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01. Febr. 2009

USA: die Smart-Power-Präsidentschaft

Internationale Presse

Missionarischer Internationalismus oder kraftloser Moralismus? Amerikas Medien rätseln über Barack Obamas künftige Außenpolitik

Barack Obama mag seinen Amtseid verstolpert haben, aber seine Präsidentschaft beginnt er mit sicherem Tritt. Dies liegt vor allem daran, dass er die Transition – die Phase der Übergabe der Amtsgeschäfte zwischen dem Wahltag und der Inauguration – mit der gleichen Sorgfalt und Disziplin geleitet hat wie zuvor schon seine schier unendlich lange Wahlkampagne. Die Schlüsselpositionen der Wirtschafts- und Außenpolitik sind besetzt, und abgesehen vom Rückzug des designierten Handelsministers Bill Richardson gab es keine schwerwiegenden Pannen.

Angesichts der sehr geringen exekutiven Erfahrung Obamas ist dies eine bemerkenswerte Leistung. Das gilt insbesondere im Vergleich zur letzten demokratischen Transition – so konnte Präsident Bill Clinton erst im dritten Anlauf eine geeignete Kandidatin für das Amt der Justizministerin benennen und benötigte Monate, um einen funktionierenden Ablauf im Weißen Haus sicherzustellen. Aber nicht nur die Geschwindigkeit der Personalentscheidungen Obamas beeindruckt, sondern auch ihre Plausibilität. Dem außenpolitischen Team mit den Ministern Hillary Clinton (Äußeres) und Robert Gates (Verteidigung) sowie dem vormaligen obersten NATO-General James L. Jones (Nationaler Sicherheitsberater) zollen selbst politische Gegner wie Dick Cheney Anerkennung (Weekly Standard, 19.1.). Im Gegenzug regt sich ob dieser Personalien in der friedensbewegten linken Blogosphäre Unruhe, ob man mit Obama nicht doch aufs falsche Pferd gesetzt habe. Welche Außen- und Sicherheitspolitik die Regierung Obama tatsächlich verfolgen und nicht nur rhetorisch beschwören wird, bleibt allerdings ein Fall für die Kaffeesatzleser, – also die Zeitungen und Magazine.

Einen ersten Hinweis lieferte Hillary Clinton während ihres Bestätigungsverfahrens vor dem Senat, indem sie versprach, als Außenministerin Amerikas „Smart Power“ zu nutzen. Der Begriff stammt aus einem Aufsatz aus dem Jahre 2004, veröffentlicht in Foreign Affairs. Die Autorin Suzanne Nossel, damals bei Bertelsmann, inzwischen bei Human Rights Watch, empfahl darin den amerikanischen Außenpolitikern, sich weder allein auf ihre Hard Power (v.a. militärische Macht) noch allein auf ihre Soft Power (Diplomatie, kulturelle Anziehungskraft, Ideale, moralische Autorität) zu verlassen, sondern flexibel und pragmatisch in jeder Situation das jeweils effizienteste Instrument zu nutzen – Smart Power eben. Man kann verstehen, dass der New Yorker (26.1.) den Begriff flugs zur „Phrase der Woche“ erklärte.

Wiederkehr der Clinton-Jahre?

Allerdings steckt hinter Clintons Begeisterung für Smart Power mehr als die Neigung aller Politiker, sich möglichst viele Handlungsoptionen offenzuhalten. Die Verbindung von Diplomatie und militärischer Stärke beschreibt vielmehr einen Kerngedanken des liberalen Internationalismus, der schon Bill Clintons Außenpolitik kennzeichnete. Erwartet uns also eine Wiederauflage der Clinton-Jahre, in denen Globalisierung, internationale Verflechtung, Multilateralismus und Fortschrittsglaube, aber auch humanitäre Interventionen, amerikanischer Führungsanspruch und die marktwirtschaftlich-demokratische Mission die US-Außenpolitik bestimmt haben?

Bei der Lektüre der jüngsten Texte der demokratischen Vordenker verdichtet sich dieser Eindruck. So schreibt Anne-Marie Slaughter, Dean in Princeton und Anwärterin auf einen Posten in Hillary Clintons Ministerium, in Foreign Affairs (Januar/Februar), dass Amerika die zunehmende globale Vernetzung begrüßen und fördern solle, weil eine solche Welt den Stärken der amerikanischen Gesellschaft entgegenkäme und die Machtposition der USA stabilisieren würde. Darüber jedoch dürfe Amerika seine Rolle als klassische Ordnungsmacht nicht vernachlässigen: „Die Welt des 20. Jahrhunderts funktionierte, zumindest unter geopolitischen Gesichtspunkten, nach dem Billardkugel-Modell, wie es Arnold Wolfers beschrieben hat. (…) Diese Welt existiert auch heute noch: Russland marschiert in Georgien ein, der Iran strebt nach Atomwaffen, die USA verbünden sich mit Indien, um ein aufstrebendes China auszubalancieren.“

Für die alte wie die neue Ordnung gibt nur der liberale Internationalismus gültige Antworten, wie Daniel Deudney und G. John Ikenberry in derselben Ausgabe schreiben: „Die Gegebenheiten der neuen (globalisierten) Ära und die (systemischen) Bedingungen, denen alle Staaten unterliegen, verlangen nach einem erneuerten und verstärkten Programm des liberalen Internationalismus.“ Also keine Schüchternheit angesichts der neuen autokratischen Herausforderer China und Russland, denn Francis Fukuyama hatte doch Recht: „Die Außenpolitik der liberalen Staaten sollte auf der Annahme basieren, dass letztlich nur der Liberalismus den Weg in die Moderne weist. Zwar erlaubt der Liberalismus einen großen Variantenreichtum, je nach historischer Erfahrung und nationalen Besonderheiten. Aber autokratischer Kapitalismus ist kein alternatives Modell; er ist nur eine Zwischenstation auf diesem Weg.“ Das hätte George W. Bush nicht anders formuliert.

