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01. Aug. 2002

Theorie der Internationalen Beziehungen

Buchkritik

Den Internationalen Beziehungen (IB) als Teildisziplin der Politikwissenschaft wird oft unterstellt, sie litten unter einem Theoriedefizit, indem die Suche nach dem Einheitlichen, Ähnlichen und Typischen in der empirischen Vielfalt allzu oft in metatheoretischen Exkursen münde; darüber hinaus sei die Menge der Ansätze kaum überschaubar, alter Wein werde seit Jahren in neue Schläuche gefüllt, und immer neue Etiketten schreckten eher ab, als dass sie zum Studium der IB animierten.

Angesichts dieser Vorurteile erscheint es als waghalsiges Unternehmen, die unterschiedlichsten Theorieansätze der IB in einem einzigen Band zusammenzufassen. Dies geschieht im Handbook of International Relations in beeindruckender Weise. Die renommierten Herausgeber Walter Carlsnaes von der schwedischen Universität Uppsala, Thomas Risse von der Freien Universität Berlin und Beth A. Simmons aus Berkeley bringen die bestmögliche Expertise der IB-Forschung aus Europa und Nordamerika zusammen. Sie schaffen es, in 28 Kapiteln einen nahezu erschöpfenden Überblick über die Disziplin zu geben. Und so wird dieses Buch fortan als Standardwerk der Internationalen Beziehungen bezeichnet werden müssen.

Der Band gliedert sich in drei analytisch abgegrenzte Teile, die jeweils einen eigenen Strang des wissenschaftlichen Diskurses in der Disziplin darstellen. Im ersten Teil werden die philosophischen, metatheoretischen und normativen Grundlagen der IB dargestellt. Die in den letzten Jahren das Forum beherrschende Debatte zwischen Rationalismus und Konstruktivismus dient dabei als Leitmotiv.

Im zweiten Teil werden die wichtigen analytischen Anliegen der Disziplin vorgestellt. Nach der Diskussion von Grundbegriffen wie Staat, Souveränität, Macht, internationale Institutionen und Organisationen, Diplomatie und Interdependenz werden hier Ansätze diskutiert, in denen auch Akteure auf der Ebene unterhalb des Nationalstaats sowie feministische und psychologische Aspekte Berücksichtigung finden. Besonders wohltuend wirkt der Abstand, der durch diese Vorgehensweise zu den großen paradigmatischen Debatten zwischen Realismus, Liberalismus und Institutionalismus gewonnen wird.

Im dritten und umfangreichsten Teil nähert sich das Buch dem empirischen Gegenstand des Faches. So unterschiedliche Probleme der internationalen Beziehungen wie Krieg und Frieden, Sicherheits- und Wirtschaftskooperation, Nationalismus, internationale Finanzströme, Entwicklungszusammenarbeit, Umwelt- und Menschenrechtspolitik sowie die Probleme des modernen Völkerrechts werden hier umfassend analysiert. Natürlich gibt es in einem so breit angelegten Werk Überschneidungen, die sich zum Teil durch überlagernde Diskurse beispielsweise in Sicherheitsstudien und solche über Macht in den IB ergeben. Das Gleiche trifft für die Themenfelder der vergleichenden Regionalforschung und der Rolle internationaler Institutionen für die internationale Politik zu. Dennoch entwickeln sich gerade durch die unterschiedlichen Perspektiven fruchtbare Übereinstimmungen in den theoretischen Ergebnissen.

Es ist schwierig, innerhalb dieses für Studenten der Politikwissenschaft unentbehrlichen Buches einzelne Kapitel hervorzuheben. Für jeden Aspekt konnte einer der führenden Vertreter des Faches gewonnen werden. Durch das gesamte Werk zieht sich – inspiriert durch die Beiträge von James Fearon und Alexander Wendt, Duncan Snidal, Emanuel Adler und Richard K. Herrmann im Einleitungsteil – die Debatte zwischen Rationalisten und Konstruktivisten.

Unter den Autoren – hier seien nur genannt Michael Zürn, Thomas Risse, Hans Peter Schmitz und Harald Müller – nimmt Letzterer in seinem Beitrag über Formen der Sicherheitskooperation am stärksten diese Debatte auf. Der Blick auf die unterschiedlichen Argumente des Realismus, Institutionalismus, Liberalismus, Konstruktivismus und post-moderner Theorieansätze ist indes nur eine Antwort auf die Frage, warum und in welchen Fällen Staaten in der internationalen Politik kooperieren. Jeder, der dieses Buch für seine wissenschaftliche Arbeit zu Rate zieht, wird in dieser Hinsicht erschöpfend informiert.

Walter Carlsnaes/Thomas Risse/Beth A. Simmons (Hrsg.), Handbook of International Relations, London/Thousand Oaks/New Delhi: Sage Publications 2002, 571 S., 129,00 EUR.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 8, August 2002, S. 50 - 52.

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