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01. Dez. 2006

Sisyphos am East River

Abschied nach zehn Jahren: Was bleibt von der Ära Kofi Annan?

Der Weltlotse geht nach zehn Jahren von Bord – zum
Jahresende übergibt UN-Generalsekretär Kofi Annan den Stab an Ban Ki Moon. Es
war eine Amtszeit der Extreme: Den Höhen von Friedensnobelpreis und
diploma-tischem Rockstarstatus folgten die Tiefen der Skandale um die
UN-Bürokratie. Was bleibt?

„Gemeinsam haben wir einige große Felsbrocken auf die Spitze des Berges gehievt, auch wenn uns andere entglitten und zurückgerollt sind. Es ist schwierig und herausfordernd gewesen, aber zeitweise auch auf ergreifende Weise lohnend. Und obwohl ich mich darauf freue, meinen Schultern … eine Ruhepause von diesen widerspenstigen Felsbrocken zu gönnen, weiß ich, dass ich den Berg vermissen werde.“

Mit diesen Worten verabschiedete sich UN-Generalsekretär Kofi Annan im September 2006 von der UN-Generalversammlung. In bester literarischer Tradition präsentierte sich Annan als der Welten Sisyphos – hart arbeitend, die Plackerei nie vollenden könnend, aber letztendlich erfüllt. „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“, schrieb schon Camus. Welche Brocken hat der scheidende Generalsekretär erfolgreich den Berg hinaufgerollt? Welche sind ihm entglitten und weshalb? Diese Bilanz wirft Schlaglichter auf vier Kernbereiche: Sicherheit, Menschenrechte, Entwicklung sowie Management der UN-Verwaltung.

Sicherheit: die Ursünde Ruanda

Das Schicksalsdatum für Annans sicherheitspolitische Agenda liegt vor dem Beginn seiner Amtszeit. Am 11. Januar 1994 erreichte ihn als Leiter der Abteilung für Friedenssicherung ein Fax von Romeo Dallaire, dem Kommandeur der UN-Truppe in Ruanda.1 Dallaire forderte darin die Genehmigung, Razzien gegen Waffenlager durchzuführen, um einen drohenden Massenmord zu verhindern. Annans Antwort war eindeutig. Das Mandat des Sicherheitsrats erlaube keine Razzien, Dallaire solle sich auf die Sicherung der eigenen Truppe konzentrieren. Den Prinzipien der Neutralität, Unparteilichkeit und der Zustimmung aller Konfliktparteien, die für UN-Friedensmissionen gelten, sei unbedingt Folge zu leisten. Annan leitete die Warnungen Dallaires weder an den Sicherheitsrat noch an die Presse weiter. Die Milizen konnten ungestört ihre Massenmorde vorbereiten.

Auch wenn Annan in der Folgezeit wenig öffentliches Aufheben um seine persönliche Verantwortung gemacht hat, so ist das Versagen von Sekretariat und Sicherheitsrat im Fall Ruandas (und auch im Fall Srebrenicas ein Jahr später) das Urerlebnis, an dem sich Annan als UN-Generalsekretär abarbeitete. Annan leitete einen Prozess der Ursachenforschung ein. Erste Resultate präsentierte er im November 1999 gegenüber der Generalversammlung, wo er auf das „ernsthafte Versagen der Doktrinen und der Institution“ verwies. Innerhalb der UN, so Annan, gebe es „eine weit verbreitete Ambivalenz gegenüber dem Einsatz von Gewalt zum Erreichen von Frieden“ und eine „institutionalisierte Ideologie der Unparteilichkeit, auch im Angesicht von versuchtem Völkermord“.2

Annan nahm diese Introspektion zum Anlass, die von ihm gestärkte moralische Autorität des Amtes des UN-Generalsekretärs hinter zwei Doktrinen zu stellen, die zu den bleibenden Vermächtnissen seiner Amtszeit zählen: das Prinzip der „bedingten Souveränität“ und das der „Responsibility to Protect“. Annan betonte, dass das Ziel des Souveränitätsgarantie in der UN-Charta sei, „Individuen zu schützen und nicht diejenigen, die sie missbrauchen“.3 Die sich entwickelnde Norm der Intervention zum Schutz von Zivilisten gegenüber massenhaftem Abschlachten sei zu begrüßen. Staaten wie Kanada griffen diese Position auf und sorgten dafür, dass das Prinzip der „Responsibility to Protect“ (in abgeschwächter Form) Eingang in die gemeinsame Erklärung aller Staaten zum UN-Weltgipfel 2005 fand. Annan betätigte sich als „Norm-unternehmer“, eine Rolle, die das Nobelpreiskomitee in seiner Begründung der Verleihung des Friedensnobelpreises 2001 an Annan und die UN explizit anerkannte.

