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01. Jan. 2017

Spiderman in Tränen

Pekings Propagandisten setzen auf Videos, insbesondere im Internet

Noch vor kurzer Zeit galt ausländischen Beobachtern das Internet in China als demokratiefördernd. Diese Gefahr sieht auch die Kommunistische Partei, nutzt unter Xi Jinping das World Wide Web aber immer intensiver, um seine Botschaften zu verbreiten. Die oft skurril anmutenden Online-Videos signalisieren: Peking fühlt sich missverstanden.

Über 200 Verletzte und 40 Tote forderte das Zugunglück, das sich im Sommer 2011 im ostchinesischen Wenzhou ereignete. Die Behörden reagierten nur zögerlich. Informationen über die Katastrophe verbreiteten sich zuerst über soziale Medien und es waren chinesische Internetnutzer, welche die offizielle Propaganda Lügen straften und staatliche Stellen zu einer gewissen Transparenz zwangen.

Unter Staats- und Parteichef Xi Jinping, der China zu einer „Internetmacht“ machen will, hat sich die Kommunikationsstrategie deutlich geändert. Jetzt geht es vor allem darum, das „Schlachtfeld der öffentlichen Meinung im Internet“ zu erobern, wie Xi Ende 2013 erklärte. Die Kommunistische Partei Chinas will „positive Energie“ erzeugen: Im Internet soll nicht diskutiert werden, was im Land schlecht läuft; im Vordergrund sollen „positive Geschichten“ stehen.

Eine wichtige Rolle kommt dabei der chinesischen Jugend zu. Um diese von Kommunismus und Partei zu überzeugen, setzt die Jugendliga der KP seit einiger Zeit auf westlich inspirierte Kommunikationsmittel. In dem TED-Talk ähnlichen Formaten wird beispielsweise erklärt, wie man der „westlichen kulturellen Kolonisation“ widersteht oder welche Bedeutung der Marxismus auch Anfang des 21. Jahrhunderts noch hat. Diese Vorträge kommen mitunter arg steif und konservativ daher. Aber die Jugendliga zeichnet auch für Videos verantwortlich, die mit knallbunten Animationen politisch-gesellschaftliche Themen jugendgerecht aufbereiten und so zur „Meinungsanleitung“ beitragen sollen.

So wird in der Serie „Ich und der Motor meines Landes“ mittels bunter Animationssequenzen die chinesische Verfassung ebenso erklärt wie die Geschichte von Militärparaden. Ein anderer Film der Serie stellt das Internet als Marktplatz unterschiedlichster Ideen vor, warnt aber gleichzeitig vor zahllosen, bösartigen und unbegründeten Meinungen, die von aus- und inländischen Internet-Trollen verbreitet werden. In einem weiteren Video werden die Vorzüge chinesischer Hochgeschwindigkeitszüge erklärt, eine andere Folge widmet sich dem „Kommunismus und so“.

Westlicher Pop für Chinas Jugend

Anlässlich des ersten „Tages der nationalen Sicherheitserziehung“ im April 2016 verbreitete das chinesische Staatsfernsehen über seine sozialen Medien ein Animationsvideo, in dem Superhelden wie Spiderman, Batman und Superman auftraten. Agenten und Superhelden, erfuhr man dann aber, seien nur ein winzig kleiner Teil des Sicherheitsapparats eines Staates. Dieser werde tatsächlich von den vielen „einfachen Leuten“ getragen und geschützt; sie garantierten die Sicherheit des Landes – woraufhin Spiderman und Co. in Tränen ausbrechen, denn sie sind praktisch arbeits- und bedeutungslos.

Jenseits der Kernaussage („Die Partei hat alles unter Kontrolle“) sind die westlichen (pop)kulturellen Referenzen recht aufschlussreich: Offenkundig glaubt man, nur so die chinesische Jugend für politische Themen interessieren zu können. Immer stärker aber wendet sich die chinesische Propaganda auch an Ausländer, denen man Chinas Sicht der Dinge erklären möchte. Zu diesem Zweck werden die Filme gleich auf Englisch vertont oder mit englischen Untertiteln unterlegt. Dabei bedient man sich unterschiedlicher Stilmittel.

