„Nicht vom Trump-Effekt abhalten lassen“
Warum Amerika trotz allem für deutsche Start-ups attraktiv bleibt
„America First“ lautet die Devise des US-Präsidenten. Und obwohl Donald J. Trump keinen Zweifel daran lässt, dass ausländische Investoren von ihm wenig Gutes zu erwarten haben, bleiben die USA für deutsche Gründer interessant. Mit Recht, meint Christian Rietz vom Digitalverband Bitkom: Nach wie vor spricht vieles für einen Start in den Staaten.
IP: Herr Rietz, laut einer Umfrage Ihres Verbands würden nur 15 Prozent der deutschen Gründer in die Vereinigten Staaten gehen, wenn sie den Standort ihres Start-ups noch einmal wählen könnten. Vor einem Jahr lag der Anteil mit 32 Prozent noch mehr als doppelt so hoch. Sie haben das den „Trump-Effekt“ genannt. Ist das eher eine psychologische Barriere oder steckt dahinter mehr?
Christian Rietz: Das hat natürlich derzeit vor allem mit Stimmungen zu tun. Man wartet erst einmal ab, weil man nicht weiß, wie man mit der jetzigen US-Regierung umgehen soll, was im Rahmen der neuen Politik noch alles kommt und was das für Start-ups und Technologieunternehmen bedeutet.
IP: Nichtsdestotrotz bleiben die USA mit weitem Abstand das wichtigste Land für deutsche Start-ups. Was macht Amerika so attraktiv?
Rietz: Die Staaten haben eine Reihe von Vorteilen, von denen Start-ups dort profitieren und die das Land auch attraktiv für Gründer aus anderen Ländern machen. Es gibt dort ganz andere Finanzierungsmöglichkeiten und eine ganz andere Finanzierungsmentalität – gerade, wenn es darum geht, junge, aufstrebende Unternehmen zu fördern. Das bietet auch große Chancen, Netzwerke vor Ort zu knüpfen, wie wir sie bei uns nicht haben. Dazu kommt ein riesengroßer Binnenmarkt mit nur einer Sprache.
IP: Wenn wir uns die Unternehmer anschauen, die es in die Vereinigten Staaten zieht: Wie sieht der typische Gründer – oder die typische Gründerin – aus? Aus welchen Branchen kommen sie?
Rietz: Den typischen Gründer gibt es nicht, weder in den USA noch in Deutschland. Der Anteil von Frauen ist insgesamt leider noch viel zu gering. Ansonsten sind es viele, die aus dem Studium heraus gründen, weil es da relativ einfach ist, potenzielle Mitgründer kennenzulernen. Dann gibt es vereinzelt auch den Typ Gründer, der die Schule abgebrochen hat und direkt durchgestartet ist. Wir haben aber auch den Gründer, der älter als 45 ist, aus einem abgesicherten beruflichen Umfeld kommt und nochmal einen komplett anderen Lebensweg einschlägt. Die Branchen sind sehr vielfältig. Man sieht sowohl Geschäftsmodelle, die sich an den Endkonsumenten richten, als auch solche, die sich an Unternehmen wenden – Plattformen, Datenanalysen, aber auch Kollaborations-Tools, mit deren Hilfe sich Arbeitsabläufe effizienter gestalten lassen. Die Vorteile in den USA liegen darin, dass man zum einen viele große Unternehmen vor Ort hat, die man als Kunden gewinnen kann, und zum anderen einen riesigen Markt vor der Haustür vorfindet, den man mit den sogenannten Endkunden-Produkten wie Spielen bedienen kann.
IP: Die meisten Gründer dürfte es wohl nach wie vor in die drei großen Hotspots Silicon Valley, New York und Boston ziehen. Oder gibt es da mittlerweile neue Standorte? Austin/Texas etwa gilt als ausgesprochen interessantes Zentrum für Start-ups, gerade im Musikbereich.
