Gegen den Strich

01. Mai 2015

Sparpolitik (und Paul Krugman)

Sechs Thesen gegen den Strich

Besonders in der amerikanischen Diskussion über Europas Finanzkrise gilt die Sparpolitik als das Grundübel schlechthin. Aber verhindert „Austerität“ wirklich Wirtschaftswachstum? Ist Griechenland Opfer deutschen Sparzwangs? Sollte Europa von den USA lernen und sich von der Austerität verabschieden? Sechs Thesen auf dem Prüfstand.

Sparpolitik ist falsch

Aber natürlich nicht! Das zu behaupten wäre reinster Populismus. Es setzt stillschweigend voraus, dass Geld immer irgendwie da ist, auch dann, wenn es nun einmal schlicht und ergreifend fehlt. Man mag es kaum glauben, aber genau das ist es, was Paul Krugman seit Beginn der europäischen Finanzkrise 2008 gebetsmühlenartig wiederholt. Der Nobelpreisträger und New York Times-Kolumnist hält es für „maßlos übertrieben“, sich über Defizite Sorgen zu machen.

Beispiel gefällig? Als Lettland, Estland und Litauen zwischen 2008 und 2010 in die Kreditklemme gerieten und eine Konsolidierungspolitik starteten, klagte Krugman über die gewiss verheerenden Konsequenzen dieser Sparpolitik. Was geschah? Als alle drei Länder nach zwei Jahren hohe Wachstumsraten erzielten, weigerte sich Krugman einfach, seine Fehleinschätzungen einzugestehen.

Vielleicht hilft es weiter, wenn wir einmal definieren, was „Austerität“ denn eigentlich bedeutet. Eine übliche Definition lautet: „Maßnahmen einer Regierung, um übermäßige Haushaltsdefizite durch die Senkung der Ausgaben oder die Erhöhung der Einnahmen zu reduzieren“. Ich bevorzuge den technischeren Begriff der „Haushaltskonsolidierung“. Das Problem ist nicht, wie viele Ausgaben gesenkt oder Einnahmen erhöht werden, sondern inwieweit sich das Haushaltsdefizit als Teil des Bruttoinlandsprodukts entwickelt.

Zwischen 2008 und 2013 hatten nicht weniger als sieben EU-Staaten keinen Zugang zu Krediten und mussten bei IWF und EU um Notfallkredite nachsuchen. Als die Krise 2010 ausbrach, hatte Griechenlands Missmanagement das Haushaltsdefizit auf 15,2 Prozent des BIP hochgetrieben und die Staatsverschuldung auf 127 Prozent des BIP im Jahre 2009.
Krugman findet, dass Geld eben einfach bereitgestellt werden sollte – nur verrät er uns leider nicht, woher die Finanzierung großer Haushaltsdefizite kommen soll. Er argumentiert mit der „Geldspritze“, als handele es sich um eine unendliche Ressource, als gäbe es keinerlei Haushalts- oder Finanzeinschränkungen. Dass Krugman es vor allem im Fall Griechenlands versäumt, das Risiko eines Staatsbankrotts oder den Mangel an seriöser Finanzierung zu berücksichtigen, ist verblüffend. Der Ökonom behauptet, dass „man sich in Europa größtenteils als Reaktion auf den Anstieg der Risikozuschläge für Staatsanleihen in die Sparpolitik stürzte, nachdem Griechenland in Probleme geraten war; je höher die Risikozuschläge, desto härter die Sparmaßnahmen … Aber dann stellte sich heraus, dass die Risikozuschläge gar nicht die zu Grunde liegenden haushalterischen Grundlagen widerspiegelten.“1 Gegenwärtig allerdings bewegen sich die Rendite der zehnjährigen griechischen Staatsanleihen um die 10 Prozent, während sie bei den ehemaligen Krisenländern Italien, Portugal und Spanien unter 2 Prozent liegen. Sparpolitik funktioniert langsam, aber sie funktioniert.

