Tony Blair – oder was ist des Pudels Kern?
Der Streit um den Feldzug gegen Irak symbolisiert auch den Niedergang eines Mannes, der vor sieben
Jahren umjubelt und von Hoffnungen begleitet das Amt des britischen Premierministers angetreten
hat. Tony Blair hat Partei, Parlament und Volk belogen, er hat nicht nur seine innenpolitische
Glaubwürdigkeit verloren, auch seine Außenpolitik liegt in Trümmern. Sogar wohlwollende
Beobachter, so der Autor, sehen das Ende der „Ära Blair“ nahen.
Irak, Irak, Irak – in dreifacher Hinsicht
symbolisieren der internationale Streit vor dem Feldzug und die
blutigen Ereignisse seit März des Jahres 2003 den
Niedergang jenes Mannes, der vor mehr als sieben Jahren mit
einfachen Parolen („Bildung, Bildung, Bildung“) und
einem straff organisierten Medienwahlkampf in No. 10 Downing
Street einzog. Erstens hat Tony Blair Partei, Parlament und
Volk mit falschen Behauptungen über Saddam Husseins
angebliches ABC-Waffenprogramm zum Krieg überredet, seine
innenpolitische Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt und
verloren. Zweitens liegt seine Außenpolitik in
Trümmern: Um der Allianz mit einer machttrunkenen
amerikanischen Regierung willen hat sich Blair von den
wichtigsten Verbündeten in Europa entfremdet, von den
eigenen Grundsätzen einer „ethischen
Außenpolitik“ meilenweit entfernt. Drittens hat der
Feldzug gegen den Bagdader Diktator den Westen im viel
wichtigeren Kampf gegen den transnationalen Terrorismus
geschwächt.
Beim großen Verbündeten gilt Irak wenigstens als
der Krieg einer Gruppe, nämlich der Neokonservativen; aus
britischer Sicht ist es Blairs Krieg, punktum. Die kombinierte
Europa- und Kommunalwahl im Juni 2004 interpretierten selbst
Blair-Loyalisten als Ohrfeige für den Kriegspremier: Mit
23 Prozent der Stimmen erzielte Labour das schlechteste
Ergebnis seit 1945. Irak sei „ein Schatten“
über ihm, hat der Premierminister kürzlich der BBC
anvertraut.
Ob in diesem Schatten Blairs Macht verdorrt? Oder die hohen
Ideale, mit denen er seine Außenpolitik zu begründen
pflegt? Von einer Entschuldigung für den Irak-Krieg ist
der Premier weit entfernt, im Gegenteil: Bei jeder Gelegenheit
verteidigt er den Feldzug aufs Neue. Das dürfte sich auch
nicht ändern, wenn im Juli 2004 jene Kommission unter
Leitung des früheren Kabinettssekretärs Robin (Lord)
Butler ihr Urteil abgibt, die derzeit den Umgang der Regierung
mit Geheimdiensterkenntnissen im Vorfeld des Krieges
untersucht.
Innenpolitisch kann Blair den Nasenstüber der
Juni-Wahlen verkraften. Die niedrige Beteiligung und das
Verhältniswahlrecht lassen kaum Rückschlüsse zu
auf das mutmaßliche Ergebnis der nächsten
Unterhauswahl, die Blair spätestens im Sommer 2006
anberaumen muss, aber wohl für Mai oder Juni 2005 plant.
Außerdem geht es den Briten, rein wirtschaftlich
betrachtet, so gut wie seit langem nicht mehr. Sie
genießen die niedrigste Inflationsrate seit 40 Jahren,
die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 30 Jahren und einen
erfreulich niedrigen Hypothekenzinssatz. Nach mehreren Jahren
staatlicher Rekordinvestitionen werden im Gesundheitswesen und
nicht zuletzt an den Schulen tatsächlich Verbesserungen
spürbar. Ohne die Reichen gegen sich aufzubringen –
der Spitzensteuersatz liegt bei 40% –, hat Labour enorme
Summen an die ärmeren Bevölkerungsschichten
umverteilt. Die Karikatur von Blair als einer männlichen
Maggie Thatcher mit freundlichem Lächeln trifft
längst nicht mehr zu.
