Internationale Presse

01. Jan. 2014

Anklagende Fingerzeige

Im „Inselstreit“ sehen Chinas Medien vor allem Japan als Übeltäter

„Vollkommen defensiv“, „angemessen“, in „strikter Übereinstimmung mit internationalem Gesetz und geltenden Regeln“: Geht es um die neue Luftverteidigungszone, die die chinesische Regierung am 23. November 2013 ausrief und damit für neue Spannungen mit seinen Nachbarn und den Vereinigten Staaten sorgte, sehen Chinas Medien ihr Land völlig zu Unrecht in der Kritik. 

Die Flugsicherheitszone im Ostchinesischen Meer, die den Luftraum über den von Japan, China und Taiwan beanspruchten und unbewohnten Diaoyu- beziehungsweise Senkaku-Inseln mit einschließt, habe keinerlei negative Folgen, hieß es in einem Beitrag auf der Website Sina-Military, die sich auf militärische Nachrichten spezialisiert. Im Gegenteil: Durch sie sei der aktuelle Streit, den Japan im Sommer 2012 mit der Ankündigung des Aufkaufs der sechs Quadratkilometer Felsen auslöste, tatsächlich entschärft worden. Man könnte wohl festhalten, dass China damit „eine verantwortungsvolle Haltung“ bewiesen habe, die „zum Frieden in der Region beiträgt“, so Sina-Military. Erst durch Japans Ablehnung des chinesischen Schrittes und die „einseitige Verleumdung“ der Zone sei Unsicherheit entstanden. Dazu allerdings habe Japan kein Recht (mil.news.sina.com.cn, 4.12.2013).

Dass die Schuld für die Spannungen anderswo und nicht bei Peking liegen, ist in den chinesischen Medien Konsens. Viele Länder hätten seit dem Zweiten Weltkrieg solche Zonen eingerichtet, schrieb Han Xudong, Professor an der Universität für Nationale Verteidigung der Volksbefreiungsarmee, in der Global Times, „aber keine Flugsicherheitszone hat so viel Kritik hervorgerufen wie die Chinas“ (4.12.).

„Doppelte Standards des Westens“

Länder wie die USA, Japan und Australien „zeigen anklagend mit dem Finger auf China, was wieder einmal die doppelten Standards des Westens verrät“. Warum, fragte Han, dürften die USA so eine Zone einrichten, und China nicht? Und außerdem: „Wenn Chinas Luftverteidigungszone eine Bedrohung für die Region ist, was ist dann mit Japans Zone?“ Dass sich Chinas neue Zone teilweise mit der Japans überschneidet, ist laut Han zu begrüßen: So könne China nun „aktiv auf japanische Provokationen reagieren“.

Auf „Provokationen“ verwies auch Science and Technology Daily, die offizielle Zeitung des chinesischen Wissenschafts- und Technologieministeriums. Japan habe die Volksrepublik in letzter Zeit immer wieder militärisch provoziert, beispielsweise mit der Drohung, chinesische Drohnen abzuschießen, sollten diese in japanischen Luftraum eindringen. Die Ankündigung sei eine Bedrohung Chinas, und deshalb sei es notwendig, „klar und deutlich die rote Linie zu ziehen und Maßnahmen der Selbstverteidigung zu ergreifen.“ (6.12.) 

Außerdem sei die Zone eine Notwendigkeit, da Japan und die USA regelmäßig mit Überwachungsflugzeugen in der Region unterwegs seien. Dabei sei die „Tragödie“ vom April 2001 „noch frisch in Chinas Erinnerung“. Damals war ein amerikanisches Spionageflugzeug über der südchinesischen Insel Hainan mit einem chinesischen Kampfjet kollidiert. Der chinesische Pilot kam ums Leben, das US-Spionageflugzeug war zur Landung auf chinesischem Territorium gezwungen. Die 24-köpfige amerikanische Besatzung kam erst nach elf Tagen wieder frei, und das Flugzeug gab China erst zurück, nachdem es auseinandergenommen worden war.

Zusagen von 1943 und 1945

Noch weiter in die Geschichte ging der stellvertretende Direktor des Instituts für Japan-Studien an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, Gao Hong, in der China Daily zurück: Japan müsse sich an die Zusagen halten, die es bei den Konferenzen der „Großen Drei“ 1943 in Kairo und 1945 in Potsdam gegeben habe. In der Erklärung von Kairo heißt es unter anderem, Japan müsse die Gebiete zurückgeben, die es den Chinesen gestohlen habe, womit auch die umstrittenen Diaoyu-/Senkaku-Inseln gemeint sind. Dieses „bahnbrechende Dokument“, so Gao, diene bis heute „als Grundlage für die Territorialvereinbarungen und die regionale Friedensordnung im pazifischen Raum seit dem Zweiten Weltkrieg“.

Dass die Erklärung neben den USA und Großbritannien von der nationalchinesischen Regierung unter Chiang Kai-shek unterzeichnet wurde, der damals gegen Mao Zedong Bürgerkrieg führte, ließ der Autor – wie die chinesischen Medien insgesamt – geflissentlich unter den Tisch fallen. China, so Gao, verlange von Japan, „sich der Geschichte zu stellen und sich an die Zusagen zu halten, die es nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht hat“. Japans unnachgiebige Haltung im Inselstreit und „das Leugnen anderer historischer Wahrheiten haben die sino-japanischen Beziehungen ernsthaft beschädigt“ (6.12.).

