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03. Jan. 2022

Städtediplomatie als Innovationstreiber

Kommunen spielen eine immer größere Rolle in der internationalen Politik. 

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Bild: Berlins ehemaliger OB Michael Müller in Warschau
Michael Müller (Bildmitte, mit Europafahne, beim Besuch in Warschau), bis Ende 2021 Berlins Regierender Bürgermeister, forderte wiederholt, kommunalen Interessen im Rahmen der G20 mehr Gehör zu schenken.
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Von jeher tut sich die Bundesrepublik als föderales, großes Land mit historisch gewachsenen Strukturen schwer damit, Pfadabhängigkeiten und thematische Silos zu durchbrechen, oder anders gesagt: politisch handlungsfähig und innovativ zu sein. Nicht ohne Grund eignete sich die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP frühzeitig das Label einer „Fortschrittskoalition“ an, um sich von der stockenden Politik des Status quo abzuheben, mit der Angela Merkels Große Koalition häufig assoziiert wurde.



Um neue Lösungsansätze zu finden und neue Allianzen zu schmieden und dabei Lehren aus bereits erprobten Ansätzen zu ziehen, lohnt der vergleichende Blick auf andere Governance-Ebenen: Welche Rolle spielen Städte in der deutschen Außenpolitik?



Gerade in transformativen Themenfeldern wie Klima, Technologie und Migration sind Kommunen bereits vielerorts aktiv dabei, sich zu vernetzen, mit gleichgesinnten Partnern Modellprojekte aufzulegen und immer selbstbewusster mehr politische Mitbestimmung einzufordern. Lokale Unternehmermentalität und kommunales Krisenmanagement ergeben sich zum einen aus dem unmittelbaren Druck, auf bestehende politische Realitäten reagieren zu müssen, und zum anderen aus dem Wunsch, Politik aktiv und vorausschauend zu gestalten.



Die Liste der Herausforderungen ist lang: Kommunen müssen ihre Bürgerinnen und Bürger vor negativen Klimafolgen schützen. Sie müssen im Wettbewerb um Investitionen und Fachkräfte bestehen. Sie müssen die Instrumente und Kanäle hybrider Kriegsführung überblicken, da sie kritische Infrastruktur häufig selbst managen, ob in der Energieversorgung, der Telekommunikation oder im Gesundheitswesen. Zusätzlich sind sie seit zwei Jahren mit der Eindämmung der Covid-19-Pandemie und der Abmilderung ihrer Folgen beschäftigt. Für diese Fülle an Aufgaben stehen häufig nur begrenzte Ressourcen und Kompetenzen zur ­Verfügung.

Seit Jahren steigt der Finanzierungsbedarf der Kommunen. Gleichzeitig sind sie durch die Schuldenbremse und begrenzte Eigenmittel in ihrem Gestaltungsspielraum begrenzt. Das wachsende Ungleichgewicht zwischen Aufgaben und verfügbaren Mitteln führt zu politischem Unmut und Frustration. Immer häufiger machen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und kommunale Spitzenverbände wie der Deutsche Städte- und Gemeindebund und der Deutsche Städtetag auf ihre Notlage aufmerksam. In Form von Brandbriefen und medialen Appellen riefen sie in der jüngsten Vergangenheit die EU, Bund und Länder immer wieder dazu auf, schneller und entschiedener zu handeln und Kommunen stärker zu unterstützen.



Wie so oft gilt aber auch im multiplen Krisenmodus der vergangenen Jahre: Not macht erfinderisch. Weltweit ist der Trend zu „Urban Diplomacy“-Vorstößen erkennbar. Städte positionieren sich immer mehr auch als außenpolitische Akteure und fordern mehr politische Mitbestimmung und Handlungsspielräume. Sie werden in Politikbereichen mit starker Außendimension aktiv, die nicht primär in den kommunalen Verantwortungsbereich fallen. Dazu zählen Klimapolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Migration. Aber auch Themen wie der Schutz von Menschenrechten werden aufgegriffen.



Dies geschieht häufig, aber nicht ausschließlich als Reaktion auf globale, makro­regionale und nationale Krisen und Missstände. In den USA beispielsweise führte der von Präsident Donald Trump verfügte Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen dazu, dass einzelne Bundesstaaten und Städte ihr Klima-Engagement eigenständig fortführten und häufig sogar verstärkten, um sich bewusst von der eigenen Bundesregierung abzusetzen.



Urban Diplomacy zur Distanzierung von nationaler Politik und Diplomatie ist auch in Mittelosteuropa zu beobachten, wo die Bürgermeister der vier Visegrád-Hauptstädte sich im Dezember 2019 zu einem „Pact of Free Cities“ zusammenschlossen. Neben dem Ziel einer gemeinsamen Handlungsoffensive für mehr Nachhaltigkeit und politische Mitbestimmung wollten sie ein Zeichen gegen populistische oder gar autokratische Tendenzen und für die Stärkung liberaler Demokratien setzen.



