Niemand steht über dem Gesetz
Warum der Haftbefehl gegen Sudans Präsidenten Bashir richtig ist
Gerechtigkeit um jeden Preis? Ja, auch wenn die über vier Millionen Menschen, die vom Konflikt in Darfur betroffen sind, nach der Ausweisung von Hilfsorganisationen noch mehr leiden müssen. Aber langfristig kann der Haftbefehl gegen das amtierende Staatsoberhaupt des Sudan dessen Position schwächen und die Chancen auf Frieden erhöhen.
Es war ein Meilenstein in der Geschichte der internationalen Rechtsprechung, als der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) am 4. März einen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar Hassan Ahmad al-Baschir aussprach. Die Richter erließen den Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen aufgrund seiner vermeintlich führenden Rolle in den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Region Darfur, wo seit Jahren massiv gegen die Menschenrechte verstoßen wird. Die Anklagepunkte umfassen u.a. Mord, Vernichtung, Vergewaltigung, Folter und Vertreibung der Zivilbevölkerung. Damit hat der IStGH zum ersten Mal einen Haftbefehl gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt erlassen.
Die drei vom Staatsanwalt des IStGH Luis Moreno Ocampo geforderten Anklagepunkte wegen Völkermord hat das Gericht fallen gelassen. Eine Anklage wegen Völkermord muss eindeutig beweisen, dass die Straftaten mit der Absicht begangen wurden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe lediglich aufgrund ihrer Identität „ganz oder zum Teil zu zerstören“. Obwohl in Darfur die schrecklichsten Verbrechen begangen wurden, ist die Anklage auf Völkermord vermutlich schwer nachzuweisen. Ob man diese Taten nun Völkermord oder ethnische Säuberung nennt: Die Verbrechen wiegen schwer genug, die von der sudanesischen Armee begangen wurden, oder von den Dschandschawid-Milizen, die von der Regierung unterstützt werden.
Die Bilanz der kriegerischen Auseinandersetzungen in Darfur, für die Baschir als Oberbefehlshaber der Armee zum Teil verantwortlich ist, könnte verheerender nicht sein: Laut UN-Angaben sind 300 000 Menschen dabei umgekommen. Mehr als zwei Millionen sind vor den Gräueltaten geflohen; sie leben nun in Lagern an der Grenze zum Tschad oder in anderen Teilen des Sudan als Binnenflüchtlinge.
Gut gemeint ist nicht immer gut
Doch nicht jeder hat gejubelt, als die Nachricht vom Haftbefehl gegen Baschir kam. Schon im Vorfeld hatten einige Diplomaten in Khartum und auch Kritiker des Chefanklägers beim IStGH gewarnt, dass ein Haftbefehl sowohl die weitere Stationierung der UNAMID-Friedenstruppen als auch die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen gefährden könnte, die dafür arbeiten, das Leid in den Flüchtlingslagern zu verringern. Es gab Befürchtungen, dass die Anklage den weiteren Verlauf der Darfur-Friedensgespräche behindern könnte. Nicht zuletzt wurde das Argument in die Waagschale geworfen, dass eine Anklage das umfassende Friedensabkommen von 2005 zwischen dem Norden und dem Süden des Sudan untergraben könnte. Es hat den 20 Jahre währenden Bürgerkrieg beendet, der mehr als zwei Millionen Menschen das Leben gekostet hat.
Hinzu kommt, dass die für 2009 angesetzten Wahlen ohnehin schon im Verzug sind. Im Süden des Landes befürchten einige nun, dass die Anklage letztlich sogar das für 2011 geplante Referendum aufs Spiel setzen könnte, das ihnen die Möglichkeit einräumt, sich vom Norden zu lösen. Und diejenigen, die dem IStGH grundsätzlich skeptisch gegenüber-stehen, fürchten gar, der Haftbefehl sei doch nur eine symbolische Geste, da der IStGH nicht über ein eigenes Vollstreckungsorgan verfügt und kein afrikanisches Land Baschir je aus-liefern würde.
Baschir hat derartige Sorgen und die Skepsis gegenüber dem IStGH bereits für sich genutzt, bevor die Entscheidung des IStGH bekannt wurde. Schon im Vorfeld hatte die sudanesische Regierung einen Aufschub der Ermittlungen und der Strafverfolgung des IStGH nach Artikel 16 des Römischen Statuts gefordert. Danach hat der UN-Sicherheitsrat die Möglichkeit, einen solchen Aufschub für ein Jahr zu gewähren. Die Afrikanische Union unterstützt diese Forderung schon deshalb, weil ihre Mitglieder den IStGH ohnehin argwöhnisch betrachten, da der IStGH bislang ausschließlich in Afrika ermittelt. Am liebsten würden sie die Strafverfolgung der Gräuel in Darfur ganz aussetzen. Die Arabische Liga und die Organisation der Islamischen Konferenz fordern ebenfalls einen Aufschub. Eine solche Aussetzung der Anklage benötigt die Zustimmung von mindestens neun der 15 Mitglieder des Sicherheitsrats, vorausgesetzt, dass keines der ständigen Mitglieder ein Veto einlegt. Doch das ist eher unwahrscheinlich, selbst wenn China sich offensichtlich hinter den Kulissen dafür einsetzt. Denn auch die Glaubwürdigkeit des Sicherheitsrats steht hier auf dem Spiel – schließlich hat er den Fall selbst an den IStGH überwiesen.
