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01. Nov. 2010

Ungewöhnliche Bettgenossen

Warum Kriminelle und Terroristen zuweilen kooperieren

FARC, Hisbollah, Al Kaida, westafrikanische Dikatoren – die Aussicht auf finanzielle Profite bewegt die verschiedensten kriminellen und terroristischen Gruppen zu einer Zusammenarbeit. Dabei profitieren sie von den oft fragilen und korrupten Staaten Westafrikas, dem neuen Hauptoperationsgebiet der transnationalen organisierten Kriminalität.

Am 1. Juli 2010 verliest der Staatsanwalt des Southern District in New York zwei Anklageschriften, die auf ein noch unbekanntes Phänomen verweisen: die Entstehung kurzfristiger transkontinentaler Allianzen zwischen organisierter Kriminalität und terroristischen Netzwerken. In diesem Fall geht es um kolumbianische und venezolanische Drogenkartelle, darunter die von den USA und der Europäischen Union als Terrororganisation eingestuften „Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia“ (FARC). Ihnen wird zur Last gelegt, den Schmuggel mehrerer Tonnen Kokain über Liberia in die EU-Staaten geplant zu haben. Das Geschäft sollte unter dem Schutz zweier Liberianer abgewickelt werden – einer von ihnen ist nicht nur Kommandant der Sicherheitskräfte, sondern auch ein Sohn der Staatspräsidentin Ellen Johnson Sirleaf. Zwei Ladungen Kokain von je 4000 und 1500 Kilogramm sollten von Venezuela und Panama nach Monrovia geflogen werden, eine dritte von 500 Kilogramm sollte an Bord eines venezolanischen Schiffes ankommen. Als Gegenleistung für die Umschlagerlaubnis sollten die Schmuggler bar und in Warenwert zahlen.

Was die Drogenhändler nicht wissen: Beide Liberianer sind Informanten der U.S. Drug Enforcement Administration (DEA), die Verhandlungen werden heimlich aufzeichnet. So gelang der bislang eindeutigste Nachweis über eine Vernetzung zwischen lateinamerikanischen Drogenkartellen und westafrikanischen kriminellen Organisationen, die Kokain auf den profitablen Wachstumsmärkten der EU und der ehemaligen Sowjetunion absetzen.1

Die Umschlagroute Lateinamerika–Westafrika–EU mag auf den ersten Blick ein Umweg sein. Doch bis wenigstens vor kurzem bot sie einen unschlagbaren Vorteil, nämlich so gut wie kein Risiko für Schmuggler. Die meisten westafrikanischen Staaten sind noch immer mit den Auswirkungen der Rohstoffkriege der neunziger Jahre beschäftigt, die die ohnehin dürftige staatliche Infrastruktur vollends unterminierten. Geblieben sind zutiefst korrupte Regierungen und Rechtssysteme, die dem massiven Zufluss von Rauschgift, der damit verbundenen Gewaltstruktur oder den finanziell bestens ausgestatteten Organisationen nichts entgegenzusetzen haben. Als größter afrikanischer Narco-Staat gilt inzwischen die ehemalige portugiesische Kolonie Guinea-Bissau. Dort haben rivalisierende Drogenbanden den Staatspräsidenten, den Stabschef des Militärs und weitere hochrangige Beamte ermordet und den Staat völlig ins Chaos gestürzt.2

Generell bietet Westafrika den Schmugglern einige Vorzüge: Sie verfügen über bereits etablierte Netzwerke und illegale Transportrouten, mit denen die verschiedensten Produkte auf den Weltmarkt gelangen: so genannte Blutdiamanten, Migranten, Holz aus illegalem Einschlag und größere Waffenmengen. Es ist vergleichsweise einfach und profitabel, auf bereits existierende Routen eine weitere lukrative „Ware“ mitzunehmen oder sich mit rivalisierenden Schmugglerbanden zu konkreten Transaktionen zusammenzuschließen, wenn eine solche Kooperation nützlich erscheint. Die im Schmuggel tätigen Organisationen nutzen oft dieselben Netzwerke und illegalen Strukturen, und sie profitieren gleichermaßen von der Schwäche fragiler Staaten. Von den 43 ausländischen Terrororganisationen, die das amerikanische Außenministerium auflistet, haben laut DEA 19 eindeutige Verbindungen zu Drogenkartellen. Etliche weitere Organisationen werden verdächtigt, solche Beziehungen zu unterhalten.3