Auch in Deutschland mischen sich Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in außenpolitische Prozesse ein. Michael Müller, bis Ende 2021 Berlins Regierender Bürgermeister und Mitglied der sogenannten Urban20, forderte wiederholt, dass kommunale Interessen auf Ebene der G20 mehr Gehör finden. Im Rahmen der Klimakonferenz COP26 in Glasgow diskutierte Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz, Vorsitzender des Global Parliament of Mayors, die zentrale Rolle von Städten bei der Bekämpfung des Klimawandels und präsentierte Mannheims „Local Green Deal“. Es wird bereits diskutiert, ob und wie Städte zu ausgewählten Anlässen an deutschen Auslandsdelegationen beteiligt werden sollten.



Schaut man sich die deutsche Städtelandschaft an, fallen vereinzelt bereits Label mit außenpolitischem Bezug auf, die im Stadtmarketing verwendet werden, beispielsweise die „UNO-Stadt Bonn“ oder „Europastädte“ wie Frankfurt am Main, Görlitz und Aachen. Einige verfügen außerdem über Abteilungen für internationale Beziehungen, die unter anderem damit befasst sind, Städtepartnerschaften zu pflegen und mit konkreten Kooperationen neu zu beleben. Die Stadt Essen unterstützte ihre langjährige Partnerstadt Grenoble beispielsweise erfolgreich bei der Bewerbung als Grüne Hauptstadt Europas; ein Titel, den Essen seit 2017 innehat.



Die internationale Arbeit von Städten geht jedoch über Städtepartnerschaften hinaus. Viele international aktive Städte haben Nischen identifiziert, in denen sie sich im Rahmen von Netzwerken und Partnerschaften besonders engagieren. So präsentieren sich die Städte Köln und Nürnberg als Menschenrechtsstädte. Mannheim stellt die Agenda 2030 der Vereinten Nationen in den Vordergrund seiner internationalen Aktivitäten und trägt dazu bei, die Nachhaltigkeitsziele lokal umzusetzen. Die Liste der Beispiele ließe sich weiterführen. Viele kommunale Initiativen haben einen Klimabezug. Smart-­City-Konzepte aller Art sind ebenfalls auf dem Vormarsch. Vereinzelt gibt es Modellprojekte im Bereich der Migration und Integration – beispielsweise die Entwicklung eines Matching-Algorithmus durch die Universitäten Erlangen-Nürnberg und Hildesheim mit dem Ziel, Schutzsuchende passgenau auf Kommunen zu verteilen.



Variabler Instrumentenkasten

Um für eigene Positionen zu werben und den kommunalen Handlungsspielraum zu erhöhen, steht Städten bereits jetzt ein großer Instrumentenkasten zur Verfügung. Neben bilateralen Städtepartnerschaften nutzen sie immer stärker Städtenetzwerke und anlass- oder themenbezogene Projektpartnerschaften. Aktuell existieren weltweit etwa 300 Städtenetzwerke zu einer Vielzahl von Themen. Zu den größten gehören United Cities and Local Governments (UCLG), C40 und Global Covenant of Mayors for Climate. Das häufigste Thema ist – mit Abstand – der Klimaschutz, gefolgt von Entwicklungszusammenarbeit, Kultur- und Energiepolitik sowie Peacebuilding. Neben einem strukturierten inhaltlichen Austausch dienen Netzwerke insbesondere der Suche nach geeigneten Partnern, etwa für gemeinsame Förderanträge und konkrete Projekte.



Auf EU-Ebene ist Eurocities das größte Städtenetzwerk. Es verfügt über einen breiten thematischen Zuschnitt. Europäische Städte vernetzen sich und kooperieren zu einer Vielzahl von Themen, von Beschäftigung und Innovation über Migration, Mobilität und digitaler Transformation bis hin zu Klimawandel und Bürgerbeteiligung. In regelmäßigen Abständen speist das Netzwerk konkrete Handlungsempfehlungen in die europäischen Politikdebatten ein, um die Interessen und Bedürfnisse europäischer Städte prominent abzubilden. Darüber hinaus setzt sich Eurocities allgemein dafür ein, dass Städte auf EU-Ebene stärker in Entscheidungs- und Implementierungsprozesse eingebunden werden und verstärkt direkte finanzielle Zuwendungen erhalten.



