Schwacher Staat, tödliche Sprengkörper
Islam mit Bombe: Wie gefährlich ist Pakistans Atomwaffenbesitz?
Die Welt zählt neun Nuklearwaffenstaaten,
mit Iran strebt ein zehnter hinzu. Doch die größte Gefahr geht von Islamabad
aus, wo Präsident Musharraf einen einsamen Kampf gegen den islamistischen Terror
führt. Bedroht von Putschisten, Abtrünnigen, korrupten Militärs und verwickelt
in einen schwelenden Konflikt mit der benachbarten Atommacht Indien, könnte
sein Land zum Spielball radikaler Islamisten werden. Pakistans
Atomwaffenarsenal in solcher Hand wäre ein wahres Alptraumszenario.
Auch wenn die Bedrohungen durch Irans und Nordkoreas Atomwaffenprogramme die Schlagzeilen beherrschen, stellen in der Tat Pakistans Atomwaffen eine weitaus größere Gefahr für Amerika, seine Verbündeten und die internationale Gemeinschaft dar. Dies erscheint auf den ersten Blick paradox, da Iran wie Nordkorea unverhohlen feindselig gegenüber dem Westen auftreten, während Pakistan für die USA und die NATO ein solider Partner im globalen Kampf gegen den Terror ist. Was die Lage in Pakistan jedoch so beunruhigend macht, ist nicht die Gesinnung der pakistanischen Regierung, sondern die Tatsache, dass sich das Nukleararsenal des Landes in einem Umfeld von Instabilität und Gesetzlosigkeit befindet.
Ausgelöst durch unerwartete Ereignisse, könnten Nuklearwaffen vor einem solchen Hintergrund leicht in die Hände gewalttätiger islamischer Extremisten geraten oder gar eine Krise mit Indien heraufbeschwören, die zum ersten Einsatz solcher Massenvernichtungswaffen seit 1945 führen würde. Doch obwohl solche Entwicklungen die Sicherheit Amerikas und seiner Verbündeten dramatisch beeinträchtigen, verfügen diese Staaten nur über wenige Hebel, um solche drohenden Gefahren zu entschärfen, da diese bisher jenseits der Reichweite klassischer Nichtverbreitungsdiplomatie sowie anderer Abschreckungsmaßnahmen liegen. Nuklearwaffen gefahrlos und sicher zu handhaben, ist bereits in jenen Staaten eine gewaltige Herausforderung, in denen die administrativen Strukturen stabil, die technischen wie militärischen Glieder der Befehlskette innerhalb der nuklearen Kommandozentrale verlässlich und die elementaren zwischenstaatlichen Beziehungen, die im Ernstfall zu einer nuklearen Konfrontation führen könnten, der Kontrolle der nationalen Regierung unterliegen. Im Falle Pakistans jedoch sind die Regierungsstrukturen höchst fragil, ist die nukleare Befehlsordnung angeschlagen und weiterhin für illegales Verhalten anfällig – und eine Auseinandersetzung mit Indien könnte jederzeit von nichtstaatlichen Akteuren angezettelt werden und zur nuklearen Eskalation führen.