In allen Umfragen schätzen die Briten die Wirtschafts-
und Finanzkompetenz der Regierung höher ein als die der
Opposition – ein schier unglaublicher Abschied vom alten
Grundsatz, wonach Labour für die Gerechtigkeit
zuständig sei und die Konservativen fürs Geld. Zu
Recht personifiziert Schatzkanzler Gordon Brown, nicht der
Premierminister dieses Wahrnehmungswunder. Doch den ebenso
schwierigen wie ehrgeizigen Schotten seit Jahren bei Laune und
auf dem wichtigsten Kabinettsposten gehalten zu haben, kann
sich Blair getrost als Verdienst anrechnen.
Die für eine Labour-Regierung mindestens ebenso
schwierige Flanke von Law&Order läßt sich Blair
vom höchst illiberalen Innenminister David Blunkett
freihalten. Die Innen- und Rechtspolitik ist Blairs Heimatfeld.
Mit dem genialen, nach Hegelscher Dialektik klingenden Slogan
„Hart gegen Kriminelle und hart gegen die Ursachen der
Kriminalität“ (tough on crime and tough on the
causes of crime) machte sich der damalige Schatteninnenminister
Blair bekannt. Mittlerweile quellen die Gefängnisse des
Landes über, ausländische Terrorverdächtige
sitzen seit mehr als zwei Jahren ohne Prozess ein,
randalierende Jugendliche erhalten nachts Ausgangssperre,
abgelehnten Asylbewerbern wird blitzschnell die
Unterstützung gestrichen – mit demonstrativer
Härte ist es der Regierungspartei bisher noch stets
gelungen, ihre Klientel aus Arbeiter- und
Kleinbürgerschicht bei der Stange zu halten.
Mag in der Innenpolitik derzeit die Zustimmung wachsen, weil
die Regierung im Zweifel gern zu populistischen Mitteln greift
– der Außenpolitiker Blair sitzt starrsinnig auf
den Trümmern seiner hochambitionierten Politik und
versucht den Briten einzureden, es handle sich um ein
postmodernes Gebäude.
Dabei hatte der Premierminister Recht, als er vor gut
fünf Jahren in Chicago eine postmoderne Weltordnung
skizzierte. Die moderne Welt der Nationalstaaten mit ihrer
Doktrin der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten,
wie sie seit dem Westfälischen Frieden von 1648 bestand,
sei im Zeitalter von globalen Menschenrechten und einer
wachsenden Anzahl von Staatenruinen nicht mehr
zeitgemäß. Eine Koalition westlicher Demokratien
dürfe, ja müsse sich in anderen Staaten einmischen,
wenn es dabei um einen guten Zweck gehe: „die Werte von
Freiheit, Rechtsstaatlichekeit, Menschenrechten und einer
offenen Gesellschaft zu fördern“.
Das Pikante an dieser Rede zugunsten eines neuen
Völkerrechts war, dass Blair sie mitten im Kosovo-Krieg
hielt. Dieser war von den Vereinten Nationen nicht abgesegnet
und damit strenggenommen völkerrechtswidrig. Der Brite
stellte sich als erster prominenter Staatsmann der Erkenntnis,
dass das herrschende Völkerrecht und die
dazugehörigen Institutionen der Realität nicht mehr
gerecht wurden.
Der Massenmord vom 11. September 2001 veränderte diese
Realität erneut, aus einem grundsätzlichen und einem
sehr pragmatischen Grund. Zum einen wurde der Welt schlagartig
die Bedrohung durch den transnationalen Terrorismus bewusst;
zum anderen war Amerika, die einzige verbliebene Supermacht,
das Opfer.
Der anschließende Feldzug gegen die Taliban in
Afghanistan und ihren langjährigen Gast Osama Bin Laden
war noch vergleichsweise unumstritten. Der zur Jahreswende
2001/2002 in Washington beschlossene Sturz Saddam Husseins und
die ihm zugrunde liegende Bush-Doktrin vom Präventivschlag
hingegen passten nicht zu Blairs humanitärem
Imperialismus, der auf multilateralem Vorgehen beruht. Und doch
traf der Brite spätestens Anfang September 2002,
wahrscheinlich aber schon im Frühjahr 2002, die
strategische Entscheidung: Großbritannien beteiligt sich
an dem Irak-Krieg, zu dem die USA ohnehin entschlossen
sind.
