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01. Aug. 2005

Neudeutscher Wilhelminismus

Die UN-Politik der Bundesregierung war völlig verfehlt

Mit tölpelhaftem Auftreten, falschen Verbündeten und einem Mangel an Strategie versuchte die rot-grüne Regierung, einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erringen. Damit verärgerte sie die USA und schwächte das Bemühen der Europäer um eine gemeinsame Außenpolitik. Dabei ist ein größeres Engagement Deutschlands für die Vereinten Nationen erwünscht – aber im europäischen Verbund und mit viel mehr Taktgefühl.

Alles fing so selbstsicher an: „Das Ende der Nachkriegszeit“ sei erreicht, bekundete Bundeskanzler Schröder. Der Sicherheitsrat müsse sich den neuen weltpolitischen Wirklichkeiten anpassen und das „neue“ Gewicht Deutschlands in Bosnien, Kosovo und Afghanistan endlich mit dem ständigen Sitz im Sicherheitsrat krönen: „Wir übernehmen, und wir haben das bewiesen, auch militärische Verantwortung dort, wo das zum Schutz und zur Sicherung des Friedens und des Überlebens von Menschen in Würde unumgänglich ist. Deutsche Soldaten arbeiten zum Beispiel im Afghanistan und auf dem Balkan ... Wer in dieser Weise aktiv ist, der hat auch das Recht auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat.“1

Selbstbewusst erklärt auch Außenminister Fischer: „Wir sehen doch, welches Gewicht unser Land hat. Manche haben uns für irrelevant erklärt. Das Gegenteil ist der Fall. Deutschland ist so relevant wie nie zuvor: geachtet, unsere Soldaten sind weltweit im Einsatz, keine Furcht mehr verbreitend, sondern Hilfe zum Wiederaufbau, zur Sicherung, zur Sicherheit im UNO-Auftrag anbietend.“2 Auch das deutsche Eintreten für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und für eine Intervention in der sudanesischen Krisenprovinz Darfur wie auch die permanent hohen deutschen finanziellen Jahresbeiträge für die UN unterstützen Deutschlands Anliegen.3

Die internationale Konstellation schien deshalb für eine Bewerbung im UN-Sicherheitsrat günstig, die Argumente stichhaltig. Gemeinsam ist man noch stärker – also schloss Deutschland sich mit Brasilien, Japan und Indien als G-4 in dem Wunsch zusammen, die ständige Mitgliedschaft im Rat anzustreben. Er soll um sechs ständige Mitglieder auf elf erweitert, die Zahl der nichtständigen Mitglieder von 10 auf insgesamt 14 erhöht werden.

Doch nach etwa zwei Jahren intensiver Aktivitäten scheinen Deutschland und seine Mitstreiter diesem Ziel nicht näher gekommen zu sein. Ihr Vorschlag findet immer weniger Gehör und Zustimmung. Eher polarisiert er die Vereinten Nationen zunehmend. Die G-4 werben weiter unverdrossen um Verbündete und bei den fünf ständigen Mitgliedern um Zustimmung. Gleichzeitig formieren sich in den UN, im Sicherheitsrat und weltweit Kritik und mächtige Gegenallianzen. Es sieht so aus, als würde die Abstimmung über die Ratserweiterung in der Vollversammlung – sollte sie stattfinden – kaum die erforderliche Zweidrittelmehrheit von 128 der 199 UN-Mitgliedstaaten erreichen. Warum? Was sind die Gründe für die Fehlentwicklungen deutscher UN-Politik?

Aufstand der Gegenmächte

Vor allem die Gruppe „vereint im Konsens“, salopp „Kaffeeclub“ genannt, legte einen Gegenentwurf vor. Unter der Führung Italiens schmieden China, Argentinien, Kanada, Mexiko, Pakistan, Südkorea und andere schlagkräftige Gegenallianzen. Viele Staaten fühlen sich durch den Vorstoß der G-4 machtpolitisch herausgefordert. Vor allem Italien macht Deutschland das Streben nach einem ständigen Sitz schwer. Pakistan möchte die rivalisierende Atommacht Indien nicht als ständiges Mitglied im Rat sehen, Argentinien und Mexiko opponieren gegen Brasilien und Südkorea gegen die einstige Kolonialmacht Japan. China will den Erzrivalen Japan ebenfalls draußen halten.