Rietz: Wenn man die Unternehmenskarte insgesamt betrachtet und sich anschaut, wo die Investoren sitzen, dann bleibt es beim absoluten Schwerpunkt auf die genannten Orte der West- und Ostküste. Man darf aber trotzdem nicht den Fehler machen, den amerikanischen Markt auf die „Großen Drei“ zu reduzieren. Es gibt, wie in Deutschland oder anderen europäischen Ländern, immer wieder andere kleinere Hotspots, kleinere Ökosysteme. Austin mit seinem „South by Southwest“-Festival, bei dem sich jedes Jahr mehr deutsche Start-ups zeigen, spielt ohne Frage eine wichtige Rolle.
IP: Welche Rolle spielt die Bürokratie bei der Entscheidung, Deutschland zu verlassen und in den USA zu gründen?
Rietz: Eine große – und dabei geht es nicht um die klassische Klage über zu viel Bürokratie, die einfach nervt. Gerade für Start-ups, die schnell sein müssen, kann die Bürokratie das Geschäftsmodell zerstören. Aber eben auch innovationsfeindliche Regulierung. Nehmen wir das Beispiel Gesundheit. Vor einiger Zeit bot ein Start-up in Deutschland Online-Video-Sprechstunden und Fernbehandlungen an. Die konnten bei uns aufgrund der lähmenden regulatorischen Bedingungen nicht Fuß fassen und sind dann nach New York gegangen und da durchgestartet – mit einer Plattform für die Arzt-Patienten-Kommunikation. Das heißt nicht, dass man jetzt denken sollte, in den USA könne man ohne jede Barriere machen, was man will. Aber in Deutschland gibt es doch viele stark regulierte Sektoren wie etwa die Gesundheit, den Energiemarkt oder den Finanzmarkt, wo die Möglichkeiten in den USA für junge Wachstumsunternehmen deutlich besser sind.
IP: Sprechen wir mal über die Unternehmer, die sich nicht in den USA durchsetzen – was machen die Ihrer Erfahrung nach falsch?
Rietz: Ein Start-up, das sich nicht durchsetzt, macht nicht unbedingt etwas falsch. Start-up und Scheitern gehört zusammen, es geht ums Wagen, ums Ausprobieren. Das ist in Deutschland nicht anders als in den Staaten, und ich glaube, dass die USA und damit auch der amerikanische Markt oft ein wenig heroisiert werden. Man kennt natürlich jede Menge Erfolgsgeschichten von Unternehmen, die sehr groß geworden sind – vor allem sehr schnell sehr groß geworden sind – und auch ausgesprochen hoch bewertet werden. Aber daneben stehen Hunderttausende von Gründungen, die es nicht geschafft haben. Wie kann ich als deutscher Gründer meine Chancen in den USA verbessern? Ich muss den Markt vorab kennen – schon aufgrund seiner schieren Größe. Ich sollte mich im Vorfeld in meinem Netzwerk schlau machen, wer mir persönliche Beziehungen zu den entscheidenden Leuten vor Ort vermitteln kann. Und dann ist da noch das Thema Geschwindigkeit. Wenn ich einen Markt dieser Größe in Angriff nehme, dann muss ich relativ schnell gut sichtbar werden. Auf gut Glück und etwas naiv dahin zu gehen, ohne die richtigen Leute zu kennen – das wird selten funktionieren.
IP: Ist das nicht aber auch etwas, das deutsche Unternehmer von Amerika lernen können: den Gedanken zu akzeptieren, dass man vielleicht erst einmal scheitern muss, bevor man Erfolg hat?
Rietz: Ja, absolut. Gerade in den USA gibt es Beispiele für große Tech-Unternehmer, die ein, zwei gescheiterte Versuche unternommen haben, aber dann beim dritten Versuch durch die Decke gegangen sind. Natürlich gibt es die ewig Erfolglosen, aber auch da muss man genauer schauen, ob der Gründer nicht in die Branche passt, ob er nicht die richtigen Leute um sich geschart hatte oder ob er am Ende auch einfach nicht die richtige Idee hatte. Es ist ein Klischee, aber eines, das zutrifft – man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Wer etwa vor 20 Jahren die grandiose Idee hatte, Filme über das Internet zu verbreiten, der war seiner Zeit einfach voraus, weil es die technischen Voraussetzungen wie schnelles Internet und Smartphones noch nicht gab.