Baschir handelte schnell. Die Schlagzeilen der internationalen Presse waren noch nicht getrocknet, da wies die sudanesische Regierung schon 13 internationale Hilfsorganisationen aus. Damit dokumentierte sie wieder einmal ihre Kaltschnäuzigkeit gegenüber jenen, die ohnehin schon in großer Not sind. Inzwischen wurde drei weiteren Hilfsorganisationen die Arbeit verboten, und die Regierung hat schon angekündigt, dass demnächst sämtliche ausländische Hilfsorganisationen des Landes verwiesen werden sollen. Es sieht ganz danach aus, als wollte Baschir die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in Darfur schon seit einiger Zeit loswerden, zum Teil weil sie dort das Auge und das Gehör der Welt sind und von den Gräueltaten berichten können. Jetzt hat er die Chance ergriffen und die Anklage genutzt, um sich zu rächen – doch zu welchem Preis. Durch die Ausweisung verlieren mehr als eine Million Menschen den Zugang zu Nahrung und Wasser. Für die Menschen in Darfur beginnt die nächste Hölle.
Kein Frieden in Sicht
Auch wenn der Haftbefehl nicht sofort vollstreckt werden kann, kann er sich doch langfristig positiv auswirken, und sei es nur durch die Stigmatisierung von Baschir als angeklagter Kriegsverbrecher. Dies könnte seine Macht verringern und weiteren Verbrechen vorbeugen. Es wird oft eingewandt, dass der Haftbefehl den Friedensprozess in Darfur gefährdet. Dieses Argument verkennt, dass es momentan ohnehin keinen richtigen Friedensprozess gibt, da sowohl die Regierung als auch die Rebellen nicht den politischen Willen zeigen, den Konflikt in Darfur zu beenden. Der Friedensprozess ist seit langem festgefahren. Die „Absichtserklärung“, die die Regierung und die Rebellengruppe (JEM) unterzeichnet haben, enthielt keine Verpflichtung zu einem Waffenstillstand. Keine der Parteien scheint wirklich bereit zu sein, durch Friedensgespräche eine Lösung zu finden – und dieses Versagen kann dem IStGH nun wirklich nicht angelastet werden.
Wie steht es mit den anderen Mythen, die derzeit verbreitet werden? Hat der Haftbefehl negative Auswirkungen auf das Friedensabkommen zwischen dem Norden und dem Süden des Sudan? Nicht wirklich, es gibt auch keine handfesten Hinweise dafür, dass er das Voranschreiten des Friedensabkommens behindern wird. Keine der beiden wichtigsten Parteien in diesem Prozess, NCP und SPLM, haben ein Interesse an einem Scheitern des Friedensabkommens. Keine dieser beiden Parteien scheint abermals einen Krieg führen zu wollen und beide Seiten haben wirtschaftliche und politische Interessen an einer Teilung der Macht und des Vermögens. Es gibt in der Tat Bedrohungen für das Friedensabkommen, die dringend geklärt werden müssten, aber die meisten haben nichts mit dem IStGH zu tun.
Ist der IStGH eine neue Form -westlichen Imperialismus in Afrika, wie Baschir gern behauptet? Keineswegs. Afrikanische Staaten waren wichtige Unterstützer bei der Gründung des IStGH. Sie spielten nicht nur eine aktive Rolle bei den Verhandlungen über das Römische Statut, sondern 22 afrikanische Länder waren auch unter den ersten, die es ratifizierten. Von den 108 Mitgliedsstaaten des IStGH sind heute 30 aus Afrika. Während der letzten Wahl für den IStGH haben afrikanische Regierungen elf Kandidaten nominiert, und Afrikaner besetzen hohe Positionen im IStGH.