Nirgends wurde rigoroser gespart als in Athen

Unsinn. Die drei baltischen Staaten, allen voran Lettland, haben sehr viel radikalere Haushaltskonsolidierungen vorgenommen als Griechenland. Lettland und Griechenland sind in mancherlei Hinsicht vergleichbar. Sie hatten die größten Haushaltsdefizite, den größten Bedarf an Haushaltskonsolidierung und das dramatischste Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts in der EU zu verkraften. Allerdings hielt Lettland einen festen Wechselkurs zum Euro aufrecht, während Griechenland 2001 den Euro einführte. Das verschaffte Griechenland Zugang zu den reichlichen Liquiditätsreserven der Europäischen Zentralbank (EZB), Lettland dagegen nicht, was Griechenland in den Jahren 2008/09 einen bedeutenden Vorteil brachte.2     

Als die globale Finanzkrise Ende 2008 ausbrach, rechnete die Weltbank aus, dass Lettland ohne Umstrukturierungen auf ein Haushaltsdefizit von 21,4 Prozent des BIP im Jahre 2010 zusteuern würde. Die lettische Regierung nahm 2009 eine Haushaltskonsolidierung im Umfang von 8,8 Prozent des BIP vor und im Jahre 2010 noch einmal von 5,9 Prozent des BIP: zusammengerechnet eine Haushaltskonsolidierung im Umfang von 14,7 Prozent des BIP. In vier Jahren kam man nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf Einsparungen im Umfang von insgesamt 17,5 Prozent des BIP.

Griechenland tat das Gegenteil. Laut IWF machte Griechenlands Haushaltskonsolidierung zu Beginn der Krise im Jahre 2010 dürftige 2,5 Prozent des BIP aus und 2011 lediglich 4,1 Prozent – insgesamt 6,6 Prozent in zwei Jahren. Über vier Jahre nahm man Konsolidierungen im Umfang von 11,1 Prozent des BIP vor. Angesichts des Ausmaßes der Krankheit griff der Therapieversuch zu kurz. Unnötig zu sagen, dass so weder das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit Griechenlands gestärkt noch der wirtschaftliche Niedergang aufgehalten wurde.

Der Schlüssel zur Bewältigung einer Finanzkrise liegt darin, der Konjunkturkurve voraus zu sein und eine ausreichend schnelle Haushaltskonsolidierung hinzubekommen, damit der prozentuale Anteil des Haushaltsdefizits am BIP sinkt. Lettland hat das getan. Im vierten Jahr seiner Haushaltskonsolidierung hatte man ein Haushaltsdefizit von nur noch 0,8 Prozent des BIP. Der griechischen Regierung ist es dagegen nie gelungen, der Konjunkturkurve voraus zu sein. Sie hat es nicht geschafft, den prozentualen Anteil des Haushaltsdefizits am BIP zu senken, da das BIP ebenfalls sank, wie es in schweren Krisen üblich ist. Das Vertrauen der Märkte wurde nie wiederhergestellt. In den Jahren von 2010 bis 2013 hatte Griechenland im Durchschnitt ein Haushaltsdefizit von 10,5 Prozent, 2013 erreichte das Defizit mit 12,2 Prozent des BIP seinen Höhepunkt. Mit Sparpolitik nach unserer Definition hat das nichts zu tun.

Sparpolitik schadet dem Wirtschaftswachstum

Umgekehrt: Nichts dient dem Wachstum mehr als eine frühzeitige Haushaltskonsolidierung. Sie stellt das Vertrauen und die finanzielle Balance wieder her, sie befördert Strukturreformen und ermöglicht es, Korruption und Verschwendung zu bekämpfen. Eine Krise muss man nutzen.

Noch einmal zum Vergleich: Lettland erlebte zwischen 2008 und 2010 eine Schrumpfung seines BIP in Höhe von 24 Prozent – genauso viel wie Griechenland zwischen 2009 und 2014. Dank seiner frühzeitigen Haushaltskonsolidierung hat Lettland seine Staatsfinanzen innerhalb von zwei Jahren in den Griff bekommen und so die Grundlagen für ein solides Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 4,3 Prozent pro Jahr zwischen 2011 und 2014 gelegt.

Die bemerkenswerteste Entwicklung betrifft das Exportwachstum. Europaweit befand sich das Exportvolumen im Jahre 2009 auf einem Tiefpunkt, um sich kurz darauf wieder zu erholen. In Griechenland stieg das Volumen zwischen 2009 und 2013 um immerhin 45 Prozent. In Lettland dagegen schoss es um 85 Prozent in die Höhe – dank seiner radikalen Reformen. Und auch hier gilt wieder: Der Anstieg des Exportvolumens ist ein Ergebnis struktureller Reformen und anderer flankierender Maßnahmen. Lettland hat diese Aufgaben zu einem früheren Zeitpunkt erledigt als Griechenland.