Putsche am laufenden Band
Pakistans Präsident Pervez Musharraf, der im Oktober 1999 selbst durch einen unblutigen Putsch an die Macht kam, wird heute als Garant der politischen Stabilität Pakistans betrachtet. Zur Zeit seines Putsches unterstützte Pakistan noch aktiv die Taliban-Regierung in Afghanistan, die das pakistanische Militär und der Geheimdienst noch mit an die Macht gebracht hatten. Nach den Attacken des 11. September 2001 in den USA jedoch änderte Musharraf abrupt seinen Kurs und willigte ein, mit den USA und anderen Regierungen der Koalition der Willigen das Taliban-Regime zu stürzen und Al-Qaida in Afghanistan zu eliminieren. Doch diese Entscheidung stieß im pakistanischen Militär wie bei den Sicherheitsdiensten viele vor den Kopf und führte zur Entstehung neuer Terrorgruppen in Pakistan: Deren Ziel lag darin, Musharraf zu stürzen und eine radikalere islamisch-fundamentalistische Regierung ins Amt zu hieven. Ende 2003 wurde Musharraf zum Ziel dreier Attentatsversuche, von denen offenbar einer oder mehrere von Personen innerhalb des pakistanischen Sicherheitsapparats unterstützt worden waren; hinter einem anderen wurden Pro-Taliban-Terroristen aus Pakistan vermutet. Tatsächlich enthüllte Musharraf im Mai 2004, dass eine Gruppe junger Offiziere der pakistanischen Armee an zweien der Anschläge beteiligt gewesen war; gleichwohl beharrte er darauf, dass sie dies aus rein finanziellen Gründen getan hätten und sein Rückhalt bei den älteren, führenden Militärs stark genug sei.1
Musharraf scheint nicht in der Lage zu sein, jene Oppositionskräfte zu unterdrücken, die sein Regime bedrohen – ein Dilemma, das durch anhaltende Zweifel an der Loyalität von Teilen der Armee und des Geheimdiensts und deren Einverständnis mit Pakistans derzeitiger prowestlicher Antiterrorpolitik verschärft wird. Es ist schwer herauszufinden, ob das Versagen, Osama Bin Laden zu finden und die Überbleibsel Al-Qaidas und der Taliban in den schwach kontrollierten Gebieten im Nordwesten des Landes an der afghanischen Grenze zu zerschlagen, mit den speziellen Schwierigkeiten dieser Mission zu erklären sind oder auf eine gezielte Anstrengung von Teilen des Geheimdiensts zurückgehen, ihre früheren Verbündeten zu schützen.
In jedem Fall – das zeigt das derzeitige Wiederaufflackern von Taliban-Aktionen in Afghanistan –, scheinen jene Kräfte, die in Opposition zu Musharrafs prowestlicher Politik stehen, an Stärke zu gewinnen, was seine Regierung einem noch größeren Risiko aussetzt. Musharrafs Unfähigkeit, fundamentalistische Islamschulen – die so genannten Madrassas – zu schließen, die für die Radikalisierung junger Pakistani verantwortlich sind, deutet darauf hin, dass noch eine weitere Bedrohung seiner Macht im Auge behalten werden muss: Pakistans jüngste Geschichte bietet jedenfalls genügend Anlass zur Sorge, dass sich die politische Ausrichtung des Landes von heute auf morgen ändern könnte – und dass damit eine Situation entsteht, in der Nuklearwaffen in die Hände neuer, antiwestlicher Führer gelangen, die enge Beziehungen zu globalen Terrororganisationen haben, oder dass solche Waffen während einer Phase politischen Tumults nach einer Amtsenthebung oder gar dem Tod Musharrafs in die Hände von Terroristen fallen. Entwicklungen, die zu einer Welle neuer, massiver Bedrohungen Amerikas und seiner Freunde führen würden.
Wie in anderen Staaten mit Nuklearwaffen auch liegt der tägliche Umgang mit Pakistans Nukleararsenal in den Händen politisch mächtiger Technokraten, welche die technische Seite betreuen, und leitenden Militäroffizieren, die für die Aufstellung und den möglichen Einsatz der Raketen verantwortlich sind. Diese Aufseher und deren Untergebene garantieren, dass die Waffen und das bombenfähige Nuklearmaterial sicher aufbewahrt werden und der Kontrolle der nationalen politischen Führung unterstehen. In Pakistan jedoch ist diese nukleare Befehlskette in der Vergangenheit ernsthaft außer Kontrolle geraten, und auch heute sind in dieser Hinsicht Fragen offen – so ist keineswegs ausgeschlossen, dass Mitglieder innerhalb der nuklearen Befehlskette aus ideologischen oder finanziellen Gründen Sprengköpfe oder waffenfähiges Material für islamistische Terrorgruppen abzweigen.