In der Tat sind die Grundannahmen der liberalen Internationalisten und der Neokonservativen in der Regierung Bush sehr ähnlich – und auch ihre Umsetzung lässt für die nächsten Jahre einiges an außenpolitischer Kontinuität erwarten. Diese Auffassung vertritt zumindest Michael Desch in einem lesenswerten Rezensionsessay im National Interest (Januar/Februar), der eine Verbindungslinie von Woodrow Wilson über George W. Bush zu Barack Obama zieht. Desch warnt davor, dass Wilsons „Geist immer noch nicht ausgetrieben“ sei, und hofft, dass die Amerikaner endlich eine besonnene, distanzierte Realpolitik befürworten und sich von der Überzeugung ihres Exzeptionalismus befreien. Genau dies hält Arthur Herman (Commentary, Januar) jedoch für die größte Gefahr: Barack Obama dürfe nicht den Fehler begehen, Amerika zum Wohlgefallen einer neidischen Weltöffentlichkeit zu einer „normalen Nation“ machen zu wollen. Auch sei die Überbetonung „sanfter“ Probleme wie Umweltschutz und Entwicklungshilfe bedenklich, wenn sie auf Kosten amerikanischer Führungsstärke im (militärischen) Kampf gegen den Terrorismus und in der Machtkonkurrenz mit anderen geopolitischen Herausforderern gehe.

Zusammengenommen bedeute eine solche Politik „The Return of Carterism“: Genau wie Carter in Reaktion auf das Debakel in Vietnam die US-Außenpolitik veränderte – moralisch-rhetorisch hochfliegend, aber praktisch kraftlos – so könnte sich nun auch Obamas Liberalismus nach Irak gestalten. Die Konsequenz wäre, wie unter Carter, eine weitere Schwächung der USA und liberaler Kräfte in der internationalen Politik. Während also Realisten wie Desch fürchten, dass auch unter Obama der militärische und missionarische Internationalismus eine große Rolle spielen wird, befürchten Neokonservative wie Arthur Herman, dass Obama nicht genügend Härte aufbringen wird, um amerikanische Interessen und Ideale in der Welt durchzusetzen.

Die Frage ist allerdings, ob diese alten ideologischen Grabenkämpfe mit ihren unvermeidlichen – und stets schiefen – historischen Analogien der gegenwärtigen Lage überhaupt angemessen sind. Gerade in der Außenpolitik mögen sich manche systemischen Zwänge und historischen Gesetzmäßigkeiten als unüberwindlich erweisen, aber was heißt das schon angesichts des psychologischen, kulturellen und innenpolitischen Einschnitts, den die Präsidentschaft Obamas für Amerika bedeutet? Hua Hsus These vom „Ende des weißen Amerika“ (Atlantic, Januar/Februar) erscheint angesichts demografischer und kultureller Entwicklungen in den Vereinigten Staaten nur leicht überspitzt. In diesem Sinne ist Obama tatsächlich die Verkörperung eines Wandels, dessen Folgen für die USA und die Welt noch nicht abzusehen sind. Mit Bezug auf Anne-Marie Slaughters These von der besonderen Anpassungsfähigkeit Amerikas an variable und vernetzte Strukturen kann man dieser Entwicklung allerdings sehr optimistisch entgegenblicken – Obamas Liberalismus kann so gesehen auch als Gegenmodell zur innenpolitischen Kulturkampfthese des verstorbenen Samuel Huntington („Who Are We?“) verstanden werden.

Wenn Obama auch nicht unbedingt das Ende des weißen Amerika einläutet, so steht seine Präsidentschaft doch zumindest für das vorläufige Ende der konservativen Vorherrschaft in den USA. Wie Fukuyama im American Interest (Januar/Februar) ausführt, haben seit der Ära Ronald Reagan drei konservative Leitideen den amerikanischen Diskurs bestimmt: Der Staat soll den Markt so wenig wie möglich regulieren; Steuern und Staatsausgaben (außer für Verteidigung) sollen niedrig gehalten werden; außenpolitisch soll sich Amerika keinen internationalen Organisationen unterwerfen sowie moralische Klarheit und militärische Stärke pflegen.

Obama und der demokratische Kongress stehen – im Gegensatz etwa zu Präsident Clinton – in all diesen Bereichen für eine andere Politik. In acht Jahren Obama könnte sich hier ein politischer Paradigmenwechsel vollziehen. Die Chancen dafür stehen gut, denn seit 1896 hat jede Partei, nachdem sie das Weiße Haus übernommen hat, auch die folgende Präsidentschaftswahl gewonnen – mit Ausnahme der Niederlage Carters gegen Reagan. Solange sich konservative Strategen bei ihren Ratschlägen für eine Erneuerung der Republikanischen Partei so farb- und ideenlos geben wie David Frum in Newsweek (26.1.), müssen sich die Obamaniacs aber nicht vor einer Wiederholung der Geschichte fürchten.

Dr. PATRICK KELLER ist Koordinator für Außen- und Sicherheitspolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Bibliografische Angaben

internationale Politik 2, Februar 2009, S. 98 - 101.

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