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06. Jan. 2013

Politik studieren und Plakate kleben

„Welt und Wahlkreis“: Anmerkungen zu Hans-Ulrich Klose

Wer sich bewegt, hat verloren. Das ist natürlich übertrieben. Aber diejenigen, die besonders aktiv und beweglich sind, d.h. die im Ausland studieren und arbeiten, haben wesentlich schlechtere Karten: Sie werden von der politischen Nachwuchsförderung in Deutschland bestraft, weil sie sich im Wahlkreis vor Ort politisch nicht engagieren.

Wer Außenpolitik lernen will, muss reisen. Eine Binsenweisheit mit Folgen. Denn wer längere Zeit im Ausland studiert und Praktika absolviert, kann nicht in Deutschland politisch aktiv sein und mindert so seine Chancen auf eine politische Karriere. Wie kann es dennoch gelingen, qualifizierten außenpolitischen Nachwuchs zu gewinnen? Zunächst einmal, indem wir die Art und Weise unserer politischen Nachwuchsförderung und Postenvergabe überdenken.

 Ein Student, der Internationale Beziehungen studiert, brennt für die Sache. Er will nicht „Berater in Sachen Außenpolitik“ werden. Nein, wer Außenpolitik studiert, will selbst Einfluss nehmen. Er will mitmischen, politische Verantwortung übernehmen und seine Expertise nutzen, die Weltgeschicke zu beeinflussen. Gerne auch irgendwann aus dem Deutschen Bundestag heraus.

Um sich den Traum eines solchen Postens zu verwirklichen, studiert er Internationale Beziehungen. Er will ja adäquat ausgebildet sein. Da nur zwei deutsche Universitäten dieses Fach als Bachelorstudiengang überhaupt anbieten, zieht unser Student entweder aus seiner Heimatstadt in eine andere deutsche Stadt oder entscheidet sich, im Ausland zu studieren. Auf Masterniveau bieten immerhin knapp zehn deutsche Unis Internationale Politik oder ähnliche Studiengänge an. In fast allen dieser Studiengänge sind verpflichtende Auslandsaufenthalte integriert.

Ein Student im Masterstudiengang IB, der von einer Potsdamer und zwei Berliner Unis angeboten wird, kann beispielsweise bis zur Hälfte seines Studiums im Ausland verbringen. Unser Student ist begeistert. Schließlich kann er, wenn er verstehen will, wie internationale Politik funktioniert, dies nicht nur aus Deutschland heraus lernen, sondern muss (und will) sich auch im Ausland umsehen: verschiedene Sichtweisen kennenlernen, Kontakte knüpfen, Ausbildungssysteme verstehen, Sprachen lernen – so gut wie als Student lernt man andere Länder nie mehr kennen.

Also verbringt der Student eine lange Zeit im Ausland. Ein Studium in den USA, Großbritannien oder Frankreich, Praktika in China und Südafrika – ungewöhnlich ist das heutzutage nicht. Meinen Bachelor habe ich in Frankreich und Schottland, meinen Master in Frankreich und der Schweiz absolviert. Gerade promoviere ich in England. Spricht Herr Klose davon, dass Außenpolitiker 30 bis 60 Tage pro Jahr im Ausland verbringen, so verbringe ich etwa 30 Tage pro Jahr in Deutschland. Ein Exot bin ich damit nicht. An allen ausländischen Universitäten, an denen ich war, wimmelt es von engagierten deutschen Studenten. Sie alle sehen die Zeit im Ausland als wesentlichen Teil ihrer Ausbildung. Diese Studenten verfolgen in der Regel auch aus dem Ausland deutsche Politik sehr genau. Sie werden häufig von deutschen politischen Stiftungen gefördert und sind oft Parteimitglied. Eine politische Karriere streben viele von ihnen an.