Liberia unter dem inzwischen vom Den Haager Gerichtshof wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit angeklagten ehemaligen Präsidenten Charles Taylor ist ein besonders gutes Beispiel für das Funktionieren solcher Netzwerke: Sein Staat ist ein Eldorado für Kriminelle. Er verfügt noch über staatliche Strukturen, die aber zutiefst korrupt sind und an den Profiten aus den Tätigkeiten organisierter Kriminalität beteiligt werden. Zwischen 1998 und 2002 – Charles Taylor befindet sich zu diesem Zeitpunkt unbestritten auf dem Höhepunkt seiner Macht – lässt der Präsident russische, südafrikanische und ukrainische kriminelle Organisationen auf liberianischem Staatsgebiet operieren. Sie handeln zumeist mit Diamanten aus Sierra Leone und Holz aus Liberia. Im Jahr 2000 stiegen auch Mitglieder der Al Kaida in den Diamantenschmuggel ein. Um den Transport der Steine und die Verwaltung der Profite zu organisieren, greifen die Aktivisten der sunnitischen Al Kaida wiederum auf Netzwerke der schiitisch-libanesischen Hisbollah zurück. Theologische Differenzen zwischen Schiiten und Sunniten spielen ganz offensichtlich keine Rolle. Ganz im Gegenteil bringen solche Kooperationen ungewöhnliche Bettgenossen hervor, die jenseits der organisierten Kriminalität und der Welt grandioser Profite zutiefst verfeindet sind. Als „Vermittler“ in diesem multinationalen Geflecht aus organisierter Kriminalität und Terrororganisationen waren auch zwei israelische Waffenhändler und Betreiber privater Sicherheitsfirmen in Mittelamerika und Afrika verwickelt.4

Kokainhändler Al Kaida

Vorsichtigen Schätzungen des UN-Büros für Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung (UNODC) zufolge passierten im Jahr 2007 40 bis 50 Tonnen Kokain mit einem geschätzten Wert von 1,8 Milliarden Dollar Westafrika, Tendenz steigend.5 Afrika-Experten des Pentagon und anderer Sicherheitsdienste gehen allerdings davon aus, dass die Menge an Kokain, die jährlich durch Westafrika geschleust wird, fünfmal so hoch ist.6 Selbst wenn man vorsichtigere Zahlen der UNODC zugrunde legt, ist die wirtschaftliche Größenordnung schwindelerregend. Nur ein einziges legales Exportgut aus der Region Westafrika, nämlich Kakao aus der Elfenbeinküste, wirft demnach höheren Gewinn ab als Kokain. Geht man von den höheren, aber wahrscheinlicheren Zahlen aus, überträfe kein einziges legales Produkt mehr die Gewinnmargen des Kokainhandels – der Wert der Kokain-Exporte läge dann höher als das Bruttoinlandsprodukt mehrerer westafrikanischer Volkswirtschaften zusammengerechnet.7 Obwohl die Händler von noch vorhandenen, aber korrupten staatlichen Strukturen profitieren, unterlaufen sie diese zugleich. Die Überschwemmung von Guinea-Bissau, Guinea, Sierra Leone und anderer westafrikanischer Staaten mit Drogen und Drogengeld, schrieb der Vorsitzender des UNODC, Antonio Maria Costa, jüngst in einem Leitartikel in der Wa-shington Post, pervertiere die schwachen Volkswirtschaften in der Region und „zerstört fragile Staaten, weil die Kriminellen sich gerade vor Wahlen Gefälligkeiten und Schutz von den Kandidaten erkaufen“.8

Dass terroristische Vereinigungen und organisierte Kriminalität kurzfristige Kooperationen suchen, um ihre Gewinne noch weiter zu steigern, zeigte auch ein Prozess, der im März 2010 begann – nur wenige Monate vor den Verhandlungen gegen die liberianischen und mittelamerikanischen Drogenhändler. Informanten der US-Drogenbehörde, die sich als Aktivisten der FARC ausgegeben hatten, fanden heraus, dass die Al Kaida des Islamischen Maghreb (AKIM) in Mali plante, mehrere hundert Kilo Kokain zum Preis von 2000 Dollar pro Kilogramm nach Spanien zu schmuggeln.9 Das malische Militär hatte im November 2009 eine Boeing 727 verlassen in der Wüste vorgefunden. Die Maschine hatte geschätzte 20 Tonnen Kokain transportiert – ein eindeutiger Beweis dafür, dass Ladungen dieser Größenordnung möglich sind. Nachforschungen ergaben, dass das Flugzeug in Venezuela gestartet war.10

Formal gehört AKIM zu Osama Bin Ladens Al Kaida. Anders als der organisierten Kriminalität geht es den Terrorgruppen nicht um den Erhalt staatlicher Strukturen zum eigenen Nutzen, sondern um Destruktion. Wie Bin Laden will auch AKIM vor allem westliche Gesellschaften in Angst und Schrecken versetzen und, als Nahziel, den algerischen Staat völlig zerrütten. Ihre Aktivitäten hat sie in den vergangenen Jahren hauptsächlich mit Lösegeldern aus Entführungen finanziert. Aber eine kurzfristige Zusammenarbeit mit kriminellen Organisationen verspricht höhere Gewinne, mit denen sie mehr Kämpfer rekrutieren, umfassendere Waffenkäufe tätigen oder komplexere Anschläge auf größere Zielobjekte finanzieren kann.

