Titelthema

27. Febr. 2023

Pekings Tankstelle: China im Nahen Osten

Für China sind die Länder des Nahen Ostens vor allem wichtige Energielieferanten. Doch zuletzt hat das Land sein Engagement ausgeweitet, die Rivalität mit den USA stets im Blick.

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Bild: Xi Jinping zu besuch beim saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman
Eine „neue Ära“ auch in den chinesischen Beziehungen zu Saudi-Arabien: Staats- und Parteichef Xi Jinping zu Besuch bei Kronprinz Mohammed bin Salman.
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Nach fast drei Jahren Isolation durch die Covid-19-Pandemie reist Chi­nas Staats- und Parteichef Xi Jinping seit September 2022 wieder ins Ausland. Seine fünfte Reise im Dezember 2022 stattete Xi Saudi-Arabien ab, nicht nur, um den saudischen König Salman zu treffen, sondern auch, um an drei Gipfel­treffen teilzunehmen: dem saudisch-­chinesischen Gipfel, dem ersten Gipfel des Golfkooperationsrats mit China und dem ersten arabisch-chinesischen Gipfel. Xi rief in Riad, das er als chinesischer Präsident zuletzt 2016 besucht hatte, eine „neue Ära“ der saudisch-­chinesischen ­Beziehungen aus.



Diese groß angelegte diplomatische ­Offensive Chinas ist bemerkenswert, da der Nahe Osten und Nordafrika traditionell außerhalb des geopolitischen Einflussgebiets Chinas liegen. Pekings Interesse an der Region war lange darauf beschränkt, die Energieversorgung der Volksrepublik zu sichern, sie aber geostrategisch den USA zu überlassen: China verlässt sich zum Schutz seiner Ölimporte noch immer auf die bestehende Sicherheitsstruktur am Golf, die auf einer jahrzehntelangen Partnerschaft zwischen den Staaten des Golfkooperationsrats und den USA basiert.



Inzwischen zeigt sich aber auch, dass die chinesische Außenpolitik in der Region unter besonderer Berücksichtigung der geopolitischen Rivalität zwischen Peking und Washington stattfindet. China versucht, sich als selbstbewusste Weltmacht zu positionieren – und nicht mehr nur als den USA widerstrebende Regionalmacht.



Chinas Kerninteressen

Die strategischen Ziele Chinas in Nahost unter seiner Führung formulierte Xi Jinping erstmals in einer Grundsatzrede 2014 während des Chinesisch-Arabischen Kooperationsforums (die bislang wichtigste formelle Institution, in der China und die Länder der Region ihre Beziehungen gemeinsam bearbeiten).



Resultierend aus den chinesischen Interessen ergibt sich demnach ein „1+2+3“-Kooperationsrahmen für China und die arabischen Staaten in drei Kernbereichen: Erstens ist die Energieversorgung die größte Priorität bei der Zusammenarbeit, gefolgt – zweitens – von Infrastruktur, Handel und Finanzen. An dritter Stelle stehen die neuen Hightech-Industrien, Nukleartechnologie, Raumfahrt und erneuerbare Energien.



Bis heute ist die sichere Energieversorgung Chinas erstes Kerninteresse. Der Rohölbedarf des Landes ist enorm und wird wesentlich durch den Nahen Osten – und insbesondere Saudi-Arabien – abgedeckt. Das zweite Kerninteresse sind Exportmärkte für die chinesische Wirtschaft. China hat sich in der Region bereits zu einem bedeutenden Wirtschaftspartner und Investor entwickelt.



Die Region ist auch attraktiv für die „Belt and Road Initiative“ (BRI), Chinas Seidenstraßen-Initiative, die durch den Ausbau von Inlands- und Seetransport­infrastruktur alternative, billigere und kürzere Transportrouten zwischen Afrika, Asien und Europa schaffen könnte. Für China bietet es sich auch an, Transport­infrastruktur für Energie als Teil der BRI in der Region auszubauen. Von der Volksrepublik finanzierte und gebaute neue Pipelines könnten beispielsweise die Märkte Südasiens, Südostasiens und Ostasiens sowie den europäischen Markt mit Energie beliefern.