Bei allen Vorteilen hat die dynamische Entwicklung hin zu immer mehr Netzwerken und Projektplattformen auch eine Schattenseite. Die Netzwerk-Landschaft ist unübersichtlich. Sie begünstigt Doppelstrukturen, die in ihrer Summe sowohl Akteure auf kommunaler Ebene als auch die Zielgruppen von Urban Diplomacy zu überfordern drohen. Da die meisten deutschen und europäischen Städte jedoch nur über knappe Ressourcen für internationale Aktivitäten verfügen, müssen sie sich entscheiden, welchem Netzwerk und welcher Initiative sie ihre Zeit und ihr Personal widmen. Gibt es zu viele konkurrierende, thematisch überlappende Angebote, drohen die originären Ziele zu leiden. Es wird im Einzelfall schwieriger, den richtigen Partner zum richtigen Thema zu finden.



Die Mitgliedschaft in den meisten Netzwerken ist zudem mit einem Mitgliedsbeitrag verbunden, was in der Folge zu einer starken Überrepräsentation großer und finanzstarker Städte führt. Alle anderen können sich den Fokus auf Außenpolitik häufig nicht leisten, sodass ihre Interessen und Probleme im Diskurs nicht oder nur in geringem Maße berücksichtigt werden.



Unabhängig von Größe und Ressourcenausstattung steht und fällt das internationale und außenpolitikbezogene Engagement von Städten mit den Interessen und Prioritäten der (Ober)Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Weil kommunale Außenpolitik eine freiwillige Aufgabe ist und nicht unmittelbar zu Popularitätsgewinnen in der Bevölkerung führt, steht hinter erfolgreichen Vorstößen deutscher Städte immer auch persönliches Interesse und Engagement einzelner kommunaler Führungs­persönlichkeiten.



Insgesamt lässt sich festhalten, dass insbesondere die größeren, global und europäisch aufgestellten Netzwerke und Programme Sichtbarkeit schaffen und es Städten ermöglichen, eigene Akzente zu setzen und voneinander zu lernen. Vereinzelt spielen deutsche Städte in solchen internationalen Vorstößen eine zentrale Rolle, aber in der Breite fehlt es ihnen an finanziellen Ressourcen, adäquaten Verwaltungsstrukturen und außen- und sicherheitspolitisch geschultem und interessiertem Personal.



Vielerorts mangelt es zudem an Sensibilisierung für und Austausch zu außen- und sicherheitspolitischen Risiken und Chancen. Die Verstetigung internationaler Aktivitäten ist nicht gesichert. Fehlender Austausch und fehlende Vernetzung innerhalb und zwischen den föderalen Ebenen sind insbesondere dann problematisch, wenn kommunale Aktivitäten den außen- und sicherheitspolitischen Strategien der Bundesregierung – eingebettet in EU und NATO – zuwiderlaufen und wenn Städte angesichts von Krisen und Katastrophen unterschiedlicher Art die Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht ausreichend gewährleisten können. Unvollständiger Informationsaustausch führt außerdem dazu, dass Synergieeffekte zwischen Bund, Ländern und Kommunen verloren gehen, etwa beim Klimaschutz oder bei der Förderung digitaler Innovation.



Vernetzung erforderlich

Hindernisse eines systematischeren Austauschs oder gar einer Abstimmung zwischen den verschiedenen Ebenen sind zunächst einmal verfassungsrechtlicher Art: Kommunen sind formal begrenzt in ihren Möglichkeiten, Außenpolitik mitzugestalten, da Außenpolitik die Domäne des Bundes ist. Umgekehrt ist der Bund auf der Grundlage des Prinzips der kommunalen Selbstverwaltung beschränkt in seinen Möglichkeiten, kommunale Aktivitäten zu steuern und zu kontrollieren.



Hinzu kommt, dass Städte formal Bestandteil der Länder sind und damit eine zusätzliche Hürde für direkten Austausch zwischen Vertreterinnen und Vertretern von Bund und Kommunen besteht. Das führt dazu, dass die Bundesregierung oft nicht ausreichend darüber im Bilde ist, wie Städte und Kommunen beispielsweise mit Drittstaaten wie China interagieren und ob sie – wissentlich oder nicht – Ziele hybrider Kriegsführung werden.



Bund, Länder und Kommunen beäugen sich häufig noch immer misstrauisch aus der gebotenen Ferne. Das politische Bewusstsein aber, dass ein Austausch auf Augenhöhe gerade auch zu außen- und sicherheitspolitischen Themen wichtig ist, ist in den vergangenen Jahren gewachsen und trägt erste Früchte. Das sind gute Nachrichten. Nur so ist es möglich, innerhalb Deutschlands und der Europäischen Union Schieflagen, aber auch Chancen und günstige Zeitfenster frühzeitig zu erkennen. Schließlich lässt sich voneinander lernen, wie politische Innovation und gesamtgesellschaftliche Transformation gelingen können.    



Dr. Anna-Lena Kirch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen der DGAP und koordiniert das Projekt „Ideenwerkstatt Deutsche Außenpolitik“.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special, Ausgabe 02, Januar 2022, S. 59-63

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