Terrorismus in Mali
Seit dem Abzug der Bundeswehr aus Mali gibt es für die Sahelzone nur noch wenig Aufmerksamkeit. Das hat gefährliche Folgen – auch für die Terrorbekämpfung in Deutschland. Die reagiert nur auf Symptome.
Die Sonne über Bamako war kaum aufgegangen, als es krachte. Explosionen hallten durch die Hauptstadt Malis. Schwarze Rauchschwaden stiegen auf. Stundenlang waren Schüsse zu hören. Mitglieder einer Terrororganisation griffen am Morgen des 17. September 2024 gleich zwei Ziele an: ein Trainingscenter der Gendarmerie und den Flughafen am Rande der Metropole. Die Terroristen steckten Flugzeuge in Brand; sie ermordeten mindestens 77 Menschen und verletzten Hunderte.
Es war das erste Mal, dass es Terroristen in Mali gelang, derart wertvolle militärische Ziele in der Hauptstadt zu treffen. Und sie dokumentierten ihre Attacke im Detail mit Videos, die sich schnell in sozialen Medien verbreiteten.
In Deutschland blieben Schlagzeilen über den Triumph der Islamisten weitgehend aus: Seit dem Abzug der Bundeswehr vor gut einem Jahr spielt Mali hier anscheinend keine Rolle mehr. Eine gefährliche Ignoranz. In jenen Tagen wurde zwar über Terror diskutiert, sehr hitzig sogar – allerdings mit äußerst begrenztem Horizont.
Nach dem Attentat eines Islamisten in Solingen mit drei Toten und mehreren Verletzten forderten Politiker schärfere Regeln beim Thema Migration. Der Attentäter war als Asylbewerber eingereist. Vor allem Abschiebungen, die Möglichkeit, Migranten zurückzuweisen, bestimmten die Debatte. Am Ende standen unter anderem verstärkte Kontrollen an deutschen Grenzen und die Einführung von Verbotszonen für das Tragen von Messern. Mit ihrem „Sicherheitspaket“ setzt die Bundesregierung auf Maßnahmen, die Symptome des Terrors in Deutschland bekämpfen, nicht aber seine Ursachen. Ein grundsätzliches Problem.
Mali ist dafür vielleicht der deutlichste Beweis. Das Land liegt in der Sahelzone, dem Übergang der Sahara im Norden in die Savannen weiter im Süden Afrikas. Der halbtrockene Landstrich hat sich im vergangenen Jahrzehnt zur globalen Hochburg islamistischen Terrors entwickelt. 2023 starben in der Region mehr als 13 000 Menschen, darunter fast 5000 Zivilisten.
Verantwortlich für den Angriff auf die Gendarmerie-Schule und den Flughafen in Bamako war die Jama’at Nasr al-Islam wal Muslimin, kurz JNIM, ein Zusammenschluss mehrerer bewaffneter Gruppen mit engen Verbindungen zu Al-Kaida. Im Sahel operiert zudem ein lokaler Verbündeter des selbsternannten Islamischen Staates, der aus Syrien und dem Irak bekannt ist: der Islamische Staat Sahel Provinz. Die Gruppen beherrschen ganze Territorien. Und ihre Gewalt bedroht längst nicht mehr nur die Sahelstaaten, sondern auch die Länder am Golf von Guinea. Weiter im Osten der Sahelzone, rund um den Tschadsee, sind weitere islamistische Terrorgruppen aktiv, darunter ebenfalls Gruppen, die dem IS die Treue geschworen haben, Boko Haram gehört dazu. Sie ermorden nicht nur Tausende Zivilisten, sie machen auch Millionen Menschen zu Binnenvertriebenen und Geflüchteten.
Der Anschlag im September markierte womöglich eine neue Eskalationsstufe im Vormarsch der Terroristen. JNIM machte damit eines deutlich: Die Gruppe kann den malischen Staat selbst im Zentrum der Macht treffen.
Fast schon vergessen wirkt in Deutschland, dass man sich vor gut zehn Jahren das Ziel gesetzt hatte, eine derartige Eskalation zu verhindern. Fast vergessen wirkt, dass sich die Bundeswehr 2013 an einer Stabilisierungsmission der UN in Mali (MINUSMA) beteiligte, wo die Ausbreitung des Terrors im Sahel begann. Zeitweise waren dabei 1400 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Hinzu kamen weitere, die sich in der europäischen Ausbildungsmission für das malische Militär engagiert haben (EUTM). Der Mali-Einsatz wurde der größte der Bundeswehr weltweit. Trotzdem war die Aufmerksamkeit schon damals zu gering. Debatten darüber, wie aus dem Einsatz ein Erfolg werden könnte, blieben weitgehend aus. Obwohl die Trainingsmission EUTM offensichtlich viel zu realitätsfern angelegt war. Obwohl die Stabilisierungsmission der UN mit einem viel zu schwachen Mandat ausgestattet war. Obwohl viel zu wenig getan wurde, um die Ursachen des Terrors zu bekämpfen.