Ein weiterer Ableger der BRI ist die „­Digitale Seidenstraße“, die, dem dritten Kerninteresse folgend, chinesische Investitionen in neue Branchen ermöglichen soll. China hat bereits mit den sechs Ländern des Golfkooperationsrats Abkommen für den Aufbau von 5G-Mobiltelefonnetzen unterzeichnet, das chinesische BeiDou-­Satellitensystem stellt der arabischen Welt Navigationsdienste zur Verfügung, und chinesische Firmen für Informations- und Kommunikationstechnologie wie Huawei werden immer aktiver im Bereich der erneuerbaren Energien.



Vor dem Hintergrund all dieser Aktivitäten werden die regionale Sicherheit und Stabilität für die chinesische Führung ­stetig wichtiger, will sie die Kerninteressen ihres Landes auch künftig wahren. Das prominenteste Beispiel für das chinesische Interesse an der Sicherheit in der Region ist die erste chinesische Militärbasis im Ausland, der Hafen von Dschibuti. Der Stützpunkt soll es in der Hauptsache den chinesischen Streitkräften ermöglichen, Chinas in der Region lebende Bürgerinnen und Bürger im Falle einer Krisensitua­tion zu beschützen und gegebenenfalls zu evakuieren. China zeigt heute deutliches Interesse an einer politischen und sicherheitspolitischen Vertiefung seiner Aktivitäten in der Region, die sich zwar noch bescheiden ausnehmen im Vergleich zu denen anderer Mächte wie der USA und Russlands, die sich aber immer weiter ­intensivieren.



Regionale Interessen, globale Rivalität

Die chinesische Außenpolitik befindet sich in der Region an der Schnittstelle zwischen regionalen Interessen und globaler Machtrivalität. Denn die Zusammenarbeit zwischen China und den Anrainerstaaten dient auch dem geopolitischen Zweck, den USA signalisieren zu können, dass Peking als alternativer Partner bereitsteht. Wächst der chinesische Einfluss, so das Kalkül, dann geschieht dies auf Kosten der USA. Aus Sicht Pekings ist es beispielsweise ein Zeichen für die Stärke des eigenen politischen Einflusses, wenn es in internationalen Foren die Unterstützung der arabischen Staaten für seine ­Kerninteressen gewinnen kann, zum Beispiel bezüglich Menschenrechtsfragen in der Provinz ­Xinjiang oder für seine Ansprüche im Südchinesischen Meer.



Die Vereinigten Staaten sind und bleiben wohl der dominierende Staat in der Sicherheitsstruktur am Golf und darüber hinaus, und China stellt diese dominante Position Amerikas in der Region nicht infrage. Dennoch hat das gestiegene chinesische Engagement das Potenzial, den US-Einfluss langfristig zu mindern.



Pekings Interesse an einer engeren Zusammenarbeit mit Staaten wie Saudi-­Arabien ist gegenwärtig umso größer, da China vor neuen geopolitischen Herausforderungen steht. Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat eine Zeit großer Unsicherheit auch in der chinesischen Außenpolitik begonnen. Russland, als enger strategischer Partner Pekings, könnte sich als zu schwach erweisen, um als Sieger aus dem Krieg gegen die Ukraine hervorzugehen.



Zugleich ist der chinesische außenpolitische Diskurs (wie auch der amerikanische) immer stärker von Fragen der sich verschärfenden sino-amerikanischen Rivalität geprägt. Xi Jinpings China begreift dabei die US-Außenpolitik in jeglicher Hinsicht als Teil des Versuchs, den Aufstieg der Volksrepublik zu beschränken und das Land insgesamt einzudämmen. Diese Bedrohungswahrnehmung wurde durch die Selbstisolation während der Covid-19-Pandemie noch befördert. Im erweiterten Sinn findet diese systemische Rivalität zwischen China, den USA sowie den US-Verbündeten statt.



China wappnet sich (wie die Staaten Europas) für eine Entwicklung der welt­politischen Ordnung hin zu rivalisierenden Blockbildungen. Daher versucht Peking strategisch, auch über die asiatisch-pazifische Region hinaus Machtverhältnisse zu seinen Gunsten zu verschieben – nicht zuletzt im Nahen Osten und Nordafrika. Je mehr China beispielsweise in Infrastruktur für die (eigene) Energieversorgung, in Exportmärkte und Sicherheit in der Region investiert, desto mehr kollidieren seine Interessen mit denen der USA, allein aufgrund von deren weiterhin dominanter Stellung in der Region.