Dass Japan der eigentlich Schuldige in der aktuellen Krise sei, sehen die meisten chinesischen Medien so. „Nichts anderes als die unbegründete Furcht vor Chinas Aufstieg und das Unbehagen aufgrund der sich wandelnden Kräfteverhältnisse zwischen China und Japan“ zugunsten der Volksrepublik sei der Grund für Japans Verhalten, konstatierte China Daily (9.12). Japan habe zunächst seinen engen Verbündeten USA veranlasst, sich gegen Chinas neue Luftverteidigungszone zu positionieren, und darüber hinaus versucht, andere Länder und internationale Organisationen für seine Zwecke einzuspannen – was aber „nichts als eine leere Phantasie“ sei, so Sina-Military.

Dass die USA zunächst gegen die Einrichtung der Zone protestierten und zwei B-52-Bomber auf einen „routinemäßigen Übungsflug“ entsandten, dann aber ihre zivilen Fluggesellschaften anwiesen, die chinesische Zone zu respektieren, zeige, dass Japan mit seiner Kritik einen Tiger geritten habe. Nun wisse das Nachbarland nicht mehr weiter. Das beweise, dass China mit der Einrichtung der Zone Schritt für Schritt siegreich sei „und Japan schlussendlich als Verlierer“ aus der Angelegenheit hervorgehen werde, prophezeite Sina-Military.

Zudem gehen Chinas Medien davon aus, dass Washington am Ende die Beziehungen zu Peking zu wichtig sein dürften, als sich wegen ein paar Felsen mit China zu überwerfen. Schon an den divergierenden Stellungnahmen des amerikanischen Außen- und Verteidigungsministeriums lasse sich ablesen, dass die USA die Sache vorerst nur beobachten wollten. So vermutete China Daily, dass die amerikanische Haltung vor allem von der Beistandsverpflichtung gegenüber Japan bestimmt sei. „Aber es ist unklug für ein Land, sich unhinterfragt auf die Seite eines Verbündeten zu schlagen, vor allem, wenn dieser eine Vorliebe dafür entwickelt hat, Ärger zu machen und andere zu provozieren, so wie das Japan tut“, tadelte das Blatt. Und indem sich Washington so deutlich zugunsten Tokios positioniere, riskiere es das verbesserte Verhältnis zu Peking (9.12.).

Warum aber hat China so spät reagiert? Denn die japanische Entscheidung, ab sofort ausländische Drohnen abzuschießen, verkündete Japans Premierminister Shinzo Abe bereits am 11. Oktober. Viele Kommentatoren stellen einen Zusammenhang mit dem 3. Plenum des Zentralkomitees der chinesischen KP her, bei dem der neue Staats- und Parteichef Xi Jinping seine Macht weiter festigte. Mit der Ausrufung der Luftverteidigungszone Ende November habe sich Xi dann auch außenpolitisch positionieren wollen. Die Überseeausgabe der Website der staatlichen Volkszeitung Haiwai Wang stellte den Bezug zur Innenpolitik erstaunlich deutlich her: „China befindet sich in einem Übergangsstadium, was unweigerlich zu sozialen Spannungen und Konflikten führt, von denen die Führung ablenken muss. Eine Möglichkeit besteht darin, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die angespannte Situation der Diaoyu-Inseln zu lenken“ (4.12). Der Streit um die Inseln könne außerdem „den nationalen Zusammenhalt stärken“ und ermögliche es Peking, sich militärisch weiterzuentwickeln.

Könnte es zum Krieg kommen?

Ähnliches wird aber auch Japan unterstellt. Das Kabinett Abe sei „wild entschlossen, Japans pazifistische Verfassung zu ändern, um den Weg für seinen militärischen Aufbau freizumachen. Und um dieses Ziel zu erreichen, werden absichtlich die Spannungen in der Region geschürt“, schrieb Wang Ping vom Institut für Japan-Studien bei der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften in China Daily ( 9.12.). Laut Haiwai Wang würden vor allem die USA von weiteren Spannungen profitieren. So hätten sie einerseits eine Rechtfertigung, in der Region präsent zu sein und sich „in asiatische Angelegenheiten einzumischen“; andererseits würden sich China und Japan gegenseitig in Schach halten, und Ostasien wäre weiterhin uneins – was zum Vorteil der USA wäre.

Könnte es über die Inseln zum Krieg kommen? Nach Ansicht von Han Xudong (Global Times) werde sich die Rivalität im regionalen Luftraum weiter hochschaukeln, und sie könne nicht nur „zu weiteren Wortgefechten, sondern auch zu militärischen Zusammenstößen“ führen: „China hat mögliche Risiken bedacht und ist darauf vorbereitet.“ Anders Haiwai Wang: Weder China noch Japan würden wegen der Inseln einen Krieg anzetteln. Beide wüssten, dass sie dabei nur verlieren könnten, insbesondere wirtschaftlich. „Ein Krieg würde beide Länder schwächen und dritte stärken.“ Auch die USA hätten kein Interesse an einem Krieg, da dieser wohl entscheiden würde, wer die Inseln bekommt. Das würde die Strategie Washingtons obsolet machen, beide Nachbarn gegeneinander auszuspielen.

Chen Weihua, stellvertretender Chefredakteur der US-Ausgabe von China Daily, konnte der Lage hingegen etwas Positives abgewinnen. Sie böte beiden Seiten eine Möglichkeit, „zu lernen und Differenzen besser zu handhaben, die auch in Zukunft vorkommen werden“. Für die Region und die Welt kann man nur hoffen, dass der Lernprozess erfolgreich ist.

Dr. Falk Hartig ist Sinologe und Postdoktorand an der Universität Frankfurt am Main.

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