IP

01. Jan. 2009

Napoleons Nachfolger

Europa vor der tschechischen Ratspräsidentschaft

Lissabon, Georgien, Finanzen: Gleich drei Krisen boten Nicolas Sarkozy die Gelegenheit, einen imperialen EU-Führungsstil zu entwickeln. Kein leichtes Erbe für Tschechien. Zumal es an Problemen weiter nicht fehlen wird – und der deutsch-französische Motor ins Stottern geraten ist.

Frankreich

Die französische Ratspräsidentschaft war leise angetreten, um fulminant abzutreten. Eigentlich hatte man eine bescheidene Agenda vorgesehen: hier ein bisschen ESVP, da ein bisschen GAP-„Health-Check“, ein Pakt für Migration, die Fortführung der EU-Klima- und Energiepolitik. Noch im Frühjahr hatte man das Gefühl, die Franzosen suchten ihr Thema, etwas, womit sie würden punkten können. Und dann kam alles ganz anders. Gleich drei Krisen – Lissabon, Georgien und Finanzen – warfen die Planung über den Haufen und gaben Nicolas Sarkozy, sichtlich zu dessen Gefallen, die Gelegenheit, einen wahrlich imperialen EU-Führungsstil zu entwickeln.

„Gut gemacht“, wird es in den Geschichtsbüchern heißen. Sarkozy ist es zu verdanken, dass der Krieg in Georgien nicht eskaliert ist. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er eine völlige Spaltung der EU in der Russland-Frage verhindert hat. Mit seiner Tatkraft gelang es ihm in Rekordzeit, den G-20-Gipfel  aus dem Boden zu stampfen. Wo immer man hinschaute, Frankreich zauderte nicht, Frankreich handelte. Man kann von Glück reden, dass die drei Krisen in die französische Präsidentschaft fielen; manches kleinere EU-Land wäre überfordert gewesen.

Doch die Starallüren, der imperiale Führungsstil haben auch geschadet: Frankreich selber, dem deutsch-französischen Tandem und damit wahrscheinlich auch – zumindest auf mittlere Sicht – der gesamten EU. Dem aus Frankreich schallenden „L’Europe, c’est moi“ hatte lange Zeit niemand so richtig etwas entgegenzusetzen: Mittelmeer-Union, französische Rückkehr in die NATO, europäische Wirtschaftsregierung, so manche eilfertig vorgetragene Idee schluckte man und wartete dann ab, bis die Nebelleuchte verblasst war. Deutschland hat lange Zeit höflich und zurückhaltend zugesehen, wie Sarkozy sich zur „Must-go“-Person in Europa aufschwang. Doch gegen Ende riss der deutsche Geduldsfaden.

Schlägt Deutschland heute mehr denn je nationale Töne an, weil es die französische Großspurigkeit nicht mehr erträgt? Oder umgekehrt? Deutschland und Frankreich zerreiben sich in kleinlicher Konkurrenz, dem Tandem ist das europäische Projekt abhanden gekommen; es führt nicht mehr. Dieses Vakuum, diese Ziellosigkeit: Aus diesen Gründen wird die EU womöglich ihre Zukunft verschlafen.

Tschechien

Früher als alle anderen wird das kleine Tschechien die Kopf- und Führungslosigkeit der EU zu spüren bekommen – und ihr kaum etwas entgegensetzen können. Die Niederlage der konservativen Regierungspartei bei den Regionalwahlen im Oktober lässt die Regierung schwächeln, und Präsident Václav Klaus, nationalistisches Urgestein der unangenehmen Sorte, hat bereits angekündigt, dass er sich „einmischen“ werde. Es passt wie die Faust aufs Auge, dass Sarkozy hat anklingen lassen, als Präsident der Euro-Gruppe weiter im Zentrum der Europa-Politik bleiben zu wollen. Soll hier wirklich ein Staffelstab übergeben werden?

Was man daher von Tschechien erwarten darf, ist noch unklar. Es ist ein kleines, eher unerfahrenes, eher europakritisches Land, das zudem mit der Bürde zu kämpfen haben wird, Europa einen Schritt näher an eine Lösung der Lissabonner Vertragskrise heranführen und die EU in wirtschaftlich katastrophalen Zeiten über die Hürde der Wahlen zum Europäischen Parlament hieven zu müssen. Und das alles ganz ohne eine wohlwollend-unsichtbare deutsch-französische Hand im Hintergrund. Im Gegenteil.

Die Tschechen haben zwei Prioritäten: erstens klare Akzente mit Blick auf die östliche Dimension der EU, also  die Wiederbelebung der polnisch-schwedischen Pläne vom vergangenen März, die mehr Engagement im Osten der EU fordern. Gemeint sind Initiativen – etwa in Sachen Visa, Handel oder vertragliche Anbindung – für Georgien, die Ukraine oder auch Armenien. Dass Sarkozy das Projekt einer „OSZE II“ in Vorwegnahme tschechischer Ideen schon angekündigt hat, stieß in Tschechien auf Missfallen.

Zweitens will Tschechien Akzente für die transatlantische Partnerschaft setzen. Im Juni findet der EU-USA-Gipfel statt. Wenn es einer Trendwende im transatlantischen Verhältnis bedarf, dann ist das der richtige Zeitpunkt. Allein, ob das eher proamerikanische und Russland-skeptische Tschechien hier immer den Ton treffen wird, den Deutschland oder Frankreich wählen würden, ist fraglich. Und ob die Tschechen von Paris und Berlin viel Unterstützung bekommen werden, wenn sie das nicht tun, ebenfalls. Da Deutschland im Herbst wählt, ist auch zu bezweifeln, ob deutsche Ohren überhaupt auf europäischem Empfang stehen. Das alles macht die Staffelübergabe holprig. Zu wünschen wäre, dass der Lissabonner Vertrag bald in Kraft tritt und derlei nicht mehr notwendig macht. Die europäische Agenda wäre etwas weniger fragil und willkürlich.

ULRIKE GUÉROT leitet das Berliner Büro des European Council on Foreign Relations.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2009, S. 104 - 106.

Teilen