Aus Sicht eines britischen Premierministers wirkt diese
Entscheidung fast zwingend, schließlich sind die
Sicherheitsapparate der beiden Länder praktisch nicht
voneinander zu unterscheiden. Wichtigstes Ziel britischer
Außenpolitik muss deshalb die enge Anbindung an Amerika
sein. Für dieses Ziel muss man dessen Politik auch dann
mittragen, wenn es zu Konflikten mit anderen Zielen kommt, etwa
dem britischen Einfluss in Europa. Mit dieser Politik steht der
Premier in der Tradition seiner Amtsvorgänger, glaubt
Blair-Biograph Philip Stephens (Financial Times): „Er hat
eine sehr konventionelle Auffassung von
Außenpolitik.“
Machtpolitik
Das Problem für den Briten: Das Festhalten an der so
genannten „Sonderbeziehung“ zur Supermacht jenseits
des Atlantiks fußt nicht auf hehren
internationalistischen Ideen, sondern auf kalter Machtpolitik
à la Henry Kissinger, passt also weder zu Blairs
öffentlich vorgetragenen Politikideen noch zu seinem
Selbstbild.
Daher dürfte jene Verschleierungstaktik rühren,
hinter der Blair seine echte Motivlage zu verbergen suchte.
Bestes Beispiel dafür war das Geheimdienstdossier
über das angebliche ABC-Waffenprogramm Saddam Husseins.
Wenige Tage vor dessen Veröffentlichung kennzeichnete
Blairs Büroleiter Jonathan Powell das Schriftwerk in einer
internen e-mail so: „Es demonstriert in keiner Weise eine
Bedrohung, geschweige denn eine unmittelbare Bedrohung durch
Saddam.“ Trotzdem schrieb Powells Chef im Vorwort zum
Dossier: „Ich habe keinen Zweifel, dass die Bedrohung
ernst ist und jetzt besteht.“ Kann eine Bedrohung jetzt
bestehen, aber nicht unmittelbar sein? Da helfen sich Blair,
Powell und Konsorten mit semantischen Spitzfindigkeiten. Aber
ihre Ausflüchte sind mit Händen zu greifen: nicht
umsonst hält in Umfragen rund die Hälfte der Briten
ihren Regierungschef für einen Lügner.
Es gibt Leute, die glauben, Tony Blair sei der einzige
Mensch auf der Welt gewesen, der den Krieg hätte aufhalten
können. Das ist eine beinahe rührende
Überschätzung. Allerdings spricht manches dafür,
dass ein guter Kenner des Premiers genau dieser These
anhängt: Tony Blair selbst.
Vielleicht muss man ja nach Hinweisen in der
Persönlichkeit des Briten suchen, wenn man seiner beinahe
gespenstischen Selbstgewissheit auf den Grund gehen will. Der
1953 geborene Blair stammt aus einer konventionellen Familie
mit zwei Geschwistern, seine Mutter war Hausfrau, sein Vater
Rechtsanwalt mit politischen Neigungen zur konservativen
Partei. Tony verlebte einige sorglose Kinderjahre in
Australien, ging auf eine Kirchenschule im nordenglischen
Durham und anschließend auf das private Internat Fettes
in der schottischen Hauptstadt Edinburgh –
paradoxerweise, sagt Blair-Biograph Philip Stephens,
„eine sehr englische Schule“, die auf die Ideale
ihrer Gründerjahre im 19. Jahrhundert hält. Damals
entstand die Vorstellung von Großbritannien als einer
Quelle für das Gute in der Welt, mit der die
wirtschaftlichen Interessen der rohstoffarmen Insel
idealistisch überwölbt wurden.
Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt als Kellner in Paris
ging Blair zum Studium nach Oxford. Aus dieser Zeit der
Selbstfindung eines jungen Mannes um die 20 rühren drei
Veränderungen, die Tony Blairs weiteres Leben entscheidend
geprägt haben: Seine Mutter starb an Krebs. Blair wandte
sich bewusst dem Christentum zu. Und er trat der Labour-Party
bei.
Man kann darüber spekulieren, wieviel diese drei
Veränderungen miteinander zu tun haben. Fest steht, dass
Blair über seine Parteimitgliedschaft oft Rechenschaft
abgelegt hat, über die Beziehung zu seiner Mutter nie.