Im Juli zeichnete sich auch ab, dass die G-4 nicht wie erhofft mit der geschlossenen Unterstützung der 53 afrikanischen Staaten rechnen kann. Vielmehr blockiert die Afrikanische Union (AU) die Strategie der G-4 durch abenteuerliche Forderungen wie dem sofortigen, kompromisslosen und gleichberechtigten Vetorecht im Sicherheitsrat. Afrika habe lange genug unter Kolonialismus und Rassismus gelitten und wolle nicht auch noch im Sicherheitsrat als Mitglied zweiter Klasse behandelt werden, heißt es auf dem Schwarzen Kontinent.

Algerien kündigte ein eigenes Konzept der AU an, das sich vom Vorschlag der G-4 radikal unterscheiden werde. Nigeria, Südafrika, Ägypten und andere Staaten rivalisieren so heftig um die zwei ständigen Sitze, dass eine innerafrikanische Einigung aussichtslos erscheint. Die jüngsten diplomatischen Vermittlungsversuche zwischen G-4 und AU machen wenig Hoffnung auf eine gemeinsame schlagkräftige Strategie. Allen drei Vorschlägen der G-4, des „Kaffeeclubs“ und der Afrikaner ist jedoch gemeinsam, dass sie eine national-kontinentale Repräsentation alten Stils im Sicherheitsrat fordern. Eine Reform „von unten“ ist zweitrangig, erst möchten sie die eigene Machtposition von oben festigen. Diese Haltung überzeugt die Mehrheit der UN-Mitglieder immer weniger. Vielmehr gewinnt das Argument derjenigen an Schwung, die, wie vor allem die USA, eine „bottom-up“-Reform, also umfassende Strukturänderungen für die UN bevorzugen und die Reform des Sicherheitsrats ans Ende setzen wollen.

Doch die Gegensätze gehen noch tiefer: Die USA bzw. die fünf ständigen Mitglieder wollen ihre exklusive und herausragende Rolle im Ständigen Rat erhalten. Sie sehen die Vereinten Nationen als Forum, in dem die nationalen Interessen der knapp 200 Mitglieder möglichst gleichgewichtig unter dem Schirm der fünf ständigen Mitglieder austariert werden sollen. Deutschland bzw. die G-4 möchten dagegen die exklusive Vorherrschaft der fünf ständigen Ratsmitglieder mindern, vor allem die der USA, aber selbst „member of the club“ werden. In neureicher Manier – aber in Wirklichkeit pleite – glaubt Berlin, mit Geld und forschem Auftreten ans Ziel zu gelangen. Doch wer so handelt, durch Unzuverlässigkeit aufgefallen ist, und – wie in der Irakkrise – die UN mit der Obstruktion aller möglichen Maßnahmen gegen Saddam Hussein schwächte, der gilt als unsicherer Kantonist.

Vor diesem Hintergrund wurden die USA zum zentralen Gegner der Reformvorschläge der G-4. Folglich erleben Deutschland, Brasilien, Japan und Indien seit dem amerikanischen „Nein“ einen diplomatischen Rückschlag nach dem anderen. Weltweit, vor allem aber in Europa und unter den ständigen Ratsmitgliedern wird der deutsche Vorschlag offen kritisiert. Die Volksrepublik China bewertet ihn als willkürlich, ohne Verankerung in einem Reformpaket und auf gefährliche Weise dazu geeignet, das Haus zu spalten und den gesamten Prozess der Gespräche über eine UN-Reform aus der Bahn zu werfen, so Chinas UN-Botschafter in New York. Er sprach sich für das Alternativmodell der Italiener mit einer wechselnden und zeitlich begrenzten Erweiterung der Sitze aus. Präsident Putin, der noch bei seinem Treffen mit Schröder und Chirac am 3. Juli in Königsberg Deutschlands Streben nach einem ständigen Sitz ausdrücklich befürwortete, will den Rat jetzt „nicht in einen Debattierclub verwandelt“ sehen. Bundeskanzler Schröders Politik der Umarmung des kommunistischen Chinas hat sich also ebenso wenig ausgezahlt wie seine unkritische Annäherung an die russische Präsidialdiktatur. Vorsicht, Mantafahrer!

Deutschlands Chancen sinken drastisch. Wo liegen die zentralen Versäumnisse?

