Miteinander fürs Mittelmeer
Der Klimawandel kennt keine Grenzen und lässt sich nur gemeinsam bekämpfen – soweit bekannt. Was aber, wenn gleichermaßen betroffene Nachbarländer wie Griechenland und die Türkei im Dauerclinch miteinander liegen? Ein paar Vorschläge.
Temperaturrekorde, Waldbrände, biblische Überschwemmungen: Dass die Klimakrise die größte sicherheitspolitische Herausforderung unserer Zeit ist, hat sich zuletzt besonders im Mittelmeer gezeigt – im westlichen ebenso wie im östlichen Teil, mit dem wir uns hier beschäftigen wollen. Durch die weitreichenden Auswirkungen des Klimawandels auf Ernährungssicherheit, Wasserversorgung, Migration oder biologische Vielfalt gerät die Politik immer stärker unter Druck.
Die Kosten der Untätigkeit
Wirtschaftsexperten haben berechnet, dass die Kosten der Untätigkeit weitaus höher wären als die Kosten der Prävention. Nach drei Jahrzehnten internationaler Klimakonferenzen wissen wir, was wir tun müssen, um den Klimawandel wieder unter Kontrolle zu bringen: Es braucht globale Kooperation und Koordinierung, mutige Finanzierungsmodelle, gerade für die Schwächsten, sowie einen sofortigen Ausstieg aus fossilen und einen raschen Umstieg auf saubere Energien.
Zudem müssen wir unsere Anpassung an die bereits eingetretenen verheerenden Auswirkungen des Klimawandels ausbauen, indem wir die Widerstandsfähigkeit von Gesellschaften, unserer Städte, unserer Infrastrukturen und unserer wichtigsten Wirtschaftssektoren stärken. Die reaktiven kurzfristigen Maßnahmen dürfen nicht als Ersatz für mutige langfristige und proaktive Maßnahmen gelten. Wir brauchen gemeinsame Krisenreaktionsmechanismen, die eine Ausbreitung klimabedingter Krisen verhindern können. Welche politischen Antworten können wir finden, um diese Herausforderungen zu bewältigen – und welche Lehren liefert uns der östliche Mittelmeerraum?
Der Klimawandel wurde lange als Umweltproblem betrachtet, das technische Lösungen erfordert. Wenn wir ihn dagegen als wirtschaftliche und soziale Herausforderung sehen, dann brauchen wir andere, ganzheitliche Ansätze. Einige von ihnen haben das Potenzial, die Gesellschaft in einer Weise zu verändern, die mehrere Herausforderungen gleichzeitig angeht, darunter Ungleichheiten, Ernährungsunsicherheit, Verlust der biologischen Vielfalt und Gesundheitskrisen.
Green Deal als Blaupause
Der europäische Green Deal, der EU-Plan zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, kann dafür als Blaupause dienen. Denn er zielt darauf ab, das Klima zu schützen und gleichzeitig ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell zu schaffen, das die Dekarbonisierung des Energiesektors, Investitionen in einen umweltfreundlichen Verkehr, Kreislaufwirtschaft und neue Regelungen für die Landwirtschaft umfasst. Ein Green Deal fürs Mittelmeer könnte als Fahrplan dienen, um eine weitere Erderwärmung zu verhindern und eine grüne und gerechte Nachhaltigkeitswende zu beschleunigen.
Statt die Kraft der Sonnen- und Windenergie zu nutzen, haben sich die Länder des östlichen Mittelmeers darauf verlegt, nach weiteren fossilen Kohlenwasserstoffen zu fahnden
Das Mittelmeer bietet immense Möglichkeiten für Innovation und Zusammenarbeit bei grüner Technologie und erneuerbaren Energien. Doch statt die Kraft der Sonnen- und Windenergie zu nutzen, haben sich die Länder des östlichen Mittelmeers darauf verlegt, nach weiteren fossilen Kohlenwasserstoffen zu fahnden. Das verzögert nicht nur den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe, sondern leistet womöglich auch nicht einmal einen Beitrag zur Bewältigung der Energiekrise: Es bedarf mehrjähriger Investitionen, um hier Ergebnisse zu erzielen, und die Frage nach der Amortisierung der Investitionen bleibt ungeklärt.
Hinzu kommt, dass die Forschungsaktivitäten in Sachen Kohlenwasserstoff zu weiteren geopolitischen Spannungen in der Region führen dürften, gerade mit Blick auf die Kontrolle strittiger Seegebiete. Wind- und Solarenergie dagegen sind unerschöpfliche und bewährte Energiequellen. Sie können im Gegensatz zur Kohlenwasserstoffförderung die Rivalität und den Wettbewerb um die Kontrolle von Energieressourcen entschärfen.
Gemeinsame Gefahr
Griechenland und die Türkei könnten trotz ihrer ziemlich belasteten Beziehungen ein positives Beispiel für die Kooperation im östlichen Mittelmeerraum liefern. Würden sie eng zusammenarbeiten, dann dürften sich ihre Kapazitäten zur Bekämpfung einer ganzen Reihe von gemeinsamen Klimagefahren stark verbessern. So ist etwa die traditionelle, jahrtausendealte Landwirtschaft in den Küstengebieten des südlichen Griechenlands ebenso von Wüstenbildung bedroht wie die im Süden der Türkei.
Sinkende Regenmengen bedeuten zudem, dass sich die Waldbrandsaison in beiden Ländern von zwei auf fünf Monate verlängert hat, und dass die Anzahl und das Ausmaß der Waldbrände beispiellos gestiegen sind. Im Sommer 2023 etwa ereignete sich in Westthrakien nahe der bulgarisch-türkischen Grenze der größte jemals in der Europäischen Union verzeichnete Waldbrand, der einen noch nie dagewesenen Schaden verursachte. Hätte man diesen Brand durch regionale Zusammenarbeit eindämmen können? Nicht wenige Beobachter sehen das so.