Die derzeitigen Ermittlungen finden zwar alle in Afrika statt, aber drei der vier Fälle wurden freiwillig an den Gerichtshof verwiesen, von den Regierungen der Länder, in denen die Verbrechen stattgefunden haben. Der vierte, Darfur, wurde vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen überwiesen. Das Gericht trifft seine Entscheidung, Ermittlungen einzuleiten, auf Grund verschiedener Faktoren, einschließlich der Schwere der Verbrechen und der Tatsache, ob sie in seinen Kompetenzbereich fallen. Die Handlungsvollmacht des Gerichtshofs erstreckt sich in erster Linie auf Verbrechen, die in Ländern begangen werden, die dem Römischen Statut zugestimmt haben. Zudem kann der Sicherheitsrat eine Situation an den Gerichtshof verweisen, und ein Land, das das Abkommen nicht ratifiziert hat, kann seine Instanz auch freiwillig akzeptieren.
Einige der schlimmsten Verbrechen seit 2002 wurden allerdings von Ländern begangen, die das Römische Statut nicht ratifiziert haben und somit außerhalb seiner Kompetenz stehen, wie Birma, der Irak oder Sri Lanka. Zugegebenermaßen ist dadurch die Landschaft äußerst uneben, in der das internationale Völkerrecht angewandt wird. Außerdem greift der IStGH ja nur dann ein, wenn die nationalen Gerichte schwerwiegende Verbrechen nicht selber strafrechtlich verfolgen. Trotzdem sollte Gerechtigkeit nicht vorenthalten werden, nur weil es politisch unmöglich ist, Gerechtigkeit für alle sicherzustellen. Vielmehr sollte die Rechenschaftspflicht ausgeweitet werden auf alle Orte, an denen schwere Verbrechen begangen werden. Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg.
Der Sudan hat lange geltend gemacht, dass er den IStGH nicht anerkennen muss, weil er das Römische Statut nicht unterzeichnet hat. Deshalb hat er schon vor zwei Jahren eine Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof abgelehnt, als dieser Ahmed Haroun und Ali Kosheib wegen Verbrechen gegen die Menschheit anklagte. Aber der Sudan irrt sich, denn auch wenn er das Römische Statut nicht unterzeichnet hat, so ist er laut Resolution 1593 des UN-Sicherheitsrats dazu verpflichtet, mit dem IStGH zusammenzuarbeiten. Dies nicht zu tun und das Gegenteil zu behaupten, ist genauso falsch wie die Ansicht der Bush-Regierung, dass -Guantánamo nicht unter internationales Völkerrecht fällt.
Verhöhnung der Strafjustiz
Bedeutet die Ausweisung der humanitären Hilfsorganisationen nun, dass die Kritiker Recht haben, die meinen, eine Strafverfolgung würde ohnehin nur den Opfern schaden, die jetzt noch mehr Elend erleiden müssen? Natürlich nicht. Schließlich ist es die sudanesische Regierung und nicht der Internationale Strafgerichtshof, die die katastrophalen Konsequenzen für die Menschen in Darfur schafft, indem sie humanitäre Unterstützung untersagt.
Laut internationalem Recht ist primär die Regierung des Sudan dafür verantwortlich, Schutz und humanitäre Hilfe für die mehr als vier Millionen vom Konflikt in Darfur betroffenen Menschen bereitzustellen. Wenn die Regierung eine solche Unterstützung nicht leisten will oder kann, so wie in Darfur, ist sie dennoch rechtlich dazu verpflichtet, unabhängigen und unparteiischen Hilfsorganisationen ungehinderten Zugang zu gewährleisten. Wenn sie bestimmten Bevölkerungsgruppen diese notwendige Hilfe verwehrt, kann dies eine unrechtmäßige Vergeltungsmaßnahme oder eine Form kollektiver Bestrafung darstellen, was wiederum gegen das Völkerrecht verstößt.
China, einer der wichtigsten Handelspartner des Sudan, und die Afrikanische Union sollten deshalb Khartum dazu drängen, die Ausweisungen unverzüglich aufzuheben. Wenn der Sudan dies nicht tut, sollten die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union und einzelne Regierungen schnell handeln und gegebenenfalls gezielte Sanktionen gegen Baschir und den Staatsminister für Humanitäre Angelegenheiten, Ahmed Haroun, verhängen.
Es ist ohnehin eine unglaubliche Ironie, dass der Leiter der Behörde, die humanitäre Hilfsorganisationen aus dem Land weist und so die Opfer noch mehr bestraft, selbst flüchtig ist und ebenfalls vom IStGH gesucht wird – wegen Verbrechen gegen die Menschheit. Anstatt Haroun auszuliefern und mit dem IStGH zusammenzuarbeiten, hat die sudanesische Regierung ihn auch noch zum Staatsminister für Humanitäre Angelegenheiten ernannt und damit den Bock zum Gärtner gemacht. Schlimmer kann man die internationale Strafjustiz wohl kaum verhöhnen.
MARIANNE HEUWAGEN ist Direktorin des Deutschland-Büros von Human Rights Watch.
Internationale Politik 4, April 2009, S. 76 - 81.