  • Die rot-grüne Bundesregierung setzt allein auf die Reform des Rates. Damit verschärft sie bzw. die Gruppe der G-4-Staaten die Gegensätze zur Mehrheit der UN-Mitglieder, die eine „bottom up“-Reform unter Führung der USA favorisieren, was auch von Generalsekretär Kofi Annan begrüßt wird. Die machtpolitische Brachialstrategie der G-4 zur Durchsetzung eigener nationaler Interessen verringerte die Chancen und förderte die Bildung einer Gegenmacht innerhalb der UN, weltweit, und vor allem in Europa.
  • Die deutschen Ambitionen brachten die Europäer, aber auch viele Staaten der Welt gegen Deutschland auf, weil eine dritte europäische Macht im Sicherheitsrat den eigenen Forderungen der G-4 nach gerechter kontinentaler Repräsentation widerspricht, ja die Ungleichgewichte vergrößerte.
  • Die Forderung nach einem nationalen Sitz ist anachronistisch und steht im Gegensatz zur ursprünglichen rot-grünen Koalitionsabsprache.
  • Die völlige Fehleinschätzung der USA frappiert besonders. Die diplomatische Höflichkeit aus Washington machte zunächst Hoffnung in Berlin. Unter Kennern war aber klar, dass sie eher als „Nein“ zu interpretieren war. Die USA hatten sich in der Debatte um die Ratsreform erstaunlich lange zurückgehalten. Doch mussten Außenminister Fischer und Bundeskanzler Schröder spätestens bei ihrem USA-Besuch im Sommer den Eindruck gewinnen, dass sie auf Unterstützung nicht mehr rechnen können. Die Schärfe der Kritik aus Washington mochte überraschen. Doch zwang das robuste, ja machtversessene Drängeln der Deutschen die USA förmlich zur Absage. Die rot-grüne Bundesregierung hat sich die USA durch ihr unkluges Verhalten erneut zum zentralen außenpolitischen Gegner gemacht. Hatte Deutschland zur Zeit des Kalten Krieges an der Seite der Amerikaner die Sowjetunion eingedämmt, so wird nun mit Verwunderung regis-triert, dass sich das neue Deutschland an der Seite Russlands, Chinas und Frankreichs um die Eindämmung amerikanischer Macht bemüht.
  • Nach dem offenen „Nein“ der Amerikaner atmen die ständigen Ratsmitglieder, vor allem Frankreich und England auf. Sie müssen es sich mit Deutschland nicht mehr öffentlich verderben. Aber ihr Wunsch, Deutschland und andere Staaten aus dem exklusiven Klub fernzuhalten, hat sich erfüllt.
  • Das „Nein“ des Europäischen Parlaments in Straßburg zeigt, dass die europäischen Parlamentarier kein drittes europäisches Land, sondern die EU im Sicherheitsrat wünschen. Berlins UN-Politik schwächt das Bemühen der EU um eine gemeinsame europäische Außenpolitik und eine gestärkte Rolle Europas in der Welt. In Straßburg befürchten viele sogar eine Abkehr von der traditionell europafreundlichen Außenpolitik Deutschlands.
  • Deutschland wurde durch falsche Partnerwahl in ungewohnte nationale und kontinentale Rivalitäten verwickelt, wie umgekehrt die UN-Politik Indiens, Japans und Brasiliens durch die Kritik an Deutschlands Verhalten geschwächt wurde. Die G-4 ist eine Koalition, in der sich die Schwächen potenzieren. Hätte sich Deutschland von Anfang an zum Fürsprecher eines europäischen Sitzes gemacht, wäre es nicht in diese Sackgasse geraten. Doch einmal an Brasilien, Indien und Japan gekettet, musste Deutschland die negativen Folgen mittragen, ohne Vorteile erzielen zu können.
  • Aus Berlin gab es kein kritisches Wort zu den skandalösen Zuständen in der Menschenrechtskommission oder zur Korruption im UN-Hauptquartier. Stattdessen hat die rot-grüne Bundesregierung die UN ständig zu einem völkerverständigenden Heiligtum hochstilisiert. Eine nüchterne Einschätzung wäre besser gewesen als idealistische Augenwischerei.
  • Anders als Japan oder Indien ist Deutschland keine Macht von morgen, sondern angesichts wirtschaftlicher und politischer Probleme ein Staat von gestern. Der Anteil am Welthandel sinkt, der Umfang der Streitkräfte und die Bevölkerungszahlen ebenfalls. Als schrumpfendes Land mit wachsenden Ambitionen hätten die Ansprüche auch in der UN-Politik bescheidener ausfallen müssen. Stattdessen gerierten sich die deutschen Politiker wie „Mantafahrer der deutschen Außenpolitik“4
  • Der deutsche Alleingang war so überflüssig wie kostenreich, und er gefährdet wichtigere Ziele und Interessen deutscher Außenpolitik – wie die Verbesserung der Beziehungen zu den USA und die europäische Einigung. Bei der Konzentration auf ein drittrangiges Ziel wurden vorrangige Interessen gefährdet. Zum Zerschlagen von Porzellan braucht man offensichtlich keine Elefantenstatur. Berlin versuchte den mutigen Panthersprung, landet aber als moralisierender Besserwisser ohne jede Machtstrategie. In New York geht es nicht um militärische Exitstrategien, sondern um politische Eingangsstrategien. Wer in den Sicherheitsrat will, muss auch wissen, wie er hineinkommt: Jedenfalls nicht durch Konfrontation mit der stärksten Weltmacht, sondern eher durch die Fähigkeit zur geschickten Anpassung.