Die Praxis der neuen Normbildung gestaltete sich freilich schwierig. Die Präambel der UN-Charta verfügt, so erinnerte Annan die Weltöffentlichkeit, Gewalt solle nicht benutzt werden, außer im „gemeinsamen Interesse“. Die „Responsibility to Protect“ wirft laut Annan viele Fragen auf: „Was ist das gemeinsame Interesse? Wer soll es definieren? Wer soll es verteidigen? Unter wessen Befehlsgewalt? Und mit welchen Interventionsmitteln?“4 All dies sind Fragen, die das Potenzial haben, das UN-System kollektiver Sicherheit an den Rand des Abgrunds zu bringen, insbesondere in Verbindung mit der von der Bush-Regierung verkündeten neuen Sicherheitsdoktrin.

Kosovo war der erste Testfall. Angesichts der Vetodrohung Russlands entschied sich die NATO ohne UN-Mandat zum Krieg gegen Serbien. Annan urteilte, dass es Situationen gebe, in denen „die Gewaltanwendung zum Zwecke des Friedens legitim sein könne“. Für viele hatte Annan damit die Büchse der Pandora geöffnet – und diese Kritiker fühlten sich bestätigt, als die USA im Bund mit Großbritannien im Sicherheitsrat eine Resolution für ihren Irak-Feldzug erzwingen wollten. Dem Irak-Desaster der UN stand Annan (und dies wäre das Schicksal jedes nur denkbaren UN-Generalsekretärs gewesen) hilflos gegenüber.

Nach dem Schock blieb ihm nur, im Oktober 2003 mit einer Rede in der UN-Generalversammlung die Aufräumarbeiten einzuleiten. Annan sah die Vereinten Nationen „an einer Weggabelung“, an der ähnlich fundamentale Entscheidungen zu treffen seien wie 1945 bei der Gründung der UN. Die US--Sicherheitsdoktrin der Präemption laufe Gefahr, die Fundamente des Systems kollektiver Sicherheit zu untergraben. Sie könne zu einer „Proliferation der unilateralen und gesetzlosen Gewaltanwendung führen, mit oder ohne Rechtfertigung“. Gleichzeitig, so Annan, reiche eine Verurteilung des Unilateralismus nicht aus: „Wir müssen zeigen, dass die Sorgen [etwa in Form asymmetrischer Bedrohungen] effektiv durch kollektives Handeln angegangen werden können und auch werden.“

Doch wie? Um Antworten zu finden, setzte er eine hochrangige Expertenkommission ein, die im Dezember 2004 ihren Bericht vorlegte. Diesen nahm Annan als Grundlage für seinen im März 2005 vorgestellten Bericht „In Larger Freedom“. In diesem ambitionierten Dokument machte Annan viele sinnvolle Vorschläge, die jedoch von einem taktischen Fehler überschattet wurden. Schon in seiner Rede im September 2003 hatte Annan die Erweiterung des Sicherheitsrats mit viel Pomp als ein dringliches Unterfangen bezeichnet. Dadurch erhöhte Annan nur den Appetit der G-4 (Deutschland, Japan, Indien, Brasi-lien), ihre Kampagne für einen ständigen Sitz zu intensivieren. Annan hatte damit seiner Reformagenda selbst einen präemptiven Dolchstoß versetzt: In der Folgezeit konzentrierte sich in den meisten Hauptstädten (Berlin eingeschlossen) und in der Presse die Aufmerksamkeit allein auf die Frage der Erweiterung des Sicherheitsrats. Die Scharmützel zwischen der G-4 und dem „Coffee Club“ vergifteten die Atmosphäre. Als die G-4 mit ihrem Vorstoß gescheitert war, war das wenige politische Reformkapital vor Beginn der als „Reformgipfel“ -angekündigten Zusammenkunft der Staatschefs zum 60. Geburtstag der Weltorganisation im September 2005 nahezu erschöpft. Die Nachhutgefechte zwischen dem frisch ernannten und mit einer Kamikaze-Strategie operierenden US-Botschafter John Bolton und der Gruppe der 77 taten ein Übriges. Von Annans Reformpaket blieben am Ende vor allem der Menschenrechtsrat sowie die Peacebuilding Commission übrig.

