IP

02. März 2018

Spanische Spitze

Sieben Exportschlager aus dem Land hinter den Pyrenäen

Schinken: saugut und schweineteuer

Die Schlagzeile hatte das Potenzial zum Frühstücksschocker: Wegender rasant steigenden Nachfrage aus China werde bald der iberische Schinken knapp. Bereits 2021 könne eine Sechs-Kilo-Keule der Königsklasse Bellota das Doppelte kosten – geschlagene 1000 Euro! Eine echte Schreckensnachricht, schließlich gibt es kaum etwas, was die Spanier so sehr eint wie die Liebe zu ihrem jamón. 13 000 Tonnen der tiefroten, kaum von Fettstreifen durchzogenen Hinterbacken vertilgten die Spanier 2017. Die Delikatesse mit dem fein nussigen Geschmack darf auf keiner Festtagstafel fehlen. Er gehört zum besten, den die Welt zu bieten hat.

Nur was vom schwarzhufigen iberischen Schwein stammt, darf als ibérico über die Ladentheke gehen. Die Tiere dieser Rasse sind kleiner und flinker als ihre für die Massenzucht bestimmten Artgenossen und trainieren sich ihr schmackhaftes Muskelfleisch auf den weitläufigen Weiden der ­Dehesa in Extremadura und Andalusien an. Ein bis zwei Hektar braucht man pro Sau, die Zahl der Schweine ist gesetzlich auf 850 000 begrenzt. Sind die Tiere zur Produktion der Königsklasse Bellota bestimmt, fressen sie sich in den letzten Lebensmonaten an Eicheln (bellotas) und Kräutern satt. Für die Güteklasse „de Ceba“ darf auch mit Getreide auf Schlachtgewicht gemästet werden. Nach der Schlachtung reift der per Hand zugeschnittene und mit Öl massierte Schinken 24 bis 48 Monate in kühlen Kellern, fünf Mal so lang wie der gewöhnliche Jamón Serrano. Bei diesem Aufwand ist es kein Wunder, dass echter Ibérico-Schinken sauteuer sein muss. Dass der neu entfachte Appetit chinesischer Gourmets den Preis signifikant nach oben schnellen lässt, haben führende Produzenten inzwischen dementiert. Während der spanischen Krisenjahre sei schlicht die Produktion zurückgegangen, das bekämen die Konsumenten nun in Verbindung mit den allgemein gestiegenen Exportzahlen zu spüren.

Mehr Kopfzerbrechen als eine mögliche Schinkenknappheit bereitet Feinschmeckern ohnehin derzeit der gängige Etikettenschwindel. Immer wieder kommt es vor, dass die Schinkenpolizei auf Muttersäue stößt, denen die iberische Reinrassigkeit kaum mehr anzusehen ist. Großbetriebe mischen dem Kraftfutter Chemikalien bei, um die für Eichelmast charakteristischen Fettsäuren zu imitieren. Um solchen Schweinereien ein Ende zu setzen, fordern vor allem kleinere Produzenten seit Jahren strengere, unabhängige Kontrollen. Bisher ungehört.

Schnelle Mode: Schickes von der Stange

Ob der knielange Wollmantel mit den großen Pailletten oder der blumenbedruckte Kimono: Die Must Haves, die in der vergangenen Saison für spitze Schreie bei Fashion Victims sorgten, stammten nicht von den Schauen in Paris oder London, sondern hingen in einer der weltweit über 2200 Zara-Filialen an der Stange.