Die Aktivitäten von Pakistans führendem Nuklearwissenschaftler A. Q. Khan, der von den späten achtziger Jahren bis ins Jahr 2002 Technik für den Bau von Atomwaffen nach Iran, Nordkorea und Libyen transferierte, markieren vor diesem Hintergrund das erschreckendste Beispiel für den Zusammenbruch von Pakistans nuklearem Kontrollregime. Zwar sind etliche Details noch immer nicht aufgeklärt, doch ist eindeutig bekannt, dass dieser Verstoß nicht auf eine einzelne Person beschränkt war: Während Khan die drei anderen Staaten mit Nuklearmaterial versorgte, arbeitete er eng mit zuverlässigen Untergebenen zusammen, um die Transfers zu ermöglichen – etwa mit Mohammed Farooq, seinem Stellvertreter in den Khan-Forschungslaboratorien. Darüber hinaus wurden drei frühere Oberbefehlshaber der pakistanischen Armee – Mirza Aslam Beg (August 1988 bis August 1991), Abdul Wahid Kakar (Januar 1993 bis Januar 1996) und Jehangir Karamat (Januar 1996 bis Oktober 1998) – in verschiedenen Berichten beschuldigt, Khans Machenschaften geduldet oder diese sogar gefördert zu haben. Tatsächlich wird sogar Präsident Pervez Musharraf selbst – seit 1998 Oberbefehlshaber der Armee – bezichtigt, von Khans Netzwerk gewusst zu haben, auch wenn er dies bestritten hat.2 Musharraf ließ zwar Khan, Farooq und etliche andere Technokraten des pakistanischen Nuklearwaffenprogramms bestrafen, doch unternahm er keinerlei Schritte gegen Bedienstete aus dem Militär, die möglicherweise ebenso beteiligt waren.
Khans Motive, pakistanische Nukleartechnik an andere Staaten zu verkaufen, scheinen sich im Laufe der Zeit geändert zu haben: Zu Beginn, bei der Unterstützung von Irans Nuklearambitionen in den späten achtziger Jahren, scheint er von einer generellen Sympathie mit dem Land getrieben worden zu sein, das sich ganz dem fundamentalistischen Islam verschrieben hatte und damit den Westen herausforderte; eine Haltung, die auch von General Beg geteilt wurde. Mit der Zeit jedoch wird klar, dass Khan noch ein anderes Motiv hatte: Er benutzte sein klandestines Weiterverbreitungs-Netzwerk, um sich persönlich zu bereichern.
Abgesehen von Khans Netzwerk sollen mindestens vier weitere pakistanische Nuklearwissenschaftler, von denen einige in sensiblen Bereichen arbeiteten, intensiven Kontakt mit Al-Qaida gehabt haben – einem Bericht der New York Times vom Dezember 2001 zufolge waren US-Geheimdienstmitarbeiter darüber beunruhigt, dass mindestens noch ein weiterer Wissenschaftler mit Know-how aus der Nuklearwaffenproduktion und verwandten Technologien Kontakt mit der Terrororganisation gehabt haben soll.3 Vermutlich handelten diese Leute so, weil sie derselben antiwestlichen Ideologie wie die Terrorgruppe anhingen. Mittlerweile soll Pakistan das Verhalten seiner Nuklearspezialisten angeblich schärfer kontrollieren – doch legen diese Fälle den Verdacht nahe, dass auch heute noch Spezialisten im pakistanischen Nuklearwaffenprogramm Sympathien für radikale Islamisten hegen und bereit sind, für deren Sache einzutreten.