Eine Zusammenarbeit mit der FARC, um zum Beispiel den Schiffstransport von Kokain für den europäischen Markt zu sichern, würde die Profite von AKIM exponentiell ansteigen lassen, und mit ihnen deren operationelle Kapazität. Hätte dieses Arrangement bereits für die durch Liberia geschleuste Ladung von 1500 Kilogramm Kokain bestanden, dann hätte AKIM drei Millionen Dollar Profit erzielt. Bei einer Ladung von 4000 Kilo wäre der Profit aus einer einzigen Transaktion mit acht Millionen Dollar fast so hoch wie das von Geheimdiensten auf etwa zehn Millionen Dollar geschätzte jährliche Gesamtbudget der Organisation.

Neben der AKIM verdient auch die Hisbollah tüchtig am transkontinentalen Drogenhandel sowie bei der Beschaffung von Waffen, dem Verkauf von Diamanten und anderer Schmuggelware für eine Vielzahl von Organisationen. Der bis dato deutlichste Beweis für die Entstehung von Allianzen zwischen kriminellen Organisationen und der Hisbollah in Lateinamerika war die „Operation Titan“, die kolumbianische und amerikanische Sicherheitskräfte im Jahr 2008 durchführten. Zwei Jahre hatten die Ermittlungen angedauert, dann zerschlugen amerikanische und kolumbianische Sicherheitskräfte ein Drogenkartell, dessen Einflussgebiet sich von Kolumbien bis nach Panama, Mexiko, den USA, Europa und den Nahen Osten erstreckte.

Als Kontaktperson zwischen den lateinamerikanischen Drogenkartellen und radikalislamischen Organisationen im Nahen Osten, hauptsächlich der Hisbollah, fungierte ein zentraler Geldwäscher des Netzwerks mit dem Decknamen „Taliban“, alias Chekry Harb. Unter den Organisationen, die sich für die von Harb vermittelte Transaktion zusammenschlossen, befanden sich Mitglieder des Northern-Valley-Kartells, rechtsradikale paramilitärische Gruppen und die FARC. Dass eigentlich konkurrierende Organisationen über eine gemeinsame Kontaktperson kooperieren oder zumindest eine lose Allianz zu ihrem beidseitigen Nutzen eingehen, ist ein Muster, das immer häufiger anzutreffen ist und die Möglichkeiten des Rechtsstaats, gegen internationale organisierte Kriminalität vorzugehen, erheblich einschränkt.11

Methoden von vorgestern

Angesichts der schwachen beziehungsweise oft komplett fehlenden staatlichen Strukturen in Westafrika, der staatlichen Billigung und sogar Förderung des Drogenschmuggels und der enormen potenziellen Profite, die der Kokainexport allen Beteiligten verspricht, könnte die Zahl dieser losen Allianzen weiter steigen. Die EU und die USA wären mit einer wachsenden Bedrohung durch radikalislamische Organisationen in Westafrika konfrontiert, die eine noch vorhandene Staatlichkeit weiter unterminieren. Damit wäre es noch schwieriger, die Handelswege, auf denen Drogen in die hauptsächlichen Abnehmerregionen Nordamerika und Europa geraten, zu blockieren. Angesichts der aktuellen Budgetengpässe ist es höchst unwahrscheinlich, dass die USA oder die europäischen Staaten zusätzliche Gelder zur Verfügung stellen, um angemessen auf diese neue Bedrohung zu reagieren.

Wie also den Geist wieder zurück in die Flasche drängen? Transnationale kriminelle Organisationen und terroristische Netzwerke haben sich als äußerst flexibel und hoch anpassungsfähig erwiesen – im Gegensatz zu den meisten Regierungen. Zudem haben westliche Regierungen die Kapazitäten dieser disparaten und nichthierarchischen Organisationen und Netzwerke lange Zeit unterschätzt. Geheimdienstliche Aufklärung ist eine Möglichkeit, der Bedrohung zu begegnen. Eine zentrale Schwachstelle dieser Organisationen ist beispielsweise die Abhängigkeit lateinamerikanischer Schmuggler von lokalen Netzwerken. Um Allianzen einzugehen, sind die Kartelle gezwungen, auf unbekanntem Terrain in fremden Sprachen und Kulturen zu agieren. Das verschafft den Strafverfolgern die Möglichkeit, solchen Transaktionen auf die Spur zu kommen.

