Mehr als nur eine Währung
Die Europäische Union hat Bulgarien grünes Licht für den Beitritt zur Eurozone gegeben. Der wirtschaftliche Nutzen ist für Brüssel wie für Sofia eher gering – die politische Signalwirkung jedoch umso größer.
Am 1. Januar 2026 möchte Bulgarien den Euro einführen und damit als 21. Staat in die Eurozone aufgenommen werden; die Zustimmung der EU-Finanzminister im Juli gilt als sicher. Der bulgarische Weg in die europäische Währungsunion war und ist kein leichter. Er ist geprägt von politischen Risiken, institutionellen Defiziten und gesellschaftlichen Widerständen. Nach alldem ist der Euro-Beitritt Bulgariens weit mehr als ein technischer Schritt – er ist ein Prüfstein für die europäische Integration.
Ursprünglich wollte Bulgarien der Eurozone bereits 2024 beitreten, scheiterte damals jedoch an den Maastricht-Kriterien: Mit 5,1 Prozent lag die Inflationsrate deutlich über dem erlaubten Wert. Die übrigen drei Kriterien – tragfähige öffentliche Finanzen, stabile Wechselkurse und niedrige langfristige Zinsen – erfüllte das Land.
Die nächste Bewertung, ob Bulgarien reif für den Euro ist, sollte turnusgemäß erst Mitte 2026 stattfinden. Ein Beitritt wäre demnach frühestens 2027 möglich gewesen. Doch so lange wollte die bulgarische Regierung nicht warten. Bereits im Februar 2025 beantragte sie eine außerordentliche Bewertung durch die Europäische Zentralbank (EZB). Der im Juni veröffentlichte Konvergenzbericht der EZB fiel positiv aus: Das Land erfüllt nun alle vier Maastricht-Kriterien. Die Inflationsrate ist auf 2,7 Prozent gesunken und liegt damit knapp unter dem erlaubten Höchstwert. Die EZB hat damit den Weg zum Euro-Beitritt frei gemacht.
Trotz der grundsätzlich positiven Bewertung enthält der EZB-Bericht auch mahnende Worte: Konkret fordert die europäische Notenbank Bulgarien auf, die Korruption wirksam zu bekämpfen, ein unabhängiges und effizientes Justizsystem sicherzustellen und die internationalen Standards zur Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und der Finanzierung von Massenvernichtungswaffen einzuhalten.
Hintergrund der letzten Forderung ist die Einstufung Bulgariens auf der sogenannten „Grauen Liste“ der Financial Action Task Force (FATF) im Jahr 2023 – eines internationalen Gremiums, das die Integrität und Sicherheit des globalen Finanzsystems überwacht und Risiken durch illegitime Finanzströme identifiziert. Die FATF bescheinigt Bulgarien in ihrer jüngsten Bewertung zwar punktuelle Fortschritte. Doch in entscheidenden Bereichen bestünden weiterhin Defizite: So mangele es an effektiver Strafverfolgung bei Geldwäsche, Korruption und organisierter Kriminalität. Besonders besorgniserregend sei, dass Bulgarien die Sanktionen gegen die Finanzierung von Massenvernichtungswaffen nur unzureichend umgesetzt habe und zudem keine risikobasierte Überwachung von gemeinnützigen Organisationen betreibe, die zur Terrorismusfinanzierung missbraucht werden könnten. Diese institutionellen Defizite sind zweifellos gravierend – sie offenbaren strukturelle Schwächen in Verwaltung und Rechtsstaatlichkeit. Dennoch gelten sie im aktuellen Verfahren nicht als formales Hindernis für den Beitritt zur Eurozone.
Gespaltene Gesellschaft
Während die formalen Kriterien erfüllt und strukturelle Mängel hingenommen werden, liegt die letzte verbleibende Hürde auf innenpolitischem Terrain: Der Widerstand gegen den Euro in weiten Teilen der Bevölkerung ist unübersehbar und politisch schwer kalkulierbar. Rund die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger lehnt die Einführung der Gemeinschaftswährung ab. Die Gründe sind vielfältig: Befürchtet werden Preissteigerungen – wie sie nach dem Euro-Beitritt in Kroatien beobachtet wurden –, aber auch eine Übernahme von Haftungsrisiken für andere Eurostaaten oder einen Souveränitätsverlust. Hinzu kommt, dass viele Bulgaren ohnehin das Gefühl haben, die Vorteile des Euros bereits zu genießen: Denn der Lew ist seit 1997 fest an die D-Mark und später an den Euro gekoppelt. Die Währungsumstellung wird von Teilen der Bevölkerung deshalb als unnötig empfunden.
Die Vorbehalte gegen den Euro speisen sich auch nicht nur aus ökonomischen Sorgen. Der Widerstand ist eng mit der Frage der geopolitischen Verortung Bulgariens verbunden. Das Land ist bis heute zwischen Ost und West hin- und hergerissen. In diesem Spannungsfeld wird der Lew von Gegnern des Euros gezielt zum Symbol einer antiwestlichen Haltung stilisiert.