Die Entwicklung einer türkisch-griechischen Infrastruktur für die Reaktion auf Klimakrisen wäre ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung der Sicherheit im gesamten östlichen Mittelmeerraum. Wenn man Gelder zur Brandbekämpfung aus der Luft gemeinsam nutzte oder türkisch-griechische Feuerwehreinheiten und Frühwarnsysteme entwickelte, dann würde das nicht nur die Frühwarnkapazitäten in beiden Ländern verbessern. Es könnte auch ein deutliches Zeichen für die Vorteile einer bilateralen Zusammenarbeit in einem Bereich setzen, der die Sicherheit der Menschen in beiden Ländern bedroht.
Vom Streit zur Zusammenarbeit
Krisenvorsorge und -management wären jedoch nur ein Aspekt der Zusammenarbeit. So wäre es beispielsweise wichtig, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Land- und Meeresökosysteme der Ägäis und des östlichen Mittelmeers von griechischen und türkischen Wissenschaftlern gemeinsam erforschen zu lassen. Die Palette der Themen wäre groß: Sie reicht von den Auswirkungen abnehmender Niederschläge auf Land-, Küsten- und Inselwirtschaft über die verhängnisvollen Folgen des Anstiegs der Wassertemperaturen auf die Meeresvegetation bis hin zu Maßnahmen für den Schutz der Waldökosysteme im Mittelmeerraum oder gegen die Ausbreitung invasiver mariner Arten.
Der europäische Green Deal bietet auch eine neue Chance für die regionale Zusammenarbeit auf dem Energiesektor. Kohlenwasserstoffe haben, wie erwähnt, nicht dazu beigetragen, Konflikte in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer einzuhegen oder gar zu lösen, im Gegenteil: Als man in den 1970er Jahren Erdölvorkommen vor der griechischen Insel Thasos entdeckte und daraus die Hoffnung zog, dass unter dem Meeresboden der Ägäis noch weitaus größere Vorkommen zu finden sein könnten, führte das zu einer Eskalation in der Auseinandersetzung über die Seegebiete zwischen Griechenland und der Türkei. Am Ende war es dieser Zwist, der die notwendige umfassende Erkundung des Gebiets verhinderte.
Vierzig Jahre später, in den 2010er Jahren, glaubte man, klüger zu sein und verband die Entdeckung beträchtlicher Erdgasvorkommen unter dem Meeresboden mit der Hoffnung auf eine Zusammenarbeit in der Region. Doch auch hier ist mittlerweile zu befürchten, dass regionale Streitigkeiten eine engere Kooperation und die Monetarisierung der Erdgasreserven zunichte machen werden.
Klimapolitik ist Friedenspolitik
Heute ist es neben dem Potenzial der Region in Sachen Erneuerbare vor allem die Anbindung des östlichen Mittelmeerraums an Europas Energienetze, die Hoffnung auf eine Revitalisierung der griechisch-türkischen Beziehungen macht. Von einer Verbindung der Länder des östlichen Mittelmeers untereinander und mit dem europäischen Energienetz würden die europäische Energiesicherheit und die regionalen Wirtschaftsbeziehungen erheblich profitieren. Zwar sollten wir nicht unterschätzen, dass alte und neue geopolitische Differenzen auch diese Vorhaben untergraben können. Betrachtet man allerdings das jüngste Engagement beider Länder für Projekte, die für beide Seiten von Nutzen sind, dann gibt es jede Menge Anlass für Optimismus.
Wenn es gelänge, Europas Markt für Erneuerbare über Griechenland und die Türkei mit dem Nahen Osten zu verbinden, dann brächte das für alle Beteiligten erhebliche Vorteile mit sich
Für die konkrete Ausgestaltung einer türkisch-griechischen Zusammenarbeit bei den erneuerbaren Energien bietet erneut der europäische Green Deal einen brauchbaren Rahmen – sei es für die Förderung von Solarparks oder Offshore-Windkraftprojekten in der Ägäis oder für die Energiekonnektivität im östlichen Mittelmeerraum. Wenn es gelänge, den europäischen Markt für erneuerbare Energien über Griechenland und die Türkei mit dem des Nahen Ostens zu verbinden, dann brächte das für alle Beteiligten erhebliche Vorteile mit sich.
Der Bau und die Verlegung von Stromkabeln und Pipelines für grünen Wasserstoff im östlichen Mittelmeer könnten als Paradebeispiel für eine solche Zusammenarbeit dienen. Durch einen Abgleich der Umwelt- und Wirtschaftsinteressen aller beteiligten Parteien könnte die Klimapolitik dazu beitragen, einen Weg zur Konfliktlösung in den griechisch-türkischen Beziehungen und in Zypern zu finden und ihre problematischen Beziehungen auf eine ganz neue Grundlage zu stellen.
Nachhaltigkeit und Resilienz sind der Schlüssel zum Wohlstand im Mittelmeerraum. Ehrgeizige Klimaschutz- und Anpassungsprogramme sowie Maßnahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaften erfordern jedoch ein Mindestmaß an lokaler und regionaler Stabilität. Die Förderung einer Kultur des Friedens ist also eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg der Klimapolitik.
Die Herausforderung besteht darin, Wege zu finden, die trotz überwältigender und historisch gewachsener Probleme zu konkreten Lösungen für die Zukunft führen. Klimapolitik ist Friedenspolitik – und Griechenland und die Türkei könnten in diesem Prozess eine Vorreiterrolle spielen.
Aus dem Englischen von Kai Schnier
Internationale Politik Special 1, Januar/Februar 2025, S. 60-63
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