Über seine Religion redet und schreibt er nur ganz selten,
aber sie ist ein Schlüssel zum Verständnis seiner
Person. Wer ihm jemals nahegekommen ist, wie der Journalist Sir
Peter Stothard, hegt keinen Zweifel an Blairs festen
Glaubensgrundsätzen.
Das unterscheidet den Premier von den meisten seiner
Bürger. Großbritannien ist ein areligiöses
Land; kaum noch fünf Prozent der Briten gehen
einigermaßen regelmäßig in irgendeine Kirche.
Blair gehört nominell zur anglikanischen Staatskirche,
seine Frau Cherie hingegen ist praktizierende Katholikin, die
vier Kinder sind katholisch getauft. Der Premier hat sich
selbst einmal als „ökumenischen Christen“
bezeichnet.Was genau er darunter versteht, darüber
ließe sich eine treffliche theologische Diskussion
führen, bei der Blair gewiss mithalten könnte.
Intensiv gelesen hat er den dänischen Religionsphilosophen
Sören Kierkegaard (1813–1855), der die Kirche des
19. Jahrhunderts an der „Gleichzeitigkeit mit
Christus“ maß und sie für zu leicht befand.
Ähnlich mag es Blair ergehen, jedenfalls bekennt er sich
zu hohen Ansprüchen. Noch vor seiner Zeit als Parteichef
schrieb er 1993: „Das Christentum ist eine sehr harte
Religion. Es hat klare Vorstellungen. Es unterscheidet zwischen
Richtig und Falsch, zwischen Gut und Böse. Wir wissen das
natürlich alles, aber es ist modisch geworden, sich bei
solcher Sprache unwohl zu fühlen. Aber wenn wir unsere
Welt betrachten und sehen, wieviel darin zu tun ist, sollten
wir nicht vor solchen Urteilen zurückschrecken. Und ihnen
dann auch entschlossenes Handeln folgen lassen. Das verstehe
ich unter christlichem Sozialismus.“
Blairs Interesse an Religion kommt nicht von ungefähr,
schließlich hat der Premier viele Eigenschaften, die er
mit so manchem Pfarrer teilt: Freude am Predigen;
schauspielerisches Talent; intellektuelle Neugierde, der aber
die religiöse Überzeugung klare Grenzen setzt; ein
intuitives Gespür für Mitmenschen, Interesse an ihnen
und gleichzeitig Distanz zu ihnen; die Fähigkeit,
komplizierte Sachverhalte auf einfache Weise zu erklären
und gleichzeitig zu deuten; eine Aura von Welterkenntnis,
welche eine Verbindung zu höheren Mächten
suggeriert.
Das Satiremagazin Private Eye trifft den Nagel also auf den
Kopf, wenn es den Premier als klampfespielenden, kumpelhaften,
gleichzeitig strengen Priester karikiert. Den überwiegend
areligiösen Briten ist dieser Aspekt von Blairs
Persönlichkeit noch nie geheuer gewesen.
Glaubt der Premierminister an eine göttliche Mission,
die seine Politik leitet? Vielleicht kennzeichnet es den
weitverbreiteten Widerwillen gegen Blairs scheinbar
unerschütterlichen Glauben an die Gerechtigkeit der
eigenen Sache, dass solche Fragen nicht nur gestellt, sondern
auch mit Ja beantwortet werden. Der britische Journalist
Geoffrey Wheatcroft (Atlantic Monthly) erklärt die Politik
des Premiers mit dessen Geistesverwandtschaft zur
frühreformatorischen Sekte der Antinomier, die sich der
eigenen Erwähltheit so sicher waren, dass für sie das
neutestamentliche Sittengesetz nicht galt. Blair sei so
aufrichtig fromm wie kaum ein Premierminister vor ihm,
analysiert Wheatcroft bitter, „aber es war auch kaum
einer so unredlich und skrupellos.“
Enttäuschung
Man kann die Enttäuschung über Blair nicht
verstehen, ohne sich der Euphorie jenes strahlend schönen
Frühlings des Jahres 1997 zu erinnern, der am 1. Mai in
Labours Erdrutschsieg kulminierte. Nicht nur junge Leute
grinsten in jenen Tagen sinnlos vor sich hin. Auch die
Spitzenbeamten im Regierungsviertel Whitehall ließen sich
von der Euphorie anstecken. Dem Verfassungshistoriker Peter
Hennessy vertrauten damals mehrere beamtete
Staatssekretäre an, wie beeindruckt sie vom jugendlichen
Premier seien und von dessen Absicht, seine Regierung
„von ethischen Grundsätzen, nicht von einer
Ideologie“ leiten zu lassen.