Die Ursachen der Gewalt
Zu den Ursachen gehörte zuallererst eine schnell wachsende Zahl vor allem junger Männer im Sahel, denen Perspektiven für ein besseres Leben in einer der ärmsten Regionen der Welt fehlten. Dazu gehörte aber auch eine korrupte, schlecht verwaltende Regierung in Bamako, die für große Teile der Bevölkerung nichts tat und zusehends ihre Legitimität verspielte.
Die internationale Gemeinschaft machte jahrelang immer weiter, ohne ihren Einsatz den notwendigen Reformen zu unterziehen. Und sie hielt dabei an der fragwürdigen Regierung in Bamako als wichtigstem Partner fest. Mit fatalen Folgen. 2020 stürzten in Mali frustrierte Soldaten diese Regierung. Sie versprachen eine Kehrtwende im Kampf gegen den Terror. Dazu gehörte bald auch, die UN-Mission aus dem Land zu jagen.
Die Junta genießt seither großen Rückhalt in der Bevölkerung. In einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung von Anfang 2024 stärkten ihr neun von zehn Maliern den Rücken. Ebenso viele hielten den Abzug der MINUSMA für richtig.
In anderen Staaten des Sahel wandten sich die Menschen ebenfalls von Europa ab: In Burkina Faso putschten Militärs 2022, in Niger 2023. Auch sie brachen weitgehend mit Deutschland und anderen Staaten der EU, insbesondere mit der früheren Kolonialmacht Frankreich. Und auch sie genießen angesichts dieses Kurses den Rückhalt von Teilen der Bevölkerung.
Russlands Rolle in der Region
Nach dem Putsch in Niger, als bereits ein 5000 Kilometer breiter Streifen den afrikanischen Kontinent durchzog, in dem ausschließlich Soldaten regierten – ein Streifen, in dem der sogenannte „Westen“ nicht mehr viel zu melden hatte –, keimte in Deutschland eine zarte Debatte auf. Doch es wurde vor allem darüber diskutiert, was Russland mit den Entwicklungen im Sahel zu tun hat. Die Debatte kreiste fast ausschließlich um Einflusssphären – schließlich wurde Russland nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine in Europa wieder als Bedrohung wahrgenommen.
An den Problemen im Sahel ging dieser Diskurs aber genauso vorbei wie der hitzige Streit über das „Sicherheitspaket“ nach dem Solingen-Attentat. Russland hat die Entwicklungen in der Region nicht angestoßen; es hat die Entfremdung der Menschen im Sahel vom Westen nur instrumentalisiert und mit Desinformation weiter befeuert, um engere Beziehungen zu den neuen Militärregimen zu etablieren.
Selbst die allzu oberflächlich geführte Debatte, die nach dem Putsch in Niger in Deutschland aufkeimte, hielt nur ein paar Wochen an. Als die letzten Bundeswehrsoldaten Mali im Dezember 2023 verließen, war es dann ganz vorbei mit der Aufmerksamkeit.
In Mali fingen Tuareg-Rebellen an, mit Terrorgruppen zu paktieren, um gemeinsam den malischen Staat anzugreifen. Unbeachtet, aber keineswegs irrelevant aus deutscher Sicht. Schließlich hat sich die Bundesregierung im Rahmen der MINUSMA-Mission maßgeblich dafür eingesetzt, die Tuareg stärker in die malische Gesellschaft zu integrieren.
Im November 2024 setzte die militärische Führung Malis die letzten zivilen Vertreter aus ihrer Regierung ab. Auch das ging in Deutschland unter. Dabei war damit die Militarisierung des Staatsapparats vollendet und womöglich die letzte Hoffnung auf eine baldige Demokratisierung des Landes beerdigt.
Kaum Schlagzeilen machte auch die Entwicklung, dass in Malis Regierung die Unzufriedenheit der Junta mit ihrem neuen Partner Russland wächst. Denn auch mit den Wagner-Söldnern gelingt es nicht, den Terror einzuhegen. Vielleicht gar im Gegenteil.
Auf dem Militärflughafen in Bamako, der im September angegriffen wurde, befindet sich ein wichtiger Standort der Wagner-Söldner im Land. JNIM sprach in einer Mitteilung explizit von Rache an der malischen Regierung und ihren Verbündeten aus Russland für die Ermordung von Muslimen. Eine Machtdemonstration.
Die Bedrohung weitet sich aus
Am Ende des Jahres 2024 scheint die deutsche Öffentlichkeit dagegen zu glauben, dass sie jetzt, da es in Mali keine Bundeswehrsoldaten mehr gibt, die Region einfach ignorieren könnte. Sie gibt sich mit Maßnahmen wie dem „Sicherheitspaket“ der Ampelkoalition zufrieden, mit Messerverbotszonen und Grenzkontrollen, um Terror zu bekämpfen.
Dabei ist es möglich, einigen Beobachtern zufolge sogar wahrscheinlich, dass sich die Probleme auf dem Nachbarkontinent Europas noch weiter zuspitzen. Der Umstand, dass dies den meisten Deutschen nicht so wichtig erscheint, ist ein griffiges Argument für die Rekrutierung von Terroristen und Attentätern – auch auf der europäischen Seite des Mittelmeers.
Internationale Politik 1, Januar/Februar 2025, S. 12-14
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