Eine weitere zentrale, aber ohne Frage mühsame Aufgabe wäre der Aufbau funktionsfähiger Institutionen, die sowohl gegen die transnationalen kriminellen Organisationen ermitteln als auch die juristische Aufarbeitung solcher Geschäfte übernehmen könnten. Dabei stünde gar keine „Universalreform“ an. Effizienter wäre die Schaffung kleinerer polizeilicher, militärischer und juristischer Einheiten, die speziell für diese Zwecke ausgebildet sind und vor Vergeltungsmaßnahmen krimineller Organisationen geschützt werden müssen. Je nach Bedarf und Ressourcenlage könnten sie in Umfang und Ausstattung aufgestockt werden. Solche Einheiten könnten Informationen sammeln und bündeln; zudem wäre es in einem relativ kontrollierbaren Umfeld leichter, Korruption einzudämmen. Das alles sind kleine Schritte, doch es ist durchaus möglich, dass sie nachhaltigen Erfolg haben, schließlich erfordern sie keine riesigen finanziellen Ressourcen.

Solange aber die Beschaffung von Geheimdienstinformationen und die Bildung entsprechender Institutionen in einem politischen Vakuum stattfinden, zeigen Maßnahmen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität nur begrenzte Wirkung. Es wird Zeit, dass wir den Willen und die Fähigkeiten entwickeln, unsere Strafverfolgung der Transnationalisierung von Kriminalität und Terrorismus anpassen. Denn diese Organisationen gedeihen an den schattigen Rändern des globalen Wirtschafts- und Staatensystems. Noch immer werden sie mit staatszentrierten Methoden bekämpft, die vielleicht im vergangenen Jahrhundert noch Wirkung zeigten – für die Verbrechenswelt des 21. Jahrhunderts aber sind sie völlig nutzlos.

DOUGLAS FARAH war Korrespondent der Washington Post. Er ist Senior Fellow am International Assessment and Strategy Center in Alexandria, VA.

  • 1Benjamin Weiser und William K. Rashbaum: Liberian Officials Worked With U.S. Agency to Block Drug Traffic, New York Times, 2.6.2010.
  • 2Interviews des Autors mit Vertretern der US-Justizbehörden; James Traub: Africa’s Drug Problem, New York Times Magazine, 9.4.2010.

  • 3So der Chef der DEA Michael Braun in einer Rede vom 18.7.2010 im Washington Institute 
for Near East Policy: http://www.washingtoinstitute.org/templateC07.php?CID=411.
  • 4Für Details zu Al Kaidas Aktivitäten im Handel mit Blutdiamanten siehe auch Douglas Farah: Blood From Stones: The Secret Financial Network of Terror, New York 2004.

  • 5Vortrag von Antonio L. Mazzitelli, United Nations Office of Drugs and Crime, Regional Office for West and Central Africa, vor dem Woodrow Wilson International Center for Scholars, 28.5.2009.

  • 6Vortrag von Peter D. Burgess, Repräsentant des Counter Narcotics Projectr, U.S. Africom, vor dem Woodrow Wilson International Center for Scholars, 28.5.2009.

  • 7Daten basierend auf den Berichten der UNODC und AFRICOM.

  • 8Antonio Maria Costa: Cocaine Finds Africa, Washington Post, 29.7.2008, S. A17.
  • 9Philip Sherwell: Cocaine, Kidnapping and the al-Qaeda Cash Squeeze, Sunday Telegraph, 7.3.2010.

  • 10Jamie Doward: Drug Seizures in West Africa Prompt Fears of Terrorist Links, The Observer, 29.11.2009.
  • 11Ein Großteil der Unterlagen zu Operation Titan ist noch unter Verschluss. Da die kolumbianische Regierung die wichtigsten Verhaftungen der Presse mitteilte, ist die Operation aber im Wesentlichen nachvollziehbar. Siehe auch Chris Kraul und Sebastian Rotella: Colombian Cocaine Ring Linked to Hezbollah, Los Angeles Times, 22.10.2008; und Fiscalía General de la República (Colombia): Por Lavar Activos de Narcos y Paramilitares, Capturados Integrantes de Organización Internatcional, 21.10.2008.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2010, S. 32-39

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