Eine Reihe animierter Trickfilme versucht, auf skurrile oder eher humorige Art Chinas Innen- und Außenpolitik zu erklären. In Vorbereitung auf den G20-Gipfel im ostchinesischen Hangzhou veröffentlichte das Staatsfernsehen einen kurzen Animationsfilm, um die Bedeutung des Treffens zu unterstreichen. Die Finanzkrise 2008 sei ein schwerer Schlag für die globale Wirtschaft gewesen, heißt es da – untermalt mit Bildern eines unwirtlichen Schneesturms, der über eine Metropole hinwegfegt. Diese Krise habe kein Land allein meistern können, und so seien die Führer der G20-Staaten in Wa­shington zusammengekommen und hätten eine „de facto Super-Allianz“ geschlossen. Die „goldene Regel“ des „gemeinsamen Kampfes“ sei dabei Zusammenarbeit zu allseitigem Nutzen, meint der Sprecher.

Die animierten Bilder zeigen, wie die Staatenlenker sich durch den Schneesturm kämpfen und einander helfen; schließlich fliegen sie gemeinsam, wie Superhelden aus chinesischen Kung-Fu-Filmen, der Sonne entgegen. Nun finde das Treffen in China statt, das künftig zum Wachstum der globalen Wirtschaft maßgeblich beitragen werde, fährt die Off-Stimme fort. Und im Bild wirbelt ein chinesischer Kung-Fu-Meister durch die Luft. Kurz: Von den gemeinsamen Anstrengungen bliebt nichts übrig, Chinas Verdienste werden in den Vordergrund gestellt.

Zum weit verbreiteten Hit wurde im Oktober 2015 ein Video, das den 13. Fünf-Jahres-Plan (shi san wu) vorstellte, der im März 2016 vom Nationalen Volkskongress abgesegnet wurde. In diesem bunten Video tauchen unter anderem Albert Einstein, ein David-Bowie-Verschnitt und ein an Hippie-Zeiten erinnernder VW-Bus auf; vier Englisch singende Musiker erklären die Entstehung des Planes musikalisch. Mit dem Refrain „If you wanna know what China’s gonna do / best pay attention to the shi san wu“ erreicht der Song durchaus ­Ohrwurmqualität.

Von gleicher bonbonbunter Machart ist ein Clip von Anfang 2016, der Xis Regierungskonzept der „Vier Umfassenden“ (sige quanmian) erläutert. Das Konzept sieht den umfassenden Aufbau der Gesellschaft, die umfassende Vertiefung der Reformen, die umfassende Förderung der Rechtsstaatlichkeit sowie die umfassende strenge Führung in der Partei vor. Da den Parteioberen wohl bewusst war, wie dröge und theoretisch diese Maximen daherkommen, produzierte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua ein Rap-Video, in dem ein Erwachsener einem kleinen Mädchen das Ganze erklärt. Gesungen wird zwar auf Chinesisch, aber für die Ausländer gibt es englische Untertitel. In einer mehrsprachigen Version erklingt der Schluss gar auf Deutsch: „Mit den sige quanmian ist der chinesische Traum nicht weit entfernt“, hört man da zur Melodie von Beethovens „Ode an die Freude“.

Deutlich politischer noch sind Animationsvideos, die diesen Sommer veröffentlicht wurden und ­Chinas Ansprüche im Südchinesischen Meer bekräftigen. Im Clip „Wer sorgt denn für Unruhe im Südchinesischen Meer?“ warnt ein englischer Sprecher: Wer weiter die neueste Mode oder die modernste Technik kaufen wolle, solle „besser für Frieden und Sicherheit auf dem Ozean beten“ und sich um die Situation im Südchinesischen Meer sorgen. Nachdem die Bedeutung der Region für den Welthandel erklärt wird, folgt das offizielle Mantra, wonach die vielen von China beanspruchten kleinen Inseln schon seit Menschengedenken Bestandteil des chinesischen Territoriums seien. Die gleichen Argumente finden sich in einem Clip, in dem ein Schulkind seinen Großvater fragt, warum es derzeit so viel Krach gebe und Opa die Geschichte der Region rekapituliert.

Werben am Times Square

Komplettiert wurde die Kampagne durch einen dreiminütigen Spot, der für zwei Wochen am New Yorker Times Square 120 Mal täglich gezeigt wurde. Xinhua hat in der Welthauptstadt des Kapitalismus seit 2011 eine der riesigen LED-Werbeflächen gemietet und bewirbt neben chinesischen Marken und Produkten hin und wieder auch chinesische Politik. Das Video zeigt beeindruckende Aufnahmen vom Südchinesischen Meer und erklärt die chinesische Interpretation von Geschichte und rechtlichem Status der Inseln.