Mit ihrem Konzept, die Ideen der großen Designer zu adaptieren und rasend schnell unters Volk zu bringen, hat die spanische Kette die Textilbranche weltweit revolutioniert. Statt über zwei jährliche Kollektionen zu brüten, entwerfen die Designer in den Ateliers in La Coruña kontinuierlich das ganze Jahr über und produzieren in kleinen Stückzahlen zu moderaten Preisen. Was sich verkauft, wird nachgeliefert. Was nach einer Woche floppt, fliegt raus. Da der Mutterkonzern Inditex, zu dem auch die Ketten Bershka, Lefties und Massimo Dutti gehören, 65 Prozent seiner Ware in Portugal, Spanien, Marokko und der Türkei fertigen lässt, sind die Lieferwege kurz. Das erlaubt schnelle Reaktionen. Regnet es im August wider Erwarten ein paar Tage in Athen, hängen – schwupps – schicke neue Regenmäntel bei Zara. Damit hat Zara Inditex zu einem der 40 weltweit führenden Einzelhandelskonzerne gemacht – mit 152 000 Angestellten und einem Jahresumsatz von über 23,3 Milliarden Euro. Kaum eine europäische Fußgängerzone, kaum eine Shopping Mall, die ohne eine Filiale des Textilgiganten auskommt. Und wo die fehlt, liefert der Online-Shop Nachschub. Der Börsenwert des Unternehmens hat sich seit 2009 vervierfacht, und Amancio Ortega, der den Konzern 1972 mit seiner damaligen Frau gründete, gehört zu den reichsten Männern der Welt. Der Chef hat sich bereits 2011 aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen, demnächst soll seine Tochter Marta das Steuer übernehmen. Zu den wichtigsten, vom Senior erprobten Ratschlägen gehörte der, sich mit öffentlichen Auftritten zurückzuhalten. Im Scheinwerferlicht soll allein die Mode stehen.

Don Quijote: gegen Windmühlen kämpfen

Der Siegeszug des Don Quijote begann gleich nach Drucklegung. Bereits ein paar Wochen nach der Veröffentlichung 1605 kursierten drei Raubdrucke des Buches, wenige Jahre später gab es die ersten Übersetzungen, ins Französische, Italienische, Englische und Deutsche. Und noch heute kann jedes spanische Schulkind die Anfangssätze auswendig zitieren: „In einem Ort in der Mancha, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnern mag …“ Als Parodie der damals populären Ritterromane wird Miguel Cervantes’ ­Klassiker gerne verstanden. Dabei steckt in dem zweiteiligen Werk viel mehr: Die Abenteuer des Ritters von der traurigen Gestalt und seines Knappen Sancho Pansa sind in erster Linie eine Reflexion über die Kraft der Illusionen, über Traum und Wirklichkeit: Ist einer, der in Hammelherden Heere sieht und einen verflossenen Schwarm zu seiner imaginären Geliebten macht, ein lächerlicher Narr oder ein versponnener Idealist?

Don Quijotes Doppelcharakter hat seit der Romantik Kritiker und Schriftsteller aus der ganzen Welt beschäftigt. Heinrich Heine und Thomas Mann, Herman Melville, Charles Dickens und Fjodor Dostojewski, Mario Vargas Llosa und Jorge Luis Borges – sie alle haben über ihn geschrieben und machten ihn zum bekanntesten Botschafter des Landes hinter den Pyrenäen. Tatsächlich steht der wunderliche Ritter für einen sehr spanischen Wesenszug, nämlich die Vorliebe für aussichtslose Unterfangen: den sprichwörtlichen Kampf gegen Windmühlen. Die Neigung, eher seinen eigenen Werturteilen denn einer nüchternen Analyse der Realität zu vertrauen und so im Zweifelsfall immer wieder die gleichen Szenarien zu wiederholen: All das prägt das Land noch heute. Auch und vor allem in der Politik.

Architektur: Gigantomanen mit Wiedererkennungswert

Einen Calatrava erkennt man auf den ersten Blick. Organisch geschwungene Formen aus weißem Beton, Stahl, Glas; rippenartige Tragwerke, die die Gebäude wie futuristische Lebewesen wirken lassen: Kaum ein zeitgenössischer Architekt hat aus seiner Formensprache so erfolgreich ein Markenzeichen gemacht wie der 1951 in Valencia geborene Santiago Calatrava. In den 1990er und 2000er Jahren scheuten Investoren und Bürgermeister keine Mühe, um eine Brücke, ein Kongresszentrum, ein Opernhaus aus der Hand des Stararchitekten ihr eigen nennen zu können. Schließlich galten seine Entwürfe als Architektur gewordener Ausdruck von Modernität und sorgten im besten Fall für wachsende Besucherzahlen und internationale Anerkennung.

