Porträt

24. Febr. 2025

Namibias nicht ganz so Neue

Netumbo Nandi-Ndaitwah wird das südafrikanische Land als erste Frau führen, doch eine Unbekannte ist sie hier nicht, im Gegenteil. Dass „NNN“ seit Jahrzehnten Teil der Regierung ist, lässt viele an dem Neustart zweifeln, den man so sehr bräuchte.

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Bild: Namibias kommende Präsidentin Netumbo Nandi-
Ndaitwah während einer Rede
Raus aus der Krise? Die Erwartungen an Netumbo Nandi-Ndaitwah sind groß. Doch sie selbst steht eher für die glorreiche Vergangenheit als für einen Neuanfang.
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Wenn Netumbo Nandi-
Ndaitwah am 21. März ins Amt als Präsidentin Namibias eingeschworen wird, ist das ein historischer Tag. Noch nie hatte Namibia eine Staatschefin, und „NNN“, wie sie genannt wird, ist erst die zweite Frau in Afrika, die demokratisch in das Amt gewählt wurde, ohne es zuvor schon bekleidet zu haben. Die erste, die 2005 erstmals gewählte Ellen Johnson-Sirleaf in Liberia, ist heute Friedensnobelpreisträgerin und global geachtete „elder stateswoman“. Wird NNN in ähnlicher Weise in die Geschichts­bücher eingehen?

Ihre Amtskolleginnen zumindest sind bereits begeistert: etwa Samia Suluhu Hassan, Präsidentin von Tansania, die in ihrem Gratulationsschreiben die „Stärkung der wetterfesten brüderlichen Bande und historischen Beziehungen zwischen Tansania und Namibia“ in Aussicht stellte. Damit werden zwei ehemalige Frontstaaten des südlichen Afrika im Kampf gegen weiße Kolonialherrschaft und Apartheid künftig von Frauen regiert. 

Historisch ist das zweifelsohne, aber genügt es? Zwar verspricht die 72-Jährige dem krisengeplagten Land eine bessere Zukunft und rund 500 000 neue Arbeitsplätze – kaum realistisch bei nur 2,6 Millionen Einwohnern. Doch sie steht vor allem für die glorreiche Vergangenheit.


Power Couple des Widerstands

Ndemupelila Netumbo Nandi-
Ndaitwah, wie NNN mit vollem Namen heißt, gehört zur alten Garde der SWAPO (South West Africa People’s Organisation), die jahrzehntelang den schwarzen Freiheitskampf gegen die Besatzung „Südwestafrikas“ durch Apartheid-Südafrika führte und seit 1990 das unabhängige Namibia mit absoluter Mehrheit regiert. 

Geboren wurde NNN am 29. Oktober 1952 im kleinen Dorf Onamotai im äußersten Norden Namibias als neuntes von 13 Kindern des dortigen anglikanischen Pfarrers. Es war die Zeit, als die weiße Herrschaft unter dem Besatzungsregime Apartheid-Südafrikas absolut war.

NNNs Aufstieg in der 1960 gegründeten SWAPO war programmiert. Sie schloss sich der Bewegung 1966 an, als die ersten bewaffneten Auseinandersetzungen mit Südafrikas Armee begannen. Da war sie gerade 13 Jahre alt. Die lokalen SWAPO-Aktivisten trafen sich beim Pfarrer, ihrem Vater, weil er schattenspendende Bäume im Garten hatte.

Wenige Jahre später war die junge Miss Nandi Lehrerin an der St. Mary’s Mission School in der Kleinstadt Odibo, einer veritablen Kaderschmiede für SWAPO und schwarze Geistliche. Sie stieg in der SWAPO-Jugendorganisation auf und landete 1973 im Gefängnis. Nach der Freilassung folgte eine Zeit der Wanderjahre, wie sie damals so gut wie alle schwarze Aktivisten Namibias und Südafrikas erlebten, sofern sie nicht hinter Gittern saßen: durch Sambia und Tansania, durch die USA und Großbritannien, vor allem aber durch die Sowjetunion, wo sie studierte.
In Tansania, wo NNN als SWAPO-Ostafrikavertreterin eingesetzt war, traf und heiratete sie ihren Ehemann Epaphras Ndaitwah – daher der Doppelname. Ndaitwah hatte sich 1974 in Namibia dem militärischen SWAPO-Flügel PLAN (People’s Liberation Army of Namibia) angeschlossen und ließ sich in der Sowjetunion, Jugoslawien, Indien und Tansania militärisch ausbilden. Als Namibia 1990 die Unabhängigkeit erlangte und die SWAPO die Regierung übernahm, stieg er im Militär auf und sie in der Politik.

Netumbo Nandi-Ndaitwah, 1990 ins Parlament gewählt und gleich mit einem stellvertretenden Ministerposten betraut, saß ab 1996 an wechselnden Stellen in Namibias Regierung, und nach dem Tod von Präsident Hage Geingob im Februar 2024 wurde sie Vizepräsidentin. Epaphras Ndaitwah wurde 2011 Armee­chef; er ist seit 2014 pensioniert.