Die Integrität des pakistanischen Nuklearprogramms leidet zudem unter einem weiteren zersetzenden Einfluss: Das Programm ist abhängig von illegaler Beschaffung und besorgt sich seinen Nachschub mit Hilfe krimineller Methoden. Die Verurteilung von Ashzer Karni und Humayan Khan in den USA im vergangenen Jahr wegen illegalen Exports nuklearwaffenfähiger Dual-use-Technologie nach Pakistan über Südafrika ist eines der jüngsten Beispiele für ein solches Verhalten, das öffentlich bekannt wurde.4 Mehr noch: Der neu ernannte Vorsitzende der pakistanischen Atomenergie-Kommission, die eine wichtige Rolle bei der Überwachung des pakistanischen Nukleararsenals spielt, scheint bei der Aufnahme des Programms in den achtziger Jahren ebenfalls am Nuklearschmuggel beteiligt gewesen zu sein.5 Die Befehlskette innerhalb der pakistanischen Nuklearordnung, so bleibt festzuhalten, ist damit eine echte Schwachstelle – deshalb fällt es schwer, darauf zu vertrauen, dass die Hüter des pakistanischen Nukleararsenals allen Verführungsversuchen, ob ideologischer oder finanzieller Natur, widerstehen und als verlässliche Bewacher dafür sorgen, dass die Atomwaffen nicht in die Hände gewaltbereiter islamischer Extremisten geraten. Ebenso wie politische Instabilität könnte dieses Risiko praktisch über Nacht alle Gefahren verschärfen, die von Pakistans Nuklearprogramm ohnehin schon ausgehen.
Krisen, Drahtzieher, Attentäter
Am 13. Dezember 2001 attackierten fünf Kämpfer mit AK-47-Sturmgewehren, Handgranaten und Sprengstoff das indische Parlament. In einem stundenlangen Gefecht wurden alle Attentäter getötet, sechs indische Sicherheitskräfte und ein Gärtner kamen ums Leben, 17 weitere wurden verletzt. Obschon kein Parlamentarier verwundet wurde, löste der Anschlag eine schwerwiegende Reaktion der indischen Regierung aus, die Pakistan letztlich dafür verantwortlich machte – da dessen Geheimdienst des Öfteren militante Kaschmir-Separatistengruppen unterstützt hatte. Der Zwischenfall veranlasste Indien dazu, im folgenden Jahr massiv Truppen an der pakistanischen Grenze zusammenzuziehen, was Pakistan mit einem entsprechenden Truppenaufmarsch beantwortete; damit kam eine Konfrontation ins Rollen, welche die Region an den Rand des Krieges führte.
Eine ganze Zeit lang vertraten indische Militärstrategen die Auffassung, dass Indien einen Vergeltungsschlag gegen militante Trainingslager in Pakistan lancieren könne, ohne damit einen umfassenden Konflikt bis hin zum Nuklearschlag auszulösen. Die pakistanische Doktrin ihrerseits verkündete lange, dass das Land als erstes Nuklearwaffen einsetzen würde, falls es von Indien angegriffen würde. Beide Doktrinen verdichteten sich zu einer Art Anleitung für „Kriseninstabilität“, welche im Jahr 2002 die Gefahr des Einsatzes von Nuklearwaffen dramatisch verschärfte. Tatsächlich wiesen US-Offizielle zu der Zeit darauf hin, dass Musharraf bereits Schritte unternommen habe, seine Nuklearraketen innerhalb einer Drei-Stunden-Frist gefechtsfähig zu machen.6 Letztlich konnte Musharraf durch die diplomatische Intervention der Amerikaner davon überzeugt werden, etliche Separatisten-Trainingscamps zu schließen – ein Schritt, der Indien vorerst besänftigte. Wären durch den Anschlag auf das indische Parlament jedoch Politiker umgebracht und das Parlamentsgebäude zerstört worden, ist schwer vorstellbar, dass die Konfrontation zwischen den beiden südasiatischen Mächten nicht im nuklearen Inferno geendet hätte. Und doch: Die schrillen Nukleardoktrinen beider Staaten sind bis heute in Kraft.