Die Einsetzung der Peacebuilding Commission ist ein Verdienst Annans, in dessen Amtszeit die Aktivitäten der UN im Bereich der Friedenskon-solidierung eine starke Ausweitung erfahren haben. Allerdings droht der Peacebuilding-Apparat durch Überdehnung zum Opfer des eigenen Erfolgs zu werden. Gegen Ende 2006 waren die UN für 100 000 Friedenskräfte verantwortlich. Gleichzeitig stehen die UN in Folge der Blockadepolitik Chinas und des weitgehenden Wegschauens Europas und Amerikas dem Massenmord in Darfur hilflos gegenüber. Annan betonte in seiner Abschiedsrede gegenüber der Generalversammlung, dass Darfur „unsere Behauptung zum Gespött macht, als internationale Gemeinschaft Menschen vor den schlimmsten Misshandlungen zu schützen“. Ohne dass man Annan oder dem Sekretariat die Schuld in die Schuhe schieben könnte, scheinen die Lehren aus Ruanda ein weiteres Mal vergessen. Im Raum steht auch weiterhin die Frage nach den allseits akzeptierten Regeln für die Anwendung von Gewalt, die Annan den Mitgliedsstaaten nach dem Irak-Debakel gestellt hat. Beide Brocken sind zu schwer, als dass sie ein Generalsekretär ohne die breite Unterstützung der Mitgliedsstaaten stemmen könnte.

Menschenrechte: Große Fanfare für die Universalität

Annan machte Menschenrechte zur „Chefsache“. Bei seiner ersten Reise nach Afrika im Juni 1997 argumentierte er vor den versammelten Staatschefs in Harare scharf gegen diejenigen, die Menschenrechte als Luxus oder als Oktroi des Westens sehen. Eine solche Argumentation bezeichnete Annan als „wahrhaft erniedrigend gegenüber der Sehnsucht nach menschlicher Würde, die jedem afrikanischen Herzen innewohnt“. Mit dieser großen Fanfare für die Universalität der Menschenrechte setzte Annan den Ton für die gesamte Amtszeit. Sein Einsatz blieb unermüdlich. Hierzu gehören auch das Eintreten für interkulturelle Toleranz und eine klare Verurteilung des Antisemitismus, der für Annan eine „einzigartige Manifestation von Hass, Intoleranz und Verfolgung ist. … Eine Menschenrechtsagenda, die es versäumt, den Antisemitismus anzugehen, verleugnet die eigene Geschichte“.5 Dies war ein klares Zeichen in einer Organisation, in der die Generalversammlung noch in den siebziger Jahren eine Resolution verabschiedet hatte, die Zionismus und Rassismus gleichstellte. Mit gleicher Verve wandte sich Annan gegen den Terrorismus, nicht ohne anzumerken, dass der legitime Kampf gegen den Terrorismus nicht als Vorwand für die Verletzung von Menschenrechten dienen dürfe.

Entwicklung: Auf dem Weg zum Gestalter von Global Governance

Ähnlich ambitioniert wie in der Menschenrechtspolitik zeigte sich Annan im Bereich Entwicklung. Mit Hilfe seiner Vordenker wie John Ruggie und Georg Kell ging es ihm darum, die Weltorganisation zu einem Gestalter von Global Governance zu machen. Ausgangspunkt war eine kohärente Ist-Analyse, die auf drei Pfeilern ruhte. 1. Entwicklungs-, Umwelt-, Handels- und Sicherheitspolitik sind miteinander verwoben und müssen gemeinsam gedacht werden. Investitionen in „globale öffentliche Güter“ sind im Eigeninteresse aller Beteiligten, denn „Probleme ohne Pässe“ wie Pandemien und Klimawandel unterliegen nicht der Visumspflicht. 2. Globalisierung ist kein Selbstläufer, sondern ein fragiler Prozess, gefährdet durch „Protektionismus, Populismus, Nationalismus, ethnischen Chauvinismus, Fanatismus und Terrorismus“.6 Deshalb braucht Globalisierung ein gemeinsames Normengerüst. 3. Die Globalisierung hat Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen zu machtvollen Akteuren gemacht. Es gelte, die Ressourcen und Reichweite von Wirtschaft und Zivilgesellschaft für die Mission der UN zu nutzen.