Das sich um die eigene Achse drehende Hochhaus Turning Torso erhielt fünf Architekturpreise und brachte der Stadt Malmö jede Menge Publicity; im amerikanischen Milwaukee vervielfachten sich die Besucherzahlen dank seines aufsehenerregenden Museumsbaus mit sich automatisch öffnenden Schwingen. Inzwischen fügen Spötter den Alleinstellungsmerkmalen des Stararchitekten aber auch gerne explodierende Baukosten und seitenlange Mängellisten hinzu. In seiner Heimatstadt Valencia hat man ihm heute noch nicht verziehen, dass bei seiner drei Mal teurer als geplant gewordenen Stadt der Künste und Wissenschaften bereits kurz nach Eröffnung 2006 die Kacheln abplatzten. In Bilbao und Venedig führten Planungsfehler bei Fußgängerbrücken zu teuren Rechtsstreits. Auch wegen solcher Episoden ist Calatrava in Verruf geraten. Als 2017 der angesehene Pritzker-Preis nach vielen Jahren wieder nach Spanien ging, wählte die Jury mit dem kleinen, überregional kaum ­bekannten katalanischen Studio RCR-Arquitectes gewissermaßen den Gegenpol zu Calatravas Spektakel-Architektur.

Tapas: der Kult um die kleinen Häppchen

Wer Spaniens berühmtesten kulinarischen Exportschlager erfunden hat, ist nicht überliefert. Vermutlich aber spielte Ungeziefer eine bedeutende Rolle. Genauer gesagt, die lästigen Fliegen, die sich an den Gläsern der Gäste labten und dabei häufig ins Gebräu plumpsten. Um damit Schluss zu machen, legte ein findiger Wirt irgendwann im Mittelalter eine trockene Brotscheibe oder ein Tellerchen mit etwas Essbarem auf den Rand. Die „tapa“ (der Deckel) war geboren. Andere sehen den Ursprung in den Häppchen, mit denen König Alfons der Weise im 13. Jahrhundert die berauschende Wirkung des ärztlich verordneten Weins zu mindern versuchte. Vom schlichten, meist nur aus Käse, Wurst oder Oliven bestehenden Aperitif haben sich die Tapas seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts zur eigenen kulinarischen Kategorie entwickelt.

Ob Schinkenkroketten oder Calamares, ob gefüllte Paprika oder gratinierte Teufelskrabbe: Jede Region hat ihre eigenen Spezialitäten, die an den Tresen der Bars präsentiert werden. Beim Verzehr ist das Was genauso wichtig wie das Wie: Tapas werden geteilt, beim lockeren Gespräch, mit guten Freunden und Familie – als Einstimmung aufs Mittagsmahl oder beim Tapeo, dem gemeinsamen Streifzug durch Bars am Wochenende. Der ist inzwischen so beliebt, dass fast jede größere Stadt ihr Tapas-Festival feiert – längst nicht nur für Touristen.

Seit Drei-Sterne-Koch Ferran Adrià in den 2000er Jahren den traditionellen Tapas-Rezepten mit Siphon und anderen Tricks aus der Molekularküche zu Leibe rückte, haben auch Gourmetrestaurants die kleinen Häppchen auf der Speisekarte. Allerdings nennen sie sich da oft Miniaturen – und haben mit den frugalen Schinken-Käse-Aperitifs nichts mehr gemein.