Alles ganz hervorragend, könnte man meinen. Exzellent ausgebildete, politisch interessierte junge Menschen, die nach abgeschlossener Ausbildung ihre gesammelte Expertise dem deutschen Volk zur Verfügung stellen wollen. Leider sieht die Wirklichkeit anders aus. Denn diese Studenten verfolgen zwar das politische Tagesgeschehen in Deutschland via Tagesschau oder Spiegel Online und diskutieren intensiv bei Seminaren ihrer politischen Stiftungen. Jedoch hört hier die Verbindung zum politischen Geschehen in Deutschland meist auf. Denn wie soll ein Student, der nicht vor Ort, also in Deutschland ist, sich politisch engagieren?

Seit Beginn meines Studiums bin ich zu einer Karteileiche meiner Partei geworden. Bei einem Treffen meiner Ortsgruppe war ich zuletzt kurz nach meinem Abitur – das ist sechs Jahre her. Zwar bekomme ich noch weiterhin E-Mails bezüglich des Protests für oder gegen den Landstraßenbau in meinem Dorf oder den Wahlkampf der Oberbürgermeisterin betreffend – doch mitreden kann ich hier nicht. Denn ich bin nicht da. Ich bin nicht dabei, wenn Wahlplakate geklebt werden. Ich stehe in keiner Fußgängerzone und überzeuge Passanten von der Wichtigkeit dieses oder jenen Themas. Ich backe keinen Kuchen für die Spendenveranstaltung und arbeite an keiner Satzung im Gremium mit. Für meinen Orts- und Landesverein existiere ich genauso wenig wie für die Partei auf Bundesebene.

Ein Umdenken muss stattfinden

Kommt ein international ausgebildeter Student nun nach Deutschland zurück, mit all seinen Diplomen in der Tasche, seinen Sprachkenntnissen, seiner Expertise über die Konflikte im Nahen Osten und der Atompolitik des Iran, interessiert das seine Partei … gar nicht. Bei der Vergabe der Listenplätze wird der Wahlplakatekleber, Fußgängerzonenpassantenansprecher, Kuchenbäcker und Satzungsmitschreiber nominiert. Der war ja immer da. Der hat die richtigen Kontakte, kennt Herrn Müller und Frau Schmidt. Außenpolitische Expertise mag er im besten Fall aus Büchern gewonnen haben. Für die Postenvergabe ist das aber irrelevant.

Die politische Nachwuchsförderung in Deutschland bestraft diejenigen, die besonders aktiv und beweglich sind. Diejenigen, die nicht davor zurückschrecken, Neues auszuprobieren, in der Fremde ihre Fühler auszustrecken. Diejenigen, die überdurchschnittliche Sprachkenntnisse vorweisen können. Und diejenigen, die Internationale Beziehungen nicht nur studieren, sondern sie aktiv pflegen.

Will Deutschland seine Position in der internationalen Gemeinschaft behalten und gewissenhaft ausfüllen, brauchen wir aber genau diese Leute an zentralen Stellen. Sie besitzen das so wichtige kulturelle Feingefühl. Sie verstehen, wie der ausländische Gesandte tickt und können in kritischen Situationen sein Verhalten besser einschätzen.

Die Wahlplakatekleber sind wichtig, sie kennen sich aus mit den Belangen der Menschen in ihrem Wahlkreis. Aber sie sollten Unterstützung bekommen von den vielgereisten, ausgebildeten Außenpolitikern. Ein Umdenken muss stattfinden. Die Eignung eines Kandidaten für ein politisches Amt darf nicht nur an seinen Anwesenheitszeiten gemessen werden. Wir leben in einer globalisierten Welt und brauchen globalisierte Politiker, zumindest ein paar. Und diese dürfen dann, ganz wie Herr Klose argumentiert, für ihre außenpolitische Tätigkeit nicht bestraft werden. Warum sollten sie auch, schließlich verbringen diese Abgeordneten nun mehr als 300 Tage im Jahr in Deutschland.

Ulrike Esther Franke promoviert im Bereich Internationale Beziehungen an der Universität Oxford.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/ Februar 2013, Seite 51-53

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