Annan ließ der Analyse Taten folgen. Dazu gehörte der 1999 initiierte und seitdem stetig wachsende UN Global Compact, innerhalb dessen sich Unternehmen freiwillig auf die Einhaltung von zehn Kernprinzipien verpflichten können. Mittlerweile ist klar, dass aus Gründen der Glaubwürdigkeit freiwillige Initiativen mittelfristig in ein Gerüst fester Regeln für Unternehmen eingebunden werden müssen. Zudem engagieren sich mitt-lerweile fast alle UN-Organisationen in öffentlich-privaten Partnerschaften – eine wahre Kulturrevolution in einer Institution, die bis Mitte der neunziger Jahre Unternehmen noch mehrheitlich als Klassenfeind betrachtete. Diese erfolgreiche, von Annan angestoßene und auch von Deutschland maßgeblich unterstützte Agenda gilt es weiterzuführen. Mit den Millennium-Entwicklungszielen betätigte sich Annan im Jahr 2000 wiederum als Normunternehmer. Er brachte die Mitgliedsstaaten dazu, sich auf messbare Ziele zur Armutsbekämpfung bis zum Jahr 2015 zu einigen. Die Entwicklungs-ziele haben eine breite, wenn auch bei weitem nicht ausgeschöpfte öffent-- liche Wirkung entfaltet.

UN-Verwaltung: die offene Flanke

Als erster Generalsekretär, der seine gesamte Karriere in der Organisation verbracht hatte, wusste Kofi Annan um die Notwendigkeit grundlegender Reformen im Verhältnis zwischen Mitgliedsstaaten und Sekretariat. Mitte 1997, zu Beginn seiner Amtszeit, legte Annan den Mitgliedsstaaten ein ambitioniertes Reformpaket vor, das unter anderem dem Sekretariat mehr Flexibilität als Gegenleistung für größere Effektivität zugestand. Annans Initiative scheiterte am Widerstand der der Sucht des Mikromanagements in Personal- und Budgetfragen verfallenen Mitgliedsstaaten. Nach diesem frühen Scheitern ließ Annans Interesse merklich nach. Erst nach der tiefen Krise des Sekretariats in Folge der Kontroversen um das Öl-für-Lebensmittel-Programm unternahm er im Jahr 2005 eine weitere Reformoffensive, die wiederum mit dem massiven Widerstand durch die Staaten der G-77 zu kämpfen hatte.

Sicherlich lag die Verantwortung für Fehlleistungen im Rahmen des Managements des Öl-für-Lebensmittelprogramms nicht allein beim Sekretariat. Vielmehr ist es ein Fall organisierter Verantwortungslosigkeit, bei dem der Sicherheitsrat einen großen Teil der Schuld trägt. Insofern ist das Management des Programms Symptom eines größeren Problems: Unklare Verantwortlichkeitsstrukturen zwischen Mitgliedsstaaten und Sekretariat führen bei Fehlleistungen regelmäßig zum Ritual des „Verantwortungs-Pingpong“. Dennoch: Der Öl-für-Lebensmittel-Skandal war mehr als eine Hetzjagd konservativer UN-Hasser in den USA. Die eingehende Untersuchung der Arbeit des Sekretariats brachte vieles ans Tageslicht, das Kofi Annans Versäumnisse als Manager illustriert – Versäumnisse, die nicht der Ob-struktion durch Mitgliedsstaaten geschuldet sind.

Annan hat zu wenig versucht, Arbeitsprozesse und Organisationskultur zu modernisieren. Bei der Auseinandersetzung zwischen „Traditionalisten“ und „Modernisierern“ im Sekretariat hat er über weite Teile seiner Amtszeit nicht eindeutig Partei für die Modernisten ergriffen. Dies hatte desaströse Folgen für eine Verwaltung, deren Funktionsweise und Selbstverständnis sich immer weiter von Idealen und Notwendigkeiten einer modernen, immer stärker im Feld basierten internationalen Bürokratie entfernt hat. Für Traditionalisten beginnt und endet die Verantwortlichkeit des Sekretariats mit den UN-Gremien.7 Die Modernisierer hingegen argumentieren, dass Rechenschaft und Verantwortlichkeit einer Reihe interner und externer Akteure geschuldet sind: den UN-Mitarbeitern, Parlamenten, zivilgesellschaftlichen Gruppen und einer breiteren Öffentlichkeit. Für Modernisierer, wie sie in Annans Umfeld etwa durch John Ruggie oder den 2005 als Chef de Cabinet ins Team geholten Mark Malloch Brown repräsentiert werden, ist Transparenz der Schlüssel zum Erfolg. Sie setzen sich zudem für eine stärkere Ergebnisorientierung ein, klare meritokratische Prinzipien sowie persönliches Geradestehen für Fehlleistungen. Annan versäumte es in den ersten acht Jahren seiner Amtszeit, einen klaren Kurswechsel hin zur Umsetzung der Agenda der Modernisierer einzuleiten, auch weil dies Konflikte mit einigen seiner engsten Mitarbeiter bedeutet hätte, denen Annan lieber aus dem Weg gehen wollte.

