Buchkritik

01. Sep 2010

China – der weiche Riese?

Buchkritik

Mehr als 500 Kulturinstitute im Ausland, über sechs Milliarden Dollar für die weltweiten Aktivitäten der staatlichen Medien und das größte Expo-Gelände der Geschichte. In seiner Außen- und Kulturpolitik setzt China massiv auf das, was Politologen Soft Power nennen. Was hat es mit der chinesischen Charme-Offensive auf sich?

Als Soft Power bezeichnete Anfang der neunziger Jahre der amerikanische Politologe Joseph Nye die Fähigkeit, das zu bekommen, was man will – aber nicht durch Zwang, sondern durch kulturelle und politische Attraktivität. Inzwischen ist der Ausdruck auch in China für Wissenschaftler und Journalisten zum Schlagwort geworden; sogar die Staats- und Parteiführung spricht neuerdings gerne von der „weichen Macht“.

Im chinesischen akademischen Diskurs gehört die Soft-Power-Diskussion zu den interessantesten Entwicklungen der vergangenen Jahre. Während Mao noch mittels Weltrevolution die bestehende globale Ordnung abschaffen wollte, ist die chinesische Staats- und Parteiführung heute deutlich zurückhaltender und realistischer. Das übergeordnete außenpolitische Ziel ist eigentlich ein innenpolitisches: die Schaffung eines friedlichen Umfelds, das die wirtschaftliche Entwicklung fördert und auf diese Weise die Herrschaft der Partei festigt. Auf Konfrontation legt Peking angesichts seiner wirtschaftlichen Ambitionen keinen Wert: Grenzkonflikte werden gelöst, manchmal sogar zu Ungunsten Chinas, die Nachbarn besänftigt und die Rangeleien mit den USA halten sich insgesamt in Grenzen.

Doch trotz aller diplomatischen Bemühungen leidet China an einem Imageproblem, vor allem im Westen. Der Streit mit Google oder das Scheitern der Kopenhagener Klimakonferenz sind nur zwei Beispiele für das zunehmend selbstbewusste Auftreten der Chinesen, das auf den Westen oft aggressiv wirkt. Eine Einmischung in innere chinesische Angelegenheiten ist nach wie vor tabu und der Hinweis darauf, dass der Westen die Gefühle der chinesischen Bevölkerung verletze, gehört ebenfalls noch zum Standardrepertoire. Seit einigen Jahren geht diese Haltung jedoch mit einer bemerkenswerten Charme-Offensive einher.

„Wie Chinas Soft Power die Welt verändert“, lautet der etwas reißerische Untertitel einer Studie des amerikanischen Journalisten Joshua Kurlantzick. Das Konzept der Soft Power, so der Autor, habe in den letzten Jahren eine Umdeutung und Ausweitung erfahren. Im Falle Chinas schließe es alle politischen Instrumente außer den militärisch-sicherheitspolitischen ein. Allerdings spreche vieles dafür, dass China in Asien, Afrika oder Lateinamerika allen Bemühungen zum Trotz letztlich auch nur wie eine ganz gewöhnliche Kolonialmacht auftrete, die ihre Kolonien ausplündert, sich aber wenig um die örtlichen Gegebenheiten kümmert. Ob die Welt durch all das wirklich verändert wird, bleibt bei Kurlantzick offen.

Fundierter sind die Bücher von Ding Sheng und Li Mingjiang, die sich dem Phänomen aus politikwissenschaftlicher Sicht nähern. Ding, der an der amerikanischen Bloomsburg University lehrt, erkennt in China ein Beispiel dafür, dass die gängige Annahme der „realistischen“ Schule, wonach der Aufstieg neuer Mächte stets mit – teils auch bewaffneten – Konflikten einhergeht, in dieser Zuspitzung nicht stimmt. Denn von China seien bisher keine größeren Kriege ausgegangen. Daher ist das Konzept der Soft Power für ihn der bessere Ansatz, Chinas Entwicklung und Aufstieg mit dem traditionellen chinesischen Konzept der „harmonischen Welt“ zu erklären.

Vollkommen überzeugend ist das letztlich nicht, was auch der Tatsache geschuldet ist, dass sich Soft Power nur schwer eingrenzen und befriedigend definieren lässt. Li Mingjiang etwa, der zunächst für die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua arbeitete, bevor er in den USA und jetzt in Singapur lehrt, verwendet nicht den Terminus Technicus Soft Power, sondern spricht von einer „weichen Nutzung von Macht“. Für ihn ist Soft Power nicht per se positiv, da das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen und Werte – Huntington lässt grüßen – durchaus zu Konflikten führen kann. Auf der anderen Seite muss Hard Power nicht immer schlecht sein, wenn etwa Soldaten Katastrophenhilfe leisten. Wie allerdings Soft Power identifiziert und gemessen werden kann, das wird auch hier nicht abschließend geklärt.