Diese innere Zerrissenheit ist kein bulgarisches Allein-
stellungsmerkmal. Die jüngsten Wahlen in Rumänien und Polen spiegeln vergleichbare Konfliktlinien wider. Doch gerade der anstehende Euro-Beitritt wirkt wie ein Brennglas: Er macht sichtbar, wie tief die Meinungsunterschiede über Bulgariens künftigen Kurs reichen.
Die Skepsis gegenüber dem Euro und dem Westen wird gezielt geschürt – etwa durch die pro-russische Partei „Wiedergeburt“, die mit ihrer Anti-Euro-Kampagne polarisiert. Verbreitet werden auch gezielte Desinformationsnarrative, etwa die Behauptung, die EU wolle auf private Ersparnisse zugreifen, um Militärausgaben zu finanzieren. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass es immer wieder zu größeren, teils gewalttätigen Demonstrationen gegen den Euro-Beitritt kommt.
Die Zerrissenheit des Landes spiegelt sich in chronischer politischer Instabilität wider. In den vergangenen vier Jahren fanden sieben Parlamentswahlen statt. Die derzeitige Regierung, die den Euro-Beitritt vorantreibt, ist ein fragiles Zweckbündnis aus Konservativen, Sozialisten und Populisten, das keine eigene Mehrheit besitzt. Es stützt sich auf die Stimmen der Partei „Bewegung für Rechte und Freiheiten“, deren einflussreichste Figur der Medienunternehmer Deljan Peewski ist, der von den USA und Großbritannien wegen „bedeutender Korruption“ mit Sanktionen belegt wurde. Die Vereinigten Staaten haben sein Vermögen eingefroren und ihm landesweit Geschäfte untersagt, das Vereinigte Königreich sprach zudem ein Einreiseverbot aus. In Bulgarien blieb eine strafrechtliche Aufarbeitung bislang aus.
Zusätzliche Unruhe brachte Mitte Mai die Ankündigung von Präsident Rumen Radew, ein Referendum zur Verschiebung des Euro-Beitritts anzustreben, obwohl das bulgarische Verfassungsgericht ein ähnliches Vorhaben bereits im Vorjahr für unzulässig erklärt hat. Ob eine solche Volksabstimmung rechtlich bindend wäre, ist fraglich. Politisch jedoch ist der Vorstoß eindeutig: Die Diskussion um den Euro berührt Grundfragen nationaler Souveränität und Identität – und wird damit zur zentralen innenpolitischen Konfliktlinie.
Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass die europäischen Institutionen das gegenwärtige Zeitfenster nutzen wollen, um den Beitritt noch unter der aktuellen Regierung zu vollziehen. Denn ob eine künftige bulgarische Regierung das Projekt mittragen würde, ist alles andere als sicher.
Symbolischer Schritt
All dies zeigt deutlich: Für Bulgarien ist der Euro weit mehr als ein wirtschaftliches Instrument. Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, hybrider Bedrohungen und wachsender Unsicherheit auf dem Balkan steht der Euro für die Zugehörigkeit zur westlichen Ordnung. Der Beitritt wäre ein starkes Signal – für sicherheitspolitische Verlässlichkeit, für institutionelle Einbindung und für die klare Entscheidung zugunsten Europas.
Ökonomisch bringt der Euro dem Land tatsächlich wenig Neues. Da der Lew seit Jahrzehnten fest an die europäische Währung gekoppelt ist, ist die Wechselkursstabilität institutionell verankert, unabhängig von politischen Zyklen und Krisen. Anders als bei früheren Beitritten zur Eurozone besteht deswegen keine reale Gefahr, dass Bulgarien mit dem Euro abrupten wirtschaftlichen Anpassungsdruck erlebt. Der Übergang ist monetär bereits vollzogen. Für Sofia ist der Euro-Beitritt ein symbolischer Schritt, der das Vertrauen internationaler Investoren stärken, die Kreditkonditionen verbessern und die wirtschaftliche Entwicklung unterstützen könnte.
Euro verliert an Strahlkraft
Zugleich macht der bulgarische Fall deutlich, dass der Euro auch in Osteuropa kein Selbstläufer ist. Neben den alten Skeptikern Schweden und Dänemark wächst auch in Teilen Mittel- und Osteuropas die Zurückhaltung. Dies ist ein ernstzunehmendes Signal. Die Attraktivität westlicher Institutionen und Werte verlieren an Strahlkraft.
Für die Eurozone wäre Bulgariens Beitritt wirtschaftlich von geringer Bedeutung: Das Land würde weniger als 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachen. Politisch aber wäre der Schritt bedeutsam, nicht nur für die Eurostaaten, sondern für die gesamte EU, denn er könnte auch andere osteuropäische Mitgliedstaaten zum Beitritt und zur Westbindung ermutigen.
Die Debatte um den bulgarischen Euro-Beitritt verdeutlicht einmal mehr, wie eng wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Fragen in der heutigen EU miteinander verflochten sind.
Internationale Politik 4, Juli/August 2025, S. 12-14
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