Dead Man Walking

Wie hätten die Alternativen für eine erfolgreiche UN-Politik aussehen können? Berlin hätte sich klar für eine Gemeinschaftsstrategie, dann für einen gemeinsamen europäischen Sitz und schließlich eine entsprechende Strategie mit Rückhalt aller Europäer und europäischer Institutionen entscheiden müssen. Doch nichts passte zusammen. Berlins Ziel war zu ambitiös, die Diplomatie zu plump. Man wirbt nicht für sich selbst, sondern lässt mächtigen Fürsprechern den Vortritt, wie Bundeskanzler Kohl klar erkannt hatte. Deshalb blieb der Wunsch des Auswärtigen Amtes nach einem ständigen Sitz, mit dem sich schon Außenminister Kinkel totlief, unerfüllt. Es erstaunt, dass im Auswärtigen Amt so wenige Fürsprecher für eine geschmeidige und zukunftsweisende Diplomatie im Namen Europas zu finden waren. Im Gegenteil. Staats-sekretär Gunter Pleuger wirkte bisweilen wie berauscht vom eigenen Erfolg. Aber nicht nationalpolitische Forderungen nach einem Platz an der Sonne im Sicherheitsrat, gefordert in tölpelhafter Manier eines neudeutschen Wilhelminismus, sondern Gemeinschaftsdiplomatie und Bescheidenheit müssen Vorrang genießen. Die Schweiz hat sich in kürzester Zeit Respekt in den Vereinten Nationen verschafft, weil sie eine sachpolitische Reform vorantreibt, die anachronistische Menschenrechtspolitik der UN auf den Kopf stellt und dies mit großer Umsicht verfolgt. Hätte sich Deutschland nach dem Vorbild der Schweiz verhalten, wäre eine Ratsmitgliedschaft langfristig möglich gewesen – aber im Namen und Auftrag Europas als Ausdruck einer dringend notwendigen verantwortungsbewussten Gemeinschaftspolitik. Die Forderung nach einer Zivilmacht Europa hätte ihre schlüssige Ergänzung in der Forderung nach einem ständigen Sitz für Europa gehabt. Dies muss die Leitlinie für die Zukunft werden.

Die unverzichtbare Bedeutung der USA für die deutsche Außenpolitik muss auch in Berlin wieder erkennbar werden. Nicht die Berauschung am eigenen Gutmenschentum, sondern die Rückkehr zu nüchterner Interessenpolitik tut Not. Berlin hätte die verunglückte Konfrontation der vergangenen Jahre mit Washington durch eine kluge UN-Politik ad acta legen und gemeinsam mit Washington eine „Partnership in Leadership“ praktizieren können.

Deutschland kann und muss mehr Verantwortung in den Vereinten Nationen übernehmen, aber das Engagement sollte sachpolitisch ausgeweitet werden. Der unfreiwillige Misserfolg bei der Suche nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat könnte dabei die Entscheidungsfreiheit deutscher UN-Politik erhöhen. Jetzt könnte die Zeit für einen Neuanfang genutzt werden, weitsichtig, kooperativ und bescheiden im Stile der UN-Diplomatie der alten Bundesrepublik neue Handlungsspielräume wieder zu gewinnen. Diese Politik wirkte ausgleichend und hat Deutschland bis in die neunziger Jahren hinein weltweites hohes Ansehen verschafft. Außenminister Hans-Dietrich Genscher hatte sich niemals mit eigenen Konzeptionen in der UN exponiert, sondern war immer bemüht, rivalisierende Positionen der wichtigsten Akteure klug zu analysieren, ja zu antizipieren, um dann mit Vermittlungsstrategien möglichst viele Partner zu gewinnen. Diese erfolgreiche Politik steht bis heute im krassen Gegensatz zu dem neudeutschen Wilhelminismus von Rot-Grün.