Kalligrafie statt Zwangskollektivierung

Aber was versteht die Regierung in Peking unter Soft Power? Zunächst einmal bezieht man sich auf Nye, doch das außenpolitische Konzept wird um eine innenpolitische Komponente ergänzt: Soft Power wird auch als Mittel zur Pflege der nationalen Einheit oder der Qualitätssicherung der Erziehung verstanden, wobei unklar bleibt, was damit genau gemeint ist. Außerdem spielt Kultur als Parameter eine entscheidende Rolle. Denn das chinesische Entwicklungsmodell mit entfesseltem Markt und autoritärer Herrschaft gilt zwar in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern als Erfolgsmodell, doch international lässt sich das chinesische Image damit kaum aufwerten. Deswegen wird die Kultur, vor allem die traditionelle, als entscheidende Säule chinesischer Soft Power propagiert und instrumentalisiert. Kalligrafie und Tai Chi lassen sich nun einmal im Ausland besser verkaufen als die Zwangskollektivierung zu Zeiten der Kulturrevolution oder die heutigen Einschränkungen der Massenmedien.

Für Li ist vor allem der enorme Anstieg von Chinesisch-Lernenden in China und im Ausland „ein nützliches Barometer für die Stärke chinesischer Soft Power“. Das mag teilweise stimmen, allerdings stellt sich die Frage, ob das wirklich der Anziehungskraft der chinesischen Kultur oder nicht vielmehr einem pragmatischen Denken geschuldet ist, das im Chinesischen eine der wichtigsten Sprachen des 21. Jahrhunderts sieht. Die Nachfrage nach Chinesisch-Unterricht ist jedenfalls enorm, und so gründet China in der ganzen Welt Kultureinrichtungen, die als Konfuzius-Institute die chinesische Sprache und Kultur fördern sollen. Leider analysiert Li diese Einrichtungen nicht näher und stellt sie sogar fälschlicherweise in eine Reihe mit dem Goethe-Institut oder dem British Council.

Dabei handelt es sich hier um Joint Ventures zwischen chinesischen und lokalen Universitäten, wobei beide Seiten Personal und Geld zur Verfügung stellen. Auf chinesischer Seite kommt das Geld vom Erziehungsministerium, was dazu führt, dass Themen, die von der chinesischen Regierung als heikel eingestuft werden, kaum vorkommen. Die inhaltliche Eigenständigkeit, auf die Goethe-Institut und British Council zu Recht stolz sind, ist in dieser Form bei den Konfuzius-Instituten nicht gegeben.

Nur an einer Stelle wird es politisch brisant, nämlich als es um den Vorwurf geht, Peking propagiere weltweit die in der Volksrepublik China gesprochene und geschriebene Variante des Chinesischen, die in Taiwan und Hongkong nicht verwendet wird. Darin erkennen einige Autoren eine Form von Hard Power, mit der Peking versucht, anderen seinen Willen aufzudrängen. Die Tatsache an sich ist nicht von der Hand zu weisen; inwieweit sich daraus ein Vorwurf erheben lässt, sei dahingestellt.

Li Mingjiang kommt zum Schluss, dass die Entwicklung von Soft Power in China noch am Anfang steht. Das gilt auch für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema. Noch ist nicht absehbar, ob der Einsatz von weicher Macht nur ein strategischer Schachzug Pekings ist, um den Westen herauszufordern, wie es Vertreter der „China Threat“-Theorie vermuten, oder ob sich daran ein grundsätzlicher Wandel im chinesischen Umgang mit der Welt abzeichnet, wie es eher wohlgesinnte Beobachter deuten. In jedem Fall steckt die chinesische Führung im Hinblick auf ihr globales Image als „weiche Großmacht“ in einem Ziel-Mittel-Konflikt: Um der eigenen Macht willen muss sich die Volksrepublik als verantwortungsbewusstes, freundliches und aufgeschlossenes Land präsentieren, stößt dabei aber immer wieder an systemimmanente Grenzen. Denn die weltweiten Aktivitäten von 500 Kulturinstituten erscheinen nutzlos, solange in China Dissidenten eingesperrt und Webseiten und Medien zensiert werden.

Joshua Kurlantzick: Charm Offensive. How China’s Soft Power Is Transfor- ming the World New Haven, CT: Yale University Press 2007, 320 Seiten, 17,00 $

Sheng Ding: The Dragon’s Hid- den Wings: How China Rises with Its Soft Power. Lanham, MD: Lexington Books 2008, 210 Seiten, 49,95 €

Mingjiang Li (Hg.): Soft Power: China’s Emerging Strategy in International Politics. Lanham, MD: Lexington Books 2009, 284 Seiten, 57,95€

FALK HARTIG ist Sinologe und Journalist und lebt in Brisbane. Er schrieb „Die Kommunistische Partei Chinas heute“ (Campus Verlag, 2008).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2010, S. 137 - 139

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