Die Konsequenzen dieser zögerlichen Haushaltsstabilisierung in Griechenland sind verheerend: Dort beklagt man mittlerweile einen Leistungsrückgang über einen Zeitraum von sechs Jahren, während sich Lettlands Wirtschaft spürbar erholt hat. Laut IWF lag 2013 Lettlands BIP bei konstanten Preisen um 4 Prozentpunkte niedriger als 2008, Griechenlands BIP dagegen lag um 23 Prozent niedriger als noch im Jahre 2008. Eine Differenz von 19 Prozentpunkten beim BIP in einem Zeitraum von über sechs Jahren lässt sich nicht auf statistische Abweichungen schieben. Sie ist echt.

Sparpolitik ist unbeliebt

Politiker mögen das glauben machen. Davon wird es nicht wahrer. Auf dem Höhepunkt der Euro-Krise hat Jean-Claude Juncker, damals luxemburgischer Premier, perfekt auf den Punkt gebracht, was im politischen Umgang mit der Krise falsch läuft: „Wir Regierungschefs wissen genau, was zu tun ist. Wir wissen nur nicht, wie wir wiedergewählt werden sollen, wenn wir es tun.“ Für die Öffentlichkeit schien das der Wahrheit zu entsprechen. Dabei ist es grundfalsch.

Eine solche Aussage spiegelt nichts anderes wider als die Verachtung politischer Eliten für ihre Wähler. Die Finanzkrise in Europa hat gezeigt, dass das Gegenteil wahr ist. Regierungen, die in der Hoffnung auf temporäre Wachstumsverbesserungen auf kurzfristige, verantwortungslose Finanzpolitik gesetzt haben, wurden abgewählt. Aber nicht wenige Regierungen, die sich finanzpolitisch verantwortungsbewusst verhalten hatten, wurden im Amt bestätigt.

In den fünf Jahren zwischen September 2008 und August 2013 wurden 19 von 28 EU-Regierungen abgelöst und acht wurden wiedergewählt, und zwar die Regierungen in Estland, Finnland, Deutschland, Lettland, den Niederlanden, Polen, Schweden und, tatsächlich, Luxemburg. Diese acht Länder werden von Mitte-rechts-Koalitionen regiert, die eine verantwortungsvolle Finanzpolitik betrieben haben.

Frühzeitige und radikale Reformen des Haushalts haben sich häufig als durchaus populär bei den Wählern erwiesen – was die Bürger wollen, ist echte politische Führung. Die entscheidende Aufgabe ist es, das Vertrauen der Finanzmärkte wieder herzustellen. Lettlands Premierminister Valdis Dombrovskis wurde zweimal wiedergewählt, Griechenlands Giorgos Papandreou musste dagegen eine massive Wahlschlappe einstecken.

Griechenland ist Opfer deutscher Sparpolitik

Nein, Griechenland ist Opfer seiner eigenen Finanzpolitik. Seit Andreas Papandreou 1981 Ministerpräsident wurde, hat sich Athen mit einer besonders unverantwortlichen Finanzpolitik hervorgetan. Zwischen 1981 und 1999 hatte Griechenland durchschnittlich ein Haushaltsdefizit von nicht weniger als 8,7 Prozent seines BIP. Elf Jahre davon war Papandreou an der Macht. Er stand an der Spitze eines parasitären und oligarchischen Regimes, das unter dem Deckmäntelchen des Sozialismus ein altes, feudales Klientelsystem wiederherstellte.

Rechnet man die Bilanzmanipulationen verschiedener griechischer Regierungen raus, dann betrug das durchschnittliche Haushaltsdefizit zwischen 2000 und 2008 6,1 Prozent des BIP. In keinem Jahr konnte Athen die Maastricht-Obergrenze eines Haushaltsdefizits von 3 Prozent des BIP einhalten. Hinzu kommt, dass Griechenland durchgehend als korruptestes aller EU-Länder eingestuft wurde. Wenn die EU irgendeine Schuld trägt, dann die, nicht schon sehr viel früher auf der Einhaltung der Regeln gepocht zu haben, zu der Athen sich verpflichtet hatte.

Nun räumen die Kritiker der Sparpolitik wohl ein, dass es schwere Defizite in Griechenlands Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gebe. Aber diese Mängel, so wieder Paul Krugman, „haben nicht die Krise ausgelöst, die Griechenland zerstört. Der Ursprung des Desasters liegt viel weiter im Norden: in Brüssel, in Frankfurt und in Berlin, wo Politiker ein mit schwerwiegenden, vielleicht sogar fatalen Mängeln behaftetes Währungssystem erschaffen haben.“3 Und doch hat der Euro überlebt, und die meisten EU-Staaten haben sich erholt.

