU, das mit dem so genannten „linking“ auch Nicht-EU-Staaten offen steht, mit einem auf US-Bundesebene neu entstehenden System zu verbinden. Die Europäische Kommission wird voraussichtlich eine eigene Generaldirektion für Klimapolitik einrichten, und in den USA deuten alle Personalentscheidungen, die Einrichtungen von Stabs- und Koordinationsstellen im Weißen Haus und in anderen Behörden darauf hin, dass die Voraussetzungen für einen transatlantischen Emissionshandel geschaffen werden sollen.
Kurzfristig sollte es das Ziel sein, die Emissionshandelssysteme auf beiden Seiten des Atlantiks so zu gestalten – und die Handelspartner in aller Welt in dieser Richtung zu bewegen –, dass überall ähnliche Anforderungen an energie- und klimagasintensive Industrien gestellt werden. Ökologische Integrität und wirtschaftliche Effizienz klimaschutzpolitischer Maßnahmen müssten dann nicht durch Grenzausgleichsmaßnahmen geschützt werden. Sollte die Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 zu einem guten Ergebnis führen, ließen sich Maßnahmen vermeiden, die den internationalen Handel nur erschweren würden.
USA als Verwandlungskünstler
Strukturell betrachtet ist das nationale Innovationssystem der USA dem der EU und seiner Mitgliedsstaaten weit überlegen. Der Vorsprung wurde neidvoll erkannt: Schließlich hat sich der Lissabon-Prozess zum Ziel gesetzt, Europa zum wettbewerbsfähigsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Maßstab ist Amerika, nicht etwa Indien oder China. Mit ihrer staatlichen Forschung, nicht nur im militärischen Bereich und in der Weltraumforschung, den staatlichen und privaten Universitäten, der privaten industriellen Forschung, vor allem aber wegen des Insolvenzrechts und der großen Mengen an innovations- und risikofreudigen Unternehmern, den Venture Capitalists, sind die USA flexibler und schneller in der Lage, neue Technologien zu entwickeln, kritische Größen zu erreichen und am Markt neue Lösungen durchzusetzen.
Dieses Innovationssystem hat im Bereich Energieeffizienz und erneuerbare Energien in den letzten Jahren weitgehend versagt; der Vorsprung etwa in der Windenergienutzung, den Kalifornien in den achtziger Jahren noch hatte, wurde verspielt. Europa – zunächst Dänemark und Deutschland – traten an die Spitze. Wenn aber erst einmal die richtigen politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gegeben sind – und dafür steht das Programm der Administration von Barack Obama – könnten die USA den Rückstand leicht wieder wettmachen und die erforderliche Transformation schneller erfolgreich durchlaufen als Europa.
Europa und Amerika als Partner in der Welt
Einzeln oder gemeinsam, Europa und die USA werden weiter Politikansätze entwickeln, erproben und verbessern, Technologien erfinden, sie zur Marktreife bringen und auf diese und andere Weise Beispiele für andere Staaten geben. Sie werden dies im wohlverstandenen wirtschaftlichen Eigeninteresse tun. Herausforderung aber wird sein, gemeinsam auf die weltweiten Aufgaben eine Antwort zu geben. Eine solche Aufgabe ist es, neue, konstruktive Wege für eine bessere multilaterale Zusammenarbeit einzuschlagen, an deren Ende eine globale Transformationspolitik nicht nur zum Umbau der Industriestaaten, sondern auch für die Anpassung aller Staaten und Gesellschaften an die Folgen des Klimawandels stehen sollte.
Die Folgen des Klimawandels sind global. Bei systematisch miteinander verbundenen Schadensereignissen – dem Ansteigen des Meeresspiegels, das Flüchtlingsströme in riesigem Ausmaß hervorrufen könnte, dem Verlust von wertvollem Agrarland durch Überflutung, aber auch durch fortschreitende Wüstenbildung – versagen Versicherungssysteme wie auch internationale Nothilfe. Da auch die dicht besiedelten Küstenregionen Amerikas betroffen sein würden, wären die USA ebenfalls nicht mehr in der Lage, international Hilfe zu leisten. Auch andere reiche Staaten, in Europa, am Persischen Golf oder etwa China und Japan mit ihren Konzentrationen von Menschen, Siedlungen, Verkehrsanlagen, Kraftwerken und Industrien in niedrig gelegenen Küstenregionen würden ihre Hilfe für ärmere Staaten einstellen. Die bisher noch funktionierende Solidarität zwischen Staaten droht zu Versagen.
Dieser Gefahr kann man nur mit vorausschauender internationaler Abstimmung und Planung begegnen. Aber weder die Vereinten Nationen noch andere internationale Institutionen sind für die kommenden Herausforderungen geeignet. Unklar ist noch, ob die bestehenden Einrichtungen, Programme und Finanzierungssysteme reformiert und befähigt werden können, oder ob völlig neue Strukturen geschaffen werden müssen. Europa und die USA sollten einen intensiven Austausch zu dieser wichtigen Frage führen und andere Staaten daran beteiligen.
Intensive Zusammenarbeit in der Arktis bietet sich als erster Schritt zur Verhinderung einer Klimakatastrophe an. Im hohen Norden wirkt sich die Erderwärmung viel stärker aus als in anderen Regionen, und von der Arktis gehen wiederum Veränderungen aus, wie etwa das beschleunigte Abschmelzen des grönländischen Festlandeises, die Auswirkungen auf den Rest der Welt haben werden. Es treffen dort in besonderer Weise wirtschaftliche Nutzungsinteressen, ungelöste Gebietsansprüche und Rechte indigener Völker, militärische Reflexe und nicht kalkulierbare Umweltveränderungen aufeinander.6 In dieser Region, in der der Kalte Krieg noch warm geblieben ist, können die Mächte des Nordens in ein altbekanntes Muster der Konfrontation zurückfallen. Oder neue Formen internationaler Zusammenarbeit entwickeln.
R. ANDREAS KRAEMER ist Direktor des Ecologic Institut, Berlin.
- 1Nach Schätzungen der US Energy Information Administration werden die OPEC-Staaten 2008 Nettoerlöse von 979 Milliarden Dollar aus Ölexporten einnehmen; 2009 dürfte die Summe noch 595 Milliarden Dollar betragen, www.eia.doe.gov/emeu/cabs/OPEC_Revenues/Factsheet.html.
- 2Anita Dancs: The Military Cost of Securing Energy, Northampton, MA 2008, National Priorities Project, www.nationalpriorities.org/auxiliary/energy_security/full_report.pdf.
- 3Ergebnisse eines nachfolgenden transatlantischen Dialogs sind zusammengefasst in R. Andreas Kraemer: What Price Energy Transformation?, Survival, Juni/Juli 2008, S. 11–18. Siehe auch www.energy-transformation.org.
- 4Bisher zog die Kommission die Androhung von Strafgeldern zurück, wenn ein Mitgliedsstaat seiner Pflicht, wenn auch verspätet, nachkam. Nun will sie künftig die Verhängung von Strafgeldern auch dann verlangen, wenn der Mangel behoben wurde, um so die Mitgliedsstaaten davon abzuhalten, bei der Rechtsumsetzung auf Zeit zu spielen; www.curia.europa.eu/de/actu/communiques/cp08/aff/cp080087de.pdf.
- 5Siehe dazu beispielsweise das Interview mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier: The Transatlantic Agenda – US-European Relations in a Globalized System, Harvard International Review, Herbst 2008, S. 78–80.
- 6Siehe dazu die Dokumentationen von Arctic Transform www.arctic-transform.eu.
Internationale Politik 1, Januar 2009, S. 56 - 62.