Schönheitswettbewerbe
Mit dem Kärcher auf der Straße, unterwegs mit dem Fahrrad oder beim Kinobesuch mit Grundschülern: Alles landet sofort bei Facebook. Denn das, so scheinen Tunesiens Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu glauben, wird am Ende über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Alle – landesweit 350 – sind erst seit den Kommunalwahlen vom Mai 2018 im Amt, und derzeit überbieten sie sich gegenseitig mit Online-Aktionismus.
Ihre Zuständigkeiten sind allerdings überschaubar. Der desolate Zustand von Straßenbeleuchtung, der Müllabfuhr und Sportplätzen gehört zu den Standardthemen des Wahlkampfs 2018. Die Devise der meisten Kandidaten war oft die gleiche: aufräumen, die Gemeinden wieder lebenswert machen, dem mehr oder weniger großen Durcheinander Einhalt gebieten, das sich mit dem Ende des Polizeistaats von Ben Ali ausgebreitet hatte.
In der Millionenstadt Tunis lassen sich die verschiedenen Führungsstile der neugewählten Volksvertreter besonders gut beobachten. Die Hauptstadt ist in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker gewachsen. Infolge des Zuzugs wurde sie nach und nach in immer mehr Verwaltungseinheiten unterteilt. So leben die rund 2,7 Millionen Einwohner der Hauptstadt inzwischen in vier großen Gouvernements mit insgesamt 38 Gemeinden, die jeweils eigene Bürgermeister haben: Alt und Jung, Männer und Frauen, Islamisten, Konservative, Liberale und Linke, mehr oder weniger Unabhängige – alle sind vertreten und wollen eigene Akzente setzen.
Besonders im Blick der Tunesier, aber auch der internationalen Medien: Souad Abderrahim, die Bürgermeisterin von Tunis-Stadt, der größten Gemeinde mit rund 640 000 Einwohnern. Die ehemalige Abgeordnete der tunesischen Verfassungsversammlung ist nicht nur die erste Frau auf dem Posten, sie ist auch noch Mitglied der islamisch-konservativen Ennahdha-Partei; Kopftuch trägt sie allerdings nicht – eine Kombination, die ausreicht, damit weltweit über die „Cheikha“ von Tunis berichtet wird.
Als die Mittfünfzigerin im Sommer 2018 vom neuen Stadtrat gewählt wurde, waren alle Scheinwerfer auf sie gerichtet. Und Abderrahim ging erstmal saubermachen: Nach einer Woche im Amt stellte die Stadtverwaltung Fotos ihrer neuen Chefin ins Netz, auf denen sie in schicker Bluse und Ballerinas Wände weißte, die Hauptstraße mit dem Hochdruckreiniger säuberte und verstopfte Gullys freilegte. Wenig später folgten ein autofreier Sonntagvormittag in der Innenstadt und die Vorschrift, dass alle Ladenschilder arabisch sein müssten, auch wenn die Übersetzung ausländischer Namen zu oft eher lustigen oder manchmal auch sehr schlüpfrigen arabischen Ausdrücken führte.
Applaus und Spott
Während einige Abderrahim applaudierten, machten sich viele über ihren Aktionismus lustig. Doch der Ton war gesetzt. Seitdem stehen kommunale Themen nicht nur bei Facebook hoch im Kurs, sie werden auch viel häufiger öffentlich diskutiert als in der Vergangenheit.
Schließlich haben Bürgerinnen und Bürger erstmals in der Geschichte Tunesiens frei gewählte Ansprechpartner in den Stadträten sitzen, die den Wählern Rechenschaft schuldig sind. In den verschiedenen Kommunen der Hauptstadt tut sich tatsächlich einiges, was über Straßenreinigung hinausgeht. Oft sind es die Vertreter der unabhängigen Listen, die die Themen vorantreiben: die Tollwutimpfung und Sterilisierung der Hunderte freilaufenden Katzen und Hunde, regelmäßige Bürgersprechstunden, kostenlose Kinobesuche für die Schüler der staatlichen Grundschulen, die Schaffung eines Netzes von Fahrradwegen.
Die Bürgerbeteiligung ist außerdem seit vergangenem Jahr gesetzlich verankert, genauso wie eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen, die den Gemeinden mehr Spielraum für eigene Entscheidungen bieten und langfristig zu einer stärkeren Dezentralisierung des Landes führen sollen.
Bei der Umsetzung hakt es noch an allen Ecken und Enden. Für viele kommunale Projekte fehlen gesetzliche Rahmenbedingungen und Erfahrungswerte. Aber zumindest beim Daueraufregerthema Sauberkeit scheint sich etwas getan zu haben: Straßen und Parks werden nun regelmäßiger gereinigt, und auch der Müll müffelt nicht mehr tagelang in der brütenden Sonne vor sich hin.
Und noch etwas hat sich geändert: Die Bewohner von Tunis überlegen jetzt besonders genau, in welchem der Gemeindesäle sie heiraten. Denn Bürgermeister und Stadträte übernehmen auch die Funktion der Standesbeamten, und Hochzeitspaare können nun auswählen, von wem sie am liebsten getraut würden. Als der neue islamistische Bürgermeister einer der kleinen Gemeinden von Tunis ankündigte, auch trotz geänderter Rechtsprechung keine binationalen Paare zu trauen, wenn der Bräutigam nicht zum Islam konvertiert sei, bot der Amtskollege eines anderen Vororts betroffenen Paaren kurzerhand an, die Eheschließung zu übernehmen – zum halben Preis.
Sarah Mersch berichtet seit 2010 als freie Journalistin u.a. für die ARD, die Neue Zürcher Zeitung, den epd und die Deutsche Welle aus Tunesien.
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2019, S. 128-129