Das Video erlangte auch deshalb Beachtung, weil sich Catherine West beschwerte, eine außenpolitische Sprecherin der britischen Labour-Partei, die im Film allerdings fälschlich als „Schattenaußenministerin“ bezeichnet wird. Sie sei im ­Video falsch wiedergegeben worden mit der Forderung nach einem „erwachsenen“ Dialog, um dieses „lokale“ Problem zu klären. Diese Aussage entspräche genau Pekings Ansinnen, die Differenzen jeweils bilateral zu bearbeiten, nicht vor dem internationalen Schiedsgericht in Den Haag. Dieser hatte China im Juli Hoheitsansprüche auf die Inseln im Südchinesischen Meer abgesprochen.

Deutlich konfrontativer noch sind eine Reihe von Filmen und Musikvideos wie die Rap-Songs der Gruppe „Chengdu Revolution“, die mit der KP-Jugendliga zusammenarbeitet. In dem Anfang 2016 veröffentlichten Song „The Force of Red“ wird klargestellt, dass es nur ein China gebe; Unabhängigkeitsbewegungen in Taiwan und Hongkong werden mit „fuck anybody trying to split up“ verächtlich gemacht. Anfang August veröffentlichte die Gruppe das Lied „Color Revolu­tion“. Darin werfen die Rapper den Vereinigten Staaten vor, die „so genannte Demokratie“ zu nutzen, um die Welt zu kontrollieren und Geld zu verdienen. Die USA werden als „Weltpolizist“ dargestellt, der vom Irak über Syrien und Libyen bis zur Ukraine überall seine Finger im Spiel habe, aber „wir brauchen keine anderen Länder, die sich überall einmischen“.

Parallel dazu warnte ein anderes Video ebenfalls vor einer „Farbenrevolution“ in China. Der Film zeigt Zerstörungen, Kriegstote, Flüchtlinge im Irak und Syrien und kontrastiert diese mit Bildern eines friedlichen China. Unterlegt mit dramatischer Musik wird mit chinesischen und englischen Untertiteln erklärt, dass China ein friedliches und stabiles Land sei, in dem viele Menschen ein einfaches, aber glückliches Leben führten. Aber auch China werde permanent bedroht, und hinter separatistischen Bewegungen in Tibet, Hongkong oder Taiwan oder den Aktivitäten von Menschenrechtsaktivisten würden „die Schatten des Sternenbanners“ sichtbar. Aber die chinesische Bevölkerung könne sicher sein, dass die KP die Gefahren erkannt habe und China daher niemals die nächste Sowjetunion werden würde. Produziert von einem chinesischen Doktoranden in Australien, dessen Produktionsfirma unter anderem für die Kommunistische Jugendliga arbeitet, erschien der Film zuerst auf dem Weibo-Account der Obersten Volksstaatsanwaltschaft, der höchsten Staatsanwaltschaft Chinas.

Begrenzte Wirkung

In China selbst verfangen wohl manche dieser Clips, zumindest nach den zahlreichen Kommentaren zu urteilen, in denen den Kernaussagen zugestimmt wird. Nicht wenige aber tun das Ganze als plumpe Propaganda und Geldverschwendung ab. Ein internationales Publikum erreicht Peking mit seiner neuen Videooffensive wohl weniger. Auch wenn auf nichtchinesischen Websites mitunter zustimmende Kommentare zu lesen sind, werden die Filme oft als lächerliche und durchgedrehte Propaganda abgetan – was allerdings zu kurz greift: Die Videos verdeutlichen, wie sich Peking auf der Weltbühne wahrnimmt. China kommuniziert seine Standpunkte nicht nur immer selbstbewusster, es nimmt die Weltlage auch immer stärker als feindlich wahr und fühlt sich missverstanden. Ob man diese Einschätzung für gerechtfertigt hält oder nicht: ignorieren sollte man sie keinesfalls.

Dr. Falk Hartig forscht an der Goethe-Universität Frankfurt zu Chinas internationaler politischer Kommunikation.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2017, S. 102-105

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