Flamenco: der Jazz der Gitanos

So einen Erfolg hätte sich Filmemacher Carlos Saura nicht träumen lassen: Seit dem Welterfolg seiner Carmen-Trilogie Anfang der 1980er Jahre klappern zwischen Bielefeld und Osaka begeisterte Hobbytänzerinnen mit Kastagnetten. Und nicht nur dort: Auch das Heimatland Spanien hat seine Liebe zum Flamenco neu entdeckt. Die Kunstform, zu der neben dem Tanz auch der toque (das Spiel) und der ­cante jondo (der klagende Gesang) gehören, dümpelte jahrzehntelang in der Folklore-Ecke, in die ihn Diktator Franco verbannt hatte. Um ihn daraus zu befreien, brauchte es eine neue Generation von Künstlern: Gitarristen wie Paco de Lucía und Camarón de la Isla, Sängerinnen wie Rocío Jurado, Tänzer wie Saura-Muse Antonio Gades. Sie gaben dem Flamenco seine Ausdrucksstärke und Eigenwilligkeit zurück. Kulturhistoriker erkennen im Tanz das Erbe ­römischer Festtänze, in den geklopften und gestampften Rhythmen das Echo maurischer Poesie. Tatsächlich ist über die Ursprünge des Flamenco wenig bekannt. Als Improvisationskunst haben die andalusischen Roma, die gitanos, die charakteristischen Bewegungsabläufe, Rhythmen und Melodien von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Bis heute. Notenblätter sucht man in den Flamenco-Schulen in Andalusien vergebens. Die Schüler sitzen im Kreis um den Meister, lernen ihr Instrument durch Beobachten und Imitieren: Flamenco braucht Nähe, nur so kann der duende, der hypnotische Zauber, der den wahren Meister auszeichnet, überspringen. Allen Exporterfolgen zum Trotz: Wer echten Flamenco erleben will, kommt daher um eine Spanien-Reise nicht herum.

Lotto spielen: das ganz dicke Glück

Die Stimmen sind schrill, die Melodie ist monoton – und das Ritual dauert mit vier Stunden eine gefühlte Ewigkeit. Dennoch hängt jedes Jahr am 22. Dezember das ganze Land an den Lippen der Schüler des ­Colegio San Ildefonso. Schließlich singen die jungen Madrilenen in der adretten Schuluniform die Zahlen des Glücks. Die spanische Weihnachtslotterie ist die größte und beliebteste der Welt, 80 Prozent der Spanier nehmen an ihr teil, und die jährliche Ziehung ist ein Spektakel. Auf der Bühne des Madrider Opernhauses stehen zwei goldene Lostöpfe. Im großen wirbeln 100 000 Kugeln mit den Losnummern, im kleinen die Kugeln mit den Gewinnstufen. Die Kombination aus beidem wird dann von einem Schülerpaar im charakteristischen Singsang den Preisrichtern vorgetragen: von der mit 1000 Euro prämierten Pedrea bis zum dicken Hauptgewinn, dem vier Millionen schweren Gordo. Rund 2,2 Milliarden Euro werden jährlich ausgeschüttet. Da jedes Los mehrere Dutzend Mal verkauft wird – im vergangenen Jahr gab es 170 Serien –, stehen die Chancen auf den Hauptgewinn mit 1:100 000 relativ hoch. Das macht Spaniens älteste Lotterie auch für viele Ausländer attraktiv. Im letzten Jahr spielten 150 000 Deutsche mit. Die meisten Spanier kaufen ein Zehntellos für 20 Euro oder spielen gemeinsam mit Freunden, Familien, Kollegen oder Nachbarn. Das hat den angenehmen Nebeneffekt, dass auch der Neidfaktor sinkt und erklärt, warum in manchen spanischen Dörfern alle Luxuskarossen aus dem gleichen Baujahr stammen. Auf den Geld­regen kurz vor Jahresende freut sich regelmäßig auch der spanische Fiskus: 20 Prozent von jedem Gewinn über 2500 Euro wandern in die Staatskasse.

Julia Macher lebt seit 2004 in Barcelona und berichtet von dort aus über Kultur, Gesellschaft und Politik Spaniens, u.a. für Merian, Brigitte und Deutschlandradio Kultur.

Für Vollzugriff bitte einloggen.
Bibliografische Angaben

IP Wirtschaft 1, März - Juni 2018, S. 48 - 52

Teilen

0

Artikel können Sie noch kostenlos lesen.

Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.