Schnelle Mode in der Krise
„Danke für die Treue“, stand auf dem Schild, das im vergangenen Dezember im Fenster der H&M-Filiale an der Düsseldorfer Schadowstraße hing. Eine neue Werbekampagne des schwedischen Modegiganten? Leider nein. Die Schilder, die jetzt immer öfter in den Filialen hängen, beschreiben die traurige H&M-Realität im Jahre 2019. Mittlerweile sind die Schilder an der Schadowstraße ebenso verschwunden wie die Filiale. Treue mag Jahrzehnte halten, aber keine Ewigkeit.
Immerhin, die Abschiedsschilder erzählen nicht nur von der Krise, die diesen Konzern heimgesucht hat. Sie erzählen auch von seinem Erfolg, davon, dass H&M zum Synonym für Fast Fashion geworden ist. Das Prinzip H&M funktionierte damals bestens, weil es so praktisch war: Als Kunde konnte man so gut wie von überall herkommen und eine Filiale des Unternehmens noch immer problemlos erreichen. Man konnte sie auch problemlos betreten, Schwellenangst musste hier niemand haben. Die Kleider, die es dort zu kaufen gab, passten jedem ebenfalls problemlos. Man konnte sie problemlos bezahlen, denn dafür waren die Preise ja unschlagbar günstig, man konnte sie später problemlos tragen und anschließend problemlos waschen. Anstatt Begehrlichkeiten zu wecken, bediente H&M die Bedürfnisse gleich auf direktem Wege.
Praktisch ist H&M noch immer. Es ist typisch schwedisch, es macht nicht viel Aufhebens um das, was es zu bieten hat. Es passt so gesehen zu einem Leben mit Möbeln von IKEA und einem Volvo in der Garage, auch wenn der dann ein bisschen teurer ist und länger halten soll.
Die Kunden bei Laune halten
Im Jahr 1947 eröffnete Erling Persson sein erstes Damengeschäft in Västerås, knapp zwei Autostunden nordwestlich von Stockholm, unter dem Namen Hennes, schwedisch für „Für Sie“. 1968 übernahm Persson ein Geschäft für Herren- und Jagdbekleidung namens Mauritz Widforss, strich das Jagdzeug aus dem Programm und das Widforss aus dem Namen und führte sein Unternehmen fortan als Hennes & Mauritz. Es folgte die Internationalisierung: Über 71 Märkte sind es mittlerweile, 1980 eröffnete die erste deutsche Filiale in Hamburg. H&M ist börsennotiert und zugleich noch immer ein Familienbetrieb. H&M-Chef Karl-Johan Persson ist der Enkel des Gründers, sein Vater leitet den Aufsichtsrat.
Nicht alles folgt seit 2009, dem Jahr, in dem der Enkel übernahm, dem Abwärtstrend. Wenn der Chef, der mit gerade mal 33 Jahren auf diesen Posten rückte, eines sicherstellt, dann ist es, die Kunden bei Laune zu halten. Was im Jahr 2004 mit einer Sonderkollektion von Karl Lagerfeld für H&M begann, ist zu einer Tradition geworden: Jedes Jahr im November entwirft ein Designer für die Discounter-Kette. Aus H&M sind mittlerweile zahlreiche zum Unternehmen zugehörige Marken entstanden: Zunächst COS im Jahr 2007, dann Monki, die dazugekauften Cheap Monday und Weekday, später & Other Stories, Arket und Nyden.
Mit Afound versucht man, ein eigenes Outlet-Konzept zu etablieren, und schon seit Längerem möchte man sich mit einer so genannten Conscious-Collection aus recycelter Baumwolle einen grünen Anstrich verpassen. Angesichts der fragwürdigen Bedingungen, unter denen das Unternehmen weiterhin fertigen lässt, ist das nur bedingt glaubwürdig. Da gab es den Vorwurf, H&M lasse ungekaufte Kleidungsstücke verbrennen, jenen, H&M leite gesundheitsgefährdende Chemikalien in die Flüsse in der Nähe der Fabriken in Indonesien sowie den, in Zulieferbetrieben in der Türkei hätten Flüchtlingskinder gearbeitet.
Wenn ein Teil der Kunden, nämlich der gebildetere, bürgerlichere, beim Einkauf auf ökologische Nachhaltigkeit achtet, dann ist das für einen Discounter, der jahrzehntelang auch diese Klientel erfolgreich bedient hat, ein Problem.
Früher als andere warb H&M mit einem Model im Hidschab und sorgte dafür, dass Hollywoodstars die Marke auf dem roten Teppich trugen. All das tut dem Konzern gut, denn es sorgt für frischen Wind. Mit dem problemlos-praktischen Angebot des Kerngeschäfts lässt sich solche Aufmerksamkeit nicht erreichen, zumal es für eine junge Klientel, die weniger treu ist, immer uninteressanter wird.
Die Konkurrenz ist aggressiver: Allen voran die spanische Inditex-Gruppe lässt die Schweden blass aussehen. Zara ist modischer als H&M, Uniqlo aus Japan versteht es, Basics zum ähnlichen Preis luxuriöser umzusetzen, Primark ist ein ganzes Stück günstiger, und Anthropologie aus den USA ist mit seinem Sortiment aus Mode und Möbelstücken im Hippie-Stil schon in Angriffsposition.
Selbst wenn es keinen E-Commerce gäbe, wüsste man nicht mehr so recht, was H&M in der Fußgängerzone eigentlich ausmacht. Mit dem Online-Angebot von Asos, About You, Zalando und Amazon wird dieses Fragezeichen noch größer. Im vergangenen Jahr verkündete das Unternehmen erstmals Zahlen: Der Online-Anteil am Gesamtumsatz belaufe sich auf 12,5 Prozent bei der Hauptmarke, die neueren Marken wie COS und & Other Stories schnitten etwas besser ab, mit einem Anteil von 17 Prozent. Aus einem Mutterschiff der Fast Fashion lässt sich nicht mal so eben ein Speedboot mit Start-up-Charakter machen.
Wer sich bewusst für den Weg in die Fußgängerzone entscheidet, will dort mehr geboten bekommen, als sich in eine kleine Umkleidekabine zu zwängen und dort eine Hose anzuprobieren. Das Prinzip H&M, problemlos an Ware zu kommen, indem man sie problemlos bezahlen, tragen und waschen kann, zerstört sich somit am Ende ein Stück weit selbst. Die Schränke sind voll. Der Mensch braucht nichts Neues mehr, zumindest wenig Materielles.
Stattdessen möchte er außerhalb der eigenen vier Wände erst einmal unterhalten werden. Nicht umsonst wächst der Anteil der gastronomischen Anmietungen in den Innenstädten gerade zweistellig. Das zeigt, welche Veränderungen sich derzeit abzeichnen. Etwa, dass der Kunde lieber Geld für eine Bowl mit Thunfisch, Ingwer-Topping und Chili-Dressing ausgibt als sich für denselben Betrag das x-te T-Shirt zu kaufen.
Und so häufen sich die Leerstände in den ehemals beliebten Fußgängerzonen, dort, wo eigentlich H&M zu Hause ist. Die Kunden fehlen. Natürlich, das Unternehmen unterhält noch immer Tausende Läden. Aber nicht alle Standorte schaffen es mitzuhalten. Und so heißt es auch für die Schweden nun hin und wieder Abschiednehmen. Und: „Danke für die Treue“.
Jennifer Wiebking ist Redakteurin im Ressort Leben der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und schreibt für das Frankfurter Allgemeine Magazin.
IP Wirtschaft 01, März - Juni 2019, S. 21-23
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