Sicherheitspolitisch sensibel ist so beispielsweise das verstärkte Engagement Huaweis in arabischen Staaten. Der chinesische Telekommunikationskonzern ist mit US-Sanktionen belegt, da Washington befürchtet, dass Huawei durch digitale Hintertüren den chinesischen Sicherheitsdiensten Zugang zu verschiedenen Kommunikationsnetzen ermöglicht. Während Xi Jinpings Besuch in Saudi-Arabien wurde nun eine Absichtserklärung zwischen der saudischen Regierung und Huawei unterzeichnet.



Israel als Teil des Tech-Konflikts

Chinas Präsenz in Israel hat sich ebenfalls zu einem Interessenkonflikt mit den USA entwickelt (auch wenn der chinesisch-israelischen Zusammenarbeit aufgrund der Nähe zwischen Tel Aviv und Washington Grenzen gesetzt sind), da Peking hier ein besonderes Interesse zeigt, in fortschrittliche Technologien und in kritische Infrastrukturen zu investieren. In dem sich verschärfenden Technologiekonflikt mit den USA steht die chinesische Führung unter zunehmendem Druck, das Ziel der technologischen Überlegenheit zu erreichen. Noch ist China auf die Hochleistungstechnologie aus dem Ausland angewiesen.



Chinas wachsende militärpolitische Präsenz in der Region wird in Washington ebenfalls misstrauisch beobachtet, auch wenn Pekings Rolle als Waffenexporteur immer noch vergleichsweise unbedeutend ist. Dennoch signalisiert China einen systematischen Eintritt in die Region, beispielsweise indem es mit Saudi-Arabien bei der Entwicklung von Nuklearanlagen zusammenarbeitet oder militärische Technologien wie Drohnen in die Region verkauft. Laut der Zeitschrift Defense News hat China zwischen 2016 und 2020 seine Waffentransfers nach Saudi-Arabien um 386 Prozent und in die VAE um 169 Prozent gesteigert, verglichen mit dem Zeitraum 2011 bis 2015.



Unverändert bleibt aber Chinas oberstes Interesse an der Region als Energieversorger, und in dieser Hinsicht scheint Peking derzeit der wohl größte Profiteur zu sein. In den USA und Europa steigen die Erdöl- und Gaspreise als Folge der gegen den russischen Energiesektor verhängten Sanktionen, während China von den Preissenkungen profitiert, die Moskau seinen Kunden in Asien anbietet.



Seitdem die von Saudi-Arabien dominierte OPEC+ im Oktober 2022 beschloss, die Erdöl-Fördermenge zu drosseln, ist die Partnerschaft zwischen Riad und Wa­shington in einer Krise. Auch dies spielt China in die Hände, das mit dem Besuch Xi Jinpings in Saudi-Arabien das Bündnis mit seinem wichtigsten Energielieferanten weiter festigen konnte. China versucht zudem, Energiegeschäfte in der chinesischen Währung abzuwickeln, um sich der Vorherrschaft des Dollars zu entziehen. Xi hatte während seines Besuchs in Riad erneut angekündigt, für saudisches Rohöl mit dem Yuan bezahlen zu wollen. Ob Saudi-Arabien diese Abwendung vom Dollar mitgehen wird, ist noch nicht klar.



Perspektive für Europa

Chinas geostrategische Regionalpolitik hat Auswirkungen auch auf das europäische Interesse an einem wirtschaftlichen und politischen Austausch mit den Staaten der Region sowie an der regionalen Stabilität. Chinas Präsenz könnte zur Folge haben, dass die Bewegungsspielräume der europäischen Politik eingeengt werden. Deutschland und die EU müssen daher Optionen prüfen oder auch neu entwickeln, wie sie ihre strategischen Interessen wirksam vertreten können.



Deutschland und die Europäische Union könnten den Staaten alternative Perspektiven eröffnen und auf diese Weise versuchen, die Region politisch wie wirtschaftlich enger an Europa zu binden, etwa über Handelsabkommen oder Kooperationsangebote, zum Beispiel bei der ­Infrastrukturentwicklung.    

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2023, S. 40-43

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Dr. Angela Stanzel ist Wissenschaft­lerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Sie beschäftigt sich mit China, Südasien und sicherheitspolitischen Fragen

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