Die deutsche Interessenstruktur sollte in diesem Sinne wieder hergestellt werden. Eine solche alternative und zugleich bewährte Politik würde Deutschlands Handlungsspielraum insbesondere mit Blick auf Mittel- und Osteuropa wieder vergrößern, vor allem wenn Berlin sich endlich von Frankreichs Rockzipfel lösen würde. Nicht Deutschlands Emanzipation von den USA, sondern von Frankreich ist dringend notwendig. Kluges Abwarten in den Vereinten Nationen mit Blick auf die eigenen, d.h. europäischen Aspirationen wäre nicht als Desinteresse missverstanden worden, sondern als intelligente Ausgangsposition einer langfristigen Strategie.

Auch beim Eintreten für einen europäischen Sitz im Sicherheitsrat wäre Deutschland gescheitert, aber dann in Würde und mit dem Rückhalt der Europäer. Deutschland hätte sich im Namen Europas als europäische Zentralmacht verdient gemacht, den Druck auf Frankreich erhöht, seine Beziehungen zu den USA verbessert und zugleich Europa wieder transatlantisch verankert. Deshalb wurde die große Chance verpasst, sich als europäisches Deutschland zu positionieren. Dann hätte Rot-Grün eine ausgleichende und beschützende Rolle für Deutschland als Zentralmacht Europas wieder belebt. Aber der neue, von vielen Anhängern der rot-grünen Regierung gefeierte machtpolitische Auftritt Deutschlands auf der Weltbühne ist ebenso gescheitert wie Berlins Wunsch, den Vereinigten Staaten endlich auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Deutschlands Platz ist nicht in der Champions League, nicht einmal in der Bundesliga der Weltpolitik, weil die wichtigsten innenpolitischen Voraussetzungen für ein Spiel auf weltpolitischer Ebene fehlen. Schröder und Fischer haben den Trend zur Selbstüberschätzung und gleichzeitigen Provinzialisierung deutscher Außenpolitik gefördert. Erstaunlicherweise stößt die deutsche Außen- und UN-Politik kaum auf Kritik in Deutschland, weil man hier seit Jahren zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist. Doch im Ausland beobachtet man Deutschland genau: Wer wie Rot-Grün unfähig ist, die internen Probleme zu lösen, wird international nicht für voll genommen. Wer wie Deutschland Regeln für gemeinschaftliches Handeln verabschiedet, dann aber diese wie beim europäischen Stabilitätspakt Jahr für Jahr verletzt, dem fehlt Verlässlichkeit und Verantwortungsbewusstsein.

Angesichts der wachsenden Lücke zwischen außenpolitischer Ambition, fehlender innenpolitischer Basis und zunehmender Kritik des Auslands sucht die politische Führung in Berlin ihr Heil in Alleingängen, die dann oft in peinlichen Rückzugsmanövern enden.

Gibt es eine Alternative für Deutschland zwischen überambitionierter Führungsrolle und verantwortungsloser Trittbrettfahrerei in den Vereinten Nationen? Nein. Aber es gibt einen dritten Weg: In der Tradition der alten Bundesrepublik sollte Berlin wieder ausgleichend und integrierend wirken. Wilhelminisches Abenteurertum als Emanzipation von bewährter Außenpolitik, auch in den UN, zu beschreiben, grenzt an Realitätsblindheit. In Wirklichkeit ist der deutsche UN-Botschafter in New York politisch ein „dead man walking“. Doch die Verantwortung für sein Tun tragen Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer, die für die Folgen dieser Politik wohl bald nicht mehr gerade stehen müssen. Zukunftsorientierte deutsche Außenpolitik war das nicht.

1 Bundeskanzler Schröder am 27.6.2005 vor der Chamber of Commerce in Washington.

2 Außenminister Fischer in der Stuttgarter Zeitung, 20.8.2003.

3 Als drittgrößter Beitragszahler mit einem Anteil von 8,6% am Jahreshaushalt der UN, nach den USA (22%) und Japan (19,4%) und damit also noch vor den vier weiteren ständigen Mitgliedern wie Großbritannien (6,1%), Frankreich (6%), China (2%) und schließlich Russland (1,1%), zielte diese Forderung wahrlich nicht ins Leere.

4 Thomas Kleine-Brockhoff: Weniger Menschen, weniger Soldaten: Wir Deutschen sind keine Macht von Morgen, Die Zeit, 19.5.2005.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 8, August 2005, S. 56 - 61

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