IP: Das, was Sie den Trump-Effekt nennen, müssten Sie als Branchenverband ja grundsätzlich mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehen, denn es wirkt sich im Zweifel positiv auf den Standort Deutschland aus.
Rietz: Wir dürfen uns durch das möglicherweise zurückgehende Interesse an Ländern wie den USA nicht davon ablenken lassen, dass wir selbst noch enorm viel zu tun haben, um der Start-up-Szene das Leben einfacher zu machen. Das fängt bei der Bürokratie an und hört bei den regulatorischen Hürden noch lange nicht auf. Da ist etwa der Kampf um Talente. Wir brauchen ausländische Fachkräfte, weil die unglaublich viel Know-how in unsere Unternehmen bringen. Außerdem herrscht in Deutschland ein enormer Fachkräftemangel, besonders in der IT, auch bei Start-ups. Deutschlandweit haben wir zurzeit nicht weniger als 51 000 offene Stellen im IT-Bereich. Gerade die Start-ups, mit denen wir sprechen, haben erhebliche Probleme, ihre Entwicklerstellen zu besetzen. Und so bemüht man sich natürlich, diese Stellen auch mit außereuropäischen Fachkräften zu besetzen.
IP: Andere Länder spielen Ihrer Umfrage zufolge keine große Rolle für deutsche Start-ups. Oder doch?
Rietz: Israel bleibt ein spannender Standort für Start-ups. Dazu, in immer stärkerem Maße, Asien, auch wenn die kulturellen Unterschiede da noch bedeutsamer sind. Und natürlich Europa. Viele Start-ups würden grundsätzlich gerne in Europa gründen, wenn sie dadurch den kompletten Markt zur Verfügung hätten und so konkurrenzfähiger zu den größeren Märkten auf der Welt wären. Wenn es allerdings darum geht, einen europäischen digitalen Binnenmarkt zu schaffen, dann hinken wir immer noch hinterher. Das begrenzt die Möglichkeiten, ein erfolgreiches Geschäftsmodell auf Europa auszudehnen. Es fängt schon beim Datenschutz an, obwohl wir eine europaübergreifende Datenschutz-Grundverordnung haben. Allein in Deutschland gibt es in 16 Bundesländern 16 Datenschutzbeauftragte! Ich müsste mich also nochmal mit Landesaufsichtsbehörden herumschlagen, nicht nur in Deutschland.
IP: Was raten Sie deutschen Start-up-Unternehmern, die heute zu Ihnen kommen und die Idee haben, in den USA zu gründen?
Rietz: Das Wichtigste ist, dass man sich von der politischen Situation in den Staaten nicht abschrecken lassen sollte. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass viele erfolgreiche Gründer sich nicht wegen, sondern trotz einer bestimmten Politik oder ganz ohne politische Unterstützung durchsetzen konnten. Das sieht man in Deutschland im Kleinen. Da entstehen an vielen Orten Ökosysteme – auch Berlin ist dafür ein ganz gutes Beispiel –, an denen die Politik gar nicht so viel Anteil hat. Für den einen oder anderen mag das psychologisch nicht ganz einfach sein, weil man unsicher ist, was da noch kommt. Aber ich glaube, wenn man den Plan längst in der Tasche hatte, in die Staaten zu gehen, und über ein gutes Netzwerk verfügt, dann sollte man sich nicht allzu sehr vom Trump-Effekt abhalten lassen. Die Möglichkeiten bleiben weiterhin sehr vielfältig und vielversprechend.
Das Interview führten Uta Kuhlmann und Joachim Staron.
IP Wirtschaft 3, November 2017 - Februar 2018, S. 48 - 51