Unbesehen ablehnen
Man kennt das aus der Musik oder der Kunst: Wenn einem die ganze Richtung nicht passt, hat man wenig Neigung, sich ins Gesamtwerk hineinzuarbeiten. Doch ist das auch in der Außenpolitik eine angemessene Strategie?
Viele Menschen stehen dem künstlerischen Schaffen des Musikers Dieter Bohlen kritisch gegenüber. Fragte man sie aber, welcher Teil seines Gesamtwerks ihnen besonders missfalle, so müssten sie wohl passen. Einen Satz wie „Cherry Cherry Lady war ein Meilenstein, aber auf dem fünften Modern-Talking-Album ist die Qualität der Songs schwankend“ wird man da nicht hören.
Wer das für oberflächlich und verurteilenswert hält, der werfe den ersten Stein. Das Leben ist kurz und der Bohlensche Gesamtkatalog umfangreich. Wenn einem die ganze Richtung nicht passt, wozu dann unnötig im Morast wühlen?
Auch Bayern-München-Kritiker werden Mühe haben, in der Flut von Titeln einzelne ausfindig zu machen, die sie den Rekordmeistern von der Isar noch weniger gönnen als andere („1986 war auch viel Glück dabei!“). Und wer bei der Erwähnung des Regisseurs Quentin Tarantino wie aus der Pistole geschossen das dazugehörige Adjektiv „überschätzt“ nennt, von dem wird man nicht erwarten, dass er sich zuvor durch ein komplettes Oeuvre von größtenteils überlangen Filmen durchgearbeitet hat.
Was uns zur Vorsitzenden der Linken Susanne Hennig-Wellsow führt. Im Einklang mit ihrer Partei lehnt sie Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland ab. Diese Ablehnung ist Teil der Linken-DNA; sie wird immer wieder zur Conditio sine qua non für eine mögliche rot-rot-grüne Zusammenarbeit auf Bundesebene erklärt.
Ob sie denn einen Kampfeinsatz nennen könne, wollte nun der Journalist Tilo Jung von Hennig-Wellsow wissen. Die Millionenfrage! Jeden einzelnen Einsatz habe sie nicht im Blick, verlegte sich die Politikerin zunächst aufs Erwartungsmanagement. Afghanistan? Schon beendet, oder doch nicht? Somalia? Ach ja, kein Kampfeinsatz. „Martin, wo sind wir noch?“ Doch auch der Publikumsjoker in Gestalt des Referenten brachte keine Erlösung. Egal – dass Bundeswehrsoldaten nicht ins Ausland gehören, bleibe „Standard“, so die Linken-Chefin; ins Gesamtwerk der Bundeswehr hatte sie sich nicht so hineingearbeitet.
Was das für die Chancen der Linken im weiteren Verlauf des Wahljahres 2021 bedeutet? „You can win if you want“, dichtete einst Dieter Bohlen, und das macht Mut: Von besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten ist da keine Rede, von außenpolitischer Expertise schon gar nicht.
Dr. Joachim Staron ist Redakteur der IP.
Internationale Politik, Online exklusiv, 15. März 2021