Viel Handel, kein Wandel
Gute Geschäfte machen und über Strittiges nur am Rande sprechen: Das war lange der Grundsatz deutscher China-Politik. Doch die Zeit der Naivität ist vorbei. Heute ist eine Strategie gefragt, die europäisch funktioniert und sich nicht von der Furcht vor Pekings Zorn leiten lässt.
Deutschland hat China lange nur als „strategischen Partner“ betrachtet. Es war die Zeit der China-Naivität: Berlin ging davon aus, man könne mit der Volksrepublik gute Geschäfte machen und die hässlichen Seiten nebenher behandeln; etwa, indem man gelegentlich an die universelle Gültigkeit der Menschenrechte und an die Notwendigkeit eines funktionierenden Rechtsstaats erinnerte. Diese Zeit ist endgültig abgelaufen. Was aus Peking auf uns zukommt, ist „China First“. Chinas enormer Machtanspruch und Machtzuwachs zwingen Deutschland zu einem neuen Blick und einer kühleren, vielleicht auch realistischeren Politik. China wird zum Risikoland, gegen das man sich wappnen muss. Das ist nicht erst seit der Corona-Pandemie so, aber es ist eine Entwicklung, die sich dadurch noch erheblich verschärft hat.
Bislang hat Deutschland eine China-Politik aus der Perspektive eines Handelskontors gemacht. Zentral und alles überragend war die Frage der wirtschaftlichen Beziehungen. Alles andere trat dahinter zurück, nicht völlig, aber doch so, dass Peking nicht allzu verärgert war. Vor allem war diese Politik eine Automobilpolitik. Warum sollte Deutschland für Kritik an Peking die Absatzchancen für Volkswagen und Co. in China gefährden?
Die Leisetreterei von Bundeskanzlerin Angela Merkel gegenüber Peking etwa in Sachen Hongkong hatte unmittelbar mit ihrem Wunsch zu tun, das EU-China-Investitionsabkommen nicht zu gefährden. Die Grundsatzeinigung Ende 2020 unterstreicht diese Priorisierung. Für die Aussicht darauf, dass EU-Unternehmen gegenüber Staatsbetrieben in China fairer behandelt würden, und für das Ziel, Subventionen transparenter und erzwungene Technologietransfers schwieriger zu machen, gab sich die EU unter deutscher Ratspräsidentschaft mit wenig zufrieden. Es genügte, dass China bestenfalls wachsweiche Absichtserklärungen etwa zur Zwangsarbeit abgab, deren Existenz in Xinjiang Peking trotz aller Belege bestreitet. Ob China seine Versprechungen so umsetzt, wie Europa sich das wünscht, ist längst nicht garantiert. Die Sanktionen gegen EU-Parlamentarier und europäische Think-Tanks zeigen vielmehr, dass Peking mit einer aggressiv-nationalistischen Politik Gefolgschaft und Zusammenarbeit in seinem Sinne erzwingen will.
Die Bundesregierung und Europa sollten sich davon nicht einschüchtern lassen. Es ist wichtig, sich von der Vorstellung zu verabschieden, dass Kooperation durch Wohlverhalten gegenüber Chinas Ansprüchen zu erreichen sei. Wenn es ein Entgegenkommen von Seiten Pekings gibt, dann entstammt es in der Regel einer kühlen und pragmatischen Analyse der eigenen Interessen und der Stärke des Gegenübers. Das ist keine Fleißbienchen-Zensur für jene, die still gehalten oder sich angesichts Pekings ruppiger Drohungen gefügt haben.
Einladung zum politischen Powerplay
Deutschlands China-Politik muss in weit höherem Maße als bislang Teil einer EU-Politik sein, auch und gerade, weil das nicht in Chinas Interesse ist. Peking redet viel von Multilateralismus, macht aber in der Praxis einen großen Bogen darum. In direkten Verhandlungen mit anderen Staaten kann es besser sein ganzes Gewicht ausspielen. Seine Außenpolitik erinnert an die alte lateinische Weisheit: „Was dem Jupiter erlaubt ist, darf der Ochse noch lange nicht.“ Ähnlich wie das römische Imperium sieht sich China heute in der Position, Verhandlungen mit doppelten Standards belasten zu dürfen, verpackt in eine Sprache, die vom vermeintlichen Win-win aller Beteiligten säuselt. Vermeiden lässt sich das im Verbund der EU – nur so können wir zumindest annäherungsweise eine Machtbalance zu Peking erreichen. Die Umsetzung des Investitionsabkommens wird dafür ein wichtiger Prüfstein.
