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01. Jan. 2002

Stunde der Optimisten

Nordischer Terrorismus nach dem 11. September

Nach dem 11. September hat sich die IRA für ein Ende ihres bewaffneten Kampfes entschieden; Gefahr für den Frieden droht heute vornehmlich vom radikalen Unionismus. Doch ist die nach langen Mühen zustandegekommene „Regierung der Machtteilung“ ein Grund für Optimismus.

Nach einem Vierteljahrhundert und nachdem mehr als 3000 unserer europäischen Nachbarn diesseits und jenseits der Irischen See gewaltsam zu Tode gekommen sind, ist die nordirische Politik dort angekommen, wo sie 1973 schon einmal war:  Damals wurde eine Regierung der Machtteilung (Power-sharing) zwischen den protestantisch-unionistischen und den katholisch-nationalistischen Kräften vereinbart. In Sunningdale, einem College in der Nähe Londons, erhielt diese Verabredung eine „irische Dimension“. Die nordirische Exekutive unter Brian Faulkner verabredete mit der irischen Regierung einen gesamtirischen Rat für Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse. Für das Nordirland-Abkommen von 19981 sind „Power-sharing“ und „irische Dimension“ erneut die zentralen Elemente des Verfassungskompromisses für Nordirland.

1974 scheiterte der Frieden in Nordirland am Auseinanderbrechen der Partei der gemäßigten unionistischen Kräfte. Faulkner verlor die Unterstützung seiner eigenen Parteifreunde, auch wenn er zunächst am Amt des Regierungschefs in Belfast festhielt. Erinnert dies nicht sehr an die gegenwärtige prekäre Lage des (Noch-)Parteichefs der gemäßigten Unionisten und jetzigen Ersten Ministers, David Trimble? Ist es nicht nur eine Frage der Zeit, bis sich auch der jetzige Frieden als trügerisch erweist?

Es fällt schon wegen der historischen Parallelen schwer, heute optimistisch zu sein, zumal diese ein Syndrom in Erinnerung rufen, das gegenwärtig noch so wirksam ist wie damals. Beide Gruppenidentitäten in Nordirland, die unionistische wie die nationalistische, sehen sich potenziell in einer existenzbedrohenden Minderheitenposition: die Unionisten in einem vereinten Irland, die Nationalisten in einem vom Unionismus dominierten Nordirland. Beide Szenarien hat das Nordirland-Abkommen zwar auf absehbare Zeit ausgeschlossen –  aber ausgeredet hat es sie denjenigen, die mit Drohkulissen den Konflikt immer wieder anheizen wollen, nicht. Auf der nationalistischen Seite sind es im Augenblick nur noch die Splittergruppen der Real IRA (Irish Republican Army) und der Continuity IRA, die auf das gewohnten Feindbild nicht verzichten wollen. Dabei ist nicht alles, was nach politischer Verlautbarung klingt, für bare Münze zu nehmen. Auf beiden Seiten hat sich in den 25 Jahren Bürgerkrieg eine regelrechte Terrorindustrie zur Beschaffung von Geldern herausgebildet.

Auf der unionistischen Seite zeigen die Terrorgruppen wenig Neigung, dem Beispiel der IRA zu folgen und mit der Vernichtung ihrer Waffenarsenale zu beginnen. 1998 klang dies noch anders. Aber inzwischen werden die früheren Erklärungen der Paramilitärs von ihnen neu bewertet. Die internationale Anerkennung der Entwaffnungsbemühungen der IRA erscheint ihnen als perfider Trick, um den Unionismus noch mehr in die Enge zu treiben. Teile des Unionismus verdrängen den nahe liegenden Gedanken, dass die IRA deshalb bereit ist, endlich ihren Teil des Nordirland-Abkommens zu erfüllen, weil die politische Führung der IRA die Sackgasse erkannt hat, in der ihre Politik steckt.

Die IRA-Taktik des bewaffneten Kampfes ist seit dem 11. September 2001 am Ende, weil ihren Repräsentanten in der Sinn-Féin-Partei klar wurde (bzw. von ihren amerikanischen Geldgebern klar gemacht wurde), dass auf der internationalen Bühne der Weg eines romantischen Robin-Hood-Terrorismus im kleinen tapferen Irland absolut niemandem mehr vermittelbar ist. Die Alternativen waren klar: entweder Entwaffnung und Politikfähigkeit, oder Gewalt und damit auf absehbare Zeit das Ende einer wirksamen Interessenvertretung des Nationalismus.

Gefahr für den Frieden droht nach der Politikwende der IRA heute in erster Linie vom radikalen Unionismus, dessen Stunde schlägt, sollte der gemäßigte Unionismus wieder einmal scheitern. Dies ist nicht auszuschließen. Unionisten müssen bereit sein, nicht nur die Macht zu teilen, sondern auch den weiteren Abzug britischer Truppen hinzunehmen und eine Reform der nordirischen Polizeikräfte zu akzeptieren, die diese zu einer eindeutig überkonfessionellen Ordnungsmacht werden lässt. Solche „Zumutungen“ liefern hervorragendes Material für neue Angst- und Bedrohungsszenarien. Anlässe für so zu rechtfertigende Selbstbehauptung gibt es genug, seien es die jährlichen Märsche des Oranier-Ordens, seien es die Abwehrschlachten der Unionisten (oder auch der Nationalisten) gegen „Eindringlinge“ in ihre nach 25 Jahren mittlerweile segregierten Wohngebiete.

Dennoch ist dies die Stunde der Optimisten. Zumindest der Frieden, den die Verfahrensregeln des Nordirland-Abkommen auf parlamentarischer Ebene und in der internationalen Zusammenarbeit festschreiben, sollte halten, wenn nicht allzu viele gemäßigte Politiker aus dem unionistischen Lager jetzt die Nerven verlieren. Und hierfür gibt es im Jahr 2002 weit weniger Grund als 1974: Die Gewaltbereiten sind isoliert; das Nordirland-Abkommen wurde mit einer Mehrheit von 71% in einer Volksabstimmung befürwortet, und die wirtschaftliche Lage Nordirlands hat sich merklich gebessert.

Anmerkung

1  Der Text des Abkommens sowie Reden und Erklärungen sind in Auszügen abgedruckt in: Internationale Politik, 8/1998, S. 61 ff.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2002, S. 57 - 59.

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