Bedauerlicherweise setzen die Kaschmir-Separatisten ihre Terrorattentate in Indien fort – Ende 2005 kam es zu zwei Bombenanschlägen, einem auf einem größeren Marktplatz in Neu-Delhi und einem in Varanasi, Indiens heiligster Hindu-Stätte. Und die Spekulationen, dass Pakistan die entsprechenden Terrorgruppen weiterhin unterstützt, reißen nicht ab, auch wenn das Land nicht ausdrücklich zu bestimmten Formen terroristischer Anschläge aufruft.7 Es ist unklar, ob Musharraf bei solchen Unterstützungsaktionen beide Augen zudrückt und dem Geheimdienst stillschweigend erlaubt, hinter den Kulissen ungestraft entsprechende Aktionen zu starten, weil er diese insgeheim befürwortet; oder ob er nicht in der Lage ist, den Geheimdienst zu kontrollieren und dieser sein Versprechen, den Terrorismus zu bekämpfen, nicht ernst nimmt; oder ob die Drahtzieher dieser Gruppen schlicht außerhalb der Kontrolle der pakistanischen Regierung operieren. Was immer die Wahrheit sein mag, die Bühne ist bestellt, auf der eine Separatistengruppe, die sich der täglichen Kontrolle durch pakistanische Behörden entzogen hat, einen katastrophalen Terroranschlag in Indien ausführen könnte, der beide Länder in eine Auseinandersetzung bis hin zur nuklearen Eskalation stürzen würde.
Wie kann Deutschland, wie können die USA und andere Staaten diese Gefahr reduzieren? Im Gegensatz zu Iran besitzt Pakistan bereits Kernwaffen – und die Erwartung, dass Islamabad diese aufgeben und als Nichtkernwaffenstaat dem Nichtverbreitungsvertrag beitreten sollte, ist mehr als unrealistisch. Während Verhandlungen mit Teheran den Iran vielleicht noch davon abhalten könnten, seine Nuklearwaffenfähigkeit auszureizen, ist der Zeitpunkt für solche Verhandlungen mit Pakistan längst vorbei – deshalb müssen die umliegenden Staaten mit den Gefahren leben, die von seinem vermutlich 60 bis 100 Sprengköpfe umfassenden Nuklearwaffenarsenal ausgehen. Nordkorea besitzt offenbar ebenfalls einen kleinen Grundstock von Nuklearwaffen, deren Zahl wahrscheinlich unter zehn Sprengköpfen liegt. Doch in Nordkorea steht die allgegenwärtige Kontrolle des Staates und die Standfestigkeit von Kim-Jong-Ils -Regime angesichts beträchtlichen Druckes von außen in krassem Gegensatz zu den schwachen staatlichen Strukturen Pakistans. Darüberhinaus liegt die größte Gefahr von Nordkoreas Nuklearwaffen in der militärischen Bedrohung der US-Verbündeten in der Region – und möglicherweise der USA selbst. Dies jedoch stellt eine klassische, kalkulierbare Bedrohung dar, welcher die USA und ihre Verbündeten durch traditionelle nukleare Abschreckung begegnen, die zusätzlich durch Abwehrmaßnahmen gegen Raketenschläge verstärkt wird.
Die Gefahren des pakistanischen Nuklearprogramms sind jedoch vollkommen anderer Natur als die Nordkoreas – sie erwachsen aus der Schwäche des Musharraf-Regimes, welches sich starken Gegnern innerhalb der Regierung und Gesellschaft gegenübersieht, und aus der Notwendigkeit, gewaltbereite Kräfte am Rande der pakistanischen Gesellschaft zu zügeln, in der Hauptsache die Gruppen radikaler Kaschmir-Separatisten, deren Geburtshelfer einst der Staat selbst war. Zur Bekämpfung dieser Gefahren erweisen sich die Verschärfung des Nichtverbreitungsvertrags oder die Verstärkung der nuklearen Abschreckungskapazitäten von USA und NATO ausnahmslos als irrelevant.
Diplomatie und Wirtschaftshilfe
Der einzige Weg, der den betroffenen umliegenden Staaten bleibt, um diese Gefahren zu entschärfen, liegt darin, Musharraf wie auch andere prowestliche Kräfte der pakistanischen Gesellschaft politisch nachhaltig zu unterstützen und durch substanzielle, stetige wirtschaftliche Unterstützung Islamabads das Umfeld auszutrocknen, das den politischen Extremismus und den Terrorismus begünstigt. Schließlich müssen Indien und Pakistan durch diplomatische Anstrengungen zur Reduzierung ihrer Spannungen in Kaschmir ermutigt werden. Deutschland, Amerika und andere westliche Nationen sind zu solchen Initiativen bereit, doch wird es wohl Jahre dauern, bis sie Früchte tragen.