Wie im eigenen Land, so auch auf dem europäischen
Kontinent. Blair wurde zugetraut, was sein Vorgänger John
Major nur versprochen hatte: Großbritannien im Herzen
Europas zu platzieren. Die europäische Sozialdemokratie
hatte eine Galionsfigur; Schriften über Blairs
„Dritten Weg“ wurden in Dutzende Sprachen
übersetzt.
Inzwischen wird in Europa herablassend über Blair
geredet. Allzu oft hat der Brite den Beitritt zur Eurozone
versprochen, hat dann gezögert und das Referendum doch
noch ein wenig hinausgeschoben. Nun muss er erst einmal ein
anderes Plebiszit gewinnen, jenes über die geplante
EU-Verfassung. Angesichts der Stimmung in der Bevölkerung
wäre es kaum überraschend, wenn die Briten den
jüngsten Integrationsschritt ablehnen würden. Von der
Einführung der gemeinsamen Währung reden nicht einmal
mehr die unverbesserlichsten Europa-Optimisten. Der angeblich
so europafreundliche Premierminister hat in Sachen Euro keine
Führungsstärke gezeigt, im Gegenteil: Jahrelang
überließ er den EU-feindlichen Zeitungen des
amerikanischen Staatsbürgers Rupert Murdoch (Times, Sun,
News of the World) das Feld. Bei der letzten Europa-Wahl
stimmten 17 Prozent der Briten für die
Unabhängigkeitspartei UKIP, die den Austritt aus der EU
befürwortet. Bei den Konservativen sympathisiert eine
starke Minderheit mit dieser Position, in der Labour-Party
mehren sich skeptische Stimmen. Großbritannien ist heute
feindseliger gegenüber Europa eingestellt als zu Blairs
Amtsantritt 1997.
Hierin sieht der britische Journalist und Buchautor John
Kampfner („Blair’s wars“) das eigentliche
Versagen des Premierministers. Blair habe durch den zweiten
eindeutigen Wahlsieg 2001 an Sicherheit und Handlungsspielraum
gewonnen: „Er wollte etwas Wichtiges durchsetzen, ohne
Rücksicht auf den Wankelmut der Wähler.“
Kampfner glaubt: Das wichtige Projekt war der Beitritt zur
europäischen Währung – bis Amerikas Pläne
für einen Regimewechsel in Irak dazwischen kamen.
Also doch: Irak, Irak, Irak. Von der Sicherheitslage im
Zweistromland, vom Erfolg zaghafter Demokratisierung, anders
gesagt: von Ereignissen jenseits seiner Kontrolle wird
abhängen, ob Tony Blair noch einmal wiedergewählt
wird. Mögen ihn viele der Wahlbürger für einen
Lügner halten – Wahrhaftigkeit erwarten die Menschen
von einem Politiker ohnehin nicht. Dafür
Führungsstärke, rasche Entscheidungen, Charisma. Und
gelegentlich einmal einen Hinweis darauf, dass er nicht in
allem mit Washington übereinstimmt. Egal wie die
nächste Wahl ausgeht: Selbst wohlwollende Beobachter wie
David Aaronovitch (Guardian) kalkulieren, „dass das
letzte Drittel seines Verbleibens in der Downing Street
angebrochen“ ist.
Literatur
Tony Blair, Foreword; in: John Smith (Hrsg.), Reclaiming the
ground, christianity and socialism, London 1993;
Untersuchungsbericht von Lord Hutton über die
Umstände des Todes von Dr. David Kelly, The Stationary
Office, London, 28. Januar 2004; Peter Hennessy, The Prime
Minister – the office and its holders since 1945; London
2000; John Kampfner, Blair’s wars, London 2003; Peter
Stothard, 30 Days – a month at the heart of Blair’s
war, London 2003; Philip Stephens, Tony Blair: The Making of a
World Leader, New York 2004.
Internationale Politik 7, Juli 2004, S. 68-73
Teilen
Themen und Regionen
Artikel können Sie noch kostenlos lesen.
Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.