Anstatt endlich umzudenken, tragen die Kritiker ihre Argumente einfach noch schriller vor. So vergleicht Krugman in einem kürzlich erschienenen Artikel die deutsche Politik gegenüber Griechenland mit der Politik Großbritanniens und Frankreichs gegenüber der Weimarer Republik: „Sparpolitik hat (Griechenlands) Wirtschaft so vollständig zerstört wie die militärische Niederlage Deutschland zerstört hat.“4 Wie bitte? Deutschland hat Griechenland erhebliche Kredite zu minimalen Zinsen gewährt, und das soll vergleichbar sein mit den Reparationsforderungen Großbritanniens und Frankreichs nach dem Ersten Weltkrieg? Es wird doch umgekehrt ein Schuh daraus: Die EU verlangt strukturelle Reformen, die es überhaupt erst ermöglichen, Korruption und Klüngelwirtschaft zu beseitigen und damit wieder Wachstum zu schaffen.

Von Amerika lernen hieße ausgeben lernen

Im Gegenteil. 2009 hat man viel Lärm um die lockere Geldpolitik in den USA gemacht – doch seither betreibt Amerika in Wahrheit eine konsequente und erfolgreiche Sparpolitik. Schon 2009 litten die Amerikaner unter einer weniger starken Schrumpfung ihres BIP als die EU; seither erfreuen sie sich eines stetigen Wachstums von ungefähr 2 Prozent. Laut Congressional Budget Office ist ihr Haushaltsdefizit von 9,8 Prozent 2009 auf 2,8 Prozent des BIP 2014 gesunken.

Letztendlich lag Krugman mit praktisch all seinen Äußerungen zur europäischen Finanzpolitik falsch. Er befürwortete große und dauerhafte Haushaltsdefizite, die viele Länder in Finanzkrisen ohne Wachstum brachten. Er ignorierte die spezifisch europäischen Probleme – zu niedriges Wachstum aufgrund eines ungünstigen Investitionsumfelds, überregulierte Arbeitsmärkte, zu hohe Steuern, überbordende Staatsausgaben, Korruption und Bürokratie. Der Wahlsieg von Syriza in Griechenland zeigt, wie gefährlich es ist, wenn die Politik nicht den Mut hat, das genaue Gegenteil von dem zu tun, wozu Krugman rät.

Wir müssen zu den Grundlagen der Finanzpolitik zurückkehren, und das hat Europa getan. Wenn ein Land ein größeres Haushaltsdefizit hat, als es finanzieren kann, dann muss es sein Defizit reduzieren – und zwar schnell. Anschließend ist politisches Rückgrat gefragt. Die strengen Kürzungen bei den Staatsausgaben können nicht gleichmäßig verteilt werden; sie müssen sich auf die nicht ganz so wichtigen Haushaltsaktivitäten konzentrieren. Das kann zu Strukturreformen führen, die dann zum Wirtschaftswachstum beitragen. Wenn sich ein Land in einer ernsten Finanzkrise befindet, ist außerdem internationale Unterstützung notwendig, und dafür haben wir ja den IWF und die EU.

Steven Rattner fasst den Befund so zusammen: „Die vielen Worte, die Krugman über die Euro-Krise geschrieben hat, deuten nicht unbedingt darauf hin, dass er sich je bemüht hat zu verstehen, wie der private Sektor in der Euro-Zone wirklich funktioniert (oder nicht funktioniert) … Für Krugman haben die ganzen Probleme Europas nach klassischer keynesianischer Lesart mit nichts anderem als mangelnder Nachfrage zu tun – und die Ursache dafür liegt im Beharren Deutschlands und seiner Faktoten in Brüssel auf knauserige Geld- und Sparpolitik.“5

Professor Anders Aslund ist Senior Fellow am Peterson Institute for International Economics in Washington und Lehrbeauftragter an der Georgetown University.

 

  • 1Paul Krugman: Paul De Grauwe and the Rehn of Terror, New York Times Blog, 22.2.2013.
  • 2Die Zahlen in diesem Artikel stammen, soweit nicht anders ausgewiesen, von Eurostat.
  • 3Paul Krugman: Greece as Victim, New York Times, 17.6.2012.
  • 4Paul Krugman: Weimar on the Aegean, New York Times, 16.2.2015.
  • 5Steven Rattner: Paul Krugman Refuses to Acknowledge Some Critical Failings of the Eurozone, Business Insider, 10.2.2015.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2015, S. 26-31

Teilen

Mehr von den Autoren