Tod per Mausklick
Technologie
Aufrüstung: Die Waffen werden moderner, doch auch der digitale Krieg bleibt blutig
„Surgical strike“ – das klingt nach Präzisionschirurgie, kaum mehr nach Krieg. Solche Begriffe sollen eine Illusion nähren: dass modernste Technologie dem Schlachtfeld-Sterben in Schmutz und Schlamm ein Ende setzen kann. Dass die Bösen quasi per Mausklick ausgeschaltet werden können. Und die Guten anschließend den Computer abschalten, ihren Anzug ausklopfen und ein wohlverdientes Bier trinken gehen. Der Mythos vom schnellen, sauberen Hightech-Krieg hat den USA geholfen, ihr Vietnam-Trauma zu überwinden, die Erinnerung an diese absurde und obendrein verlorene Dschungelschlacht zu tilgen. Der technologische Grundoptimismus der US-Gesellschaft paarte sich mit einer durch den 11. September ausgelösten Bedrohungsangst zu neuem Kriegsmut. Die Hoffnung: Letztlich können unsere Jungs den Feind per Joystick erledigen.
Tatsächlich sind die Waffen viel präziser geworden. Fielen die Bomben des Zweiten Weltkriegs noch meist daneben, trafen die ersten lasergesteuerten Raketen in Vietnam schon deutlich besser. Heute schlagen hunderte Kilometer entfernt abgefeuerte Geschosse metergenau ein. Um im Krieg gegen Hitler-Deutschland ein großes Ziel zu zerstören, mussten die Alliierten an die 3000 Flüge einplanen. Im Golf-Krieg 1990/91 waren es noch etwa zehn. Nun können bei einem einzigen „sortie“ gleich mehrere Objekte unter Feuer genommen werden. Milliarden fließen in Forschungsprojekte, die Waffen und Armeen noch effizienter machen, mit toller Technik den gefürchteten „Nebel des Krieges“ lichten sollen. Auf dass die Truppen schnell, flexibel, akkurat und wohlkoordiniert zuschlagen. Tödlich für den Feind, sicher für die eigenen Mannen.
In den USA, die für ihr Militär derzeit doppelt so viel ausgeben wie China, Russland, Japan, Großbritannien, Frankreich und Deutschland zusammengenommen, wurde schon 1991 das „Land Warrior Program“ gestartet; ein Projekt, der jeden einzelnen Soldaten mit einer möglichst letalen Ansammlung von Technik umgeben sollte: zielgenaue Waffen, Spezialkleidung und Helme mit Display, elektronische Feinderkennung, digitale Kommunikation. Das ganze lief unter Windows, wog schrecklich viel. Die Batterien waren meist leer. Seither hat das US-Militär unzählige Hightech-Programme aufgelegt, mit klingenden Namen wie „Objective Force“, „Sea Power 21“ oder „Future Combat System“. Das Ziel: eine satellitengestützte, möglichst vollautomatische Militärmaschinerie, mit unbemannten Drohnen, Robotern und „intelligentem“ Feuerwerk. Betrug der Anteil der „smart weapons“ im Golfkrieg 1990/91 noch sieben Prozent, sind es in Afghanistan schon 60 Prozent. „Wir betreten eine Ära, in der unbemannte Fahrzeuge aller Art immer wichtiger werden“, sagt Oberbefehlshaber George W. Bush. „Wenn unser gesamtes Militär bewegliche Ziele kontinuierlich orten und verfolgen kann, aus der Luft und aus dem Weltall, wird die Kriegsführung wirklich revolutioniert.“ Für 2008 veranschlagt die Washingtoner Regierung Verteidigungsausgaben von rund 650 Milliarden Dollar, dazu Abermilliarden für „Homeland Security“ und die 16 Geheimdienste. Der Mainstream der Demokraten bremst hier nicht. Auch Will Marshall, Präsident des demokratischen Think Tanks Progressive Policy Institute, ruft nach mehr Truppen und mehr Ausrüstung: „Amerika braucht ein größeres und besseres Militär.“ Der digitale Soldat wird kommen, inklusive Computergraphik, Nachtsichtfähigkeit, Zielfinder, GPS, Video, in einer komplett vernetzten Armee. Unterstützt von künstlichen Fluginsekten, die das Terrain sondieren, von Biosensoren, die tückische Kampfstoffe in Echtzeit erkennen, von Metamaterialien, die das Licht so „verbiegen“ können, dass selbst voluminöse Flugzeuge und U-Boote unsichtbar werden. Das Institute for Soldier Nanotechnologies des Massachusetts Institute of Technology (MIT) etwa arbeitet an „revolutionären Technologien für die Kriegsbemühungen des Landes“, an Energie absorbierenden Stoffen und solchen, die nach Bedarf weich oder panzerhart sein können. Auch an photovoltaischen Materialien, die Strom für das ganze Equipment erzeugen. Die Militärforschungsagentur DARPA fördert viele futuristische Projekte, von „Advanced armor“ bis „Z-man“ – ein Forschungsvorhaben, dessen Früchte Soldaten ermöglichen sollen, wie ein Gecko an einer glatten Wand hinaufzulaufen. Jeden Tag melden US-Wissenschaftler frische Beiträge zur Kampfkraft der Truppen. Neulich etwa das „combat feeding program“, das helfen soll, Tomaten und Salat für die Soldaten 35 Tage lang frisch zu halten. Weil nicht nur, wie schon Brecht lehrte, erst das Fressen kommt und dann die Moral. Sondern jene auch viel besser ist, wenn dieses gut war. Just hat das Pentagon den Prototyp des „Bear“ vorgestellt, des 1,80 Meter großen „Battlefield Extraction-Assist Robot“, der den verwundeten GI auf einem Arm aus dem Feuergefecht retten kann. Der Air Force sollen künftig Computer-Algorithmen helfen, menschliches Verhalten – von kleinen Gruppen bis zu Nationen – vorherzusagen.
Trotz aller Hightech-Anstrengungen: Die Kriege in Afghanistan und im Irak ziehen sich hin. Tausende Todesopfer später liegt die unbedarfte Zuversicht, einen blitzsauberen Techno-Feldzug führen zu können, in Trümmern. Weil eben auch Helme mit eingebauter Ventilation, Beleuchtung und Geräuschüberwachung den Soldaten nicht unverwundbar machen. Am Ende wird immer noch gestorben. Und die Kommandeure müssen sich fragen lassen: Wofür?
TOM SCHIMMECK, geb. 1959, schreibt als freier Journalist über Politik und Wissenschaft für Zeitungen, Magazine und fürs Radio.
Internationale Politik 7/8, Juli/August 2007, S. 180 - 181.