Vor allem sollte Deutschland in der EU dem Eindruck entgegenwirken, man wolle für sich selbst noch ein Extra-Schnäppchen rausholen. Die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen, bei denen unter Führung des chinesischen Ministerpräsidenten oder der deutschen Kanzlerin ein großer Tross von Ministern und Unternehmensbossen mal in Peking, mal in Berlin einfliegt, sollten abgeschafft werden. Höhepunkt dieser Treffen war stets die Unterzeichnung einer ganzen Reihe von Abkommen zwischen deutschen und chinesischen Unternehmen. Je höher die Summen, desto erfolgreicher das Treffen. Aus der Perspektive des neuen, machtbewussten Chinas unter Xi Jinping wirkt das wie eine Einladung zum politischen Powerplay. Deutschland schwächt damit auch eine gemeinsame EU-Position. Stattdessen sollte Berlin daran mitarbeiten, die EU-China-Treffen aufzuwerten.
Immer wieder heißt es: Deutschland und Europa könnten sich eine selbstbewusstere Politik nicht leisten, weil wir wirtschaftlich zu abhängig von China seien. Und es stimmt: Für kein Land in der EU ist der China-Handel so wichtig wie für Deutschland. Aber: Der Anteil der China-Exporte am Warenhandel Deutschlands liegt bei gerade mal 7 Prozent. Für die Chemie- und insbesondere die Automobilbranche mag China der wichtigste Absatzmarkt sein. Für viele andere Branchen gilt das nicht. Mehr noch: China braucht Europas Hightech mindestens so sehr wie VW den chinesischen Automarkt.
Warum sollte man da seine China-Politik maßgeblich von der Furcht vor Pekings Zorn und seinen wirtschaftlichen Folgen bestimmen lassen? Deutschland und die EU haben einen Hebel, sie müssen ihn nur selbstbewusster einsetzen. Ein wichtiger Schritt dafür waren die Sanktionen gegen China wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang – die ersten seit dem Tiananmen-Massaker 1989. Dass die Sanktionen innerhalb der EU abgestimmt und mit anderen westlichen Staaten wie Großbritannien, den USA und Kanada koordiniert werden konnten, ist ein bemerkenswerter Schritt der Einigkeit gegenüber Chinas Regelverstößen. Das zeigten letztlich auch die heftigen Gegenreaktionen Pekings, die in der Essenz darauf abzielen, Europa einzuschüchtern und aus dem Verbund des Westens herauszubrechen.
Deutschlands China-Politik ist heute unausweichlich Teil des neuen Systemkonflikts zwischen chinesischer Diktatur und westlichen Demokratien. Die Vorstellung, im Umgang mit China würde es irgendwann einmal Wandel durch Handel geben, hat sich als falsch erwiesen. Handel gab es reichlich, Wandel gab es nicht. Das heißt, dass andere Interessen die deutsche China-Politik viel stärker mitprägen müssen als bislang.
In Hongkong und Taiwan etwa geht es um Werte, die unsere eigenen Gesellschaften im Innersten zusammenhalten – Freiheit, Toleranz, Vielfalt, in Taiwan auch um eine lebendige Demokratie. Aus Pekings Sicht ist das eine Provokation vor der eigenen Haustür. Die Art, wie die Regierung damit umgeht, ist keine innerchinesische Angelegenheit. Sie geht uns alle an, weil sie viel darüber erzählt, was von einer Weltmacht China zu erwarten ist. Schließlich bricht Peking mit den neuen Wahl- und Sicherheitsgesetzen in Hongkong internationale Verträge und Vereinbarungen. Und es bedroht die territoriale Integrität Taiwans. Wenn wir hier wegschauten, würden wir damit Chinas Einschüchterungen, seinen Drohungen freie Bahn lassen und es letztlich dazu ermutigen, die Lösung der Taiwan-Frage militärisch zu erzwingen.
Deutschland und die EU müssen auch in Zukunft bereit sein, dafür im Zweifel auch Sanktionen einzusetzen. Nicht weil China sich dadurch ändern würde, sondern weil so rote Linien aufgezeigt werden und der Anspruch auf eine regelbasierte internationale Ordnung aufrechterhalten wird. Es wäre zudem ein doppelter Standard, wenn Deutschland und die EU Sanktionen allein gegen schwächere Staaten wagten, aber angesichts von Chinas Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und Tibet nur verschämt den Zeigefinger höben.
China ist ein aufregendes Land, es ist nichts, wovor wir uns fürchten sollten. Aber wir sollten uns auch keine Illusionen machen. China wird regiert von einer diktatorischen Partei, die im Inneren wie nun auch im Äußeren ihre Macht und ihre Regeln durchsetzen will. Wenn Europa nicht zerrieben werden möchte im neuen kalten Krieg zwischen den USA und China, dann muss es eine eigenständigere und selbstbewusstere Politik gegenüber diesen Mächten betreiben. Und es muss den Mut haben, China klar und deutlich zu sagen, wo es zu weit geht.
Thomas Reichart ist Korrespondent für Außen- und Sicherheitspolitik im ZDF-Hauptstadtstudio. Er leitete zuvor das ZDF-Studio Ostasien in Peking. Jüngste Veröffentlichung: „Das Feuer des Drachen“ (dtv).
Internationale Politik Spezial, Mai, 03/2021, S. 18-20
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