Ein „Power Couple“ also, wie es in Afrikas Befreiungsbewegungen öfter anzutreffen ist. Aber damit ist Nandi-Ndaitwahs Aufstieg zur Staatschefin eben kein Neuanfang für Namibia, sondern die Vollendung einer jahrzehntelangen Karriere, die älter ist als der Staat, den NNN leiten wird. Und: Nach 35 Jahren Alleinregierung steht die SWAPO ähnlich wie der ANC in Südafrika den Problemen des eigenen Landes immer hilfloser gegenüber.

Stolze 84 Prozent erhielt die SWAPO bei den Wahlen 2014, nur noch 56 Prozent im Jahr 2019. Diesmal hat die Regierungspartei die Präsidentschaftswahl mit etwas über 57 Prozent gewonnen, bei einer deutlich gestiegenen Wahlbeteiligung. Aber Namibias Opposition erkennt das Wahlergebnis nicht an, und zum ersten Mal steht die Legitimität der Wahlsiegerin offen infrage. Eine Nachwahl-Staatskrise mit Gewalt und Bürgerkriegsängsten wie in Mosambik oder bei früheren Wahlen in Simbabwe ist in Namibia zwar unwahrscheinlich; dafür ist die politische Kultur des Landes zu friedlich und träge. Aber die neue Präsidentin steht politisch im Zwielicht, bevor sie überhaupt anfängt.


Armut und Verschwendung

Die Erwartungen an sie sind immens: Namibias Jugendarbeitslosigkeit liegt selbst nach offiziellen Angaben bei 46 Prozent, die Wirtschaft wächst zu langsam und eine endlose Kette von SWAPO-Korruptionsaffären prägt die Politik – vom Skandal um die illegale Vergabe von Fischereilizenzen, der mehrere Minister die Karriere gekostet hat, bis hin zu den vielen Fragen rund um die sündhaft teure neue Parteizentrale in Windhoek, für deren Fertigstellung das Geld fehlt.

An all diesen Missständen wird Nandi-Ndaitwah wohl wenig ändern können, aber man wird sie ihr irgendwann anlasten. Ihre betont schlicht gehaltenen Siegesvideos – singendes und tanzendes Putzpersonal im Eingang eines Parteigebäudes – mögen zwar dem Bild volksnaher Bescheidenheit entsprechen, das die Regierungspartei gerne von sich zeichnet, aber nicht so sehr der Realität im Land. Das könnte auch auf die neue Präsidentin ­zutreffen: ein schönes Image, aber die Wirklichkeit spielt sich in den Hinterzimmern der Parteizirkel ab.

Auch die Vergangenheit könnte NNN als Präsidentin einholen. Da wäre etwa die „Red Line“: Zu deutschen Kolonialzeiten und auch später unter südafrikanischer Besatzung war es den Bewohnern des bäuerlichen Ovambolands an der Grenze zu Angola untersagt, die weiter südlich gelegenen Großfarmen zu betreten, sofern sie das nicht zu Arbeitszwecken tun mussten. Diese Farmen befanden sich im Besitz von teils deutschstämmigen Weißen. 

Die Erfahrung, Fremde im eigenen Land zu sein, hat das Mehrheitsvolk der Ovambo geprägt. Der Trennzaun zwischen Namibias Norden mit seinem schwarzen Gemeinschaftsland und dem Süden mit seinen meist weißen privaten kommerziellen Großfarmen, eben die Red Line, besteht bis heute. Mit ihr wird die Bewegung von Vieh von einem Landesteil in den anderen verhindert, und das erst macht den kommerziellen Fleisch­export von den Großfarmen etwa nach Europa möglich. Ohne den Zaun ist namibisches Fleisch nicht zum Export zertifizierbar; deshalb hat die SWAPO nie an ihm gerüttelt.

Gegen die Red Line, ein Überbleibsel weißer Siedlungs- und Rassentrennungspolitik, ist in Namibia eine Verfassungsbeschwerde anhängig. Die Kläger werfen der SWAPO-Regierung und einzelnen Mitgliedern, auch Nandi-Ndaitwah als ehemaliger Außenministerin, Verfassungsbruch vor – ein Politikum, wenn es denn zu einer öffentlichen Konfrontation vor Gericht käme. Die entsprechende Vorladung der künftigen Präsidentin wurde allerdings kurz vor Prozessbeginn im Januar wieder gekippt.

Eine Chance, unbewältigte Episoden der Vergangenheit ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stellen, wurde so vertan. Dabei dürfte Netumbo Nandi-Ndaitwah die letzte Staatspräsidentin der ersten SWAPO-Generation in Namibia werden. Ein neues Kapitel wird erst die nächste Generation aufschlagen.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2025, S. 9-11

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Dominic Johnson ist Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und Afrika-Redakteur  der Zeitung.