Derweil bleibt in Pakistan das Risiko bestehen, dass sich durch Putsche, Korruption und Krisen plötzlich die globale nukleare Landkarte verändert. Derzeit sind nur neun Staaten im Besitz von Nuklearwaffen – die Fähigkeit dazu haben sie in einer langsamen, mitunter umkehrbaren Entwicklung erworben, die es der internationalen Gemeinschaft erlaubte, sich auf die Ankunft jeder neuen Nuklearmacht vorzubereiten, während gleichzeitig das Tabu des Nuklearwaffeneinsatzes aufrechterhalten wurde. Diese ungeschriebenen Gesetze nuklearer Nichtverbreitung könnten sich jedoch vollkommen verändern, falls Ereignisse in Pakistan dazu führen, dass Nuklearwaffen in die Hände radikaler nichtstaatlicher Akteure gelangen oder diese in einem Grenzkonflikt eingesetzt würden – Entwicklungen, welche die nächsten 50 Jahre des Nuklearzeitalters weitaus gefährlicher erscheinen lassen als alles, was bisher geschah.
LEONARD S. SPECTOR, geb. 1955 ist Direktor des Monterey Institute Center for Nonproliferation Studies in Washington D.C.
- 1 Michael Kitchen: Musharraf Points to al-Qaida and Military in Assassination Attempt, Voice of America, Islamabad, 27.5.2004, www.iwar.org.uk/news-archive/2004/05-27-4.htm.
- 2 Special Report: The A.Q. Khan Network: Crime ... And Punishment?, WMD Insights, März 2006, http://wmdinsights.org/Old_Global/March06/I3_G1_SR_AQK_Network.htm.
- 3 Douglas Franz, James Risen und David E. Sanger: Experts in Pakistan May Have Links to Al Qaeda, New York Times, 9.12.2001.
- 4 Stephanie Lieggi und Kenley Butler: The Globalization of Nuclear Smuggling: Methods Used by Two Pakistan-Based Networks, Asian Export Control Observer, April 2006, http://cns.miis.edu/ pubs/observer/asian/pdfs/aeco_0504.pdf; Pakistani Businessman Indicted for Trafficking in Nuc- lear Detonators and Testing Equipment, U.S. Commerce Department, Bureau of Industry and Security press release, 2005, www.bis.doc.gov/news/2005/PakistaniBusinessman.htm; Louis Charbonneau: Pakistan Reviving Nuclear Black Market, Experts Say, Reuters, 15.3.2005, www.commondreams.org/headlines05/0315-04.htm; Joe Blackford: Asher Karni Case Shows Weakness in Nuclear Export Controls, Institute for Science and International Security website, www.isis-online.org/publications/southafrica/asherkarni.html.
- 5 New Head of Pakistan Atomic Energy Commission Apparently Tied to 1980s Nuclear Smuggling, WMD Insights, www.wmdinsights.com/SouthAsia/I5_SA1_NewHeadOfPakistan.htm.
- 6 Seymour M. Hersh: The Getaway: Questions Surround a Secret Pakistani Airlift, New Yorker, 28.1.2002, www.newyorker.com/fact/content/articles/020128fa_FACT.
- 7 Kurz bevor dieser Artikel in Druck ging, wurde Indien von einem weiteren Terroranschlag heimgesucht: An Bord von Pendlerzügen, die Mumbai im abendlichen Berufsverkehr verließen, explodierten mehrere Bomben und töteten über 100 Menschen. Sollte Indien zu dem Schluss kommen, dass eine von Pakistan unterstützte Terrorgruppe für den Anschlag verantwortlich ist, droht eine militärische Krise zwischen den zwei südasiatischen Staaten, die erneut das Risiko eines zerstörerischen nuklearen Schlagabtauschs provoziert.
Internationale Politik 8, August 2006, S. 42‑47