Was bleibt?

Chefdiplomat, Verkünder und Verteidiger der Werte der UN-Charta sowie Topmanager einer sorgengeplagten Verwaltung: Es sind gleich drei Jobs, die Annan als UN-Generalsekretär auszufüllen hatte. Annan hat sich als oberster Diplomat und auch als Verteidiger der Werte der UN-Charta um die Vereinten Nationen und die Welt verdient gemacht wie kein Generalsekretär seit Dag Hammarskjöld. Er hat der Organisation, wie das Nobelpreiskomitee treffend urteilte, neues Leben und eine neue -Dynamik eingehaucht. Annans Diplomatie hat sich tagtäglich um die Lösung von Konflikten auf der ganzen Welt bemüht – eine Tätigkeit, für die der Generalsekretär selten Lorbeeren erhält, da Erfolge präventiver Diplomatie nicht den Weg in die Medien finden. Er hat Konzepte für die Gestaltung der Globalisierung vorgelegt und Unternehmen und Zivilgesellschaft in die Arbeit der UN eingebunden. Die „Responsibility to Protect“ und die Millennium-Entwicklungsziele sind bleibendes Vermächtnis. Durch seinen unermüdlichen Einsatz für die Menschenrechte hat er sein Amt und auch die UN zu einer stärkeren moralischen Autorität gemacht. Bis zuletzt hörte das Publikum zu, wenn Kofi Annan sprach und die moralische Plattform seines Amtes nutzte. Ihm kam dabei entgegen, dass er die Fähigkeit hatte, „einen Spiegel anzubieten, in dem Menschen ihre besten Absichten reflektiert sahen, fast ungeachtet dessen, wofür er wirklich stand“.8

Annan hatte sich in der ersten Hälfte seiner Amtszeit erfolgreich um eine Verbesserung der Beziehungen zum US-Kongress bemüht und sogar Jesse Helms milde gestimmt. All dies war später vergessen, als ihn Teile der Bush-Regierung die Verachtung für die Institution, welche die Amerikaner selbst geschaffen hatten, spüren ließen. Hinzu kam die zunehmend vergiftete Atmosphäre zwischen Nord und Süd, welche Annans Spielraum einschränkte. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass Annan in weiten Kreisen der - G-77 als „Bushs Schoßhund“ galt und sich so zwischen allen Fronten fand. All dies sind Parameter, die ein Generalsekretär nur schwer beeinflussen kann. Doch hat Annan mit seiner Vernachlässigung der Führung der UN-Verwaltung seine übrigen Verdienste leichtfertig aufs Spiel gesetzt und dafür einen hohen Preis gezahlt.

Seinem Nachfolger empfiehlt Annan ein „dickes Fell“ und die Fähigkeit, „viel innerlich und nach außen sowie über sich selbst zu lachen“9 – Fähigkeiten, mit denen Annan nicht im Übermaß gesegnet scheint. Darfur, Iran, Nordkorea, Afghanistan, Armut, Terrorismus, Massenvernichtungswaffen, der neue Kalte Krieg zwischen Nord und Süd in den UN – es gäbe viele Gründe für Kofi Annan, mit einer pessimistischen Note aus dem Amt zu scheiden. Doch der geborene Optimist sagte ungebrochen zum Abschied: „Ich mache meinen Platz frei für andere mit einem hartnäckigen Gefühl der Hoffnung für unsere gemeinsame Zukunft.“ Dieser Optimismus verbindet ihn mit seinem Nachfolger. Ban Ki Moon äußerte die Hoffnung, „dass die besten Tage unserer Weltorganisation noch vor uns liegen“.

1 Samantha Power: A Problem From Hell. America and the Age of Genocide, New York 2002, S. 344.
2 Zitiert in Michael Barnett: Eyewitness to Genocide – The United Nations and Rwanda, Ithaca and London 2002, S. 158.
3 Kofi Annan: Two Concepts of Sovereignty, The Economist, 16.9.1999.
4 Ebd.
5 Kofi Annan: Eröffnungsworte beim Seminar zum Thema Antisemitismus, New York, 21.6.2004.
6 Kofi Annan: Rede beim Weltwirtschaftsforum in Davos, 31.1.1999.
7 Vgl. John Ruggie: Modernists Must Take Over the United Nations, Financial Times, 24.1.2005.
8 Mark Turner: Annan’s Difficult Decade Nears End, Financial Times, 11.10.2006.
9 Zitiert in James Traub: The Best Intentions. Kofi Annan and the UN in the Era of American World Power, New York 2006, S. 418.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 12, Dezember 2006, S.106‑110

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